Viennale 2015: Unsere hohen Lichter

Nach fast einer Woche fühlen wir uns in der Lage, auf die Viennale 2015 zurückzublicken. Was bleibt vom Festival?

Patrick

Ich betone vor allem – aber nicht nur – die Filme, die ich bei der Viennale zum ersten Mal beziehungsweise zum ersten Mal im Kino gesehen habe.

Arabian Nights

Vier Filme

Visita ou memórias e confissões von Manoel De Oliveira

Weil er mich daran erinnert hat, wie es ist zu sterben

No Home Movie von Chantal Akerman

Weil die Kamera eine Seele ist (meine Besprechung)

The Immigrant von Charlie Chaplin

Weil es keine Fehler gibt

Vremena goda/Tarva yeghanakner von Artavazd Pelechian

Weil ich keine Worte dafür habe

Mein Film des Jahres 2015:

Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo (meine Besprechung)

Die Enttäuschung:

Mountains May Depart von Jia Zhang-ke: Es ist sicherlich kein schlimmer Film und Jia Zhang-ke ist und bleibt ein großartiger Metteur en Scène, aber das Verschwinden jeglicher Subtilität und des Bildhintergrundes aus vielen seiner Szenen ist der große Schmerz des Jahres.

13 Szenen des Festivals

Es gab diese Rolltreppen in Cemetery of Splendour von Apichatpong Weerasethakul, die mich in einen Traum gestürzt haben, der meine letzte Chance auf eine Flucht war. Die Schlafkrankheit ergriff mich bis Renoir in Straubs L‘aquarium et la nation platzte und ich mich fragen musste, ob und wie ich in einer Nation lebe. Ich weiß es nicht. Ich fühle mich wie der Baum im Wind in No Home Movie von Chantal Akerman und Philippe Garrel hatte völlig Recht, als er gesagt hat, dass Akerman in der Lage war, so zu erzählen, dass man merkt: es betrifft uns alle. Ich habe den ersten Kuss bei Desplechin und seinem Trois souvenirs de ma jeunesse (meine Besprechung) nicht mehr gesehen, aber nicht vergessen. Auch er betrifft uns alle. Er ist wie das plötzliche Erwachen des scheinbar Toten in Psaume von Nicolas Boone. Ein Augenblick, in dem die Zeit steht. Ein Schlag in die Kontinuität meiner selbstzufriedenen Wahrnehmung. Die Zeit läuft rückwärts im letzten Bild von Kaili Blues von Bi Gan (meine Besprechung), ein Ende, das mich sehen und erkennen ließ. Allgemein dachte ich oft, dass Filme nicht – wie Cristi Puiu sagt – lediglich ein Zeugnis sein sollten, sondern eine Offenbarung. Also das Gegenteil des verschleiernden Nebels aus dem Tal in The Assassin von Hou hsiao-hsien (meine Besprechung), dem Film, der meine Augen vor Schönheit in Glas verwandelt. Es sind die Rolltreppen aus Glas, die vom Wind geküsst werden. Ich ziehe mich aus wie der Filmemacher in Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo und springe ins Wasser wie die Kinder in der Katastrophe in Storm Children, Book One von Lav Diaz. Im Wasser ist es wie in L‘invisible von Fabrice Aragno, bei dem kein Bild in meinem Gedächtnis bleibt, sondern nur dritte Bilder, die sich zwischen dem Sichtbaren bewegen. Alles fließt. Im Wasser fliegen mir die Fetzen verbrannter Filme entgegen wie in Bill Morrisons Beyond Zero: 1914-1918. Sie sehen aus wie die schreienden Gesichter eines Grauens, das real wird, weil es materiell wird. Im wasser träume ich von einem Blick zwischen die Texturen, einem Blick, der mir gilt wie in Carol von Todd Haynes. Dann mache ich die Augen auf und stehe auf einer Rolltreppe im Kaufhaus in der Mariahilferstraße. Ich höre Weihnachtsmusik und stelle fest, dass es keine Szene ist, an die ich denke, wenn ich an The Exquisite Corpus von Peter Tscherkassky denke, sondern eine Textur.

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Weitere Besprechungen:

Arabian Nights von Miguel Gomes

The Golden Era von Ann Hui

Claude Lanzmann-Spectres of the Shoa von Adam Benzine

Tangerine von Sean Baker

Travelling at Night with Jim Jarmusch von Léa Rinaldi

Maru von Suzuki Yohei

In Transit von Albert Maysles u.a.

Ioana

The Event

Visita ou memórias e confissões – made then, seen now

Right Now, Wrong Then – wrong then, right now

The Assassin – pulsating death, still life – pulsating life, still death

The Cow – man then, cow now – cow then, man now – no cow, no man

Cemetery of Splendour – then is now, now is then – don’t live, don’t die

Trois souvenirs de ma jeunesse – wrong then, wrong now – paul then, esther now – now prequel to then. Amalric!

The Exquisite Corpus – sex then (60s-70s), orgasm now?

Happy Mother’s Day – sex then, mother of quintuplets now?!

Sobytie – shot then, made now

Samuray-s – film nowhere, memory of it now

As Mil e uma Noites – stories here, stories there, stories everywhere – politics now

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Chaplin – laugh then, laugh now – love then, love now

Comoara – hidden then, found now

Vremena goda/Tarva yeghanakner – breathtakingly insane then, insanely breathtaking now

Tagebucheinträge:

ROT

SCHWARZ 

DETLEF SIERCK

GOLD

GO WEST

GRÜN

HYPNOSE

BLIND

NEONRÖHREN

ECHO

SEIDE

BLAU

WIND

NEBEL

FEDERN

Andrey

The Hitch-Hiker von Ida Lupino

No Home Movie von Chantal Akerman

‚Non‘, ou a Vã Gloria de Mandar von Manoel De Oliveira

viennale15

„No is a terrible word“

Texte von Andrey:

As mil e uma noites von Miguel Gomes

The Look of Silence von Joshua Oppenheimer

Einer von uns von Stephan Richter

Die artenreiche Kino-Menagerie

Carol von Todd Haynes

Viennale 2015: Singularities of a Festival: BLAU

Notizen zur Viennale 2015 in einem Rausch, der keine Zeit lässt, aber nach Zeit schreit. Ioana Florescu und Patrick Holzapfel von einem nur scheinbar ruhigen zwölften Tag der Viennale, der wie das Blau eines sanft vor uns liegenden Sees ungeahnte Tiefen offenbart, die nicht sichtbar sind und noch viel weniger in klaren Gedanken gefasst werden können.

