Filmfest Hamburg: Certain Women von Kelly Reichardt

Kelly Reichardt ist nach ihrem sehr mittelmäßigen Night Moves zurück in ihrem Land der sanften Verzweiflung. Getaucht in Saul-Leiter-Licht erzählt Certain Women von drei Frauen, die daran scheitern Verbindungen aufzubauen, Dinge zu verändern. Eigentlich ist der auf Geschichten von Maile Meloy basierende Film wütend, ja verzweifelt, aber die Landschaft Montanas und die Art und Weise wie diese von Christopher Blauvelts sinnlicher 16mm-Kamera weich, dekadriert und körnig gezeichnet wird, schieben sich in diesen Aufschrei und verwandeln ihn in eine schwer beschreibbare emotionale Dichte, die eigentlich nur in den letzten Szenen des Films aufgesetzt wirkt.

Von der Unmöglichkeit des Erreichens anderer Menschen erzählt Reichardt mit unheimlicher Präzision in ihrer Bildgestaltung von der ersten Sekunde an, als wir ein in der Mitte getrenntes Bild sehen: Im linken Zimmer kleidet sich die Anwältin Laura (gespielt von Laura Dern) nachdem sie sie mit einem Mann (James Le Gros) geschlafen hat. Dieser kleidet sich im rechten Zimmer. Dazwischen eine Wand. Später fährt sie ihm mit ihrem Fuß zärtlich über den Rücken, aber Reichardt erlaubt sich nicht mehr, die beiden Figuren in einem Bild zu zeigen. Nur der Fuß ragt hinein. In allen drei Geschichten des Films – eine Anwältin, deren Klient in völliger Verzweiflung zum Verbrecher wird, eine Frau (Michelle Williams, wie immer bei Reichardt mehr ein dokumentarisches denn ein fiktionales Gesicht), die sich für ihre Familie um ein Haus in der Wildnis bemüht und dazu Steine von einem älteren Einsiedler kaufen will und eine Rancharbeiterin (Lily Gladstone), die letztlich aus Einsamkeit in eine Abendschule geht und sich dort in die unerfahrene Lehrerin (Kristen Stewart) verliebt – geht es um Frauen mit einem Ziel. Reichardt stellt an mehreren Stellen bewusst die Frage, ob sie diese Ziele verfehlen, weil sie Frauen sind. Durch die drei Geschichten hindurch zieht sich eine Linie hin zum Wilden Westen, ein Verlassen der Zivilisation. Laura Dern ist noch in der Stadt verortet, Michelle Williams plant ein Leben entfernt davon und Lily Gladstone lebt das bereits.

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Certain Women ist wie auch Meek‘s Cutoff, Old Joy oder Wendy & Lucy ein Film der Anonymität, der Auflösungen in den Landschaften, der Verlorenheit, des Suchens. Es sind Filme über die Schwierigkeit, einen Ort zu finden. Derart schön fotografiert war bislang im Werk der Amerikanerin nur Meek‘s Cutoff, Reichardt arbeitet hier mit Gefühlen, die sich immer wieder im Dialog zwischen Landschaft und Figur entwickeln. Das erinnert tatsächlich an Western, die wir dann in der Stadt hinter Glas als Show präsentiert bekommen. Ein Film der Distanz nicht nur zwischen den Menschen, sondern auch zwischen ihnen und der Welt, in der sie leben, leben wollen.

Beeindruckender als dieser politische Gestus ist aber die Beobachtungsgabe und Präsenz des Films. In vielen Szenen ist das Licht der Star, die Kamera verliert sich förmlich in Bewegungen und Lichtspielen/Schattenspielen. Zum Beispiel als die Rancharbeiterin der Lehrerin lange nachsieht und sich grelles, weißes Licht in ihren Augen spiegelt. Ein Sehnsuchtsbild, das einem deshalb nahe geht, weil es sich im Licht manifestiert. Das Licht gibt den Figuren auch eine Würde, die in dieser Verzweiflung eine Kraft findet. Das Licht lügt ihnen aber auch eine Sinnlichkeit und amerikanische Tiefe vor, die es letztlich nicht so einfach gibt. Dabei schildert der Film sehr lange Zeit, die nur sehr lose und doch entscheidend verknüpften Geschichten in alltäglichen Beobachtungen, die einem sehr unaufgeregt die Ambivalenz dieser Figuren und ihrer Verzweiflung näher bringen. Es ist kein einseitiges Bild des Leidens. Reichardt lässt sich auch immer wieder die so wichtige Zeit für die Arbeit selbst. Handgriffe, Fahrten, die Art und Weise wie Papier gehalten wird. Auch sehen wir die Figuren oft beim Essen. All das ist derart feinfühlig beobachtet, dass man die sanfte Verzweiflung in den Körpern und Landschaften entblößt und versteckt zugleich vorfindet. Es ist ein wenig verständlich, denn immerhin umgeht Reichardt so ein klischeehaftes Schlussbild, aber es tut dennoch weh, dass in den letzten zehn Minuten eine Art Appendix aufgerollt wird. Dann sehen wir noch mal alle drei Frauen, bisweilen versöhnlich, bisweilen in der gleichen Einsamkeit und bekommen so das Gefühl einer unbedingten und süßlichen Fiktionalität, wo es doch die fast unzusammenhängende Beobachtung war, die den Reiz und die Poesie des Films ausmachten. Vielleicht ist dieses Ende aber einfach nur eine verzweifelte Liebeserklärung von Reichardt, die neben dem Projektor steht mit dem Licht des Films in ihren Augen. Davon wird man manchmal geblendet.