Notiz zur Sprache (João César Monteiros)

Wer spricht wie aus Büchern, gehoben und archaisch, dem sagt man, mit der um sich greifenden Genugtuung jener, die sich kollektiv im Recht sehen, gern nach, weltfremd oder dekadent zu sein. Das Beispiel João César Monteiros, der sich um einen Ausdruck bemühte, der mehr an Luís de Camões erinnerte, als an die verstaubten Straßen, auf denen er drehte, beweist, dass dabei nichts gewonnen wird. Schließlich verändert Monteiro das Licht der Dinge, wenn er spricht.

Die sogenannte „schöne Sprache“ wurde längst vom Diktat des Massengeschmacks aus Literatur und Kino entfernt, dort wo sie noch aufblitzt, hängt sie wie ein verblassendes Gemälde in der Nische, für all jene, die daran noch Gefallen finden (alle anderen haben sicher besseres zu tun).

In Filmen, das sagte schon Maya Deren, dürfe ohnedies nicht schön gesprochen, geschweige denn gedichtet werden und man fragt sich, was diejenigen, die der Poesie der Sprache jene des Bildes gegenüberstellen, gewinnen und was andersherum verloren gehen würde, wenn man beides nebeneinander stellte, wie das etwa bei Manoel de Oliveira, Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, Marguerite Duras oder Chris Marker der Fall ist.

Der vielerorts verpönte Voice-Over, der mehr sein will als Information, der im Zwischenspiel von Sprache und Bild seine Bestimmung findet, ist so viel stiller als der aufgesetzte Lärm, mit dem das Kino uns seit Jahrzehnten Handlungen zeigt. Aber woher soll die Sprache auch kommen, wenn sich diejenigen, die ein Gefühl für sie haben, davor fürchten, dass sie nicht verstanden werden? Jenseits der wirklich guten Lektoren wird in impressionistischer Sekundenschnelle an ästhetischen Verfeinerungen gearbeitet, die gleich einer Asphaltwalze alles ebenerdig und teerduftend in der angenehmen Bedeutungslosigkeit versenken. Lieber lebensnah als wahr, lieber klar als kompliziert.

Sie alle haben Recht, denn anders werden sie nicht verstanden, egal ob sie ein wirkliches Bild machen oder einen wirklichen Satz sprechen, all das in den Augen und Ohren derer, die entscheiden: angestrengt, verkopft, prätentiös und abgehoben. Lieber also nur möglichst leicht verständlich das nachsagen, was erwartet wird und zufrieden sein, weil man dafür gestern wie heute das meiste Lob bekommt.

Oder schweigen.

American Dreams – Chris Marker

In 1959 Chris Marker was going to make a film about the United States of America. The title should have been: American Dreams. The film itself was never made, but in the book Kommentare 1 which collects the voice over texts to some of Marker’s films, the text for the film can be found.

Chris Marker. Kommentare 1 + Kommentare 2
Aus dem Französischen v. Erich Brinkmann u. Rike Felka

Bd. 1: Br., 176 Seiten, ca. 300 Abb., 28 EUR, ISBN 978-3-940048-21-9
Bd. 2: Br., 176 Seiten, ca. 300 Abb., 28 EUR, ISBN 978-3-940048-22-6

There are also some images collected that might have been in the film. Here are some of them: 

 

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

© William Klein © Chris Marker/Succession Christian Bouche-Villeneuve dit Chris Marker

 

(Alle Bilder veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung von BRINKMANN & BOSE, BERLIN)

 

 

 

 

So viel Marmor auf einem Haufen imponiert: Notizen aus dem Altmühltal von Hans Rolf Strobel und Heinrich Tichawsky

