Film Lektüre: Heimat von Burcu Dogramaci

Heimat von Burcu Dogramaci

There’s no place like home. Nirgends ist es so schön wie zuhause. Im Deutschen hat dieses Gefühl, dass man mit dem Zuhausesein verbindet einen eigenen Namen, der nur unzureichend in andere Sprachen übersetzt werden kann. Heimat ist zu einem bedeutungsschwangeren Begriff geworden, der sich nicht nur schwer übersetzen lässt, sondern sich auch in vielerlei anderer Hinsicht einer Definition entzieht. Die Kunsthistorikerin Burcu Dogramaci hat sich in ihrem Buch Heimat. Eine künstlerische Spurensuche, das soeben im Böhlau Verlag erschienen ist, deshalb daran gemacht verschiedene Zugänge auszuloten, wie mit Heimat als Begrifflichkeit umgegangen werden kann. Gerade nach den Ereignissen der letzten Monate ist das ein kühnes Unterfangen. „Heimat“ ist immer mehr zur Worthülse nationalistischer Parteien geworden, die damit Abgrenzungspolitik gegenüber einer ominösen fremden Gefahr betreiben. Dogramacis Buch kommt da gerade recht, denn sie versammelt eine ganze Reihe von Gegenentwürfen im Umgang mit Heimat, die denkbar wenig mit rechtspopulistischer Rhetorik zu schaffen haben. In erster Linie orientiert sie sich dabei an fotografischen Arbeiten der letzten rund sechzig Jahren. Diese kunsthistorische Perspektive möchte ich um einige Querverbindungen zu filmischen Beispielen erweitern.

Der Abend von Caspar David Friedrich

Der Abend von Caspar David Friedrich

Heimat kann als geographische Verortung begriffen werden, als nostalgische Kindheitserinnerung oder als Traditionspflege, die volle Bedeutungsvielfalt des Wortes zu begreifen fällt jedoch schwer. Ebenso schwer fällt es Heimat von verwandten Begriffen wie Identität und Herkunft zu unterscheiden (Dogramaci selbst nimmt keine klare Trennung vor). Heimat ist all das und noch viel mehr, ist gleichsam subjektive Kategorie (für jeden bedeutet Heimat etwas anderes) und gemeinschaftlich geteilt (jeder hat eine bestimmte Vorstellung von Heimat). In der Heimat sind wir verwurzelt, der Heimat sind wir verpflichtet, und umso mehr wird Heimat zu einem problematischen Begriff, wenn sie nicht ist. Heimatlosigkeit und fehlende Verwurzelung sind eine Geisel unserer Zeit. Millionen Menschen verlassen ihr Zuhause, um in einer globalisierten Welt an anderer Stelle ihr Glück zu suchen. Mehr schlecht als recht versuchen sie an neuen, fremden Orten an Bräuchen ihrer alten Heimat und Kultur festzuhalten, sind aber gleichzeitig dazu gezwungen eine neue Heimat zu begründen. Manchen gelingt das – sie schaffen sich eine neue Heimat, meist ein Amalgam aus altem und neuem Umfeld – viele scheitern daran und leben fortan im Limbo, in einem kulturellen Vakuum, ohne Identität, ohne Geschichte, ohne Zukunft. Ihre Kinder wachsen in diesem Vakuum auf und fühlen sich nicht heimisch, die ursprüngliche Heimat ihrer Eltern ist ihnen meist ebenso fremd. Wer am lautesten mit dem Versprechen auf Identität und Gemeinschaft um ihre Aufmerksamkeit buhlt, findet willige Anhänger. Wer sich nicht zurecht findet in einer komplexen, verwirrenden Welt ohne Bezugssysteme, der lässt sich leicht von eindeutigen Botschaften ködern.

Auf der anderen Seite jene, die in den Staaten der „Westlichen Welt“ am wenigsten von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten einhundertfünfzig Jahre profitiert haben. Sie fühlen sich ebenfalls bedroht, können nicht mehr mit der Veränderung in der Welt schritthalten und klammern sich deshalb an die Heimat von Gestern und Vorgestern, die sie bedroht sehen. Sie wollen zurück in diese vermeintlich bessere Zeit, oder zumindest die Abwärtsspirale stoppen. Es ist die Heimat, die von rechtsgerichteten Konservativen beschworen wird und sich aus überholten Kategorien wie Nation, Vaterland und Tradition zusammensetzt. Sie lassen außer Acht, dass Heimat prozessualer Natur ist, und uns nur deshalb so stark prägt, weil sie sich immerzu verändert und an unsere Lebensumstände anpasst. Wer mit dieser Veränderung nicht mithalten kann, wird ebenfalls zum Heimatlosen. Auch diese Heimatlosen folgen in ihrer Suche nach einer neuen Heimat den verlockenden Rufen der einfachen Antworten, die es natürlich in einer komplexen Welt nie geben kann und auch nie gegeben hat. In beiden Fällen sind die Suchenden eines neuen Heimatgefühls leichte Opfer für die Rekrutierungspraktiken radikaler Strömungen.

Denkt man über Heimat nach, eröffnet sich also schnell ein unüberschaubares Feld und doch gelingt Dogramaci auf schlanken 180 Seiten der Versuch verschiedene Formen der künstlerischen Aufarbeitung von Heimat nachzuvollziehen und miteinander in Verbindung zu bringen. Es geht ihr dabei weniger um eine erschöpfende Aufzählung, sondern um eine Annäherung anhand einer begrenzten Anzahl von Beispielen, die durch ihre Gegenüberstellung neue Einsichten ins unüberblickbare Bedeutungsfeld „Heimat“ bieten. Verschiedenen Nuancen des Heimat-Begriffs werden Kapitel für Kapitel abgearbeitet. Auf den ersten Blick wirken sie recht isoliert voneinander, doch immer wieder tauchen ähnliche Fragen und Problemstellungen auf. Es ist eine dialektische Herangehensweise; das größte Potenzial des Buchs findet sich in den Leerstellen zwischen den Kapiteln, dort wo sie aufeinander stoßen, zueinander sprechen und tiefere Einsichten entstehen. Eindeutig zu trennen sind die verschiedenen Bedeutungsebenen ohnehin nicht.

