Yes, Home Movie: Manoel de Oliveira und die Porto-Schule

Das Folgende ist der etwas erweiterte Text einer Einführung zu einem Screening von Manoel de Oliveiras Visita ou Memórias e Confissões und Javier Oliveras La sombra im Filmmuseum München. Ich bedanke mich bei Klaus Volkmer und Paulo Soares für die Unterstützung bei der Recherche und der Formulierung des Textes (die Reihenfolge und Wahl der Bilder entspricht nicht jener des Vortrags).

Ich freue mich, dass ich heute Abend hier eine kleine Einführung zu diesem schönen Double Feature geben kann. Ein Programm, das Architektur und Film, Häuser und Erinnerungen auf eine mutige, sinnliche, philosophische und doch ganz greifbare Art und Weise zusammenführt meiner Meinung nach. Ich werde vor allem ein paar Worte zum ersten Film des Abends und seinem Macher Manoel de Oliveira, der eine besondere Beziehung zur Architektur und zur außergewöhnlichen Architekturgeschichte der Stadt Porto hat, verlieren. Ich nähere mich der Thematik aus Sicht eines Filmmenschen, also wie die Filme selbst und so will ich hoffen, dass daraus etwas Fruchtbares entsteht.

Der Film, den wir gleich sehen werden, Visita ou Memórias e Confissões hat eine besondere Geschichte. Sie hängt eng zusammen mit dem Haus, in dem er gedreht wurde und das auch ein großes Thema im Film ist. De Oliveira ist 1908 in Porto geboren. Er ist Sohn eines reichen Textilindustriellen und hat sehr langsam begonnen Filme zu machen. Er war zwar immer hinter seiner Leidenschaft, dem Kino her, aber zwischen seinen ersten Filmen verging viel Zeit und andere Tätigkeiten nahmen den Portugiesen ein. Dazu gehörte seine Karriere als Autorennfahrer, Agrikultur und eben Architektur.

RODAJE DE OLIVEIRA, O ARCHITECTO

Machen wir einen kleinen Zeitsprung: Ende der 1930er Jahre in Porto. Salazarismus, Diktatur in Portugal. De Oliveira kommt unter anderem deshalb nicht dazu, viele Filme zu machen. Bislang hat er nur dokumentarische Kurzfilme gemacht. Sein erster Langfilm, Aniki Bóbó sollte 1942 folgen. danach würden weitere 22 Jahre vergehen bis sein Acto da Primavera das Licht der Welt erblickt. Doch der Textilfabrik seines Vaters, über die De Oliveira seine erste filmische Arbeit Douro, Faina Fluvial macht, geht es blendend und auch privat kann sich der junge Mann nicht beschweren. Er lernt Maria Isabel Brandão de Meneses de Almeida Carvalhais kennen und heiratet sie am 4. Dezember 1940. Zusammen mit ihr will er in einem Schloß wohnen. De Oliveira gab einmal selbst zu, dass es bescheidenere Projekte geben würde. Er schließt sich zusammen mit dem Architekten José Porto, um ein Haus in Porto, in der Rua da Vilarinha zu bauen. José Porto kehrte 1933 nach Portugal zurück nachdem er seine Ausbildung in Genf und in Paris abgeschlossen hatte. Er stand wie viele Architekten jener Zeit in Europa unter dem Einfluss von Le Cobusier. Schnell spezialisierte er sich auf Einfamilienhäuser. Auf sein Konto geht unter anderem auch der Emporium  Häuserblock, ein Hotel für den Praça de D. João I und das Grande Hotel Beira in Mosambik. Einst als „Stolz von Mosambik“ betitelt, ist dieses Gebäude heute eine zerfallene Ruine, in der zahlreiche Obdachlose Unterschlupf finden. Das Haus für und mit De Oliveira braucht mehrere Anläufe. Das liegt zum einen an den zum Teil utopischen Vorstellungen von De Oliveira, zum anderen am Krieg und natürlich auch an Portos Engagement in der portugiesischen Kolonie Mosambik. Aber Anfang der 1940er Jahre steht das Haus und es sollte das Heim von De Oliveira für knapp vier Jahrzehnte werden.

Schon bei der Planung ist eine der wichtigsten Aspekte für De Oliveira und Porto die Intimität. Wie sieht ein Haus aus, in dem ein Filmemacher, in dem eine Großfamilie leben kann? Die Spuren der Umgebung, des Lebens, die Transformationen, die das Haus durchmachen würde und sollte, wurden schon in der Planung mitgedacht. Mit dieser Denkweise sind wir bereits mitten in der portugiesischen Moderne, von der De Oliveira als Filmemacher beeinflusst wurde und die ihn auch darüber hinaus immer wieder beschäftigte. Große Namen wie Álvaro Siza Vieira oder sein „Schüler“ Eduardo Souto de Moura sind die herausragenden Figuren dieser Bewegung, die auch als Porto-Schule bezeichnet wird. Souto de Moura hat einmal gesagt: „Architektur lebt um transformiert zu werden, darin liegt ihre wahre Bestimmung.“  Dem Film von de Oliveira geht es da ganz ähnlich.

