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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

This Human World 2018: Donbass von Sergei Loznitsa

Im Rahmen einer Kooperation mit dem This Human World 2018 präsentieren wir eine Auswahl von Filmen aus dem diesjährigen Festivalprogramms.

Die interessantesten Filme, findet man oftmals an den Rändern des Kinos. Wo kühne Grenzgänger sich in ökonomischem, technischem oder ästhetischem Niemandsland bewegen. Wo sie in Gegenden vorstoßen, in denen noch nie jemand Fuß gesetzt hat. Sergei Loznitsa ist ein solcher Grenzgänger. Er ist einer jener Künstler, die scheinbar mühelos die Grenze zwischen fiktionalem und dokumentarischem Filmemachen kreuzen, die sich den Modus das „Dazwischen“ als Heimat auserkoren haben.

2018 sind drei Filme von Loznitsa erschienen. In Victory Day beobachtet er kommentarlos die Feierlichkeiten zum Sieg der Alliierten in Westeuropa am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park in Berlin. Auslandsrussen, Wolgadeutsche und einige wenige Russland-Sympathisanten zelebrieren dort ihre fragwürdige Geschichtsauffassung und tragen ihre ebenso fragwürdige Einschätzung der gegenwärtigen politischen Lage in der russischen Heimat zur Schau. Loznitsa seziert diese Feierlichkeiten, wie er es bereits mit dem Treiben der KZ-Touristen in Austerlitz getan hat oder mit den undurchsichtigen Machtkämpfen in der Ukraine in Maidan. In The Trial hingegen, montierte er Archivmaterial der Schauprozesse Stalins aus den 30er Jahren zu einem neuen, grausamen Etwas, das vor allem durch seine Zurschaustellung von Inszeniertheit auffällt. Ein filmischer Modus, wie man ihn von Loznitsa bereits aus The Event (über die letzten Tage vor dem endgültigen Zerfall der Sowjetunion) oder Revue (einer Archiv-Collage über das Leben in der Sowjetunion in den 50ern und 60ern) kennt.

Donbass von Sergei Loznitsa

Donbass beginnt wiederum ähnlich wie Loznitsas dokumentarisch-beobachtende Werke. An einem Filmset werden Statisten für ihren Auftritt vorbereitet. Schnell verliert man die Orientierung, als die Statisten – die Kamera unter ihnen – ihren Einsatz haben. Folgt man den Dreharbeiten eines Propagandafilms? Wurde hier gerade tatsächlich auf die Statistengruppe geschossen? Und ist das überhaupt ein filmisches Dokument oder folgen wir hier Loznitsas Drehbuch? Man ist versucht noch einmal im Programmheft nachzulesen, ob Donbass als Dokumentar- oder Spielfilm kategorisiert ist. Dann würde man freilich Loznitsa bereits in die Falle tappen, denn wie so oft in seinen Filmen, geht es nicht nur um einen vordergründigen Konflikt – sei es, wie sich Besucher von Gedenkstätten verhalten (Austerlitz), oder Eisfischer im äußersten Norden Russlands (Artel) – sondern auch um eine Reflektion der medialen Bilder, die der Film erzeugt.

In Donbass treibt Loznitsa diese Reflexivität auf die Spitze. In kurzen, teils mehr, teils weniger zusammenhängenden Episoden erzählt er vom andauernden Konflikt in der Ostukraine. Jener Gegend rund um die Städte Donezk und Lugansk, die mit Billigung Moskaus von russischstämmigen Separatisten kontrolliert ist. Filmcrews und Kamerateams des Fernsehens, ein deutscher Reporter und Handyaufnahmen spielen darin eine bedeutsame Rolle. Es gibt kaum einen Filmemacher, dem es besser gelingt, die Medialität seiner eigenen Bilder zu thematisieren, ohne je wirklich einen Film über Medialität zu machen. Denn obwohl all diese Fragen zur Herkunft und Natur der Bilder immer mitschwingen, ist Loznitsas Kernthema ein ganz anderes. Wie so oft in seinen Filmen der letzten Jahre beschäftigt er sich mit den schwierigen Verhältnissen in Russland. Das Ergebnis ist ein Film, dem wohl alle Seiten (Ukraine, Separatisten, Russen und vielleicht sogar der Westen) Parteilichkeit vorwerfen würden.

Donbass von Sergei Loznitsa

Zugegeben, ein sehr rosiges Bild vom Leben innerhalb der Grenzen der selbsternannten Föderation Novorossiya zeichnet Donbass nicht. Die entscheidende, schwierigere und kaum zu beantwortende Frage, wer für Elend, Gewalt und Korruption verantwortlich ist, lässt der Film aber offen. Beide Seiten scheinen sich in Sachen Machthunger, Geldgier, Blutrünstigkeit und Volksverhetzung nicht viel zu nehmen. Das ist allein daran zu erkennen, dass an vielen Stellen schlicht nicht aufgeklärt wird, welche der beiden Seiten überhaupt gerade gezeigt wird. Die menschlichen Abgründe, die Loznitsa offenbart sind jedenfalls schmerzhaft mitanzusehen. Exemplarisch kann man hier die Szene nennen, in der separatistische Militärs einen vermeintlichen Killer der ukrainischen Armee öffentlich zur Schau stellen und sich eine Zivilistenmenge solange gegenseitig aufwiegelt, dass es ohne Eingreifen der Soldaten vermutlich zu einem Lynchmord gekommen wäre. Man kann sich problemlos eine Parallelszene mit umgekehrten Rollen ein paar Kilometer weiter westlich vorstellen. Eines haben beide Seiten aber gemeinsam: Das dumpfe Grollen der Kanonen im Hintergrund; und das niemand vor plötzlichen Einschlägen von Raketen und Granaten sicher ist.