Mehr von uns zur Viennale

Fabrice Aragno

Ioana (Right Then, Wrong Now)

  • Ruhigster Festivaltag mit nur zwei gesehenen Filmen, die aber für meine tägliche Wahrnehmungsbedürfnisse ausreichen.
  • Ein Tag, den ich auch nur für Hong Sang-soos unglaublich vielschichtigen Right Now, Wrong Then behalten hätte, der Film hätte es verdient, der einzige eines Tages zu sein. Seine Variationen, die Innenleben zergliedern, vermehren und stufenweise enthüllen scheinen mir die lebendigste und neugierigste Auseinandersetzung mit Film in diesem Jahr zu sein.
  • Ich traue dieser Sonne, die nicht mehr loslässt, nicht.

Puissance Godard

Patrick (Right Now, Wrong Then)

  • Es war ein ruhiger Tag auf dem Festival. Ich war dennoch überfordert mit meinen Eindrücken. Ich habe gesehen wie sich zwei Wellen küssen, wie man falsch lacht und es ehrlich scheint und ehrlich lacht und es falsch scheint.
  • Ich habe mir Right Now, Wrong Then ein zweites Mal angesehen. Ich wollte zunächst anders sein, aber ich war dann doch gleich. Er zergliedert wirklich das Innenleben. Aber er erzählt auch davon, wie man das Innenleben nicht wirklich berühren kann. Verunsicherung, Scham und Missverständnisse.
  • Am Abend bin ich ins Wasser gesprungen mit Jean-Luc Godard und Fabrice Aragno. L’Invisible ist einer der besten Found Footage Arbeiten, die ich gesehen habe. Das liegt weder am Finden noch am Footage, sondern nur an der Montage. Aragno sucht etwas Unsichtbares und weil er im Kino ist, findet er es zwischen, hinter und im Sichtbaren. Eigentlich ganz natürlich. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Godard ihm Adieu au Langage verdankt und er Godard diesen Film.
  • Ich traue dieser Sonne, die mich loslässt, nicht.

Filmfest Hamburg Diary: Tag 8: kleingeschrieben

Samuray-s von Raúl Perrone

Nach fünf spannenden Tagen in Hamburg, endet das Filmfest mit einer jungen koreanischen Frau, die ein Filmscreening verlässt und sich auf ihren Weg durch die erbarmungslose Kälte zurück nach Hause macht. Am Vortag hatte sie Bekanntschaft mit dem Regisseur des Films geschlossen. Er ist nun wieder abgereist, sie bleibt zurück. Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo war hier in Hamburg auch der letzte Film den Patrick gesehen hatte, und es scheint fast so als könnte das kein Zufall sein (Patricks Besprechung hier). Auch ich verlasse nach diesem Screening das Kino und mache mich durch die ungewohnte, herbstliche Kälte Hamburgs auf nach Hause. Der Tag hat wie von Geisterhand auf so ein Ende hingearbeitet. Zuvor hatte ich Raúl Perrones Samuray-s gesehen, eine Erfahrung, die ich nur mit den Filmen Stan Brakhages und Kenneth Angers vergleichen kann – weniger wegen einer formalen oder motivischen Nähe, sondern wegen ihrem Effekt auf mich. Samuray-s ist ein kinematisches Traumwandeln, eine hypnotische Erfahrung aus Bild- und Toneindrücken, die sich immerzu verdichtet und wieder ausdehnt: eine filmische Lavalampe, ich schäme mich für den Vergleich. Ich war heilfroh nicht im Anschluss gleich einen weiteren Film sehen zu müssen. In der eintretenden Dunkelheit, bin ich durch St. Pauli gewandert, habe nach Luft geschnappt, versucht wieder aufzuwachen. Hong lullt einen anders ein. Was er macht, ist fast ebenso wenig zu fassen, wie Samuray-s. Die rotzigen Schwenks und Zooms, die Klarheit seiner Bilder, die unfassbar detailreiche Ausstattung der Räume, in denen er seine Schauspieler aufeinanderprallen lässt. Perrone und Hong scheinen in ihren Filmen an völlig gegensätzlichen Dingen interessiert zu sein, doch im Kern spürt man beiden eine große Liebe zum Kino, eine Faszination für die (Film-) Geschichte, aber eine totale Hingabe an die Gegenwart, die bei Hong in einer detailreich konstruierten, klinisch-lebendigen Wirklichkeit mündet, und bei Perrone in einer verzückend abstrakten Scheinwelt aus Schatten und Schemen, die durch ihre immersive Qualität zur Wirklichkeit wird.

Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo

Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo

Der letzte Tag, ein Tag, an dem nichts zusammenpasste, und irgendwie doch alles. Ein Schweben in eisiger Kälte, unterbrochen durch die Geborgenheit des Mutterleibs Kino (selbst wenn dieser Mutterleib von außen, besprayt und heruntergekommen aussieht wie das B-Movie Kino). Währenddessen kämpfe ich mit der Technik. Auch das gehört irgendwie zu einem Festival dazu. Läuft man den ganzen Tag mit Laptop herum und versucht in den Pausen zu schreiben, oder verlegt man das auf die Morgen- und Abendstunden? Was tut man, wenn der Laptop bockt, und auf einmal die Umschalttasten nur mehr sporadisch funktionieren? schreibt man dann einfach klein weiter, ohne rücksicht auf verluste, oder müht man sich mit irgendwelchen behelfen ab, die den schreibfluss unterbrechen? Aufgrund meiner neurotischen Veranlagung gelingt es mir nicht über orthographische Mängel hinwegzusehen und ich wähle die letztere Alternative. Das Leben geht weiter, mit und ohne Großschreibung, auch nach dem Festival, auch nach Hong.

Filmfest Hamburg 2015: Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo

Eine ausführlichere Variante dieses Textes erscheint auf kino-zeit.de

Das konstante Gefühl eines Missverstehens, eines Missverständnisses beginnt im Fall von Hong Sang-soos phänomenalen Locarno-Gewinner Right Now, Wrong Then bereits im Titel, der zu Beginn nicht der gleiche ist. Der in zwei Teile gegliederte Film beginnt mit Right Then, Wrong Now und einer Melodie in den Wolken, die in aller Sanftheit, Schlichtheit und Unschuld dafür sorgt, dass man missversteht, was passieren wird.

Man findet sich sehr schnell im Hong-Universum: Der junge Filmemacher ist ein Mann, ein Mann, der sich selbst und Frauen mag, der sich selbst nicht mag, ein Mann, der feststellt, dass der Kontakt mit Frauen kein leichter ist; die junge Frau ist eine Kunststudentin, etwas verloren, treibend, sich findend, sie will sich mögen, tut es kaum. Man geht zusammen trinken, man geht zusammen essen, man redet über sich und über dich und über Kunst, man trinkt mehr, man ist betrunken, es gibt peinliche und zärtliche Momente, man geht spazieren, man lacht, man lügt, man weint, man wird müde, es ist kalt, Schnee fällt; man verpasst sich, man wartet auf eine Reaktion, man schaut, man begehrt, man macht Fehler, man möchte im Boden versinken und doch ist alles voller Wärme. Im Kern sucht man sich vielleicht und versteht sich nicht, es sind Missverständnisse der Selbstwahrnehmung. In diesem ersten Teil seines Films sehen wir den verzweifelten Versuch des Filmemachers, die Kunststudentin zu verführen, ein Versuch, der auf Lügen basiert, die letztlich in der gleichen Einsamkeit scheitern, in der sie begonnen haben. Dazu die Kälte im Süden Koreas und der Schnee, der Hongs Welten mit einer wiederkehrenden Schutzhülle umgarnt.

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Aber dann schneidet Hong in einer dieser herausragenden Bilder, die der Film selten und dadurch effektiv in seine Grammatik der nackten Essenz einstreut, auf eine Buddha-Statue und das Spiel beginnt von vorne. Es ist nicht so als wäre das Prinzip der Wiederholung etwas Neues für Hong, man denke an die Begegnungen mit dem unvergesslichen Life Guard in In another country oder die Avancen gegenüber der Kellnerin in Woman is the Future of Man. Aber derart klar hat Hong noch nie eine Narration nach diesem Prinzip aufgebaut. Die Geschichte beginnt von vorne, aber im Gegensatz zu einem Film wie Groundhog Day geschieht die Repetition nicht im Bewusstsein der Figuren. Vielmehr könnte man von einem Déjà-vu sprechen, also einer eher unbewussten Wahrnehmung dieser Wiederkehr (Hong selbst hat den Begriff in diesem Interview abgesegnet). Letztlich aber beginnt ein neuer Film (Titel: Right Now, Wrong Then), eine neue Chance. Der Filmemacher ist immer noch ein Mann, doch statt dem Prinzip der Lüge folgt er nun jenem der absoluten Ehrlichkeit, um diese Frau nicht mehr lediglich zu verführen, sondern möglichst zu heiraten. Es sind die gleichen Settings, zum Teil die gleichen Dialoge, aber doch ist alles anders. Gerade durch die Wiederholung legt Hong den Fokus auf die Differenzen. Manche Szenen werden aus anderen Einstellungen gefilmt, der Voice Over verschwindet,verschiedene Sätze werden leicht verändert gesagt oder nur mit einem anderen Ton, dann gibt es völlig neue Situationen (man darf nicht glauben, dass Hong sich hier sklavisch an ein Konzept hält) und ein beständiges Spiel zwischen der Erwartung dessen, was da kommen wird und der unendlichen Verzögerung einer Enttäuschung dieser Ewartungen. Schließlich ist Hong der genuine Filmemacher der Enttäuschung. Das kann sich sowohl in einem absurden oder bitteren Humor ausdrücken, als auch im plötzlichen Schmerz einer Erkenntnis. Dabei geht es viel um Missverständnisse, die dadurch entstehen, dass man nicht ausdrücken kann, was man möchte.

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Right Now, Wrong Then auch ein Film über unsere Wahrnehmung im Kino. Man kann förmlich an sich selbst studieren, was eine andere Einstellung, ein anderer Dialog mit einer Szene macht. So verschwindet das Lachen außer in einer dieser unfassbaren Szenen des Betrunkenseins samt Striptease aus dem zweiten Teil. Szenen, in denen man zu Beginn lachen oder schmunzeln musste, kommen einem nun sehr ernst vor. Man fragt sich, ob das nur an der Wiederholung liegt. Im zweiten Teil  ist es der Herzschmerz, der dominiert, ohne dass Hong auch nur eine Sekunde von seiner Leichtigkeit verlieren würde. Durch die Doppelung beginnt erst die Konzentration des Blicks. Es ist eine Beunruhigung, in der jede Nuance mit unserer Antizipation und Erinnerung gleichermaßen spielt. Mal interpretiert man seine eigene Antizipation als Erinnerung und mal die Erinnerung als Antizipation. Im Loch, das sich zwischen diesen Missverständnissen öffnet, entsteht ein wunderbares Kino der Gesten, Fettnäpfchen, Sehnsüchte und Einsamkeit. Der Film erzählt auch von einer verzweifelten Suche nach einer männlichen Identität. Er macht dies sowohl ironisch als auch emotional.

