Rainer on the Road: 9. Berlin Biennale

What the Heart Wants von Cécile B. Evans

Es kommt es mir so vor – und das schreib ich in meiner Rolle als Filmmensch, der keinen ganzheitlichen Überblick über die Entwicklungen in der Kunstwelt hat –, als ob die Gegenwartskunst nach gut zwanzig Jahren die Ideen der Postmoderne wieder verstärkt aufgreift. Nachdem die große digitale Euphorie und die damit einhergehende Verheißung totaler Demokratisierung der Produktions- und Distributionsmittel mittlerweile abgeklungen ist, hat sich zwar die Welt und die Gesellschaft verändert, vor allem hinsichtlich der Pflege sozialer Kontakte und unserer medialen Exponiertheit, aber die Kunst (und auch das Gegenwartskino) beschäftigt sich wieder zunehmend mit sich selbst – Selbstreferentialität ist einmal mehr en vogue. Innovation und Weiterentwicklung künstlerischer Positionen scheint immer stärker an technologischen Fortschritt gekoppelt, weil das gut erzogene Publikum sich kaum mehr schockieren oder in die Irre führen lässt. Paul Feyerabends programmatisches Credo „everything goes“ für uneingeschränkte Methodenvielfalt in den Wissenschaften hat offensichtlich in der Kunstszene mehr Resonanz gefunden, als in allen anderen Bereichen des Lebens. Im Kampf um Aufmerksam und (finanzielles) Überleben biedert sich die Gegenwartskunst auf jeden Fall zunehmend der marktliberalen Leitideologie des langen 20. Jahrhunderts an, was sie jedoch vehement abstreitet: und hier kommt die Postmoderne ins Spiel, denn diese Anbiederung wird mit einem mehr oder weniger aufgesetzten Augenzwinkern übertüncht. Man spiele ja nur mit diesen Ideen und dieser Ideologie und versuche sie durch Assimilation zu korrumpieren, hört man dann. Das alles sei eigentlich eh kritisch gemeint und man nutze nur die Mechanismen des Markts für seine eigenen Zwecke. Das ist offensichtlich Bullshit und das Augenzwinkern als fadenscheinige Ausrede ist nicht einmal gut gespielt.

What the Heart Wants von Cécile B. Evans

What the Heart Wants von Cécile B. Evans

Die kuratorische Linie der 9. Berlin Biennale ist ein Musterbeispiel für eine solche Vorgehensweise. Der Folder sieht aus, wie die Broschüre einer Sprachschule; klinische Reduktion, die vor fünfzig Jahren als minimalistische Positionierung noch schockiert hätte, wird als leere Floskel zum Leitmotiv auserkoren; das Glas- und Betonmonstrum der Akademie der Künste mit ihrem Flair eines überdimensionierten Konferenzraums dient als Hauptquartier; und mit der ESMT (European School for Management and Technology) wird ein Gebäude bespielt, das ehemals vom Parteiapparat des SED genutzt wurde und heute eine Wirtschaftsschule beherbergt. In gewisser Weise ist die ESMT, wo nebenher weiter der reguläre Universitätsbetrieb läuft, der Gipfel dieses Konvoluts an Widersprüchlichkeiten und Gefallsucht. Interessant, dass es jedoch gerade hier, abseits der großen Hauptausstellungsorte die Mixed-Media-Installation von Simon Denny und Linda Kantchev tatsächlich schafft die sperrigen Gegensatzpaare künstlerisch fruchtbar zu machen. Sie nähern sich mit Bewegbild, Text, Skulptur und Raumkonzept alternativen Geldmodellen wie Bitcoin und deren Ideen eines Anarcho-Kapitalismus, was wunderbar mit der Idee der Verzahnung von Form, Inhalt und Architektur korrespondiert. Hier lässt sich am besten eine konsequente Umsetzung der ansonsten recht hohlen Phrasendrescherei erkennen (nach rund zwanzig Minuten hat sich diese Keimzelle der kuratorischen Gedanken aber auch erschöpft und man hat den dortigen Ausstellungsbereich durchwandert). Es ätzt sich leicht über die Aufmachung dieser Veranstaltung, das ist insofern tragisch, als dass man darüber leicht die einzelnen Arbeiten aus dem Blick verlieren kann. Viele der teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen haben sich dem Diktat des neo-postmodernen Augenzwinkerns nämlich standhaft widersetzt. Umgeht man die fehlgeleiteten post-post Orgien eines Simon Fujiwara und seines Happy Museum und sieht man über manche Absonderlichkeiten, wie Josh Klines single-channel Installation Crying Games in einer black box voll Katzenstreu (?) hinweg, dann finden sich einige sehr spannende Arbeiten, die besser mit den Herausforderungen, die sich der Kunst im 21. Jahrhundert stellen, umzugehen wissen, als es das Gesamtkonzept vermuten lässt. Einige dieser Arbeiten –ich habe mich dabei auf Werke beschränkt, die mit Bewegbildern arbeiten – möchte ich im Folgenden kurz vorstellen.

