Notiz zu Ulzana’s Raid von Robert Aldrich

Ein Film für alle, die glauben, dass ihre Wahrheit auch für andere gilt. Vielerorts gepriesen als Robert Aldrichs bester Film der 1970er Jahre, fasziniert Ulzana’s Raid vor allem deshalb, weil er jede Form einer emotionalen oder moralischen Beruhigung ausspart. Stattdessen lässt Aldrich seine Protagonisten mit Staub und Blut zurück. In diesem Film gibt es keine Gerechtigkeit, nicht mal eine Richtigkeit. Alles hebt sich auf, weil nichts wirklich hilft.

Zuvor beschreibt der Film eine einzige Verfolgungsjagd. Der Apache Ulzana hat sein Reservat verlassen und ermordet alle, die er auf seinen Wegen antrifft. Er mordet äußerst brutal. Der unerfahrene, blasse und blonde Lieutenant De Buin soll den Mordenden aufhalten und stellen. Außer seinen christlichen Prinzipien hat er nicht viel auf seiner Seite. Die zwei Kundschafter McIntosh (Burt Lancaster) und der Apache Ke-Ni-Tay werden zu den eigentlichen Anführern, De Buin wird zum Schüler einer Sprache, die er nicht kennt, jener des unvereinbaren Unterschieds; Moral, muss er lernen, ist kein objektives Prinzip; der christliche Humanismus wird von Aldrich in den Abgrund geworfen, als kolonialistischer, rassistischer Trieb entlarvt. Niemand ist hier nicht brutal.

Etwas besseres oder auch nur anderes gibt es aber auch nicht. Jedes Bild, jede Dialogzeile wurde in Nihilismus gebadet. Aldrich zeigt wiederholt, wie Menschen versuchen etwas zu sehen. Sie blicken durch kleine Löcher in der Wand, Ferngläser, in der Dunkelheit, von oben herab. Keiner der Blicke hilft wirklich, jede Vergrößerung engt das Sichtfeld ein, jeder scheinbare Vorteil löst sich auf. Alle blicken durch den Tunnel ihrer subjektiven Wahrnehmung, an dessen Ende kein Licht wartet, sondern nur ein weiterer Tunnel. Was man in anderen Western spürt, wenn die sogenannten Helden einsam durch den Sand reiten, kennt hier nicht mal das kurze Aufflackern in den Augen am Eingang zum Saloon oder das zynische Schulterzucken gescheiterter Helden die zu Legenden wurden. Nein, hier gibt es nur den Sand und alle versuchen, nicht zu sterben.

Underdox Tag 1: Meta-Surrealismus

Bei der Eröffnung des 11. Underdox Filmfestivals in München, das ich zum ersten Mal besuche, musste ich, wie häufiger in den letzten Wochen, an Serge Daneys Feststellung denken: Das Theater ist eine Gesellschaft, das Kino ist die Welt. Ich musste daran denken, weil ich mich wie in einer Gesellschaft fühlte. Vielleicht liegt es daran, dass ich als so etwas wie ein Fremder an diesen Ort kam. Ich kannte dort niemanden, aber hatte das Gefühl, dass sich alle anderen kannten. Herzliche Umarmungen, lachende, kennende Gesichter. man wusste, wo man war, keine Neugier, nur Verständnis. Das ist schon erschreckend, schließlich kenne ich das Filmmuseum in München. Aber dort wird eine andere Sprache gesprochen. Das ist normal, werden manche sagen, aber ich habe Kinos gesehen, in denen man sofort zu Hause ist. Wie so oft war München für mich sofort eine Gesellschaft, nicht die Welt. Vielleicht lag es auch daran, dass es eine Eröffnung war. Mit dem üblichen Gestus kultureller Feierlichkeit: Das Underdox, so so, ja und wie geht es der Mutter? Obwohl ich selten eine derart lockere, sympathische Einführung gesehen habe wie jene von Dunja Bialas und Bernd Brehmer, die das Festival leiten und kuratieren, wurde dieser Gestus nie ganz abgeschüttelt, der Kulturrat-Gestus, der die Festivalwelt beherrscht. Dann ist das Kino eine Gesellschaft, irgendein elitärer Haufen, der sich am Abend versammelt. Vielleicht aber ist es auch ein Freundeskreis und mir bekommt der Übergang eines industriellen Festivals wie in Hamburg zu einem viel wertvolleren wie jenem in München nicht.

