Film Lektüre: Film-Konzepte 41: Pedro Costa herausgegeben von Malte Hagener/Tina Kaiser

Eine Sache, die zumindest in der notwendigen Ausführlichkeit, in der dem portugiesischen Filmemacher Pedro Costa gewidmeten 41. Ausgabe der seit 2006 erscheinenden und von Thomas Koebner gegründeten Publikation Film-Konzepte fehlt, ist dessen Film Ossos. Es ist nicht so, dass er gar nicht vorkommen würde, aber es wird häufig ein erstaunlich direkter Weg von Casa de Lava zu No Quarto da Vanda gesucht. So wird eine Art Heldenreise über das Notizbuch, den Briefen, weg von einem industrielleren Filmemachen in die Einsamkeit des Digitalen installiert, deren Zwischenschritt über Ossos nur in Nebensätzen vorkommt. Vielleicht ist es auch eine Meta-Anspielung auf das Nicht-Sehen in diesem entscheidenden Film für Costa, der auch für die auf die Arbeitsweise zielende Argumentation des Buchs absolut essentiell gewesen wäre. Dann aber müsste man noch viel lauter fragen: Wo sind O Sangue, Où gît votre sourire enfoui? oder Ne change rien? Allgemein rühmt sich diese Ausgabe nicht gerade mit einem Anspruch auf eine umfassende Besprechung des Gesamtwerks.

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Das wäre auch nicht notwendig. Eine etwas hilflose Einleitung von Malte Hagener und Tina Kaiser hätte aufzeigen können, was der Schwerpunkt oder die Schwerpunkte der ausgewählten Essays sind und somit das Fehlen dieser Schlüsselwerke in dieser ersten deutschsprachigen Publikation über einen der entscheidenden zeitgenössischen Filmemacher erklären können. Stattdessen aber gibt sie eher unfreiwillig den Ton der meisten Texte vor. Costa, so hat man das Gefühl, wird wie ein Alien behandelt (Ulrich Köhler schreibt in seinem Text vielsagend: „No Quarto da Vanda ist ein Ufo.“). Vielleicht ist er das auch im Kontext dessen, was man normal so unter Filmemachen versteht, aber blickt man auf die Reihenfolge und Kombination der einzelnen Essays hat man außer im aus dem Buch herausstechenden Text Casa de Lava. Twenty Years Later von Volker Pantenburg den Eindruck, dass es hier nicht um Vermittlung geht, sondern um ein Suchspiel mit dem Namen: Wer entdeckt einen Einfluss? Wer erklärt besser wie es hergestellt wurde? Wilde Querverbindungen werden kaum argumentiert ineinander geworfen. Wenn dann in solchen Versuchen Lisandro Alonso als asiatischer Filmemacher geführt wird oder Tsai Ming-liang in einen Topf mit Jia Zhang-ke (angeblich arbeitet ersterer auch mit dokumentarischen Formen) geworfen wird, dann fragt man sich schon nach wenigen Sätzen, warum man ein solches Buch überhaupt liest.

Diese Worte sind zugegeben etwas harsch, schließlich kann man den meisten Texten nicht wirklich große Dinge vorwerfen und allein die Tatsache, dass es dieses Buch gibt und Costa so einem anderen, vermutlich breiteren Publikum vorgestellt wird, ist absolut löblich. Nur nach Ideen oder gar kritischen Ideen, die man nicht anderswo (vor allem bei Jacques Rancière und Costa selbst) bereits gelesen hat, sucht man vergeblich. Das betrifft sowohl die Argumentation einzelner Texte, bei denen der etwas verkopfte Costas Nachleben von Daniel Eschkötter noch am ehesten eine eigene Argumentation aufbaut (selbst wenn er dafür Costas Kino in einem Einkaufswagen durch die Theorie Foucaults fahren muss, um einen Weg hin zu einer diskontinuierlichen Geschichtsschreibung in Cavalo Dinheiro zu finden…) sowie (und das wiegt schlimmer) die Publikation als solche. Ein Zugang zur Argumentationslinie fällt schwer. Geht es hier um eine Ansammlung von Texten zu Costa? Geht es um eine Vorstellung des Filmemachers, um bestimmte Ideen von ihm oder den Autoren? Warum dieses Buch jetzt? Der Hauptfokus liegt auf der Arbeitsweise des Filmemachers, das wird zumindest deutlich. Neben Ulrich Köhlers zu kurzem Text mit dem verlockenden Titel Was macht Pedro Costa in Vandas Zimmer?, Zur Idee gemeinschaftlichen Filmemachens bei Pedro Costa von Ilka Brombach, Tina Kaisers Ermöglichungen, in dem sie einige schöne Überlegungen zur Frage des Filmemachers als Künstlers anstellt, betrifft das vor allem Costas zum ersten Mal ins deutsche übersetzen Vortrag A Closed Door that leaves us guessing. Diese vier Texte behandeln mehr oder weniger exakt die gleiche Fragestellung mit unterschiedlichen Worten. Gebraucht hätte es dafür nur jenen Text von Costa selbst. In den letzten beiden Texten spielt dann auch der vermisste Ossos eine gewisse Rolle und zwar immer dann, wenn Costa darüber spricht. „Jedes Bild ist ein Eingriff.“, formuliert Köhler und insbesondere Kaiser vermag aus dem Respekt vor der Anmaßung des Filmens diese Ethik von Costa nahe bringen. Leider wiederholen sich diese Gedanken in den unterschiedlichen Texten immer wieder.