An diesem Punkt könnte man zurecht fragen, was das alles mit unserem Blog und unseren sonstigen Texten zu tun hat. Die Antwort dazu findet sich nicht direkt im Buch, sondern im Gedankenkomplex, der sich beim Durchlesen eröffnet. Dabei geht es mir weniger um filmische Beispiele, die Dogramacis Argumentation, die sich größtenteils auf fotografische Arbeiten stützt, untermauern oder ergänzen, sondern um Fragen der Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. Eines der Themen, das Patrick und mich in unseren Gesprächen regelmäßig beschäftigt ist die Frage nach den ökonomischen Zwängen von Filmemachern und wie diese ihr Filmschaffen prägen beziehungsweise wie sehr die Masse an Filmemachern sozial vorselektiert wird. Film ist eine vergleichsweise teure Beschäftigung. Einen Film zu drehen verlangt nach größerem Einsatz von Mensch und Material als andere Kunstformen. Das führt dazu, dass Filme (vor allem jene, die uns interessieren, die also nicht in einem kommerziellen, industrialisierten System entstehen) in der Regel von denen gedreht werden, die es sich leisten können, von jenen, die jahrelang für wenig oder gar kein Geld an Filmsets Erfahrung sammeln, Filmschulen besuchen, Förderanträge schreiben und auf Förderzusagen warten. Es gibt sehr wenige Filmemacher aus armen Verhältnissen, die ohne zuvor auf anderen Wegen zu Wohlstand gekommen sind (z.B. als Schauspieler: Chaplin, De Sica) Filme drehten und das Leben aus ihrer Perspektive schilderten. Ausnahmen wie Chantal Akerman sind verbissene Kämpfernaturen, die quasi ohne eigene Bedürfnisse ganz für ihre Kunst leben. Ähnlich verhält es sich mit der Perspektive der „Heimatlosen“. Auch sie sind unterrepräsentiert, da für sie der Zugang zu den Produktionsmitteln erschwert ist. Diese beiden Probleme sind natürlich miteinander verschränkt, da gerade in den unteren Einkommensschichten verhältnismäßig viele Menschen mit Migrationshintergrund zu finden sind. Es wäre im Interesse der Entwicklung der Filmsprache, dass sich diese Schieflage verändert, auch wenn es im Moment eher so aussieht als würde sich die soziale Selektion noch verstärken. Der Vielzahl an filmischen Unternehmungen zum Trotz, die sich in Form von anthropologischen Studien oder Traveloges von außen den Problemen der Heimatsuchenden und Mittellosen annehmen, fehlt es am spezifischen zweigeteilten Blick des Heimatsuchenden, der die Innen- und die Außenperspektive, das Verhältnis von Heimat und Fremde in sich vereint.

Rodina von Irina Ruppert

Rodina von Irina Ruppert

Ohne der Kapiteleinteilung Dogramacis zu folgen kann man grob fünf verschiedene, ineinander greifende Bereiche ausmachen, die sich in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Heimat ergeben: Landschaften/Orte, Nationale Identität/Pass, Bevölkerung/Bezugspersonen, Kultur/Sprache/Geschichte, Wohnstätte/Heim.

Heimat als geographischer Bezugspunkt

Gleich zu Beginn des Buchs merkt Dogramaci an, dass auffallend viele künstlerische Auseinandersetzungen mit Heimat, fern von dieser unternommen wurden. Literaten wie Heinrich Heine oder Max Frisch wurden sich erst im Ausland bewusst, wie stark ihr Denken von ihrer Heimat geprägt ist. Künstler mit wechselhaften Lebensläufen und –geschichten, wie die in jungen Jahren von Kasachstan nach Deutschland emigrierte Fotografin Irina Ruppert setzen sich laut Dogramaci vermehrt mit Heimat auseinander, suchen nach ihrer eigenen Identität, und nach den Spuren, die ihre Familien auf ihrem Weg hinterlassen haben. Immer wieder wird Dogramaci in ihrem Buch auf Künstler rekurrieren, die sich in der Fremde mit Heimat auseinandersetzen, oder in der Heimat dem Fremden auf der Spur sind. Man ist geneigt zu denken, dass Heimat dort ist, wo man herkommt, doch wie ließe sich so ein Ort definieren? Er ist sicherlich mehr als bloß ein Eintrag im Pass, nämlich mit konkreten Bildern und Vorstellungen verbunden. Diese Bilder entstammen nicht nur der persönlichen Erfahrung, sondern einer gemeinschaftlich geteilten Ikonographie. Dogramaci, die in erster Linie die Heimat der Deutschen behandelt, führt an dieser Stelle die Maler der Romantik an, die in ihren Landschaftsgemälden ein idealisiertes Heimatbild schufen, das bis heute Geltung hat. Für die Deutschen seien es die Wälder, die als identitätsstiftende Landschaften fungieren. Diese germanischen Wälder, die schon den Truppen Hermanns im Kampf gegen die Römer Unterschlupf boten und die Fritz Lang für Die Nibelungen im Studio nachbauen ließ, da er mit dem Aussehen der tatsächlich vorhandenen Wälder unzufrieden war. Fotografische Arbeiten wie Peter Bialobrzeskis Heimat orientieren sich an der romantischen Tradition und adaptieren den Mythos des deutschen Walds für die Gegenwart. Selbst in Christoph Hochhäuslers Märchen-Variation à la Berliner Schule Milchwald steckt ein Stückchen Wald. Ohne Zweifel hat diese Selbstwahrnehmung der Deutschen auch die Fremdwahrnehmung des Landes beeinflusst. Der undurchdringliche deutsche Märchenwald ist zum beliebten Sujet von internationalen Großproduktionen geworden – von Terry Gilliams The Brothers Grimm bis zu rezenten Neuinterpretationen von klassischen Märchen wie Snow White and the Huntsman.