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Gut, dass es dann immer noch das Kino gibt. Und da ist das Festival nicht erst dieses Jahr sehr, sehr gut aufgestellt. Gezeigt wurde nach einem kanadischen Film über schwere Augenlieder und ein Verschwinden der Bilder in Beirut, die ein analog bearbeitetes Spiel der Farben und Materialität etablieren, Granular Film – Beirut von Charles-André Coderre, im Rahmen des Quebec-Schwerpunkts auf dem Festival. Dazu werde ich wohl nach weiteren Programmen mehr schreiben können. Der eigentliche Eröffnungswerk des Festivals war Sixty-Six von Lewis Klahr, der auch anwesend war und sich sowohl filmisch als auch rhetorisch als eine Art Meta-Surrealist entpuppte. Klahr arbeitet mit Cut-Out Animationscollagen und es war meine erste Begegnung mit dieser faszinierenden Technik. Sein Film mischt griechische Mythologien mit amerikanischen Erinnerungsbildern der 1960er Jahre. Klahr gab den Zuseher vor Beginn der Vorführung eine Art Anleitung zum Sehen: Das solle man tun und das nicht. Sein Film wäre wie Musik, man dürfe nicht denken. Bei allem Respekt vor den zum Teil wunderbaren Dingen, die er sonst sagte: Ich schaue einen Film so wie ich möchte.

Die Erklärungen waren bei Sixty-Six auch gar nicht nötig, denn die Traumlandschaft zwischen Erinnerung und Vergessen entfaltet sich durch die andauernde Wiederkehr von Objekten, „Figuren“, Farben und Formen wie von selbst mit Leonhard Cohen, Claude Debussy und Gustav Mahler als Unterstützung. Der Film besteht aus zwölf rhythmisch atemberaubend montierten Kurzfilmen, die zusammen eine Art Mosaik ergeben, in dem sich die Sehnsucht nach dem Verlust der Erinnerung ausdrückt, eine Melancholie der Präsenz, ein Vergessen, das dann wieder auf den ersten Film des Abends zurück verwies. Zwischen den Filmen gibt es ein längeres schwarzes Bild, dann beginnt ein neuer Satz. Dabei kann man in Klahrs Film Geschichten erkennen und eine große Liebe zu bestimmten Hollywood-Filmen (der Film ist auch in Los Angeles angesiedelt, obwohl ich eher sagen würde, dass er in der Bildstimmung von Los Angeles angesiedelt ist), man kann aber auch einfach treiben in den Farben, dem Licht, dem wechselnden Licht und eine Erinnerung wandern sehen wie die auf- und untergehende Sonne. Statt die Erinnerung filmisch festzuhalten, bearbeitet Klahr ihr Entgleiten. Aber warum schreibe ich von Erinnerungen? Vielleicht weil Klahr darüber gesprochen hat, so wie Klahr über alles gesprochen hat und damit seinen eigenen Surrealismus, seine eigene Magie erklärte. Bei genauerer Betrachtung geschieht das aber bereits im Film. Das beste Beispiel sind die vielen runden Formen, Kreise und Knöpfe im Film. Sie tauchen immer wieder auf wie eine Sonnenfinsternis. Klahr sagte dazu, dass sie für ihn etwas abgeschlossenes seien, gleichzeitig fröhlich und traurig, eine Art Faden durch den Film. Nun erklärt ein solcher Satz zwar nicht vollkommen, was es mit dieser Sensation der Knöpfe auf sich hat, jedoch gibt er vor lesbar zu sein. Im Film selbst kommen diese Formen mit solcher Beständigkeit, Zügellosigkeit ins Bild, dass man sie (und hier ist die doppelte Bedeutung bewusst gesetzt) nicht vergessen kann. So eröffnet Sixty-Six auch konsequent mit einem übersetzten Zitat von Eluard und Breton:“Let the dreams you have forgotten equal the value of what you do not know.” Die Kreise erklären also wie das Zitat, dass wir etwas Surreales sehen, etwas aus dem Reich des Unbewussten.

