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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Wortlose Sequenzen: Heat von Michael Mann

 „Fehler, Kampf, die Menschlichkeit“


Die zu besprechende Sequenz dauert 35 Sekunden (2h22min07s bis 2h22min42s) und besteht aus 11 Einstellungen.  Sie zeigt Neil McCauley (Robert De Niro) und Eady (Amy Brenneman) im Auto. McCauley hat kurz zuvor von einem Freund die Nachricht erhalten, in welchem Hotel sich Waingro (Kevin Gage) aufhält. McCauley hat noch eine Rechnung offen mit Waingro, aber auf der anderen Seite ist er „Home Free“, er hat es geschafft und könnte zusammen mit Eady wegfliegen und ein neues Leben beginnen.  Nach dem er aufgelegt hat, fragt ihn Eady (seine Freundin, die mit ihm wegfliegen möchte), ob alles in Ordnung sei. Er bejaht dies und dann beginnt die wortlose Sequenz. Die beiden fahren durch weißes Licht in einen Tunnel. Während Eady ihr Glück nicht so Recht glauben und greifen kann, beginnt es in McCauley zu arbeiten. Sie verlassen den Tunnel. Schließlich entscheidet sich McCauley dafür Waingro doch noch einen Besuch abzustatten, bevor er mit Eady in den Flieger steigt. Er reißt das Lenkrad herum und nimmt eine Ausfahrt.
Diese Sequenz bietet sich deshalb so als Einstieg in diese Reihe an, weil sie gewissermaßen einen fließenden Übergang zur letzten Reihe bildet. Schließlich wird sie vom Schauspiel dominiert und die eigentliche Handlung der Szene spielt sich im Gesicht von McCauley ab. Michael Mann zeigt hauptsächlich Nahaufnahmen in dieser Sequenz. Mehr noch verstehe ich unter dieser Szene einen Schlüsselpunkt zum Verständnis des ganzen Filmes. McCauley ist hier am Ziel angekommen, er könnte glücklich sein.  Aber in ihm arbeitet es weiter. Er kann seiner eigenen Natur nicht entkommen, er muss immer wieder dieses letzte Ding erledigen; Tatsache ist: Es wird immer eine letzte Sache geben, die er noch erledigen muss. „Heat“ dreht sich um Professionalität, um Menschen, die aufgehen und die sich verlieren, in dem, was sie machen; „Heat“ ist ein Drama über Menschen, die versuchen keine Menschen mehr zu sein. Einen Einblick in diese Menschlichkeit liefert De Niro in dieser Szene auf beeindruckende Weise. Er scheint zu wissen, dass er diese Entscheidung treffen wird, bevor er sie dann tatsächlich trifft. Er scheint sich zu hassen dafür. Er folgt einer Art Kodex, die sein Leben bestimmt und schließlich auch zu seinem Schicksal wird.
Der Film thematisiert an mehreren Stellen, dass der Jäger und der Gejagte, der Polizist und der Verbrecher- im Kern- eine Person sind; Menschen, die einander brauchen. Der Polizist Vincent Hanna wird in Heat von Al Pacino verkörpert. Er und McCauley könnten Freunde sein. Man hat das Gefühl sie sind sich sehr ähnlich. Beide wirken gehetzt und unglücklich. Sie sind isoliert und verloren. Ihre Arbeit ist professionell und sie ordnen ihr alles unter. Aber beide sind dennoch in der Lage Frauen davon zu überzeugen mit ihnen ein Leben zu beginnen; sie kümmern sich beide um Probleme von Freunden, sind beide zutiefst menschlich und umneschlich, aber verstecken diese Menschlichkeit, sobald es an die Arbeit geht. Wie immer bei Michael Mann ist der Beruf des Kriminellen ein ganz normaler Job wie jeder andere auch. Jean-Pierre Melville ist der größte Meister der Kinogeschichte im Erzählen dieser kühlen, gewalttätigen Personen, die unter der Oberfläche Menschen sind.  Die Morden und Rauben, als wäre es ein Job wie jeder andere. Was treibt diese Figuren will man sich den ganzen Film fragen? In „Collateral“ von Michael Mann wird viel darüber gesprochen, wer was weshalb macht. Vielleicht ein wenig zu viel. Die Motivation für die kriminelle Karriere von McCauley in „Heat“ liefert Michael Mann dagegen in dieser wortlosen Sequenz. Dabei lässt er offen, ob McCauley ein hasserfüllter Mann ist, der den Drang zur Gewalt nicht unterdrücken kann oder ob McCauley ein Mann ist, der die Dinge komplett geregelt haben muss oder ob McCauley ein Mann ist, der eine bestimmte Schule durchlaufen hat, die ihn geprägt hat. Es ist nicht wichtig, denn wichtig ist nur, dass es für diesen Mann in diesem Moment keine andere Lösung gibt. Er sieht nicht das Glück und er sieht nicht die Frau an seiner Seite, obwohl er sie so gerne sehen würde.