Dabei ist Hong ein derart guter Beobachter menschlicher Verhaltensweisen, dass jeder Blick seiner Figuren, jede Geste und jede Bewegung einen Subtext enthält, der völlig greifbar vor dem Zuseher liegt, ohne jemals ausgesprochen zu werden. Es ist keine Frage, dass für dieses Kino das Schauspiel von äußerster Wichtigkeit ist. Jeong Jaeyeong gibt den Filmemacher derart überzeugend, dass wir hier von einer der besten schauspielerischen Darbietungen der letzten Jahre reden können. Bei ihm kann ein Lächeln alles bedeuten und all das wird für die Kamera sichtbar, nicht aber für ihn selbst oder seine Mitmenschen. Bei Hong besteht Reduktion nicht nur in wenigen und langen Einstellungen, sondern letztlich auch in einer Präzision gegenüber der Zeit, einem Timing, das Missverständnisse erst ermöglicht. Jeong Jaeyeong legt dort hinein diese unersetzliche Fähigkeit, seinen Körper und seine Stimme zu trennen. Was er sagt, ist selten, das was er macht und was er macht, ist selten das, was er sagt. Daher sehen wir dann seine nackten Emotionen.

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In mancher Hinsicht scheint Right Now, Wrong Then ein religiöser Film zu sein. Das Treffen des Pärchens in einem Tempel und die Bedeutung des Buddhas sowie das überstrahlende Thema der Wiederkehr, der zweiten Chance im Hinblick auf Verhaltensweisen und Auffassungen von zwischenmenschlichen Beziehungen deuten darauf hin. Gleichermaßen ist der Film aber auch ein Märchen, denn Hong macht Filme, die eine Traumwelt versetzen, eine Welt, in der man gerne leben würde bis man feststellt, dass man bereits in ihr lebt. Es gibt eine Fluktuation zwischen seinem Blick und der Realität, die einen mit anderen Augen sehen lässt. Man stellt fest, es sind seine Augen, in denen man leben will. So ist es konsequent, dass der Film mit dem Verlassen des Kinos endet und man im Schnee von Hong in diese zärtliche Einsamkeit fällt, die an einem haften bleibt, wie der Geschmack eines Madeleines.

Das Kino ist ein fatales Spiel

Schon länger regt sich in mir die Frage, ob die Anwesenheit einer Filmkamera eher zu einer Lockerung der Realität beiträgt oder dadurch eine größere Ernsthaftigkeit einsetzt. Vereinbart man in Anwesenheit der Kamera einen Spielcharakter oder ist man im Angesicht dieses Instruments, das Unsichtbares sichtbar macht, ist man noch deutlich mehr in der Bedeutung, dem Sinn und der Sinnlichkeit dieser Realität verhaftet. Ich denke, dass die Lösung immer beides zugleich sein muss. Das Spiel führt letztlich zum Sinn und der Sinn fordert ein Spiel.

Immer wieder arbeiten Filmemacher mit unterschiedlichen Methoden, den Schauspielprozess sichtbar zu machen. Nehmen wir als Beispiel Cristi Puius Trois exercices d’interprétation, der eigentlich gar nicht als Film für die Öffentlichkeit gedacht war. Tatsächlich handelt es sich hierbei um einen filmgewordenen Schauspielworkshop. Drei Gruppen von Schauspielern probieren sich in einer zeitgenössischen Interpretation von Vladimir Solovyovs Three Conversations. Dabei kommen einige Elemente zum Vorschein, die das Schauspiel im modernen Kino definieren. So geht es um das Prinzip der Wiederholung, also das Sichtbarwerden der Arbeit am Schauspiel. Diese Wiederholung gleicher Textpassagen durch unterschiedliche Schauspieler, diese Variation macht uns zugleich auf die Bedeutung und die Möglichkeiten des Schauspiels aufmerksam. Wie ein Satz gesagt wird, hat enorme Relevanz. Der Filmemacher, der wohl am meisten an dieser Arbeit am Spiel gearbeitet hat, ist Jacques Rivette. In Filmen wie L’amour fou oder La Bande des quatre sehen wir immer wieder den Prozess des Spiels, die schmerzende Wiederholung, die Leere nach und von ausgesprochenen Texten, die Schwierigkeit eines Ausdruck, die Zweifel und die Alltäglichkeit im Umgang mit dieser Arbeit, die ein Spiel ist. In neuen Kontexten eröffnen sich neue Perspektiven auf den jeweiligen Text. Rivette verbindet dabei immer private Situationen seiner Figuren mit ihren Rollen im Film. Noch eine Stufe weiter damit ging John Cassavettes in seinem Opening Night, da dort Figuren, Rollen und tatsächliche Schauspieler in einen merkwürdigen Dialog treten.

