At Night The Nurses Left: Kiss Me Deadly von Robert Aldrich

Ein Kuss ist ein Schuss am Fenster ist ein Kuss in der Nacht ist eine Explosion. Dreht den Schlüssel im Auto, der Motor spielt Brahms. Jede Frau flirtet mit mir, sie stehen auf der Straße mit ihren Ausschnitten, jemand schneidet ein Bild aus, wir trinken und trinken und trinken. Ein Kuss war eine Erinnerung – „Remember Me“ – hat sie gesagt, hat sie geschrieben und einen Schlüssel geschluckt wie Maya Deren. Der Kuss ist hier des Todes, weil die Frau sagt: „Kiss me“ und dann schießt sie. Und dieser Tod ist nicht nur der Tod des Mannes, sondern auch der Tod der Welt, das Ende der Welt. Im brennenden Licht, im Meer. Begonnen hat der Film mit einem anderen Licht, einem Scheinwerfer, am Anfang war Licht, am Ende ist Licht. Schau hin, es gibt keine Zukunft, wir haben es dir den ganzen Film gesagt und du hast es nicht geglaubt.

Robert Aldrich präsentiert Mike Hammer in schnellen Sportwagen. Macho nicht nur auf der Oberfläche, sondern in seinen Gefühlswelten. Er weiß die ganze Zeit, dass er sich in einem Film befindet, er kennt alle Tricks und Twists, er schluckt sie, aber dann weiß er es plötzlich nicht mehr und mit ihm geht der Zuseher schwimmen in einem Albtraum, der über uns fährt wie die Gedanken, die wir einst hatten. Eine dieser Frauen, die wichtigste Frau, vielleicht die einzige Frau, deren Kuss nicht tödlich ist, dreht sich an einer Tanzstange durch das Bild und lässt Hammers Gesicht zum Kino werden. Ein „A Girl and a Gun“ – Film in der jede Sekunde mit Kino aufgeladen ist.

Kiss me deadly

Eine Welt, in der es einen Protagonisten gibt ohne einen Funken Emotion, die Ängste des Noir-Films sind wie verkrustete Wunden, sie liegen tief vergraben, man gewöhnt sich an sie und doch reißen sie wieder auf. In jedem Gebäude ein Schluck, zwei Schlucke, es gibt genau zwei Möglichkeiten etwas von Menschen zu bekommen: Geld oder Gewalt. Alles dazwischen wird nicht mehr versucht, wozu auch?  Hammer ist eine verottete Seele, aber er küsst. Er zerbricht Schallplatten, er hat keine Angst, er verbreitet sie nur. Paranoide Schatten an jeder Wand, das ist Noir, aber der Qualm ist längst erfroren; stattdessen: Namenlose Jäger, zerbrechliche Schenkel, die Pistolen umklammern: Das Haupt der Medusa, das schon Atlas zu einem Gebirge erstarren ließ, hat keine Probleme die Welt und das Kino zu vernichten. Man rettet sich ins Meer, weil es im Gegensatz zu Film nicht brennen kann. Ihr Name war Freitag, aber er hätte auch Dienstag sein können, wenn sie an einem Dienstag geboren wäre. Sie spritzen mir Sedative für die Wahrheit, die ich selbst nicht kenne. Kiss Me Deadly ist ein traumartiger Reigen von einem Mann voller Begehren, der nach und nach in eine Furcht umschlägt, als würde man langsam realisieren, dass man sterblich ist.

kissmedeadly3

Menschen sterben unter Autos, sie werden betäubt, bestrahlt, ihre Brillen liegen blutverschmiert neben ihren Leichen, wer weckt die Toten auf? Niemand. Der Motor springt wieder an, es ist Schubert, sie drehen den Schlüssel, ein Boxtrainer kennt nur das Geld oder die Gewalt, seine Zigarre ist ein erregter Penis, der erschlafft, als er mit der Wahrheit konfrontiert wird. Dann sind da Schuhe, sie stehen für das Geld und die Gewalt, sie stehen dafür, dass man kein Gesicht sieht. Sieht man das Gesicht bei einem Kuss? Wir sehen nicht, was in der Box ist, wir sehen nicht und haben Angst. Wir sehen keine Gesichter und nicht, was in der Box ist. Aldrich wurde gefeiert als erster Filmemacher des Atomzeitalters, aber er ist vielmehr ein ewiger Filmemacher zwischen Traum und Einsturz des Traumes, Gewalt und Geld, Angst und Begehren, der in unserer Zeit wieder sehr extrem mit uns sprechen kann. Wenn wir uns küssen und den Schlüssel umdrehen in einer Nacht.