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Im Essay von Brombach wird ein weiteres Problem deutlich. Die Publikation kann sich nicht entscheiden zwischen ihrem wissenschaftlichen Anspruch und der nur selten vorhandenen Freiheit (der Autoren/der Cinephilie). So kombiniert die Autorin willkürlich Aussagen von Costa aus Q&As und filtert daraus ihre Argumentation. Außerdem bezeichnet sie beispielsweise das Gemälde, das in Cavalo Dinheiro auf die Fotografien von Jacob Riis folgt, als „schöner“ als diese und behauptet, dass es in Juventude em Marcha immer/in jeder Szene um einen Verlust der Gemeinschaft ginge. Ventura will sie in drei Filmen vor Cavalo Dinheiro entdeckt haben. (mit Kurzfilmen sind es mehr, ohne Kurzfilme sind es weniger). Es geht zu oft darum aus einer äußerst oberflächlichen und zum Teil fragwürdigen Betrachtung der Filme und genauso oberflächlichen Wahrnehmungen der Aussagen über und des Filmemachers auf einen pseudo-wissenschaftlichen Schluss hinzuführen. An diesem Text lässt sich auch der merkwürdige Umgang mit Einflüssen nachvollziehen. So erläuert Brombach, das Costa den Ansatz von Straub/Huillet weiterentwickelt habe. Diese Weiterentwicklung wäre notwenidig geworden, da die gesellschaftlichen Veränderungen ausblieben. Nur sucht man vergeblich danach wie diese Weiterentwicklung denn nun aussieht. Vermutlich ist die Kollektivität des Filmemachens gemeint, die ein paar Zeilen vorher im Verhältnis zu Reis/Cordeiro erläutert. An solchen Stellen würde man sich einfach wünschen, dass es statt drei Texten, die sehr allgemein die Arbeitsweise von Costa schildern, einen spezifischeren Vergleich geben würde, wenn man denn schon immer diese anderen Namen nennen muss.

Pantenburg ist der einzige Autor, der in seinem Text zu Casa de Lava tiefer in die Materie eindringt. Nicht nur analysiert er beeindruckend manche Bilderkombinationen des Notizbuchs, das vor, während und nach dem Film entstand, sondern setzt diese auch in ein spannendes Verhältnis zum Film/den Filmen. Hier vermag ein Autor aus der Frage nach der Arbeitsweise Rückschlüsse auf die Ästhetik gewinnen. Ebenso sind seine Beobachtung zum wiederkehrenden Brief von Robert Desnos, der die Werke Costas durchweht, von großem Interesse. Einen ähnliche close reading Ansatz verfolgt auch Annika Weinthal in ihrem Essay Gezückte Messer. Gesten der Widerständigkeit in Juventude em Marcha. Dabei geht sie von der Eröffnungsszene des Films und der Figur Clotilde aus, um über Raum und Zeit im Film und bei Costa nachzudenken. Es ist ein vielversprechender Ansatz, der in der Knappheit des Textes erstickt wird. Die Kürze der Auseinandersetzungen ist ein großes Problem, da das Buch ja keineswegs aufeinander aufbaut. Wie man eine solche Publikation über einen nicht ganz so leicht zugänglichen und von mir aus „Alien-Filmemacher“ aufbauen könnte, lässt sich zum Beispiel an Publikationen wie For Ever Godard (Michael Temple, James S Williams und Michael Witt) oder dem grandiosem Buch über Hou Hsiao-hsien von Richard Suchenski sehen. Dort ist die Verbindung aus Wertschätzung, Kritik, Beschreibungen, Meinungen und Kontextualisierung auch deutlich präziser und mutiger. Am Ende ist diese Ausgabe von Film-Konzepte zu brav. Vielleicht verstehe ich den Sinn und das Anliegen solcher Publikationen aber einfach nicht. Allerdings scheint es mir bedenklich, wenn ich mit ein paar Klicks die gleiche Anzahl an Texten online finde nur mit höherer Qualität.