Heimat als Kultur und Sprache

Wie eben beschrieben werden Allgemeinplätze (ob sie nun landschaftlich sind oder nicht) durch Kunst vermittelt. Diese Kunstwerke sind Teil einer bestimmten Kultur, die ebenfalls als Heimat verstanden werden kann. Gerade im Falle Deutschlands, das aufgrund der späten Staatsgründung eine Sonderstellung einnimmt, sei das der Fall. Im Gegensatz zu anderen Nationalstaaten definiert sich die deutsche Identität weniger über territoriale Grenzen, sondern über Sprache und Kultur. Besonders deutlich wird das, wenn sich Vertriebene mit der Frage auseinandersetzen, ob an einem anderen Ort wieder so etwas wie Heimat entstehen kann. Bestes Beispiel hierfür ist der oben erwähnte Heinrich Heine, der sich erst im französischen Exil des Einflusses seiner Heimat auf sein Werk bewusst wurde. Dogramaci widmet sich zudem eingehend dem Fall Jean Améry, der nach seiner Flucht aus Österreich ohne Pass, Geld, Vergangenheit und Geschichte dastand und sich ebenfalls mit der Brüchigkeit von Identität und Heimat konfrontiert sah. Seine Identität ging nicht nur aufgrund seines Ortswechsels verloren, sondern vor allem durch den Verlust eines „Wir-Gefühls“, das unentbehrlich sei für die „Ich-Bildung“: „Heimat ist damit mehr als ein Herkunftsland, es ist im Verständnis von Améry eine Prägung durch Sprache, soziale und kulturelle Erfahrung“, und somit etwas, was durch den Kontakt mit anderen entsteht und darin begründet liegt (so wie auch Sprache, wie Wittgenstein gezeigt hat, immer schon eine gemeinschaftliche Komponente enthält). Erwähnenswert auch Amérys Konzeption des Passes, dem in erster Linie die Funktion zukommt „eine Geschichte über seinen Eigner“ zu erzählen, also den bisherigen Lebensweg des Passinhabers festzuhalten, sie ins Verhältnis zur restlichen Gesellschaft zu setzen und sich für ihre Authentizität zu verbürgen. Es zeigt sich, dass verschiedene Konzepte von Heimat miteinander in Konflikt stehen können. Jean Renoir hat diesen Konflikt in Form von La Grande Illusion zu Zelluloid gebracht, wo Pierre Fresnay als Capitaine de Boëldieu mit Jean Gabins Lieutenant Maréchal zwar die Staatszugehörigkeit teilt, ihn mit Erich von Stroheims Rittmeister von Rauffenstein jedoch ein gemeinsamer kultureller Hintergrund verbindet. Schlussendlich gilt Boëldieus Treue seinem Vaterland, doch der Film bezieht einen Großteil seines Konfliktstoffs aus der Ungewissheit, ob Boëldieu sich letzten Endes dem geteilten Gedankengut der intellektuellen Elite des Abendlands, oder einem abstrakten Nationalbegriff stärker verpflichtet fühlt.

Let Us Now Praise Famous Men von James Agee und Walker Evans

Let Us Now Praise Famous Men von James Agee und Walker Evans

Heimat als formale Kategorie

Unter bestimmten Voraussetzungen könne auch ein Nationalstaat als Heimat wahrgenommen werden und wie im Fall von Capitaine de Boëldieu kann er sogar die Zugehörigkeit zu einer kulturellen oder sozialen Klasse übertönen. Nach Jean Améry, sei der Nationalstaat unter anderem dafür zuständig dem Bürger eine Identität in Form eines Ausweises zuzuweisen. Tatsächlich seien es Vertriebene ohne Ausweisdokumente, die sinnbildlich für Heimatlosigkeit stehen. Im Film sind es die vermeintlich über alle Zweifel erhabenen Geheimagenten, die ihre Feinde zu Dutzenden über den Haufen schießen, die beständig ihre Identität wechseln müssen (James Bond, der ikonischste von ihnen, stellt die Ausnahme der Regel dar) und regelmäßig mit der damit verbundenen Verlorenheit des Seins hadern: Matt Damons Jason Bourne als Musterexemplar, der überhaupt auf der Jagd nach seiner ursprünglichen Existenz ist, und gar nicht mehr unabhängig seiner gefälschten Pässe existiert. Der Verlust des Passes komme für Dogramaci auf bürokratischer Ebene dem Verlust der Identität und aller Bürgerrechte gleich. Das zeigt, dass Heimat und Identität nicht zuletzt auch durch Fremdzuschreibungen gebildet werden. Heimat entstehe auch als Abgrenzung gegenüber einem „Anderen“/„Fremden“, nicht nur durch ein inneres Selbstverständnis, sondern auch durch Zuweisungen von außen. Durch die Abgrenzung gegenüber einem Außen identifiziere man sich automatisch mit einer Gruppen von Gleichen oder Ähnlichen. Diese Identifikation könne auf der Ebene einer gemeinsamen Sprache, gemeinsamer Traditionen und Bräuche oder dem Leben im gleichen Staat oder dem Besitz des gleichen Ausweisdokuments basieren.