L'amour fou von Jacques Rivette

L’amour fou von Jacques Rivette

Durch dieses Spiel mit dem Spiel wird also zugleich auf eine Meta-Ebene des Schauspiels verwiesen und diese Meta-Ebene durch eine Intimität gebrochen. Denn was wir jederzeit sehen, ist die Menschwerdung von Rollen, etwas Individuelles, Körperliches und Sinnliches dringt durch die gleichen oder ähnlichen Textpassagen und verändert deren Ton. Die Kamera erzeugt diese Intimität und zerstört sie zugleich. Es überrascht nicht, dass wir am Ende des Films genau mit dieser Frage konfrontiert werden von Puiu. Ist eine völlige Konzentration, eine völlige Intimität vor einer Kamera überhaupt möglich? Oder „spielen“ wir immerzu etwas, weil die Kamera Konsequenzen hat? Die Angst vor dem Sichtbarmachen greift um sich und das liegt nicht daran, dass die Kamera Intimität zerstört, sondern daran dass sie Intimität erhöht. Man denkt an das frühe Kino oder direct cinema und die Interaktion von Passanten mit der Kamera, man denkt an dieses ewige Posieren. Daran liegt es vielleicht auch, dass mir Dokumentationen, in denen die Protagonisten zumindest ab und an in die Kamera blicken logischer vorkommen als solche, in denen man sich verkrampft darum bemüht, dass es keinen Kamerablick gibt. Wozu? Um die Fiktion zu wahren? Wenn man sich beispielsweise Raymond Depardons Faits divers ansieht, wird man immer wieder kurze Interaktionen mit der Kamera bemerken, die nichts von der Direktheit und Intimität nehmen, sondern ganz im Gegenteil, zu diesen beitragen.

La bande des quatre von Jacques Rivette

La bande des quatre von Jacques Rivette

Beim Spiel kommen bei den besseren Filmemachern immer die Menschen und Körper hinter den Spielern zum Vorschein. In unserer Zeit hat sich der Schauspielbegriff längst von seinen naturalistischen oder rhetorischen Funktionen gelöst. Vielmehr geht es uns beim Spiel um eine Erfahrung, in deren Dauer wir Zeuge einer Menschwerdung sein dürfen. Natürlich hängen daran immer noch naturalistische Ideale, aber diese zielen jetzt im eigentlichen Sinne darauf, dass der Schauspieler als Person verschwindet. Nicht die realistische Darstellung interessiert Filmemacher wie Cristi Puiu oder Claire Denis, sondern das Spiel selbst, diese schmale Linie zwischen der Fiktion und der Dokumentation des Prozesses, indem wir gleichzeitig die Illusion einer Identifikation spüren und uns doch ermahnt fühlen, weil wir lernen zu wissen, dass die Erscheinung eines Menschen und sein Spiel immer dazu dienen, etwas essentielles zu verbergen. Diese Essenz finden wir genau dann, wenn wir beides zugleich sehen. Das Ergebnis der Erscheinungsarbeit und die Arbeit an der Illusion. Ansonsten ist das Spiel auch die Flüchtigkeit und Bescheidenheit der Darstellung. Es geht beim Spiel für das Kino nicht um den großen Schauspielmoment, den Monolog, der tränenreiche Abschied, vielmehr geht es um den Körper, der alles erfährt und dadurch erfahrbar macht, es geht um die Sinnlichkeit. Wir haben Respekt vor dieser Sinnlichkeit und es ist keine Überraschung, dass nicht erst seit Robert Bresson immer wieder der Laiendarsteller gesucht wird, um sozusagen diese Sinnlichkeit in aller Naivität und Unschuld vor die Kamera zu werfen. Dieses Vorgehen wird heute deutlich schwieriger, weil auch die meisten Laien mit Mechanismen der fatalen Kamera vertraut sind und darin geübt, ihre Sinnlichkeit zu verstecken. Als Folge greift die Arbeit mit dem Spiel im Kino zu extremeren Mitteln, die sich in Filmemachern wie Albert Serra, der so lange dreht bis seine Laien völlig erschöpft sind und nicht mehr kontrollieren können, was sie tun oder Bruno Dumont, der Schauspielern keine Information über ihre Position oder den Kontext der Szene gibt und beständig auf eine Deformation von Verhaltensweisen setzt, äußert. Vor allem Serra ist dabei auf der Suche nach einer Unschuld, eine Unschuld, die alle jagen im Schauspiel, diesen Moment, in dem etwas zum ersten Mal passiert und man es sieht. In diesem Zusammenhang ist es keine Überraschung, dass Erich von Stroheim unbedingt einen echten Messerstich am Ende von Greed haben wollte. Er wollte den Schmerz in den Augen seines Darstellers sehen. Er hat ihn nicht bekommen.

Aurora von Cristi Puiu

Aurora von Cristi Puiu

Es ist aber auch klar, dass eine Freude am Spiel in diesen Unschuldschoreographien kaum zum Vorschein kommen kann (zumindest dachte ich das bis P’tit Quinquin). Was ich damit sagen will, äußert sich womöglich auch in der beständigen Verwendung professioneller Schauspieler im Neuen Rumänischen Kino, dass doch eigentlich von seiner Verortung hin zu einem Bazin-Realismus nach Laiendarstellern schreit. Doch wenn wir Cristi Puius eigene Performance in Aurora ausklammern, werden bei den großen Namen des zeitgenössischen rumänischen immerzu professionelle Darsteller benutzt. Woran könnte das liegen? Eine Überlegung wäre, dass die Filmemacher des italienischen Neorealismus an einer dokumentarischen Wahrheit interessiert waren, die heute schon lange überholt ist. Die Rumänen scheinen vielmehr Interesse am Wesen der Fiktion zu haben beziehungsweise am Verhältnis zwischen Fiktion und Realität. Ein Film wie Corneliu Porumboius When Evening falls on Bucharest or Metabolism behandelt auch folgerichtig das Leben hinter dieser Illusion, das Spiel hinter dem Spiel. Ist dann alles ein Spiel?