Man liest viel darüber, was es heißt, die Wirklichkeit zu provozieren. Man diskutiert sehr viel darüber, ob und wie Filme Menschen würdevoll zeigen. Man fragt sich, welche Strategien existieren, um eine Gesellschaft zu filmen, mit der man nicht einverstanden ist. Hans Rolf Strobel ist das, was wir heute einen Alt-Oberhausener nennen könnten, ein Vorreiter dokumentarischer Formen im deutschen Kino und vor allem ein radikaler Pionier des politischen Films. Er selbst bezeichnete sich einmal als „Partisan gegen den Film-Imperialismus“. Auch hat er 1951 die Filmzeitschrift „Korrespondenz für Filmkunst“ gegründet, für die unter anderem Lotte Eisner, Max Ophüls oder André Bazin schrieben. Mit Heinrich Tichawsky arbeitete er an vielen Filmen zusammen. Sowohl fürs Fernsehen als auch für das Kino. Alexander Kluge nannte die beiden deshalb „amphibische Filmemacher“.

Im Wasser und am Land ist man für gemeinhin auch im Altmühltal. Dort, im bayerischen Niemandsland eines betulichen Geotoursismus, ahnt man auch heute nichts von der zerstörten Welt. Das macht die Region für Viele attraktiv. Alles dort scheint sauber, rein, behütet und sanft. Welch ein Vergessen, wenn man den anklagend zynischen Notizen aus dem Altmühltal aus dem Jahr 1961 zu Gesicht bekommt. In diesem bewusst gegen die Tendenz zur romantischen Landschaftsbeschreibung im deutschen Film gedrehten Film, entsteht das böse Bild einer Verdrängungsgesellschaft und einer dörflichen Rückbesinnungslosigkeit. Selten sieht man bis heute einen Film, der einen derart angriffslustigen, verächtlichen Ton an den Tag legt und eine ganze Region vorführt. Aber ist es wirklich verächtlich oder, wie der Film selbst behauptet, nur realistisch?

Den Filmemachern kommt es ganz gelegen, dass die Stadt Pappenheim im Altmühltal liegt. Denn die Pappenheimer aus Schillers Drama „Wallensteins Tod“ passen irgendwie auch zur Frage bezüglich des Umgangs mit den Menschen, die der Film stellt. Denn im dritten Teil von Schillers Wallenstein-Trilogie drückt der Feldherr mit der Formulierung „Daran erkenn ich meine Pappenheimer“ seinen Respekt vor den Kürissern des Grafen von Pappenheim aus. Wiewohl heute die Redensart freilich abwertend gebraucht wird. Es sind eben die Pappenheimer, typisch für Deutschland, den Nationalsozialismus haben sie nie gekannt, ihr Rassismus ist alltäglich und romantisch ist das alles sowieso.

Man merkt, der beißende Ton des Films greift leicht über, man lässt sich anstecken von soviel Wut und Bitterkeit. Und auch wenn es zigfach schwerer scheint einen zumindest thematisch ähnlichen Film wie Ödenwaldstetten (Peter Nestler, 1972) zu realisieren, einen Film, der die Menschen respektiert und dennoch kritisch bleibt, so muss man doch sagen, dass das Auseinandergleiten von Bild und Ton in Notizen aus dem Altmühltal äußerst durchdacht und formal hinreißend ist. „Den Städten und Dörfern ist eines gemein. Sie haben eine große Vergangenheit, eine kleine Gegenwart und keine Zukunft.“. Eine ganz entscheidende Frage entzündet sich an an diesem Film. Sie hat mit dem zu tun, was wir vom Kino erwarten, was das Kino leisten soll. Seiner Zeit sorgten Strobel und Tichawsky für größeren Aufruhr. Die Filmbewertungsstelle vergab dem Film kein Prädikat, es kam zu Protesten für und gegen die Arbeit.