Heimat als Miteinander

„Nationen basieren maßgeblich auf einem kollektiven historischen Bewusstsein, das retrospektiv formuliert ist und seinen Ausgangspunkt in der Gegenwart hat.“ Es sind also, in Dogramacis Fall, nicht zuletzt die Deutschen selbst, die ihre deutsche Heimat ausmachen (Edgar Reitz hatte wohl ähnliche Gedanken). René Burris Fotobuch Die Deutschen oder die Fotografien von Stefan Moses stehen dabei stellvertretend für fotografisch-anthropologische Bevölkerungsquerschnitte, die den Versuch unternehmen Heimat als Gruppe von Mitmenschen oder Mitbürgern zu begreifen. Sie versuchen eine kritische Masse an Menschen abzulichten, die in ihrer Querschnittsmenge so etwas wie die Essenz des Deutschen ausmachen. Ein ähnlicher Wunsch treibt höchst unterschiedliche Filmemacher an, die sich zum Ziel gesetzt haben, eine möglichst ungeschönte Form von Leben aufzuzeichnen. In Umfang und Form unterscheiden sich diese Versuche sehr stark. Sie reichen vom nationalen Prestigeprojekt der Up Series, dass der britische TV-Sender ITV seit nunmehr über fünfzig Jahren als Langzeitquerschnittsstudie fortführt, bis zu Pedro Costas Fontainhas-Trilogie, die mit bescheidenen Mitteln entstanden ist und in der er sich im Lissaboner Einwanderungsviertel Fontainhas der lokalen Bevölkerung annähert. Candida Höfer widmet sich in ihren Fotografien ebenfalls Familien mit Migrationshintergrund, unternimmt dabei, anders als Costa, nicht den Versuch sich ihrem Interessenssubjekt weitestgehend anzunähern, sondern behält einen Blick von außen. Höfer ist weder daran interessiert den „Durchschnittsdeutschen“ und seine autochthone Kultur zu zeigen, noch eine migrantische Parallelgesellschaft, sondern Konzeptionen und Möglichkeitsräume neuer Heimat zu schaffen, sowie zu zeigen wie sich Heimat in Abgrenzung zum Fremden konstituiert. Abermals haben wir es also mit verschiedenen Verfahrensweisen zu tun, dem Blick nach innen, der die Essenz der Heimat sucht, und einem Blick, der Fremdkörper in Kontrast zur bekannten Heimat setzt.

Heimat als Heim

Nicht zuletzt verbindet man mit Heimat auch eine spezifische Wohnstätte, ein Heim, das über die geographische Zuordnung eines Herkunftslands hinausgeht. Ein Blick in die Wohnzimmer eines Landes lässt verschiedene Künstler Einblicke in die Volksseele geben. Fotografische Streifzüge dieser Art können also ebenfalls eine bestimmte Auffassung von Heimat herausarbeiten. Tausendsassa James Agee hat zusammen mit dem Fotografen Walker Evans einen solchen Streifzug für ihr Buch Let Us Now Praise Famous Men unternommen und darin die amerikanischen Südstaaten porträtiert. Herlinde Koelbl versuchte ähnliches in Deutschland mit ihrem Fotobuch Das deutsche Wohnzimmer. Die Wohnung als Mikrokosmos lasse Schlüsse auf größere Fragestellungen zu. Form und Gestaltung des Heims seien geprägt von Wohnbaupolitik, von der Mode eines bestimmten Zeitgeists und von den Bewohnern, die durch die Ausgestaltung des Wohnraums tief in ihre Seele blicken lassen. Es werde deutlich, dass die vertraute Umgebung einer Wohnstätte, die Anordnung der Zimmer und des Hausrats ebenfalls ein Gefühl von Heimat vermitteln können. Ein Gefühl, wie es Manoel de Oliveiras Visita ou Memórias e Confissões vermittelt, in dem er sein eigenes Heim (das er aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben muss) durchstreift. Ulrich Seidl pervertierte dieses Gefühl mit seinem Hybrid-Bastard Im Keller. Darin interessiert er sich weniger für das repräsentative Wohnzimmer, in dem Besuch empfangen wird, sondern für die verborgenen Kellerräumlichkeiten, die sich der öffentlichen Preisgabe gemeinhin widersetzen. Seidls Inszenierung macht deutlich, dass diese Heime nicht unabhängig von ihren Besitzern existieren und ordnet die Bewohner in ihren Kellern als Teil des Einrichtungsverbunds an. Die klaustrophobe Dimension von Heim, wird in Chantal Akermans Jeanne Dielman, 23, Quai du Commerce, 1080 Bruxelles deutlich. Die spießbürgerliche Wohnung der Protagonistin Jeanne ist ein Gefängnis – halb selbstgewählt, halb durch gesellschaftliche Zwänge auferlegt – das die Bewohnerin überdeterminiert. Wer sein Heim und seine Heimat aber verlassen muss, der versuche laut Dogramaci notdürftig das wichtigste Hab und Gut in einem Koffer unterzubringen. Menschen mit Koffern seien ebenfalls Sinnbilder für Flucht und Vertreibung. Marcel Duchamp hat darauf 1941, bei seiner Abreise aus Frankreich, reagiert und im Boîte-en-Valise seine Schlüsselwerke in Miniaturform in einem Koffer untergebracht – ein Werksverzeichnis im Geiste des Zeitalters der Massenmigration.

Dogramacis Buch ist ein gelungenes Projekt. Wer letztgültige Antworten sucht, wird enttäuscht sein, doch wer mehr an Fragen interessiert ist und sich diverse neue Diskursfelder erschließen möchte, der ist mit Heimat. Eine künstlerische Spurensuche gut bedient. Dogramaci bietet eine Ausgangsbasis für weiterführende Überlegungen, die sich nicht in der der überschaubaren Zahl an Fallbeispielen erschöpft, die sie anführt, sondern Raum lässt für eigene Konzepte und Gedanken.

Youth Under The Influence (of Pedro Costa) – Part 1

How is it that we find cinema? This might be a rather big question, maybe too big for any satisfying evening among cinephile friends, maybe one of those existentialist questions that seduce us from time to time, to make it short: We can’t answer such a question and we won’t try to. Nevertheless there are moments when we clearly feel inspired. Such a moment sometimes occurs because of a memory, something we see in an image, a color or an actor, something we want know more about. It may also occur when we read about something we haven’t seen, we feel an urge to see, to know, to feel. Sometimes it is just the idea of something provoked by the name of a director, a title or a prize. And sometimes it is someone we talked to, someone whose opinion is valuable, someone we trust or someone in whose eyes we see the fascination, the struggle and joy we also want to have.

