Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

The Grand Disillusion – Das Ende von A Most Wanted Man

And there is a Frown of Hate
And there is a Frown of disdain
And there is a Frown of Frowns
Which you strive to forget in vain
– WILLIAM BLAKE, The Smile

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Das Ende von A Most Wanted Man ist eine einzige große Enttäuschung. Eine Enttäuschung vor allem, weil alles davor eine Täuschung war. Und weil man das insgeheim schon wusste, aber nicht wahrhaben wollte. Weil irgendwo die Hoffnung köchelte, dass vielleicht doch alles ins Lot kommt und das windschiefe Weltbild auf einmal gar nicht mehr so schief wirkt, dass die Knoten fein säuberlich aufgelöst werden, ohne Unrecht und Schmerzen und sichtbare Leidträger. Dass man das Verbrechen aus der Welt schaffen kann, ohne dass jemand dafür büßen muss oder selbst zum Verbrecher wird.

Eine Enttäuschung ist es auch für den Geheimdienstler Günther Bachmann, der es gar nicht fassen kann, dass sein eigener Zug gerade ohne ihn abgefahren ist. Der den ganzen Film über wie ein Besessener geprobt hat für die alles entscheidende Uraufführung, und jetzt hilflos zusehen muss, wie ihm ein Haufen dahergelaufener Besserwisser mit einem Streich die Premiere verpatzt, ohne mit der Wimper zu zucken. Dessen illustres Ensemble auf eiserner Schiene gen bessere Welt unterwegs war und nun völlig unvermittelt eine Kehrtwende eingelegt hat Richtung Chinatown. Fast hört man seine stumme Kollegin flüstern: „Forget it, Günther. It’s the 21st century.“

Endlos enttäuschend, weil er so viel Zeit in die Produktion investiert hat, ins Casting, den Text, das Coaching, die Proben, in die Figurenentwicklung und die Auswahl der Handlungsorte, ins Ausmalen der Grauzonen und den Feinschliff der Ambivalenzen, damit am Ende alles an seinem Platz ist und nichts mehr im Unklaren, bis in die feinste Ungewissheit hinein. Weil er von der ersten Szene an hinter dem Monitor saß und den stillen Souffleur machte, an den Lippen der Schauspieler hing und jeden Satz mit ihnen mitsprach. Weil die Liebesgeschichte dabei so schön gewachsen war, organisch fast, aber doch wie im Film. Und weil alle brav mitgemacht haben, nur oberflächlich widerspenstig und in Wirklichkeit mit Lust an der Sache, aus fester Überzeugung. Weil er so stolz war auf alle seine Kinder, die jungen wie die alten.

Die Enttäuschung, wenn man erkennen muss, dass alles umsonst war, diese Enttäuschung kennt keinen Halt. Wenn sich das dingsichere System als Pyramidenspiel erweist. Wenn man mir nichts dir nichts mit leeren Händen dasteht und die Welt einem nicht mal die Anstrengung ansieht, die es gekostet hat, alles gegen die Wand zu fahren. Wenn sich der Glaube verabschiedet und mit ihm der Sinn. Dann kann man nur noch fluchend leere Haken schlagen wie ein blinder Hase.

Alle diese Enttäuschungen verdichten sich in der letzten Einstellung des Films, verstetigt in Körper und Gesicht von Philip Seymour Hoffman, auch die Enttäuschung über den plötzlichen Tod dieses großartigen Schauspielers, der Enttäuschung verkörpern konnte wie kein Zweiter. A Most Wanted Man hatte bereits im Jänner Premiere, und retrospektiv erscheint es fast unheimlich, wie sehr dieser unsentimentale, abrupte und laut Regisseur Anton Corbijn nicht gescriptete Schluss einer Abschiedsgeste für und von Hoffman gleicht, die in ihrer kompromisslosen Finalität das Gegenteil seines diesjährigen Oscarshow-Gedenkmoments darstellt.

Wie die Quersumme all seiner frustrierten, gepeinigten, neurotischen, verzweifelten, verklemmten, manischen, tragischen Figuren sitzt Hoffman aufgewühlt und alleine in einem Auto, stiert wer weiß wohin, wartet wer weiß worauf, die finsterste aller Mienen, seine Mundwinkel wie mit Haken am Boden befestigt, ein gedrungener Haufen kaffeegetränkter Hautfalten und Haarsträhnen und Bartstoppeln in einem verkrumpelten Trenchcoat als Dampfkessel ohne Ventil. Und dann steht er auf, steigt aus, marschiert resolut aus dem Bild und lässt uns mit uns selbst zurück, als wäre er ein Sänger, der nach dem letzten Lied das Mikro wütend auf den Boden fallen lässt und von der Bühne stürmt, weil es nichts mehr zu sagen gibt, weil ihn niemand verstehen würde, weil es egal ist: Screw you guys, I’m going home – aber null Ironie, auch wenn es ironisch ist im Erzählkontext. Ästhetisch gehört diese Aufnahme gar nicht zu Rest des Films. Sie wirkt, als hätte sich nicht nur die Hauptfigur vom großen Showdown davongestohlen, sondern auch Hoffmann vom Set, als hätte jemand vergessen, die Handkamera auf dem Beifahrersitz seines Privatwagens auszuschalten. Diese Kamera hängt nämlich in den Seilen wie liegengelassen, hat keine Kraft mehr in ihrer Schockstarre, kann bloß tatenlos zusehen, wie der geliebte Antiheld aus ihrem Blickfeld verschwindet, ein Columbo ohne Wiederkehr. Eine Weile starrt sie aus ihrer banalen Perspektive ins Leere, wie in Erwartung, dass da noch was kommen könnte, zurückkommen vielleicht. Aber da kommt nichts, und dann ist es aus.

© Victoria Will/Invision/AP