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Diese Träume bestehen aus den reichen Texturen aus der Welt von Comic-Pulps, die oft mit Krankheiten, Infusionen und den Übergangswelten der 60er Jahre konfrontiert werden vor dem Hintergrund schwarz-weißer Fotografien stylisher 60s-Architektur. Ein sehnsüchtiger Traum einer Erinnerung an einen Noir-Film, der gleichzeitig von einer sinnlichen Mystik durchzogen wird; man denkt durchaus an Kiss Me Deadly von Robert Aldrich dabei, selbst wenn Klahr sich nie auf diese vernichtende Trockenheit einlassen würde. Ein einmaliges Sehen kann hier gar nicht genügen, da Sixty-Six voller spannender visueller Ideen steckt, äußerst versiert mit On- und Offscreen arbeitet und enorm dicht erzählt. Am eindrücklichsten ein Moment, in dem Klahr das gerade noch lebendige direkt auf seine Collagen legt: Ein echte sterbende Mücke, die über den Gesichter der Comicfiguren ihre letzten Atemzüge tut. Ein Bild, in dem das Gerade noch Lebende auf das wieder Lebende trifft so wie allgemein vieles im Film aus dieser Spannung und Entspannung zwischen Bewegung und Stillstand lebt, es ist wirklich Stop und Motion, nicht nur als Technik, sondern als mentale Zuckung.

Nun denn, das Kino als Welt, das Kino als Gesellschaft. Ein junger Mann saß auch im Kino, er war ganz aufgeregt. Er saß eine Reihe vor mir und zappelte während des gesamten Q&As nach dem Film aufgeregt herum. Er schien begeistert. Schließlich meldete er sich mit dem Hauch einer Frage, die eigentlich nur Begeisterung ausdrückte. Klahr sprang darauf an und bat daraufhin allen einen Dialog an. Entweder im Lauf des Abends, im Lauf des Festivals oder – und da wurde das Kino wieder die Welt, nicht nur für den Mann in der Reihe vor mir – in dem man ihm eine Mail schreiben solle und er dann gerne Links zu seinen Filmen verschicken würde, in einen Dialog treten wolle, weil er gemerkt habe, dass diese Art des Underdox-Kino, das experimentelle Kino oftmals wenige, aber diese dafür um so stärker ansprechen würde. Irgendwie wären diese Dinge auch alle ohne Erklärung gut, aber vielleicht ist das nur die Sehnsucht nach einem Verschwinden von Rahmen von jemanden, der glaubt, dass das Kino in der Welt wohnt statt die Welt im Kino.

At Night The Nurses Left: Kiss Me Deadly von Robert Aldrich

Ein Kuss ist ein Schuss am Fenster ist ein Kuss in der Nacht ist eine Explosion. Dreht den Schlüssel im Auto, der Motor spielt Brahms. Jede Frau flirtet mit mir, sie stehen auf der Straße mit ihren Ausschnitten, jemand schneidet ein Bild aus, wir trinken und trinken und trinken. Ein Kuss war eine Erinnerung – „Remember Me“ – hat sie gesagt, hat sie geschrieben und einen Schlüssel geschluckt wie Maya Deren. Der Kuss ist hier des Todes, weil die Frau sagt: „Kiss me“ und dann schießt sie. Und dieser Tod ist nicht nur der Tod des Mannes, sondern auch der Tod der Welt, das Ende der Welt. Im brennenden Licht, im Meer. Begonnen hat der Film mit einem anderen Licht, einem Scheinwerfer, am Anfang war Licht, am Ende ist Licht. Schau hin, es gibt keine Zukunft, wir haben es dir den ganzen Film gesagt und du hast es nicht geglaubt.