Die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit im Film hängt seit jeher an einer Auseinandersetzung mit den Modi, in dem Film der Wirklichkeit begegnet. Jeder neue Ansatz, der sich als „realistisch“ bezeichnet, hinterfragt auch das, was vorher als „realistisch“ galt. Es geht um ein Mehr-Sehen, Anderes-Sehen, Anders-Sehen. Eigentlich zeigt das ja nur, dass das Kino immer einen Teil der Wirklichkeit verdeckt. Notizen aus dem Altmühltal gibt das für sich selbst am Anfang ganz offen zu. Es ginge eben nicht um die schönen Seen und Burgen, die man sonst so sehe. Diese umfassende, wirklich faire Bild gibt es vielleicht nicht. Einen spannenden Ansatz dazu liefert Chris Marker in seinem Lettre de Sibérie als er ein und das selbe Bild von sowjetischen Straßenarbeitern mit drei verschiedenen Voice-Overs unterlegt, die hintereinander zum Bild zu hören sind. Es entsteht jeweils ein neuer Film, denn es gibt keinen Ausweg, man wertet und legt eine Sensibilität in jeden filmischen Ausdruck.

Doch selbst dieser erstaunliche Moment lässt hundert andere Möglichkeiten aus. Die Wirklichkeit hat mehr Facetten als man filmen kann. Aus diesem Grund ermüden zahlreiche Bild-Wiederholungen bei Sportevents oder Terroranschlägen mehr, als das sie neue Erkenntnisse vermitteln. Letztlich geht es immer um einen Hunger nach einer noch unentdeckten Wahrheit über das, was man sieht. Ein Bild ist in dieser Hinsicht nur dann bedeutend in seiner Relation zur Wirklichkeit, wenn es etwas zeigt, was vorher verborgen war. Es geht dabei nicht um investigative Aufdeckungen, sondern um ein sinnlich-kritisches Gehalt an einem Mehr-Sehen, Anderes-Sehen, Anders-Sehen.

In dieser Hinsicht überläuft Notizen aus dem Altmühltal beinahe, weil der Film sich in seinem Ton gezwungen fühlt, andauernd zu kritisieren, was man normalerweise sieht. Ein erstaunliches und wichtiges Werk ist er trotzdem, weil er aufzeigt wie brav das Kino heute meist ist.

Letters as Films/Films as Letters

Dear Garbiñe Ortega and Francisco Algarín Navarro,

(I am sorry for my English, it feels very hard to write a letter in a language that is not my own. Since I know English is also not your mother tongue I will nevertheless go for it, so we can meet on this huge island where we all think that we can understand each other.)

one of you I do not know personally, yet, after reading your publication Correspondencias. Cartas Como Películas my voice might seem strangely familiar to you. I can not write this letter as a stranger. Only letters having to do with money can be written as a stranger. Then we must keep a distance as if to make sure how important money is. The letters of filmmakers and people of the film world you collected and arranged beautifully in your book sometimes have to do with money. For example, Jacques Rivette writing to Henri Langlois or Joris Ivens to Jean Painlevé. However, they are not business letters in the strict sense of the word. They are incidents of reaching out and your book makes the point that this reaching out ultimately helps us readers to get closer.

You have to know that letters are very important to me. I didn’t want to read your book because I am interested in those little and great cinephile anecdotes that hide within those intimate offerings by filmmakers. Of course, I was fascinated by such exchanges and disappointments as between Marguerite Duras and Alain Resnais concerning first the shooting of Hiroshima, mon amour (Resnais: “I have been in Hiroshima“) and later his rejection of La Destruction capitale. Still this kind of information is just a byproduct for me, something to brag about next time I get into one of those cinephile get-togethers in which it is all about who can tell what story. For me letters have a different meaning and this is why I was so intrigued when I first heard about your book and also the retrospective you organised during the Punto de Vista Festival. It is this idea of films as letters and letters as films that I have been thinking about a lot recently. There are three aspects concerning letters I am particularly interested in.