In June, during the Fontainhas-Retrospective at the Filmmuseum in Munich, Michael Guarneri and I had the chance to talk with Pedro Costa about cinema. Naturally we talked a lot about his cinema, but there were also occasions when Mr. Costa before or after a screening or while talking about his own work dropped names, mentioned films and filmmakers with a sudden blink of fever (almost invisible) in his eye and made us thirsty for more. It could happen that during a Q&A, while he talked about gangsters being the most sensitive characters in cinema, he just wandered in his thoughts, whispered “Nicholas Ray?”, looked calmly into the audience and went on after a few seconds. Later while we had a drink he would just face anyone and ask: “Have you seen Foolish Wives?”, in this case the answer was positive which made Mr. Costa smile in agreement. Additionally his whole confidence concerning his view on cinema must necessarily be seducing for young film-lovers, it sometimes feels like there is a secret in cinema, a secret people like Mr.Costa tell you with their blinks and nods, their smiles and adjournments.

 

Costa2

Mr. Costa at the Filmmuseum in Munich

Knowing what you like or dislike seems to be a religion in cinema circles. The ability to bring on a strong opinion sometimes seems more important than actually being able to talk about a film. Of course, such empty words are not what Mr. Costa is all about. He is very well able to tell you about the details and ideas behind certain filmmakers and their work which makes his attitude even more seducing.

A few weeks after meeting Mr. Costa, Michael and myself found that we were still under the spell having watched many films that Mr. Costa recommended or just mentioned, following his taste and discovering new plants in the garden of cinema. We then decided that – in order to deal with our experience and make it more profound – we should have a conversation about the films and filmmakers we discovered due to Mr. Costa. This way we could also check if the secrets of cinema are really secrets, if smiles were entitled and if the desire to see and find is matched by the actual experience of watching the films. Of course, our conversation which will be published in parts went into many directions and is therefore also a testimony of the certainties and uncertainties of different kinds of cinephilia.It might entirely fail as what it was supposed to be, but still, it is something we tried with honesty and passion.

Patrick: I just give it a start. First of all, I want to say that I don’t recall Mr. Costa mentioning any filmmaker I haven’t heard about at all, which kind of reassures me. But he created a sort of appetite in me for people like Jacques Tourneur, Erich von Stroheim, Ernst Lubitsch, João César Monteiro, the Straubs (naturally), Godard (naturally) and anything with Gary Cooper in it. I think the first film I saw at home after the retrospective was Canyon Passage by Tourneur. I expected a Western and somehow got a film that didn’t really want to be a Western, it wanted to escape to some other place, somewhere where it can just rest. I pretty much liked it, though it did not blow me away as other Tourneur films like I walked with a Zombie or Cat People did. Can you remember what your first Costa-inspired screening was, after we met?

 

Canyon Passage

Canyon Passage

Days of Glory

Days of Glory

 

Michael: I think it was Days of Glory by Tourneur, or, as Mr. Costa dubbed it, “Gregory Peck in the cellar”. At that time, I was finishing up this piece about Tourneur’s The Flame and the Arrow , and reflecting a lot about Tourneur’s role in the US propaganda machine before and after the end of WWII, so it was either anti-nazi Days of Glory or anti-communist The Fearmakers.

From Days of Glory I kept on exploring the anti-nazi genre with Lewis Milestone’s The North Star; whereas The Fearmakers led me to William Wellman’s The Iron Curtain and Robert Parrish’s Assignment: Paris. Suddenly, with the last four films I mentioned, a common denominator began to emerge: actor Dana Andrews playing an average guy – exhausted, trapped in planes, taxis, hotel rooms, prison cells, bureaus, offices, embassies, at the mercy of higher, hidden powers. Through the course of these four films we can really see him turning from idealistic war hero to a brainwashed, breathless, paranoid, insomniac war vet; a chain-smoking compulsive drinker tormented by splitting headaches. Canyon Passage might just be one of the few all-round hero roles in his career…

Patrick: I am not so sure about Dana Andrews being a hero in Canyon Passage. Well, there is a whole bunch of arguments speaking for it, of course, but something in his face aims to be the average guy you described. The way he sits on his horse, there is exhaustion in it, too. He always leans to the left or right, there are always wrinkles in his shirt. Furthermore, he is not really active in pursuing the two ladies of the film, oh, I think he very much would like to be an average guy there, just like Tourneur didn’t really want to make a Western like a Western.

In terms of anti-nazi films (I am hesitating calling it a genre because I am very much against taking ideology to arrange movies), I had only one experience in the wake of Mr. Costa’s recommendations: Man Hunt by Fritz Lang. Thinking about this film and the ones you mentioned, as well as some others I watched like Distant Drums or The Strawberry Blonde by Raoul Walsh, I recognize a certain tiredness and exhaustion everywhere… just like with Dana Andrews. In Man Hunt there is this middle part where the film doesn’t want to be paranoid anymore,there is always a flirt with those tormented headaches.

Michael: If you liked Man Hunt, you should try Ministry of Fear and Cloak and Dagger. In the latter, Gary Cooper is the lead. Anyway, what’s the reason behind your fascination with him?

 

Dana Andrews

Dana Andrews

Gary Cooper2

Gary Cooper

Patrick: I have seen Ministry of Fear and I like it. Will check out Cloak and Dagger as soon as possible, thanks for pointing it out. It would be too easy for me to talk about Gary Cooper’s exhaustion now, wouldn’t it? But just look at his tired face…

Distant Drums5

Colossal Youth8

It is something Mr. Costa mentioned when he compared Ventura to Cooper, the way he acts as himself and as something completely different while being there for the camera, for the other actors in the scene and for himself at the same time. There is sensuality in his acting that clearly comes from presenting itself as acting; it is like a Kiarostami and maybe also a film by Mr.Costa just with acting. The illusion comes when you know it is an illusion. But I think my fascination derives from his movement, his gestures. They way he beckons in Morocco by Von Sternberg, the way he marches in Distant Drums, the way he navigates his carriage in Friendly Persuasion and so on. It is different with Ventura for me though. I can understand why one can compare them but Ventura is something emerging from the shadows whereas Cooper is in broad limelight. They meet each other in the power Ventura shows despite the shadows and the shadows Cooper shows despite the fame. Something like that… Haven’t you had your Gary Cooper phase sometime? It somehow feels obsolete describing my fascination with him because after all, it is Gary Cooper…

Michael: No, I must confess that I have always felt very little attachment or sympathy to the big Hollywood stars, and to Hollywood cinema in general (except maybe for Bogart in High Sierra, for reasons I don’t want to disclose). In watching the films, I enjoy some of them, I like some of them… Of course, I am not immune to their power, or spell… They are made to be liked, aren’t they? Still there is always something very sneaky about them that troubles me, keeps me on my toes and even frightens me. A voice inside my head saying: “Woah, this is dangerous, they are trying to sell you something; watch out, don’t buy all the things they show and say”. So I never fall 100% in love with them. It must be because I come from a certain tradition of studies that sees Hollywood cinema as a sort of brainwashing machine at the service of an evil empire. Throughout the years, and thanks to wise people like Mr. Costa, Chris Fujiwara, Tag Gallagher, and so on, I have softened this approach, but I do not want to let it go completely. It is good to always be suspicious of the products of the cultural industry, I think.

