Rotterdamnation: Ein Stapel mit Lee Kang-shengs Gesicht

Als ich Rotterdam erreiche, ist die Hälfte des Festivals schon vorbei. Aus dem Bus, der mich vom Flughafen ins Zentrum bringt, sehe ich viele dubiose Fortbewegungsmittel – Ponys, die eine Kutsche tragen, ein Motorrad mit einem lustigen Seitenwagen, Fahrrad-Autos. Als ich später die nicht-so-kluge Entscheidung treffe, den Weg vom Festivalzentrum zu der entfernten Insel, auf der sich noch zwei Kinos befinden, zu Fuß zu machen, statt auf den Shuttle Bus zu warten, denke ich neidisch an all diesen Transportmittel. Letztes Jahr habe ich den gleichen Fehler gemacht.

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Es gibt diese Filme, bei denen man den Drang spürt, alles so subtil wie möglich zu machen. meist wird dabei eine einzige klare Sache, die den Film vermitteln will, so kompliziert wie möglich kodifiziert und Sprache muss um jeden Preis vermieden werden. Mother von Vlado Skafar war eigentlich nicht so, er hat mich nur an The Gulls von Ella Manzheeva erinnert, den ich letztes Jahr auf der Anonimul Retrospektive in Bukarest gesehen habe. Ich habe bei beiden gespürt, dass die Subtilität nicht unbedingt subtil war und daher das Verzichten auf Sprache als gezwungen empfunden. Mother spricht mehr durch Sinnlichkeit und obwohl das gut klingt, hatte ich den Eindruck, dass seine Sinnlicheit eine Entzifferung verlangt, weile diese Sinnlichkeit nicht für sich selbst steht. Die Ansammlung an Haut, Händen, die mit einem Lichtstreifen, der durch einem Spalt in der Tür eindringt spielen, Körper im Wasser, Körper im Sand war aber doch zu einem gewissen Grad erfreulich.

Ich esse im Festivalzentrum eine Honigwaffel so groß wie mein Kopf und halte die Programmzeitung vor mir, um meine verurteilenswerte Freude daran zu verstecken, obwohl ich Programme nur noch als Apps mit vielen Filtern lesen kann. (Es ist wie mit den Landkarten – sie müssen in der Hosentasche sein und mit mir sprechen – biege links, biege rechts).

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In Minotauro von Nicolás Pereda gibt es, wie bei Apichtapong Weerasethakul, eine Schlafkrankheit, die die Figuren ergreift. Noch mehr erinnert mich der Film an Eugène Greens La Sapienza, vielleicht weil die Figuren sich nicht anschauen und durch das Vorlesen von Buchpassagen (erfundene oder wirklich existierende? Die Passagen scheinen von der “Handlung”, die wir nicht sehen können, zu sprechen) kommunizieren. Sonst berühren sie sich nur indem sie im Schlaf aufeinanderfallen.

Ich habe neugierig durch die zerstreuten Flyers, die hier überall liegen, nach etwas von Interesse gesucht. Und plötzlich fand ich es: mehrere Stapel von Lee Kang-shengs Gesicht. Bild aus Tsai Ming-liangs Trailer für die Viennale. Rückseite: Kalender mit Werbung für die nächste Viennale.

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Chevalier von Athina Rachel Tsangari ist wie eine Mischung aus Miguel Gomes’ A Cara que Mereces und Pablo Larraíns El Club. (Ich werde versuchen, mit diesen Vergleichen aufzuhören.) Mehrere Männer auf einem Schiff starten ein Wer-ist-der-Beste Wettbewerb und das gute daran ist, dass sie Kamera sich manchmal parteiisch involviert durch die Art, in die Figuren kadriert, verfolgt, fokussiert/defokussiert werden. Ohne dass es zum Muster wird.