Wenn es nach Arnaud Desplechin geht, dann ist zumindest das Kino ein Spiel. Darum geht es, um das Spiel. In seinem La vie des morts zeigt sich, dass nicht die Offenbarung einer komplexen Charakterpsychologie entscheidend für Identifikation und Menschwerdung im Kino sind, sondern die versteckte Existenz dieser Psychologie in den Körpern der Darsteller. Wir müssen spüren, dass hinter den Fassaden ein Leben lauert. Wie Desplechin, Olivier Assayas oder die schon erwähnte Claire Denis kann man dieses Leben durch kurze, flüchtige Momente spürbar machen, eine Geste, ein Blick (und es ist klar, dass der Schauspieler selbst hier genauso verantwortlich ist wie die Montage oder die Kamera). Eine andere Möglichkeit liegt in der Sprache. Das Verhältnis von Schauspieler und Text wurde im deutschen Kino nie vielschichtiger behandelt als von Rainer Werner Fassbinder. Bei ihm verraten sprachliche Formulierungen das Sinnliche und Politische hinter dem Spiel, obwohl sie jederzeit als solches markiertes Spiel sind. Ein solches Vorgehen wird im deutschen Kino heute oft hinter angestrengten und noch häufiger scheiternden Realismusbemühungen liegen gelassen. Der Meister im Umgang mit dem Verhältnis zwischen Text und Schauspieler ist aber sowieso ein Franzose, Éric Rohmer. Bei ihm geht es beim fatalen Spiel im Kino um eine Energie, die aus einem Text oder einer Idee etwas Konkretes macht, etwas Gegenwärtiges, das trotz aller Gegenbehauptungen nicht nur dem Theater sondern auch dem Kino eigentümlich ist. Bei Rohmer geht es nicht nur darum, was gesagt wird, sondern immerzu auch darum wie es gesagt wird. Der moralische Diskurs seiner Filme wird erst durch die Stimmen manifest, man könnte ihn zwar schreiben und lesen, aber erst dadurch, dass die Moral bei Rohmer an Körper gebunden ist, wird sie relevant. Jeder Satz, jedes Zucken kann etwas über eine Figur oder Menschen aussagen.

La vie des morts von Arnaud Desplechin

La vie des morts von Arnaud Desplechin

Doch das Spiel – zumal im Kino – ist natürlich auch eine Sache der Verwandlung. Wie Jean-Luc Godard bemerkte, ist das Kino eine Kunst der Masken und Verwandlungen. Die Möglichkeit einer ständigen Transformation; wenn das Kino ein Spiel ist, dann spielt es auch mit seiner Kontinuität und seiner Wahrscheinlichkeit. Filme wie Holy Motors von Leos Carax, Phoenix von Christian Petzold oder Time von Kim Ki-duk arbeiten mit der Verwandlung und der ewig faszinierenden Frage nach dem Erkennen und der Identität. Oft wird dann die Dramaturgie zu einem Spiel, man sieht Figuren dabei zu wie sie sich unerkannt in einer Rolle bewegen, aber man kennt ihr Geheimnis und wird so Zeuge eines Spiels statt einer Sinnlichkeit bis plötzlich aus diesem Spiel eine Sinnlichkeit bricht. Es ist klar, dass dieses Spiel mit der Verwandlung auch ein Spiel mit der Form beherbergt. Es ist keine Überraschung, dass die meisten Filmemacher, die sich Gedanken über das Spiel im Kino machen, sich auch Gedanken über das Spiel des Kinos machen. Die Kombination zweier Bilder oder das Abpassen des exakten Moments eines Schnitts sind mir immer vorgekommen wie ein Spiel. Insbesondere im digitalen Zeitalter trifft das wohl mehr denn je zu. Erstaunlich aus heutiger Sicht wie man auf eine derartige Kunst Regeln legen konnte. Aber wie wir sehen ist das Regelhafte und das Wahrhaftige im Kino immer in einem spannenden Wechselverhältnis, ganz ähnlich wie die Unschuld und das Spiel.

Mit Masken wird das Spiel auch zu einer Flucht, die das eigentliche Leben verbirgt und gerade dadurch bewusst macht. Jean-Luc Nancy hat geschrieben, dass der Sinn der Erscheinung in der Realität liegt, die sie verbirgt. Ähnliches gilt für das Spiel im Kino, obwohl das Kino weniger Verantwortung hat als die Erscheinung an sich. Damit will ich sagen, dass es im Kino manchmal auch reicht, eine Freude am Spiel auszudrücken wie das nicht zuletzt in Holy Motors geschieht oder auch in American Hustle von David O. Russell. Doch selbst diese Flucht gelingt nicht ganz, weil der Zuseher immerzu in der Lage ist, das filmische Schauspiel mit dem täglichen Schauspiel zu vergleichen. So wird die Freude des Spiels im Kino bei Carax ganz schnell zu einer Kritik des Spiels im Leben. Ist das so? Das Spiel liegt aber auch im Unsichtbaren. Erich von Stroheim war ein Meister dieser Inszenierungen, die man nicht wirklich sieht, aber spürt. So hat er sich bekanntermaßen bis hin zu den korrekten Unterhosen (selbst wenn diese nie sichtbar waren) seiner Komparsen um das Unsichtbare des Spiels bemüht. All das Wissen, all die Arbeit, die man im Ergebnis nicht mehr sieht, aber spürt. Sie hängt mit Körperhaltung, spontanen Gesten oder auch nur der Dauer zwischen Frage und Antwort zusammen. Oder würde jemand daran zweifeln, dass man mit seidenen Unterhosen, auf die das kaiserliche Emblem Österreichs gestickt ist, anders durch Reih und Glied geht, als mit seiner normalen Baumwollunterwäsche?