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Zu Beginn des Buchs findet sich eine biographische Verortung Costas im portugiesischen Kino und der Kunstszene Lissabons, die eben doch einen gewissen Anspruch auf ein Abdecken des Filmemachers vermuten lässt. Doch außer Betrachtungen zur Arbeitsweise und der beständigen Feststellung, dass Costa parallel zu manchen Strömungen der Malerei das „Tragische und Epische im Infamen“ freilegen kann (eine „Idee“, die das Lincoln Center allein mit dem Titel ihrer Retrospektive „Let us now praise infamous men“ besser auszudrücken wusste), bleiben nur hilflose Bemühungen, die sich verkleiden in eine wissenschaftliche Sicherheit und Redundanz. Vielleicht ist es aber auch beruhigend zu sehen, dass man einem solchen Filmemacher mit diesen sich selbst erstickenden, Muster-Strategien nicht wirklich nahe kommen kann.

Film Lektüre: Räume in der Zeit. Die Filme von Nikolaus Geyrhalter herausgegeben von Alejandro Bachmann

Räume in der Zeit von Alejandro Bachmann

„Wo sich Kriege, Umweltkatastrophen und der technische Fortschritt wiederkehrend und fortlaufend einen Weg bahnen, da verschwindet der Mensch langsam aus der Welt“, heißt es im Umschlagtext von Räume in der Zeit. Die Filme von Nikolaus Geyrhalter, der soeben im Sonderzahl Verlag erschienenen ersten Monografie über den österreichischen Filmemacher. Schon ein Durchblättern des Buchs zeigt, dass es sich hierbei um ein sorgfältig konzeptioniertes Werk handelt, dass seinem Gegenstand um nichts nachsteht. Lange Bilderstrecken laden zwischen den Textbeiträgen zum Eintauchen in die Bilderweltern Geyrhalters ein und sollen gleichberechtigt neben den sieben Textblöcken stehen. Man kann einer solchen Bebilderung in einem Werk über Film immer kritisch gegenüber stehen, in diesem Fall macht sie jedoch Sinn. Geyrhalters Stil eignet sich durch die frontale, zentralperspektivische Ausrichtung seiner bewegten Bilder wie kaum ein anderer zur Reproduktion mittels Filmstills.

Das Jahr nach Dayton von Nikolaus Geyrhalter

Das Jahr nach Dayton

Herausgeber Alejandro Bachmann, der für das Buch eine beeindruckende Riege an Autoren versammelt hat, macht im ersten von vier längeren Essays den Anfang. Unzählige Ideen, die in seinem Beitrag Erwähnung finden, ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch: das Verhältnis von Nähe und Ferne, von Menschen und Orten, von Raum und Zeit. Bachmann nennt Geyrhalters Kino ein Kino der Spuren, Spuren die Menschen in der Welt zurückgelassen haben. Seien es Reifenspuren im Saharasand wie in 7915 km, Spuren von Panzerketten am Truppenübungsplatz Allentsteig, Spuren von Radioaktivität im ukrainischen Pripyat oder Spuren des Krieges im Bosnien-Herzegowina der Neunzigerjahre. Ich hatte bei Geyrhalters Filmen immer das Gefühl, dass er sich mehr für Orte und Räume, als für Menschen interessiert, aber es sind eben die Veränderungen der Orte durch den Menschen, dessen Spuren, für die er sich am meisten interessiert. Es geht bei Geyrhalter also immer um das Verhältnis vom Menschen zu einem spezifischen Raum (und auch zu einer spezifischen Zeit).

Volker Pantenburg schließt in seinem Beitrag in gewisser Weise an das „Kino der Spuren“ bei Bachmann an, wenn er von einem „Kino des Danach“ schreibt. Geyrhalter, so Pantenburg, besuche Orte nachdem etwas vorgefallen ist, etwas seine Spuren hinterlassen hat, sei es Bosnien nach dem Vertrag von Dayton, Pripyat nach dem Unfall von Tschernobyl oder Dörfer Westafrikas nachdem die Dakar-Rallye sie passiert hat. Besonderes Augenmerk legt Pantenburg auf die Montage, für die Geyrhalter in fast allen seinen Filmen auf die Dienste seines langjährigen Cutters Wolfgang Widerhofer zurückgreift. In der Montage sei den beiden der Übergang von einer Szene zur anderen auf der Mikroebene immer genauso wichtig, wie das Verhältnis der Schnitte zum Gesamteindruck. Die Filme setzen aus einer Abfolge von Mikroerzählungen (wie in Das Jahr nach Dayton, Pripyat, 7915 km oder Über die Jahre) oder einem Ablauf von bestimmten Prozessen (Unser täglich Brot, Donauspital, Abendland) eine größere Geschichte zusammen – eine moderne Interpretation dialektischer Montage könnte man sagen (und tatsächlich wird Geyrhalter im Buch an mehreren Stellen mit Dziga Vertov in Verbindung gebracht).