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Was ist nun diese besondere Geschichte des Hauses und des Filmes? Wie gesagt lebt de Oliveira fast vier Jahrzehnte dort, dann gerät die Fabrik seines Vaters im Zuge eines Arbeiterstreiks während der Nelkenrevolution in Schulden und De Oliveira, der gerade die Fabrik mit-übernommen hatte, muss eine Hypothek aufnehmen. Er muss das Haus verkaufen und ausziehen. Eine äußerst schmerzvolle Erfahrung für ihn, dessen Familie dort über drei Generationen lebte. Er entscheidet sich einen Film im Haus zu drehen, nachdem er bereits ausgezogen ist. Es ist also viel weniger die Geschichte eines Besuchs als einer Rück- oder gar Wiederkehr. De Oliveira macht diesen Film 1981 mit 73 Jahren. Konfrontiert mit dem fertigen Werk, entscheidet er sich ihn verschließen zu lassen. Sein Sohn sagte, dass sich sein Vater aus Bescheidenheit zu diesem Schritt entschloss. De Oliveira ging davon aus, nicht mehr lange zu leben. Was er nicht wusste: Seine Karriere sollte dann erst richtig beginnen, er drehte die Vielzahl seiner Langfilme und starb erst 2015 im Alter von 106 Jahren. Die Wiederentdeckung dieses Films ist die nächste Wiederkehr oder Heimsuchung. Eine Heimsuchung im Haus von De Oliveira. Zweimal wurde der Film doch aufgeführt. Einmal in Form einer Art Teampremiere, einmal bei einer Retrospektive und nach einiger Überzeugungsarbeit von João Pedro Bénard da Costa. Dennoch ist dieser Film ein kinematographisches Wunder, ein Dokument aus einer anderen Zeit.

Das Haus selbst kann als Schmelztiegel der portugiesischen Moderne gesehen werden. Es befindet sich zwei Kilometer vom Meer entfernt im ehemaligen Viertel Foz du Douro (benannt nach der Mündung des Douro in den Atlantik). Das Haus ist kreisförmig mit einer Zentralachse, auf die alles zuläuft. De Oliveira berichtete sehr gerne, dass die Form das Tapezieren äußerst kompliziert machte. Außerdem findet man einige Zitate von de Oliveira über die Schwere der Arbeiten, die von den anspruchsvollen Wünschen des Filmemachers bestimmt wurden. Ein Beispiel:

„Das Haus war für seine Zeit ein sehr mutiges Unterfangen.  Aber der Architekt war sehr glücklich einen Kunden zu finden, der sich so radikal von anderen unterschied. Ich wollte einfach Freiheit bei diesem Projekt. Aber es war schwierig Eichenholz zu finden. Es gibt im Haus ein 7-Meter breites Fenster. Das Holz musste dafür 12 Zentimeter dick sein und das war sehr schwer zu finden. Mit etwas Glück konnten wir ein Sägewerk finden, das ein solches Holz hatte.“

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Inzwischen steht das Haus unter Denkmalschutz. In der Begründung der Stadtregierung hieß es, dass die Verbindung der enormen Größe des Hauses mit der Existenz sehr weniger Türen eine der Besonderheiten darstellt. Zudem gibt es eine beständige Variation des Abstandes vom Boden bis zur Decke. Ein Schmelztiegel ist das Haus auch deshalb, weil viele unterschiedliche Architekten am Haus gearbeitet haben. Nach Portos Abreise nach Mosambik kümmerte sich Viana de Lima um die Inneneinrichtung und Cassiano Branco um die Gartenanlagen, in denen der Film beginnt und die als essentieller Teil in die Fassade übergehen. Zunächst hatte De Oliveira seine Probleme mit den unterschiedlichen Stilen, schließlich war er aber zufrieden. Für ihn ging es sehr stark um einen Ort der Identität. Ein Territorium für sein Schreiben, Denken und Leben, wenn man so möchte.

Die Geschichte des Hauses geht natürlich auch ohne De Oliveira weiter. Zunächst wohnte ein bekannter Arzt dort, dann ein Immobilienmensch. Eduardo Souto de Moura hat einen Tennisplatz, einen Swimmingpool und einen Fitnessraum hinzugefügt, Gonçalo Ribeiro Telles hat die Gärten neu-designed, Alexandre Burmester e Maria de Fátima Burmester, die umgestaltet/renoviert. Die portugiesische Moderne beeinträchtigte das Schaffen und Denken von De Oliveira aber auch jenseits dieses Hauses. Architekten und Freunde des Filmemachers wie Siza, Souto de Moura oder Fernando Tavora arbeiteten mit De Oliveira an Projekten und sorgten dafür, dass dieser Anfang der 1990er Jahren den Ehrendoktor der Faculdade de Arquitectura do Porto erhielt. Diese Querverbindungen hängen wohl am ehesten am Architekturinteresse von de Oliveira, man kann aber auch die Stadt Porto als einen Grund für diese gegenseitigen Einflüsse nennen. Die Porto-Schule ist mehr als nur das Gebäude, das in den 1980ern in einem auf den zweiten Blick spektakulären Neu-Bau von Álvaro Siza konzipiert wurde. Hier versammelt sich die Philosophie einer Architektur im bau des Gebäudes, in dem die Architektur der Zukunft entstehen soll. Es ist diese Anpassung an die Umgebung, dieser kritische Regionalismus, den der Architekt selbst mit „Jazz“ umschrieb und der umstehende Gebäude, Vegetation, Geräusche und Licht in die Planungen aufnimmt beziehungsweise in den Mittelpunkt der Ausführungen stellt. Darüber hinaus könnte man Porto selbst als außergewöhnliches Stück Architektur bezeichnen. Sie macht kaum Sinn, da beständig eine Konfusion herrscht zwischen Landschaften und Gebäuden. Darüber hinaus vermischen sich sehr viele Stile, da die Architekturgeschichte der Stadt von vielen großen Figuren der portugiesischen Architektur geprägt wurde wie José Marques da Silva, Arménio Losa oder Cassiano Barbosa und schließlich den bereits genannten Modernisten.