Let’s take Night of the Hunter, for instance – a big influence on Costa’s O Sangue, and a personal favorite of many, many people. I watched it a couple of times in the past, and I rewatched it recently… Well, the movie is gorgeous, Mitchum is great as a deranged psycho and all that, but, man, all that Lillian Gish talking about children as little lambs who must abide and endure… it just pissed me off. I was like: fuck you, old lady! I guess I am more a “If the kids are united” kind of guy…

Patrick: I know exactly what you mean and I’m glad you have brought it up. First things first: Night of the Hunter. It’s a fragile one for me because my girlfriend loves it so fucking much (her way of whispering “Lillian Gish” when talking about this films resonates like an eternal echo in my ears)… but I’m more with you. I have seen it only one time and despite its obvious merits it left me cold. But it is certainly not a film I would like to bash, there are much, much worse. But I really don’t get the point of all those people mentioning how beautiful it is and so on. Yes, it looks great, but why don’t they talk more about Jean Vigo for instance? Is it childhood memories? Or is it because there is a certain romanticism about beautiful things appearing in the middle of this evil empire you are talking about? I don’t know. I know that it is not very simple.

With Mr. Costa I always had the feeling that it has to do with the craft. Hollywood after all means daily business, means going to work on a regular basis, it means living a life with certain restrictions, but still trying to build something personal or maybe poetic. And then you can start looking at some shots, some cuts, some gestures, and you will find them there with guys like Walsh or Lang. But you can also find them in a film by Jean Epstein or early Renoir (who Mr. Costa also loves, I think) and I always will prefer them because of the whole package, because of the testimony of their work as artists.Of course, a Hollywood film can also be art and an independent or European production can very much be part of the evil machine. As I said, it’s not so easy.

Last year we had this John Ford retrospective in Vienna. Mr. Costa was also there, he was talking a lot about it, I tried to watch as many films as possible and there were moments I really believed in Ford, in Ford as the peak of cinema… When I think of films like The Long Voyage Home or The Lost Patrol, I’m still shaking. But sometimes I found myself thinking of filmmakers like Bresson or Tarkovsky (to name the cliché) and I was thinking that I respect them more, the way they worked, the way they did not compromise with the machine, the way they don’t want to sell… Because after all you can always look at entertainment from two different angles. You can watch how they try to sell you something all the time, or you can look how sometimes a soul appears while selling you something. It’s the same with Ford and there is something in those films I always forget, it just slips through my mind. I think I want to forget it.

And while forgetting I am able to love certain things like an actor or a shot. It’s very naïve but I think this is what cinema is all about in the end. And there was a time in Hollywood when they were selling beautiful things. Gary Cooper is one of them because there is a soul visible sometimes… Maybe just in one shot, but then it is true. It is as true as it is in Dreyer or Dovzhenko. What do you refer to when you say “a certain tradition of studies”? I am always afraid of categorizing, I somehow have the feeling that cinema is wiser and richer than I will ever know. I feel that there are things in cinema beyond selling and not-selling, and therefore I would not speak of evil empires though I have a similar tendency as you. If cinephilia means loving cinema then sometimes you have to be blinded by love and if we hesitate here than it is maybe a problem of cinema, maybe we come from a generation where cinema has already betrayed us too often?

The Long voyage home

The Long Voyage Home

Stagecoach

Stagecoach

Cavalo Dinheiro

Cavalo Dinheiro

Michael: I don’t know about this betrayal business, I really have to think about it. Let’s come back to it later.

When I said “a certain tradition of studies”, I meant Adorno, Horkheimer, and all those who – to paraphrase Laura Mulvey – analyze pleasure or beauty in order to destroy it, so that beauty won’t blind us anymore. But we are not in a class, so let’s skip that. Here are two provocations.

First, you mentioned a girlfriend: aren’t cinephiles supposed not to have girlfriends?

And, secondly, you have the feeling that cinema is wiser and richer than you will ever know. In your view, who makes cinema wise and rich? Filmmakers or spectators? Most of the times, I have the feeling that, in order to make a very interesting movie, filmmakers just have to be vague or mysterious or “lazy” or ambiguous or contradictory enough so that spectators have the opportunity to make their own, custom-cut, “good film” in their heads. Take the ending of Stagecoach: ok, typical saccarine happy end from Hollywood, the couple of outcasts falls in love and they flee towards their new life; but wait a minute, they flee from the US, this rotten society ironically named “Lordsburg”… this doesn’t sound like a happy end at all! Choose one option, choose both, make up a third one, stay in the shadow of doubt, do as you please, please yourself as you please. Ford was not only a great storyteller but also a clever businessman… It is not by chance that they call it “narrative economy”!

Patrick: Then there was beloved president Nixon who said: I prefer Hollywood films.

I don’t know about your first provocation. The point is: I wouldn’t love cinema if I didn’t love that woman who knows so much more about it than me. And she knows a lot about the mysteries and vague things in cinema, a lot of things I wouldn’t understand otherwise. Mr.Costa spoke a lot about the Straubs… just to name an example (I don’t smoke as much…). And having four eyes helps a lot. Maybe she is writing to you now… it’s very mysterious.