View of Pariser Platz von Jon Rafman

View of Pariser Platz von Jon Rafman

Es ist bezeichnend, dass die gelungensten Arbeiten an der Peripherie der Biennale zu finden sind. Da ist zum einen die kleine Ausstellung in der ESMT und da sind zum anderen Kellerräume und Dachgeschoss. Im KW, neben der Akademie der Künste am Pariser Platz der zweite Hauptausstellungsort der Biennale, hat man den geräumigen Keller für die Bewegbild-Installation What the Heart Wants von Cécile B. Evans buchstäblich unter Wasser gesetzt. Die ganze Halle, die einzig durch die Videoprojektion erleuchtet ist, wurde geflutet. Umgeben vom kühlen Nass, betritt man die zentrale Plattform, die sich zentral vor der Leinwand befindet, lässt sich in eines der Sitzkissen fallen und genießt ein ganz besonderes synästhetisches Erlebnis. Das Wasser ist mehr als eine leere Geste, wie man das zunächst vermuten könnte (auf einer Biennale voller leeren Gesten). Es verändert das Klima, die Akustik und die Lichtverhältnisse im Raum. Hier ist es merklich kühler, der Hall wie in einer Grotte gedämpft und auf der Oberfläche spiegelt sich die Projektion. Das Wasser erweitert sozusagen die Leinwand und lässt die Seherfahrung zu einer ganzkörperlichen Sinneserfahrung werden – Virtual Reality ganz ohne Brille.

Der Balkon des Dachgeschosses der Akademie der Künste bietet ein ganz anderes Schauspiel. Dort wird man als Besucher gebeten eine Virtual Reality Brille aufzusetzen und zunächst den Ausblick auf den CGI-animierten Pariser Platz zu genießen. Während man sich in dieser virtuellen Welt zurechtfindet, beginnt sich ein seltsames, schauriges Schauspiel zu entfalten. Körperschemen erheben sich in die Lüfte, die umgebenden Ausstellungsobjekte erwachen zum Leben, schließlich bröckelt der Boden und man fällt (Höhenangst sorgt für Extra-Nervenkitzel), um schließlich zu schweben. Luft, Wasser, beinahe hält man den Atem an, versucht den Schattenkörpern auszuweichen und bestaunt die abstrakten Objekte und Formen, die jegliche Raumorientierung zunichtemachen. View of Pariser Platz von Jon Rafman war meine erste Erfahrung mit Virtual Reality und dementsprechend enthusiastisch bin ich nun ob der neuen kreativen Möglichkeiten dieser Technologie.

The Tower von Hito Steyerl

The Tower von Hito Steyerl

Sieben Stockwerke tiefer sind zwei Arbeiten von Hito Steyerl zu sehen, die in vielerlei Hinsicht miteinander sprechen. Da ist zum einen The Tower, in dem ein russischer Programmierer von seiner Arbeit als Designer von virtuellen Realitäten spricht und zum anderen Extra Space Craft über den Einsatz von Drohnen im Irak. Die beiden Filme verbindet eine Animationssequenz des ehemaligen Sternobservatoriums des Iraks, dass durch die Kriege der letzten dreißig Jahre arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der russische Programmierer hat es mittels Computeranimation als eine Art neuen Turm zu Babel zum Leben erweckt und in Extra Space Craft dient es als Metapher für die Sehnsucht nach den Sternen. Steyerls Arbeiten im kahlen Kellergewölbe scheinen gegen die isolierte Kunstwelt zu intrigieren, Verbindung zur Außenwelt und zu den tatsächlichen politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen herstellen zu wollen. Sind sie deshalb verbannt worden, an diesen unwirtlichen Ort, der als einer der wenigen nicht durch die Ästhetik des Konferenzraums und/oder des Hipster-Schicks korrumpiert worden ist? Ich wünsche mir einen Zufluchtsort für diese verbannten Arbeiten, einen Ort, wo sie in Dialog treten können mit den verbannten (Kino-)Filmen dieser Erde.