Verbrecher bei Melville-Der normalste Beruf der Welt
Verbrecher bei Mann-Menschen, die so tun,als wäre es der normalste Beruf der Welt
Eady ist das eigentliche Opfer von McCauley. Michael Mann gibt ihr in dieser Sequenz eine ähnliche Screentime wie McCauley. Für sie ist der verlassenste Mensch, den man sich vorstellen kann, die große Möglichkeit ihrer eigenen Einsamkeit zu entkommen. Man kann perfekt verstehen, was sie an diesem unaufgeregten und dennoch träumerischen Mann findet, der einen Kontrast bildet zu ihrem Befinden in Los Angeles. In amerikanischen Filmen spielt die Stadt immer eine große Rolle. De Niro spielt gegen das Stadtklischee; jede Faser von ihm möchte Los Angeles verlassen. „The city of lights.“, sagt er eines Abends zu ihr. Dabei ist sie für ihn ein scheinbar trügerisches Bild, eine Hoffnung auf ein anderes Leben, das es in Wahrheit gar nicht geben kann, denn er ist das trügerische Licht für sie, er ist Teil dieser Lichter geworden bzw. schon immer gewesen. Bezeichnend, dass die beiden zu Beginn der Sequenz durch einen hell erleuchtenden Tunnel fahren. Sie nimmt das wahr, kann ihr Glück kaum fassen; ein fast surrealer Moment. Er dagegen ist mehr mit sich selbst beschäftigt. Er spürt den Moment der Freiheit nicht und bleibt somit ein ewiger Gefangener.
Die fast schon tragisch-epische Erzählweise des Films kulminiert in dieser Sequenz. Durch einen aristotelischen Fehler wird McCauley sein tragisches Ende finden. Er entsteht aus der Notwendigkeit seines Charakters. An diesem Punkt zeigt uns der Film, dass er sich im Endeffekt um sich selbst dreht. Der Charakter steht über der Handlung. Und man möchte McCauley zu schreien: Ja, jetzt bist du ein Typ mit einem Born to Loose-Tatoo auf der Stirn.“, auch wenn man ihm vorher noch rechtgegeben haben mag, als er das Gegenteil behauptet hat. Die Erzählung setzt fast aus an dieser Stelle. Zum Thrillerklischee mag es gehören, dass es diesen Moment gibt, in dem der „Böse“ scheinbar gewinnt. Aber hier gibt es keinen „Bösen“, hier gibt es nur einen Mensch, der gegen seinen eigenen Stolz nicht ankämpfen kann. Der blind durch einen hellerleuchteten Tunnel fährt. In Animationsserien habe ich früher immer diese Szenen geliebt, in denen es einen Teufel und einen Engel gibt, die das Gewissen repräsentieren. McCauley hört nur auf den Teufel.
Abschließend ist noch auf den Grad der Identifikation einzugehen. Erstaunlicherweise kann ich die Entscheidung von McCauley perfekt nachempfinden. Der Charakter des Waingro wurde über den Film hinweg eigentlich als einer der wenigen wirklich schlechten Charaktere etabliert. Er hat Schuld daran, dass im ersten Raubüberfall Menschen erschossen werden, er ermordet ein minderjähriges Mädchen, er verrät Teile der Crew etc. Es ist streitbar, ob McCauley eigentlicher Fehler nicht der war, Waingro entwischen zu lassen, als er die Chance gehabt hätte ihn zu erledigen.  Dennoch kann man McCauley in diesem Moment perfekt verstehen. Man will als Zuseher förmlich, dass er sich auch noch um diese letzte Person auf seiner Liste kümmert. In einem Film, in welchem Identifikation nicht mehr wirklich auf moralisches Handeln gemünzt werden kann, wird somit der Kampf im Gesicht von de Niro auch zu einem Kampf im Kopf des Betrachters: Will ich, dass er einfach in die Freiheit fährt oder will ich, dass es Gerechtigkeit gibt und er zu Waingro fährt. Die Wahl, die es zu treffen gibt ist zwischen Freiheit, persönlichem Glück, Reichtum auf der einen Seite und  moralischer Gerechtigkeit, persönlicher Genugtuung und Befolgung eines Kodex auf der anderen Seite.  Dafür braucht man keine Worte, sondern nur 2 Gesichter und ein bewegtes Auto; das würde ich als Reinform eines cineastischen Erlebnisses beschreiben.
Weiter wird es gehen mit  
4 luni, 3 saptamini si 2 zile von Cristian Mungiu und „Realität, Entsorgung, das Nichts“