Which leads me to your second provocation… I have some problems with it. First: Sharunas Bartas is also a clever businessman, so is Mr. Costa. The problem, I think, is not the selling, it is what they sell. They can sell me cinema as dirty as they like. As long as they don’t sell in order to sell. In my opinion cinema as an art form is beyond its makers and its spectators. I am very much opposed against intelligent people giving meaning or finding deep things everywhere. I know that one can do that, I have seen and read it but I often find it to be intellectual masturbation, worthless for anybody except the one who is masturbating and those who just like to watch (thinking of Giraudie now). There is a difference in filmmakers trying to be ambiguous and filmmakers finding an ambiguous truth. There are certain things cinema embraces and rejects and it is the task of viewers (critics, scientists and also filmmakers) to detect those aspects, to serve cinema, to use cinema, to play with cinema, to respect cinema. That might sound rather emotional but my point is that cinema just IS rich. Nobody needs to make it wise and rich. And this is also why in the first place it needs to be filmmakers that use this richness.

Is a good film for you something that is in accordance with your political believes only? Is it, to use Amos Vogel’s famous title, a subversive art?

Mes petites amoureuses

Mes petites amoureuses

Michael: Let’s say that, as an act of “intellectual honesty”, I try to like movies that are not right up my alley, and to dislike movies that are right up my alley. And, of course, I always fail. I guess I don’t really try that hard: too much pride and prejudice, not enough sense and sensibility.

I like a lot the expression “film as a subversive art” – this idea that cinema can take the world upside down. It is a wonderful mantra, it really gives me courage and strength when I think about it and repeat it in my head. But I cannot really think of a film that actually managed to subvert the status quo, right now. Can you?

Patrick: I think a single film didn’t, but maybe the idea of cinema as the only modern mystery like Breton said, had a few moments. What is your explanation for filmmakers like Mr. Costa, Godard or the Straubs liking a certain kind of Hollywood so much? I ask you because they seem to be right up your alley without having your dislike for the evil machine.

Michael: I think that, for Mr. Costa and the Straubs, it is like you said – the love for the craft, the production side, making ends meet, how can I do this with this much money. At least, this is how they rationalize it these days. But I suspect it also has to do with more mysterious things, like having seen these film at a young age, the dark theater, the giants on the screen, details in their personal biographies, and all the stuff you see in Mes petites amoureuses by Jean Eustache.

For Godard, I really don’t know. I read some of the things he wrote as a critic in the Cahiers, and I understood very little. But I don’t want to give you the impression that I reproach people who like films I don’t like. On the matter of taste, I agree with the Marquis: “Je respecte les goûts, les fantaisies: quelque baroques qu’elles soient, je les trouve toutes respectables, et parce qu’on n’en est pas le maître, et parce que la plus singulière, la plus bizarre de toutes, bien analysée, remonte toujours à un principe de délicatesse“.

Which might be a good starting point for discussing our cinematic guilty pleasures… Do you want to start?

TO BE CONTINUED

Der eingeschränkte Blick in Fontainhas

Die Idee, dass man etwas nicht filmen kann, wenn man es nicht ganz versteht oder besser die Frage, wie man etwas filmen kann, was man nicht ganz sieht oder noch besser, die Antwort auf die Frage, wie man das Limit der eigenen Wahrnehmung zu einem ästhetischen Prinzip erheben kann, steht im Zentrum von Pedro Costas Fontainhas-Trilogie, die ich in den vergangenen drei Tagen im Münchner Filmmuseum begleiten durfte. Es war meine erste Gelegenheit, diese Filme auf Film projiziert zu sehen. Ein Unterfangen, das sich natürlich absolut lohnt, sei es alleine deshalb, weil dieses absolute Sehen, das von Costa gefördert wird, dieses Sehen, das nicht auf das nächste Bild wartet, sondern das gegenwärtige Bild in seiner Gegenwärtigkeit begreift und somit erst zur Entfaltung in der Zeit gelangen lässt, von den Texturen filmischen Materials extrem profitiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Ausgangsmaterial Film ist wie im Fall von Ossos oder digital, wie im Fall von No Quarto da Vanda und Juventude em Marcha.

Die eingangs geschilderte Idee ist ein ästhetisches und ethisches Problem und Costa scheint sich diesem in seinen Antworten sowohl filmisch als auch intellektuell jederzeit bewusst. So versteht er Ossos als eine Annäherung an Menschen und Orte, die er zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte, noch nicht verstand. Hier agiert der Filmemacher als Außenstehender und dementsprechend oft sind es Türen und Fenster, die vor unserer Nase zugehen, die uns die Sicht versperren, manchmal ganz (wie bei Mizoguchi oder Haneke), manchmal halb. Innen und Außen oder in den Worten von Costa: „Secrets and Revelations“.

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In No Quarto da Vanda sind wir dann tatsächlich in Vanda’s Zimmer. Das bedeutet auch eine Einschränkung der Beweglichkeit, ein Ausgeliefertsein der Kamera an alles, was sich vor ihr bewegt. Keine Macht über die Figuren, sondern eine tatsächliche Nähe. Nun befinden wir uns oft in völliger Dunkelheit, weil die geschlossenen Türen und Fenster kein Licht mehr in die Barracken und vom Abriss bedrohten Wohnungen in Fontainhas lassen. In einer Art Montagesequenz wird Fenster um Fenster vor uns geschlossen. Wir bleiben innen. Es wird völlig dunkel im Kino. Still wird es dagegen nie, denn die Abrissgeräusche und das beständige Hämmern bedrohen die Türen und auch das Innen, das Intime, das Private, das Eigene. Und so beginnen schon in No Quarto da Vanda, die Türen ihre Funktion zu verlieren. In einer Szene wird eine Gartentür aus den Fugen gehoben und davongetragen. Es ist also nicht nur eine Frage der Positionierung von Filmemacher und Kamera, die hier an den Türen und ihren Schwellen hängt, sondern zur gleichen Zeit, wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen eine Frage für die Protagonisten selbst. Auf den Gipfel wird diese Bedeutung der Funktion von Türen dann in Juventude em Marcha getrieben. Eine fast Modern Times-artige Automatik, scheint hier die Türen heimzusuchen. So hören wir nicht nur auf der Tonebene ständig das Knarzen von Türen, sondern diese bewegen sich auch im Bild wie von alleine. Vor allem in einer Szene, mit dem von Costa als brechtianischen Verräter bezeichneten Wohnungsvermieter, zeigt sich dieses zum Teil absurde Eigenleben der Türen. Man kann also sagen, dass aus dem Außen, ein Innen wurde und aus dem Innen eine Fehlfunktion. Das Verschwinden der Türen, das Verschwinden von Innen und Außen ist auch ein Kommentar auf die Situation der Bewohner des ehemaligen Fontainhas. Aber darin verstecken sich auch die Mechanismen des Kinos. Der limitierte Blick, der sich im zeitgenössischen Kunstkino oft seiner Eingeschränktheit bewusst ist.