Angeschwemmt von Nikolaus Geyrhalter

Angeschwemmt

Überrascht war ich den Namen Tom Gunning zu lesen, der mir eher durch seine Arbeiten zum frühen Kino bekannt ist. Er beschäftigt sich mit Unser täglich Brot und verknüpft den Film mit Darstellungsprinzipien der Stummfilmzeit – explizit nennt er die sowjetischen Konstruktivisten und Fritz Langs Metropolis. Im Speziellen geht es ihm um die spezifische Form der Sichtbarkeit von Maschinen („Maschinen-Porno(grafie)“), die Unser täglich Brot mit diesen Filmen gemeinsam hat. Geht man noch weiter zurück in der Zeit, finden sich auch Parallelen zu vor-narrativem Kino, das mehr daran interessiert ist zu zeigen als zu erzählen. Unser täglich Brot ist für Gunning ebenfalls mehr daran interessiert eine Form von Spektakel (sei es faszinierend oder abstoßend) zu zeigen, als zu narrativisieren: ein spannender Gedanke, leider geht der Text jedoch nicht über Unser täglich Brot hinaus und versäumt damit größere Strukturen im Schaffen Geyrhalters aufzudecken.

Im letzten der vier längeren Essays setzt Bert Rebhandl ebenfalls bei Unser täglich Brot an, kommt aber schon bald zu einem ähnlichen Schluss wie Volker Pantenburg: „Erst wenn man sie [Geyrhalters Filme] auf das implizite Ganze hin befragt, das sich in ihnen spiegelt, geben sie ihren Sinn preis.“ Dabei geht er jedoch noch einen Schritt weiter: Nicht nur auf der Ebene der einzelnen Filme beziehungsweise der einzelnen Schnitte müsse die Verbindung von Mikro- und Makroebene berücksichtigt werden, sondern der Blick aufs Gesamtwerk müsse ebenfalls immer gewahrt werden. Rebhandl unternimmt also einen konzisen Parkurlauf durch Geyrhalters Oeuvre in der die einzelnen Filme sehr schön zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Man könnte Rebhandls Fazit etwa so paraphrasieren: Es ist der stete Kampf zwischen Konkretem und Abstraktem, der die Besonderheit von Geyrhalters Filmen ausmacht.

Abendland von Nikolaus Geyrhalter

Abendland

Auf diese vier Essays folgen zwei Interviews, eines mit Geyrhalter selbst, das andere mit Wolfgang Widerhofer, die in vielerlei Hinsicht die Themen der anderen Texte aufgreifen und aus Produktionssicht reflektieren. So bezieht sich Widerhofer zum Beispiel auf die Frage nach künstlerischen Einflüssen bei Unser täglich Brot unter anderem auf jene Filmemacher, die auch Gunning in seiner Analyse vorschlägt. Im letzten Textblock ist schließlich noch jedem der zwölf Filme von Geyrhalter ein kurzer Essay gewidmet. Danach lohnt es sich jedoch weiterzublättern, denn auf den letzten Seiten verbirgt sich ein kleiner Schatz: neben einer Sammlung an Besprechungen zu Geyrhalters Arbeiten, findet sich dort eine umfangreiche Bibliografie zu Dokumentar- und Essayfilm.

Es ist gut und wichtig, dass Nikolaus Geyrhalter nun eine Monografie gewidmet wurde und ein weiterer Schritt in der publizistischen Aufarbeitung des großartigen österreichischen Dokumentarfilmschaffens der letzten Jahrzehnte. So befindet Bachmann: „Weil sie es betonen, fasziniert an den Filmen Nikolaus Geyrhalters genau das was am Kino ohnehin das Spannendste – weil nie ganz aufzulösen – ist: jener (nur scheinbare) Widerspruch zwischen seinem Potenzial, die Welt aufzuzeichnen und den Möglichkeiten des formalen, künstlerischen Eingriffs – Dichtung und Wahrheit.“