Il Cinema Ritrovato 2017: Break Up von Marco Ferreri

Marco Ferreris Filmographie besteht aus einer enormen Anzahl an Filmen, bei denen das Nacherzählen einer „Handlung“ ein diebisches Vergnügen bereitet. Oft ist die Erfahrung einer Nacherzählung von Ferreri spektakulärer als die Filme selbst. Das liegt an seiner subversiven Ader, die seine Fähigkeiten als Filmemacher übersteigt. Das heißt nicht, dass wir es hier mit einem mittelmäßigen Filmschaffenden zu tun haben, es ist nur so, dass sein radikaler Existentialismus in der Narration nicht unbedingt in der sehr klassischen, wenn auch von Surrealismus und Avantgarde beeinflussten Form gespiegelt wird.

Break Up, den man auch als L’uomo dei cinque palloni kennt, ist ein solches Beispiel. Der Film entfaltet sich wie eine mehr auf Komödie gerichtete Version von Dillinger è morto. Marcello Mastroianni spielt den männlichen Mann Mario, einen reichen Bonbonverkäufer im Anzug, der eines Tages auf ein riesiges Problem stößt: Wie viel Luft kann ein Luftballon aufnehmen bevor er platzt? Diese Frage, der Mario wie besessen nachgeht, bewirkt eine Krise, die sich auch auf das sowieso schon unausgeglichene Voreheleben mit Giovanna (Catherine Spaak) auswirkt. Im Endeffekt sieht man über fast zwei Drittel des Films Mastroianni beim Luftballonaufblasen, mal spontan, mal mit fast wissenschaftlichem Aufbau, während um ihn herum seine verzweifelte Frau versucht, Aufmerksamkeit zu bekommen. Nein, der Luftballon ist wichtiger. In einem plötzlich farbigen Traum (der Film ist ansonsten in schwarz und weiß) befindet sich Mario auf einer Ballonparty samt Flugeinlagen und Ballonorgien. Doch selbst dort will er sich lange Zeit den Frauen entziehen und sich um seinen Ballon kümmern. In der Wohnung von Mario gibt es außerdem noch ein junges Dienstmädchen, das ihm gefällt und einen riesigen Hund, dem Mario eine Suppe zu essen gibt. Der Film gliedert sich in vielerlei Hinsicht in das herumdriftende Schaffen der frühen 1960er Jahre an, man denke an die Filme von Fellini oder Godard aus dieser Zeit. Nach der Einführung des großen Ballonkonflikts wendet sich der Film in einer Abwärtsspirale in sich selbst, es gibt keine Entwicklungen mehr, sondern nur Folgen dieses Konflikts. Dabei kommt aber immer wieder Leben in diese Situation, weil sich die Figuren häufig in andere Richtungen neigen bevor sie doch wieder in ihre ursprüngliche Krise zurückfallen. Dadurch entsteht eine absurde Ausweglosigkeit. Aber Ferreri ist wilder als viele seiner Kollegen, was auch daran liegt, dass Mario schlimmer ist als jede noch so narzisstische Figur bei den genannten Regisseuren. Der Ballonmann ist derart widerlich im Verhalten zu seiner Umgebung, dass man das ganze eigentlich nur als Komödie begreifen kann.

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Nun ist es aber nicht so, dass der Film einzig aus Luft oder Lachern besteht. Ferreri zeichnet hier äußerst präzise das Bild einer in sich gekehrten Männlichkeit, die im souveränen Zynismus einer Selbstbemitleidung ertrinkt. Diese Männlichkeit ist auch eine des Kapitalismus. Mario definiert sich zu großen Teilen über seinen materiellen Erfolg, seine Führung durch die eigene Wohnung erinnert fast an Patrick Bateman in American Psycho. Die Krise erinnert ihn auch an eine Abwesenheit. Was wir hier haben ist Luft und Ferreri macht Luft sichtbar. Nicht nur vor dem Hintergrund einer System- und Männlichkeitskritik droht der Ballon hier und da zum Symbol zu werden. In einer frühen Szene legt der Film einen Phallusballon nahe, später ist es eher die Luft, die diesen füllt, die  metaphorisch interessiert. Es gibt einen erkrankten Blick hier, der noch nicht so obszön ist wie einiges, was Ferreri später machte, aber der durch den Ballon ein Symptom bekommt, das eine ganze Krankheitsgeschichte verdeutlicht. Dieser erkrankte Blick gehört letztlich einer Depression an, die vermutlich durch äußere Umstände bewirkt wurde.

Der Film, der aus einer schlimm gekürzten Version durch Produzent Carlo Ponti von der Cineteca Bologna restauriert wurde, erfuhr seine Aufführung auf dem Piazza Maggiore, wobei jemand die glorreich bescheuerte Idee hatte, Luftballone auf die Sitze zu legen. Im Publikum befanden sich eine ganze Menge Marios, die es sich zur Aufgabe machten, herauszufinden wie viel Luft in einen Ballon passt bevor er platzt. Hätte man wissen können, Film war trotzdem gut.