Filmfest München: La tierra y la sombra von César Augusto Acevedo

Land and Shade

Umgeben von den vernichtenden Flammen des Rohrzuckers erzählt der vibrierende La tierra y la sombra von César Augusto Acevedo vom Sterben, dem Lernen, dem Verzeihen und der machtlosen Bewegung in einer politischen Verdammnis. Ein Film aus einer inneren Hölle, der dem jungen Filmemacher prompt die Camera d’Or für das beste Erstlingswerk in Cannes einbrachte. Es ist diese bewegte Kamera, die immerzu ihre Fühler ausstreckt, um nach den einsamen Momenten zu suchen und es ist dieser Kampf um Würde und Liebe, der hier in jedem Bild stattfindet und immerzu nicht nur vom Scheitern, sondern von der völligen Auflösung bedroht wird. Es geht um die Rückkehr eines Landbesitzers. In der ersten Einstellung geht er zwischen zwei Rohrzuckerfeldern auf die Kamera zu. Hinter ihm erscheint ein Lastwagen. Er stellt sich an den Straßenrand und als das Fahrzeug ihn passiert, verschwindet er im Staub. Erst nach vielen Sekunden können wir den Mann wieder erkennen. Im Haus warten sein sterbender Sohn und dessen Frau und Sohn. Außerdem lebt seine Ex-Frau dort. Sie lehnt seine Rückkehr ab. Es beginnt eine zärtliche Annäherung der Familienmitglieder, die nicht aus irgendwelchen Motivationen entsteht, sondern von der Existenz als solcher bedingt wird. Ihr Landbesitz steht inmitten der Zuckerrohrplantagen, wegen der Brände regnet es Asche, der schönste Ascheregen seit Hiroshima, mon amour, aber auch er ist tödlich. Neben dem Haus steht ein Baum, alles hier ist ganz einfach und so unendlich reich und grausam. Das Haus, die Plantagen, der Baum, Arbeiter, geschlossene und geöffnete Fenster. Der Wind, weiße Tücher und Dunkelheit, Drachensteigen und Vogelgezwitscher, ein Spiel, drei Generationen, Tränen.

Land and Shade

Es geht um das Überleben und Sterben und um den wenigen Schutz, die wenige Nähe, die wir uns geben können. Später läuft der Großvater mit seinem Enkel wieder auf dieser schmalen Straße zwischen den Pflanzen. Wieder erscheint ein LKW. Diesmal sehen wir in einer Nahaufnahme, wie der Großvater seine schützenden Hände um den Jungen und dessen Essen legt. Durch die schwebenden Bilder treiben mehr als nur leichte Spuren des Kinos von Carlos Reygadas. Wie beim Mexikaner, so schwingen auch beim Kolumbianer Acevedo biblische Töne eines spirituellen Kinos mit. Es ist eine Reinheit, die allerdings mit deutlich weniger Härte und Provokation als bei Reygadas präsentiert wird. Das bedeutet nicht, dass La tierra y la sombra ein weicher Film wäre, ganz im Gegenteil, aber die Figuren sind moralischer, sie reagieren nicht mit Gewalt oder übermäßiger Sexualität auf die philosophische und politische Ungerechtigkeit ihres Daseins, sondern sie fügen sich in ihren letzten Regungen, völlig wehrlos und voller Anstand ihren Verlusten, ihrer Zeitlichkeit. Ihrer Hoffnung? In diesem Sinn ist womöglich Stellet Licht der Film von Reygadas, der hier am ehesten herangezogen werden kann.

Geht es bei Reygadas aber oft um den Gegensatz von Licht und Schatten, so wählt Acevedo schon im Titel jenen zwischen Erde und Schatten, Land und Dunkelheit. Die Erde wird als Heilmittel verwendet, sie wird bedroht, sich zeichnet sich in allen Furchen ab, jeder Gebärde dieses Films, das Land muss verstanden werden, die Erde muss beschützt werden. Der Schatten ist zunächst die Dunkelheit. Aufgrund der Krankheit des Vaters dürfen die Fenster im Haus nicht geöffnet werden, eine Finsternis, die im Sterben ihre Endgültigkeit finden könnte, aber vielleicht auch eine Hoffnung bereithält. Schon vorher liegen der kranke Vater und sein junger Sohn auf der Rücklade eines Kleintransporters unter einem weißen Tuch, lichtdurchflutet, glücklich und nah und von der Erde geschützt. Vielleicht ist die Erde also der Schatten, der dann als Asche am Himmel seine Bestimmung findet.

Land and Shade

La tierra y la sombra ist ein fragile Atmen im Angesicht des Todes. Wie in Mother&Son von Alexander Sokurov liegt in der Reduktion und Konzentration auf die Essenz eines Verlustes von Leben jene Nähe, die genau dadurch entsteht. Nur in einer bemerkenswerten Sequenz, in der ein Pferd durch das Haus huscht, verlässt Acevedo seine Nüchternheit und tauscht sie gegen einen poetischen Anfall im Stil von Andrei Tarkowski aus. Aber er tut dies nur, um uns zu zeigen, dass auch die Träume Teil dieser Welt sind, Teil dieser Vergänglichkeit. Plötzlich hört man jedes Geräusch und erkennt die Bedeutung dessen an, was man nicht wahrhaben will, den Schatten, der über der Erde fliegt. Nebenbei geht es auch um die Ausbeutung von Arbeitern auf den Plantagen. Wütende Proteste der verdreckten Arbeiter, die mit dem selben Gespür für sanfte Bewegungen in der Tiefe des Bildes empfangen werden, aber sie sind nicht agitatorisch, nein fast schon im Ansatz vergeblich, vergessen, man bleibt an diesen Orten, um zu sterben, man geht ins Kino um dieses Sterben zu leben.

Trailer oficial – LA TIERRA Y LA SOMBRA dirigida por César Acevedo from Burning Blue on Vimeo.