Holy Motors von Leos Carax

Holy Motors von Leos Carax

Wir bemerken also, dass es einen Unterschied gibt zwischen Filmen, die einen avancierten Umgang mit dem Spiel wählen und solchen, die das Spiel zelebrieren. Zu letzteren gehört sicherlich Hong Sang-soo, der ähnlich wie Puiu in seinem Schauspielworkshop viel mit der Wiederholung von Konstellationen und Dialogen arbeitet. In neueren Werken wie Our Sunshi oder In another country greift durch den eigenwilligen Einsatz des Spiels im Kino eine Art augenzwinkernder Surrealismus, der letztlich doch genau durch diese Unwahrscheinlichkeiten und simplifizierten Konstellationen eine sinnliche Wahrheit und Komplexität der Realität offenbart. Nehmen wir In another country, in dem Isabelle Huppert drei verschiedene Französinnen in Korea spielt, die immer wieder in ganz ähnliche Situationen geworfen wird und immer wieder auf einen grandiosen Life Guard, der immer vom selben Schauspieler gespielt wird, trifft. Dieses clevere Spiel mit dem Cast ermöglicht auf der einen Seite ein Anzeigen der Konstruktion des Films, wieder diese Meta-Ebene, aber zugleich ermöglicht es eine sinnliche Erfahrung von Traumzuständen, Sehnsüchten und dem Verhalten zwischen Fremden, eine Art Erforschung von Unbeholfenheit. Genau umgekehrt in der Besetzung ging bekanntlich Luis Buñuel in seinem Cet obscur objet du désir vor, in dem eine Figur von zwei verschiedenen Schauspielerinnen gespielt wird. Wieder wird dadurch der Schauspielprozess sichtbar, aber gleichzeitig offenbart sich eine Sinnlichkeit, die mit unserer Wahrnehmung zu tun hat.

Our Sunshi von Hong Sang-soo

Our Sunshi von Hong Sang-soo

Es stellt sich auch die Frage, welche Distanz ein Filmemacher wählen muss, um das Kino zum Spiel werden lassen. Es scheint klar, dass in klassischen Schuss-Gegenschuss Auflösungen weniger Raum für wahrhaftiges Spiel bleibt, die Totale jedoch verneint ganz oft das Gesicht, in dessen Regungen sich doch die schärfste und zugleich feinste Linie zwischen dem Spiel und der Realität des Kinos finden lässt. Auf der anderen Seite kann man das Spiel mit dem Spiel so ziemlich aus allen Perspektiven betreiben. Schuss-Gegenschuss kann im Gesicht von Jimmy Stewart ähnliche Gleichzeitigkeiten zwischen Sinnlichkeit und Meta-Ebene erzeugen wie eine Totale bei Hou Hsiao-Hsien. Es geht hierbei um eine Balance zwischen Freiraum und Käfig, die ewige Debatte über Kontrolle und Freiheit im Kino. Beim Spiel gibt es beide Extreme. Es gibt Filmemacher wie Bresson, David Fincher oder Jean-Pierre Melville, die alles kontrollieren und gerade dadurch eine Art Freiheit im Spiel erreichen und es gibt Filmemacher wie Serra, Lisandro Alonso oder eben Puiu, die sehr viel vom Leben, von der Welt hineinlassen in das Spiel und dadurch gerade das Spiel in den Vordergrund rücken. Ein perfekter Kompromiss findet sich in der letzten Szene von Beau travail von Claire Denis. Dort reagiert wie so oft bei Agnès Godard die Kamera auf den Schauspieler, sie wahrt die Distanz für den Freiraum und beginnt dann mit ihm zu tanzen. Letztlich geht es beim fatalen Spiel im Kino um diesen Tanz, der erst das Fatale ermöglicht (und das wollen wir doch). Die Kraft zwischen Kamera und Spiel, eine Liebesgeschichte mit einem unendlichen Spektrum an möglichen Emotionen.

Die einzige Übung, das einzige Spiel ist letztlich das Kino selbst, die Umsetzung. Alles andere ist reine Theorie. Es gibt als zugleich kein Spiel und nur Spiel im Kino. Und es ist das Kino, das uns immerzu mitteilt wie ernst es ist und wie weit weg von der Realität es ist. Zum Schluss nochmal Cristi Puiu:

“So this is how cinema has to be made now, I think—every film must be an exercise. Though these specific exercises were not made with the intention of being shown publicly, I am very happy that programmers are now inviting the film to festivals. I think that it deserves to be seen, and that the exposure is great for the people I worked with. “Actors” is really an administrative term. We live in society without wanting anarchy, so we say that some people are actors, others are directors, others are cinematographers, physicists, mathematicians, doctors, and so on. But I don’t believe this to be true. Anybody can be anything, the only differences come from your choices to study one domain or another. I am working with a camera, you have a computer to type on, others are using medical equipment, and there are no professions. There are only people trying to understand the world better by using different sets of tools.”

Cinemañana: How to disappear completely

Clips/Idee: Ioana Florescu
Text: Patrick Holzapfel

Modern Times

Ioana Florescu hat sich wieder auf die Suche gemacht. Diesmal hat sie Menschen gefunden, die uns am Ende von Filmen den Rücken zukehren und gehen. Wir werden sie nicht mehr wieder sehen,

That there, that’s not me, I go where I please,I walk through walls,I float down the Liffey

Gycklarnas afton von Ingmar Bergman

Un condamné à mort s’est échappé von Robert Bresson

In solchen Momenten zerfließen die Filme vor unseren Augen: Film is The Art of Absence. Was davor, danach, daneben, dahinter, darüber, darunter, dazwischen passiert ist entscheidend. Ein solches Ende macht uns klar, dass wir Filme nicht einfach betreten und schon gar nicht besitzen können. Wir können sie nur betrachten so lange sie uns lassen. Aber der Raum und die Zeit im Off werden nur in uns existieren und in den Figuren, nicht aber auf der Leinwand, dieser riesigen Lupe, dieser wahren Lüge; fängt Blicke wie andere Schmetterlinge,

Ich werde aufstehen und in die Leinwand springen, um den Figuren zu folgen. Ich will an der Leinwand kleben wie eine tote Spinne und langsam darin versinken. Vielleicht kann ich den Figuren dann folgen? Ich renne Chaplin hinterher. Ich verfolge ihn durch die Nacht. Hoffentlich kann ich ihn nie berühren,