The first one is the impossibility of a letter. It is related to a silence. The silence of the person addressed, a silence that is also a waiting for an answer. In a couple of letters published in your book I can find this silence. It occurs when a letter does not ask for an answer. Such is the case with the letter Gregory J. Markopolous writes to Stan Brakhage. It is a curious letter because Markopoulos seems to need a silent reader in order to collect his thoughts about his own film. Does it really matter it is Brakhage he writes to? I think so because he feels an understanding. Another obvious example would be Manoel De Oliveira’s letter to the deceased Serge Daney. Here the letter is a rather beautiful pretence to lay out a personal film theory. There will be no answer and he knows it while writing. The impossibility of a letter for me has to do with the paradox of a dialogue which does neither necessarily get nor always need an answer. It is an imagined conversation, a reaching out that contrary to modern day communication never knows if the addressed has read the message or not. It is more like an invitation to correspond, an opening or offering as you label it. I didn’t quite understand why you decided to divide the letters into different chapters (Offerings, In the Battlefield, Collaborations, Processes, Cinema and Life). I would think that almost all the letters are about all of this things. They try to begin this impossible dialogue. Sometimes it is about admiration (this can go very far, in the letter Raymonde Carasco writes to Duras I had the feeling she was even imitating her style, something we probably all do after reading one of her novels; here admiration becomes inspiration and imitation, it is a sharing that can also go wrong as with Carolee Schneemann’s letter to Yvonne Rainer. I find it very cruel but honest how Rainer does not respond to Schneemann’s feelings concerning her work. Another kind of imitation, more playful, can be found in the letter of Vanda Duarte and Pedro Costa to Danièle Huillet and Jean-Marie Straub. Here the imitation related to Robert Desnos’ letter that Costa adapted for his work), sometimes there is a real questions like when Peter Hutton writes to Warren Sonbert and wants to know about somebody he saw in Noblesse Oblige, sometimes it is a searching for soulmates, a way to overcome insecurities (I think about Orson Welles wanting to know if Robert Flaherty likes Citizen Kane), sometimes it is asking for help. Maybe Chris Marker’s statement in his letter to Alain Cuny helps us a bit to understand more. He writes: “Poets exists to offer a strength that is not inside us.“

Isn’t the silence after writing a letter like this poet? It only fits then that many of the letters are works of art in their own right. I am not sure if I can follow your perception that they are films but surely they are art. Maybe we can say that they are like the beginning of a film, like a shot without reverse shot, like a fade into a world we are allowed to discover. It is also no coincidence that many letters in your book announce a film to come. They are about the anxieties and fears that go into a film. I wonder how many letters can be found that announce films that will never come. How many films remain in this silence that is a letter.

The way you illustrated the book and also your choice of letters helps a lot to get an idea of the materialistic approaches to the art of the letter. You stress the work of assemblage, of montage that is of course a cinematic idea. As I had to read the English translations in the back of the book I most of the time lacked the possibility to read and see at the same time. Yet, sometimes I was able to discover more about certain letters in your book from the way they look (the handwriting, the color of paper which is also stressed in a letter from Sergei Eisenstein to Esfir Shub, the postcards used and so on) than from the writing. A core letter for your argument is maybe when Hollis Frampton writes to Brakhage about how to speak about a film with words. In this letter we may find the tension between letters and cinema, an impossibility that like good criticism lives in a gap that it always needs to overcome. I think your book looks beautiful. It may seem a bit peculiar but for me with letters it is as important to find them, have them rest on my table a while, to be a promise as it is to open and read them. Your book keeps that promise. Like with certain letters this beauty has nothing to do with perfectionism. Some of the pages give the impression of a rather hasty and sloppy work. Some names misspelled, letters missing in the overview and so on. This does not make it a worse book. It is just a reminder of what it means to sit down and write a letter. The time, the tiredness, the formality and the freedom.