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Architektonisch ist ein Adjektiv, das nicht nur von Paulo Rocha in seiner Betrachtung von De Oliveiras Schaffen auftaucht. Sein Portraitfilm heißt Oliveira, o Arquitecto. Das Bauen von Filmen ist ein wichtiger Aspekt im Kino von de Oliveira. Es geht viel um Konstruktionen und Funktionalität, Respekt vor Formen und Traditionen.  Der Filmemacher hat selbst sehr oft über die Verbindungen zwischen Film und Architektiur gesprochen, einmal hat er dabei bemerkt: Der Unterschied ist, dass Architektur sich nicht bewegt. Ein anderes Mal ging er allerdings inspiriert von Aussagen Jean-Luc Godards und Jean Rouchs, der in Porto einen Vortrag über Kino&Architektur hielt, auf Gemeinsamkeiten ein:

„Architektur bewegt sich zwischen der Kunst und dem Leben. Im Haus ist beides. Das Leben und die Kunst. Die Art und Weise, in der man ein Haus organisiert, die verschiedenen Räume, vom geheimnisvollsten, dem intimsten bis zum öffentlichsten und sozialsten erinnert an die Art und Weise wie ein Film gebaut sein sollte in der Découpage. Es gibt eine architektonische Komposition in der Organisation von Szenen und Sequenzen.“

Ein anderes Projekt, bei dem de Oliveira direkt mit Architektur in Verbindung gekommen ist, ist das Casa do Cinema, dass er zusammen mit Souto de Moura entwickelt hat. Für den Architekten ist dieses Projekt gewissermaßen ein Wendepunkt, da er sich mehr an den Stil seines Mentors Siza angeglichen hat als je zuvor. Die äußere Form erinnert an eine Kamera und die beiden „Linsen“ an die Augen eines Insekts, die zwischen den Gebäuden hindurch spähen, um den Atlantik zu sehen. Das Haus wurde 2003 gebaut, der Plan war, dass es ein de Oliveira-Museum dort geben würde und ein Kino, in dem historische Filme gezeigt werden. Die modernistische Struktur verbindet sämtliche Räume und Fassaden mit dickem Zement. Der Plan zur Nutzung des Kinohauses wurde aber nie umgesetzt aus unterschiedlichen, vor allem finanziellen Gründen. In den letzten Monaten ist allerdings neue Bewegung in die Sache gekommen. Das Haus wurde verkauft und ein de Oliveira-Museum soll an anderer Stelle, nämlich im Serralves Park entstehen. Architekt des neuen Projekt ist niemand anderes als Álvaro Siza. Die Idee eines Museums liegt gewissermaßen auch dem Film zu Grunde. Das Erhalten, Sichtbar-Machen, Durch-Die-Zeit-Transportieren eines Lebens, eines Ichs, eines Hauses und der Erinnerungen, die damit verbunden sind.

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Visita ou Memórias e Confissões stellt die Frage wie wir uns filmisch einem Haus nähern, und das Haus stellt die Frage wie wir uns architektonisch einem Filmemacher nähern. Das Haus als Wurzel und Ausgangspunkt, die Kamera findet in den Räumen die Spuren einer menschlichen Existenz. Álvaro Siza hat einmal gesagt, dass er Ekel empfinden würde, wenn ein Gebäude fertiggestellt sei, weil er wisse, dass es transformiert werden würde. Aber das, so sagte er, sei nur sein Egoismus.

Diese Wechselwirkungen zwischen Leben und Kunst sollen uns also jetzt beschäftigen. Zusammen mit dem zweiten Film des Abends, La sombra von Javier Olivera fragen wir wie sich Erinnerungen in Häuser einschreiben. Das Verhältnis von Kamera und Architektur steht zur Debatte in Häusern, die als eigene Figuren agieren. Häuser, die verschwinden, die bleiben, Menschen, die verschwinden, die bleiben. Es sind Heimsuchungen, die uns hier beschäftigen, Heimsuchungen in allen Bedeutungen, die das Wort haben kann.

Link zu meinem Programmtext und den Architekturfilmtagen in München.