Robert Aldrich präsentiert Mike Hammer in schnellen Sportwagen. Macho nicht nur auf der Oberfläche, sondern in seinen Gefühlswelten. Er weiß die ganze Zeit, dass er sich in einem Film befindet, er kennt alle Tricks und Twists, er schluckt sie, aber dann weiß er es plötzlich nicht mehr und mit ihm geht der Zuseher schwimmen in einem Albtraum, der über uns fährt wie die Gedanken, die wir einst hatten. Eine dieser Frauen, die wichtigste Frau, vielleicht die einzige Frau, deren Kuss nicht tödlich ist, dreht sich an einer Tanzstange durch das Bild und lässt Hammers Gesicht zum Kino werden. Ein „A Girl and a Gun“ – Film in der jede Sekunde mit Kino aufgeladen ist.

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Eine Welt, in der es einen Protagonisten gibt ohne einen Funken Emotion, die Ängste des Noir-Films sind wie verkrustete Wunden, sie liegen tief vergraben, man gewöhnt sich an sie und doch reißen sie wieder auf. In jedem Gebäude ein Schluck, zwei Schlucke, es gibt genau zwei Möglichkeiten etwas von Menschen zu bekommen: Geld oder Gewalt. Alles dazwischen wird nicht mehr versucht, wozu auch?  Hammer ist eine verottete Seele, aber er küsst. Er zerbricht Schallplatten, er hat keine Angst, er verbreitet sie nur. Paranoide Schatten an jeder Wand, das ist Noir, aber der Qualm ist längst erfroren; stattdessen: Namenlose Jäger, zerbrechliche Schenkel, die Pistolen umklammern: Das Haupt der Medusa, das schon Atlas zu einem Gebirge erstarren ließ, hat keine Probleme die Welt und das Kino zu vernichten. Man rettet sich ins Meer, weil es im Gegensatz zu Film nicht brennen kann. Ihr Name war Freitag, aber er hätte auch Dienstag sein können, wenn sie an einem Dienstag geboren wäre. Sie spritzen mir Sedative für die Wahrheit, die ich selbst nicht kenne. Kiss Me Deadly ist ein traumartiger Reigen von einem Mann voller Begehren, der nach und nach in eine Furcht umschlägt, als würde man langsam realisieren, dass man sterblich ist.

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Menschen sterben unter Autos, sie werden betäubt, bestrahlt, ihre Brillen liegen blutverschmiert neben ihren Leichen, wer weckt die Toten auf? Niemand. Der Motor springt wieder an, es ist Schubert, sie drehen den Schlüssel, ein Boxtrainer kennt nur das Geld oder die Gewalt, seine Zigarre ist ein erregter Penis, der erschlafft, als er mit der Wahrheit konfrontiert wird. Dann sind da Schuhe, sie stehen für das Geld und die Gewalt, sie stehen dafür, dass man kein Gesicht sieht. Sieht man das Gesicht bei einem Kuss? Wir sehen nicht, was in der Box ist, wir sehen nicht und haben Angst. Wir sehen keine Gesichter und nicht, was in der Box ist. Aldrich wurde gefeiert als erster Filmemacher des Atomzeitalters, aber er ist vielmehr ein ewiger Filmemacher zwischen Traum und Einsturz des Traumes, Gewalt und Geld, Angst und Begehren, der in unserer Zeit wieder sehr extrem mit uns sprechen kann. Wenn wir uns küssen und den Schlüssel umdrehen in einer Nacht.