The second aspect I think about concerning letters has to do with a practice of correspondence. Especially from today’s perspective writing a letter is an act of resistance. It would be so much easier to use any other mode of communication to bridge distances, to reach out. A letter demands more time, more thought. It also demands going to the post office, it demands deciding for a kind of paper, a postcard maybe, deciding for a pen or a typewriter. All these decisions say something or allow us to say something. Like analogue cinema today, it teaches something about what we lose. What I write to you now is not a letter. It is a bastard brother of a letter written on a computer. It is an imitation at best. After reading your book I felt like writing a real letter. I didn’t do it. Maybe it is laziness, maybe it is that I can not get out of my habits, maybe it is a hesitation, maybe this must be my last wrong letter. Yet, we must be careful as much as we must be careful with analogue cinema today. It would be dangerous to assume that the medium is already the message. Letters also carry with them the double-edged air of nostalgia. I am very glad that the letters you published are, like cinema, always in the present. I never have the feeling that they try to be conceived as romantic reminders of the thoughts that once we had. It also helps that you included very banal letters. Like a banal shot in a film they help to be reminded what is necessary and what could be too much. No matter in what medium writing takes place, I like to think that people sit at a table to do it. The silence I was writing about earlier can only be heard when one invests a bit of time. This is why the film critics in Cannes and comparable festivals often touch the ridiculous with their texts written sitting on the floor waiting for the next screening. But then maybe a review is not a letter. I think it should be, though.

The last aspect has to do with a personal crisis I faced about a year ago. It is related to the questions: Who do we write a text for? Who do we make a film for? I still have some problems imagining a reader or a viewer in the plural. As you might know I also make films. Sometimes in the middle of working on a film or text I wake up and wonder why I am doing it. Is it only for myself? It became apparent to me that I want to make a film or write a text in order to show or tell someone something. It is important for me that this someone is a specific person because depending on this person I choose what I show or tell. Lets suppose I make a film about the chocolate factory I live next to. It would be a completely different film/letter if I send it to my mother or you or the boss of the factory. In contrast to Jean-Luc Godard who writes so wonderfully to Philippe Garrel that he wants to see a film with his own eyes, I’d love to see films/the world through the eyes of others or even more in a kind of merging of gazes. I find it to be very strange that it is taken for granted that a film is for more than one person if a letter is not. I know about the social aspects of cinema, the importance of sharing and the self-satisfied insouciance related to it, yet, for me it proofed to be poisonous to care about more than one person while working on a film or certain texts. Your retrospective and your book gave me the courage to film a first letter. It is not addressed to you but maybe you can see it one day. Or another one will be addressed to you.

Jean Cocteau to Jean Marais: “Your last letter is wonderful. It gives me courage.“

The energy you spread for cinema is like the best letters an act of love that keeps us going. Thank you for that.

Yours,
Patrick

Postkarten aus dem Off: Chris Marker auf DocAlliance

Lettre de Sibérie von Chris Marker

Zum 50. Geburtstag der Viennale hat Chris Marker 2012 den Festival-Trailer gestaltet. Diese rund 100 Sekunden hat man als passionierter Viennale-Besucher sicher einige dutzend Male gesehen; zudem ist Kino (so der Name des Trailers) im Internet frei zugänglich, um ihn sich wieder und wieder ansehen. Das habe ich getan, als Einstieg für meine Beschäftigung mit Marker und es ist verblüffend, wie viele lose Enden und potentielle Anknüpfungspunkte in diesem kurzen Trailer stecken. Wenn man sich durch Markers Oeuvre bewegt (und darüber nachdenkt/schreibt), lohnt es sich immer wieder darauf zurückzukommen.

Kino ist zugleich ein kleiner, persönlicher Rundgang durch die Filmgeschichte, eine mediale Spielerei, eine Übung in Non-Konformität, eine Karikatur und eine politische Attacke. Marker begibt sich auf die Suche nach dem idealen Zuschauer und findet Mitstreiter in Georges Méliès, D.W. Griffith, Orson Welles und Jean-Luc Godard. Recht krude animierte Bildcollagen zeichnen die Entwicklung der Kinotechnik und der Rezeptionsweise von Filmen nach. Am Ende findet Marker (und das Kino) seinen perfekten Zuseher in Osama Bin Laden, der auf einem Fernseher Tom & Jerry-Cartoons schaut. Eine einigermaßen irritierende Abhandlung der Filmgeschichte findet ihren Abschluss in einer etwas platten Spitze gegen den amerikanischen Imperialismus.