Colossal Youth4

Es gibt Gegenbeispiele wie Gaspar Noé, die voller Innbrunst das Gegenteil erklären, die ihre Kamera entfesseln und bei aller Faszination daran muss man doch früher oder später feststellen, dass man nicht alles sehen kann. Was man allerdings sehen sollte, ist die Essenz. Nur wenige Filmemacher gelangen zu ihr und Costa gehört sicherlich dazu. Und wie Cristi Puiu in seinem Aurora oder Robert Bresson in seinem L’argent gelangt Costa zur Essenz, indem er uns auch ständig zeigt, was wir nicht sehen können. Dabei handelt es sich nicht zwangsläufig um den Off-Screen, denn wenn eine Tür im Bild ist, ist sie ja strenggenommen im Bild. Und wenn man sich die Türen in Juventude em Marcha ansieht, dann wird man feststellen, dass Costas eigene Feststellung, dass die Türen in Filmen von Charlie Chaplin die schönsten Türen sind, ein Ansporn für ihn ist, den großen Meister zu übertreffen. Die Rahmung selbst wird das Bild und man spürt dadurch auf der einen Seite den Filmemacher, aber eben nicht auf dieser intellektuellen Meta-Ebene, sondern eher wie bei Chaplin: Im Vertrauen darauf, dass man sich in einem Film befindet, kann man diesen völlig vergessen, die Fiktion von Costa ist dokumentiert, die Illusion liegt in der Desillusion, es ist als würde jemand seine Unsicherheiten und seine Fehlbarkeit zu seiner großen Stärke erklären. Gefilmter Zweifel.

Dabei nutzt Costa vor allem Licht, das durch löchrige Türen dringt. Wieder heben sich Innen und Außen auf und wer sich mit der Funktionsweise einer Kamera beschäftigt hat, sieht plötzlich eine ganz neue Relation zwischen dem Kino und den Türen, schließlich ist es eine Tür, die den Eingang zur Kamera/dem Zimmer versperrt und diese Tür muss sich öffnen, damit wir etwas sehen. Sie darf sich aber nicht zu weit öffnen. Jeder Millimeter verändert das Kino. Und daher ist es so fatal, wenn die Türen ein Eigenleben bekommen, ein Eigenleben, das von einer Industrie verlangt wird, die auf Gleichheit und Glättung aus ist. Wie soll man noch interessante Bilder machen, wenn man keine Macht mehr über die Türen hat, wenn es gar keine Türen mehr gibt?

In Vandas Room4

Es geht natürlich auch um die Türschwellen auf denen sich sowohl Costa als auch Ventura immer wieder bewegen. Was ist diese Schwelle? Ein Übergang zwischen dem Innen und Außen, ein Zweifel, in dem der Mensch oft am hoffnungslosten und hoffnungsvollsten zugleich ist. Hier drücken sich sein Verlangen und seine Angst aus. Bei Costa zählt selten, wohin jemand geht oder woher er gekommen ist. Vielmehr geht es um den Augenblick des Schwellenzustands selbst, der sich wie in Cavalo Dinheiro oder Juventude em Marcha zwischen verschiedenen Zeiten abspielen kann oder wie in Ossos zwischen dem Filmemacher und den Figuren. In der Schwelle stehen, heißt auch, Respekt zu haben. Hier wird niemand überfallen oder den Blicken preisgegeben. Es ist eine vorsichtige Annäherung, deren Zärtlichkeit sowohl in der Vergangenheit, der Gegenwart (der Schwelle), und der Zukunft (dem Raum) liegt, es entstehen also Bilder, die in sich derart stark leben, weil sie Schwellenbilder sind. Sie oszillieren zwischen ihrer absoluten Präsenz im Kinoraum und den Blicken, die auf etwas anderes zielen. Bei Vanda ist dieser Blick oft nach vorne gerichtet, auf etwas außerhalb des Bildes. Sie wirft sich dafür regelrecht in Pose, dreht ihren Kopf und starrt mit wachsamen Augen ins Off. Bemerkenswert allerdings, dass sie am Ende von Juventude am Marcha einmal umdreht, sich umblickt und an einer verschlossenen Tür lauscht, eine verschlossene Schwelle, in der sich die Sorge und Hoffnung, also die Liebe von Vanda verbirgt. Sie überprüft, ob Ventura sich um ihre Tochter kümmert. Dann verschwindet sie hinter einer benachbarten Tür und ist bis heute nicht mehr zurückgekehrt ins Universum von Costa. Ventura dagegen blickt in die Ewigkeit und nach Innen, also nach hinten. In seinen Augen scheint die Vergangenheit immer genauso präsent zu sein, wie die Gegenwart. Vielleicht fangen die Türen auch deshalb an, sich in Venturas Gegenwarten wie von selbst zu bewegen. Sie schließen und öffnen Räume der Erinnerung. Und in dieser Hinsicht ist auch Ventura eine Tür für Costa, oder besser: Ventura ist 10000 Türen in einem Lavahaus. Costa kann diese Türen nicht kontrollieren, er kann nur warten bis sich eine öffnet und sich dann vorsichtig auf die Schwelle stellen und sehen was passiert. Es ist seine große Kunst, dass er nicht mehr macht, denn darin entfaltet sich erst die Sinnlichkeit, Poesie, Direktheit und Dringlichkeit seines Kinos.