Es muss ein Leben hinter den Bildern geben,

I’m not here,This isn’t happening,I’m not here, I’m not here

Le Bonheur von Agnès Varda

La grande illusion von Jean Renoir

Ungreifbar und unbegreiflich schweben schwarze Silhouetten ins Nichts. Narren glauben, dass diese Bilder von einer ungewissen Zukunft sprechen, obwohl sie eindeutig in der Gegenwart verankert sind. Danach ist nichts mehr. Es wird irgendwann schwarz werden. Die Zukunft ist eine Illusion im Kino. Diese Geister sterben am Ende ihrer Filme. Die Filme auch. Aber sie werden wiedergeboren. Wer sich in seinem Sitz bewegt und glaubt, dass dies nun das Ende des Films sei, weil Filme nun mal so enden, verpasst den letzten Blick des Kinos. Unfähig sich zu rühren, unfähig weiter zu folgen,

Hat die Kamera ihre Lust verloren? Sind diese Bilder ihr letzter Lebenshauch, vielleicht ein letztes trauriges Blinzeln, die letzte Erinnerung an eine Welt?

Orphée von Jean Cocteau

Das Kino braucht keinen Vorhang, denn es gibt den Off-Screen und die Tiefe des Bildes. Und es gibt noch mehr,

Sie kehren mir den Rücken zu. Ich sehe ihre zuckenden Schulterblätter, ich sehe Punkte in der leidenschaftlichen Landschaft. Ihre Füße sind echt. Jeder Schritt hinterlässt eine Spur in meiner Pupille, eine glühende Narbe unter meinen Lidern,

Wer genau hinhört, kann den letzten Atemzug der Filme vernehmen. Es ist ein langes Seufzen, das wie ein verlorener Wind über die Ewigkeit der Vergangenheit treibt, ein feuchter Film, der sich auf den Augen bildet und unmerklich über die Wangen brennt wie ein sanfter Reifen auf Asphalt. Ein Film setzt niemals einen Punkt sondern immer Kommas,

In a little while, I’ll be gone, The moment’s already passed, Yeah, it’s gone

Professione:reporter von Michelangelo Antonioni

In Another Country von Hong Sang-soo

Film ist gemacht für den Übergang von Tag auf Nacht und Nacht auf Tag. Immerzu sehen wir in den Filmen die Geburt und den Tod des Lichts. Ein Zustand in dem noch alles möglich ist. Diese gehenden Gestalten am Ende des Films sind der endgültige Übergang als Geister aus der Maschine. Sie könnten auch fliegen. Ihre Langsamkeit sagt mir, dass ich sterben werde. Mit ihnen oder ohne sie, langsam oder plötzlich. Es ist der Horizont, indem sie verschwinden bevor er selbst verschwindet. Vielleicht klammert sich der Blick an die Dauer der Entfernung, vielleicht hetzt er ihnen nach, aber auch der Blick wird sterben.

Irgendwann kann man nichts mehr sehen.

Wie der Expressionist ein Romantiker ist, die Angst der Natur nicht länger ertragen kann, so ist die verschwindende Filmfigur eine romantische Angst, die ihren Rahmen nicht mehr ertragen kann. Aber diese Figuren verlassen den Rahmen nicht. Sie verschwinden in ihm. Ich verstehe nicht wohin sie gehen. Das liegt daran, dass sie nicht im Raum verschwinden sondern in der Zeit.

Being There von Hal Ashby

Of Freaks and Men von Alexei Balabanov

What Time is it There? von Tsai Ming-liang

I’m not here, This isn’t happening,I’m not here, I’m not here

Eine wunderschöne Mücke saugt mir das Blut in Zeitlupe aus. Ich sehe ihr zu und spüre den langen Schauer meines platzenden Blutes, das in den Körper der Mücke fließt und weiß, dass dieser Moment in meinem Gedächtnis bleiben wird, wie das letzte Echo eines Hilfeschreis in den Bergen, wie der Geschmack eines letzten Kusses auf den Lippen verweilt. Die Erinnerung an diese Bilder ist jene des empfundenen Schmerzes bei ihrer Betrachtung.

Strobe lights and blown speakers

Rocco e i suoi fratelli von Luchino Visconti

Fireworks and hurricanes

Modern Times von Charlie Chaplin

Bilder des Bedauerns. Ich hätte besser sehen können. Ich bedauere nicht, dass sie gehen. Ich bedauere, dass ich sie nie gesehen habe, nicht so geküsst wie ich sie küssen wollten, nicht so gekannt wie ich wollte. Warum drehen sie sich nicht noch einmal um? Ich wollte nie mehr blinzeln. E.E. Cummings,

or if your wish be to close me, i and
my life will shut very beautifully,suddenly,
as when the heart of this flower imagines
the snow carefully everywhere descending;

Out of the Past von Jacques Tourneur

I vitelloni von Federico Fellini

Warum tanze ich auf dem Gedächtnis von Geistern? Im Sonnenuntergang, jemand spielt ganz zufrieden eine Violine, Boccherini, ich sitze auf einer Veranda, es ist warm genug und ich kann einmal den Zweifel vergessen, die Angst, weil ich begreife, dass ich keine Bedeutung habe.

Ich werde irgendwann aufstehen. Die Lichter gehen an. Sie sollten nicht. Ich werde eine Jacke tragen und den anderen Zeitmenschen aus dem Kino folgen. Ich werde der Leinwand den Rücken kehren, sie kann meine zuckenden Schultern sehen, meine echten Füße, die den Boden noch nicht berühren können. Man kann mich noch eine ganze Weile sehen. Dann werde ich zu einem Punkt in einer Landschaft. Nur mein Blick ist geblieben. Bis auch er stirbt.

I’m not here, This isn’t happening, I’m not here, I’m not here

Ladri di biciclette von Vittorio De Sica

The Searchers von John Ford

We’re gonna live forever,