Kino ist

Ich kann nicht so recht festmachen weshalb, aber immer wieder zieht es mich zu diesem Trailer zurück, wenn ich über Marker nachdenke. Vielleicht, weil Kino ein geradezu exemplarisches Werk in Markers Filmographie ist, genauer in einer Reihe von kleineren Arbeiten, die ich liebevoll als Kleinode bezeichnen würde. Mal irritieren sie, mal faszinieren sie, mal können sie einen nicht so recht überzeugen, aber auf jeden Fall füllen sie den filmischen Kosmos Markers mit Leben. Es sind kleine Eindrücke der Welt, die Marker sammelt (in dieser Hinsicht ist er seiner Freundin Agnès Varda nicht unähnlich): der angeschwemmte Müll in der kalifornischen Bay Area in Junkopia, die Vision der Gewerkschaft der Zukunft in 2084, die eigenwillige Konfrontation von politischem Protest und Katzengraffitis in Chats perchés; man könnte diese Liste noch weiter fortsetzen, wenn man tiefer in diese Filmographie eintaucht.

Diese kleineren Werke, oft nur wenige Minuten lang dienen als Brücken, als Staffage zwischen den großen Antipoden politischen Filmemachens, die Marker einen vorderen Rang im Pantheon des Autorenkinos eingebracht haben. Manchmal scheint es mir, dass diese kleinen Übergangswerke, dieses filmische Füllmaterial eine Art Schlüssel darstellt, um den roten Faden in Markers Gesamtwerk zu erkennen. Während er in seinem (je nach Version) zweieinhalb- oder dreistündigen Film Le joli mai ein Stimmungsbild von Paris (und eigentlich von ganz Frankreich) im Mai 1962 zeichnen will, oder im (je nach Version) drei- oder vierstündigen Le fond de l’air est rouge eine ganzheitliche Erklärung der Linken Internationalen im Sinn hat, oder in seiner Fernsehserie L’Héritage de la chouette nichts weniger als die Aufarbeitung der gesamten Aufarbeitung der abendländischen Philosophiegeschichte anstrebt, sind seine kürzeren Werke kleinteiliger organisiert. Es sind kleinere Episoden, Fundstücke der Reisebewegungen, die Marker für seine Filme rund um die Welt geführt haben, oftmals in humorvollem Ton erzählt und mit allerlei Absurditäten versetzt.

Dimanche à Pékin von Chris Marker

Dimanche à Pékin von Chris Marker

Gruß aus Sibirien

Markers Filme anzusehen, fühlt sich ein wenig an, wie mit ihm auf Reisen zu gehen. Diese Reisen führen direkt vor die Haustüre (Le joli mai), in fremde Länder (Dimanche à Pékin) oder durch die Zeit (La jetée). Die Online-Retrospektive zu Chris Marker von DocAlliance bietet im Moment Gelegenheit eine solche Reise zu starten.

Ein möglicher Ausgangspunkt dafür ist Lettre de Sibérie, ein filmischer Reisebericht aus dem sowjetischen Sibirien. Es beginnt mit Landschaftsaufnahmen der eisigen Weiten, dazu meldet sich eine Stimme aus dem Off zu Wort. Was zunächst eine trockene ethnografische Studie erwarten lässt, kippt schon bald in ein absurdes Kuriositätenkabinett. Marker schildert die aussichtslosen Versuche der zivilisatorischen Expansion der Sowjets in die unwirtliche Natur. Mit ironischem Ton erzählt der Film vom müßigen Ankämpfen gegen die klimatischen Bedingungen und zeigt die charmant-schrulligen Auswüchse des sibirischen Frontier-Lebens: ein zahmer Bär wird an der Leine durch die Stadt geführt; Nomadenstämmen werden feste Wohnorte zugeordnet, an denen sie sich jahrelang nicht blicken lassen; dem Rentier, Alleskönner der subpolaren Zone, werden Loblieder gesungen.

Marker bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen einer genuinen Faszination für das Exotische und paternalistischem Belächeln, zwischen Sympathie für kommunistische Ideen und der Erkenntnis, dass sie nur schleppend umgesetzt werden, zwischen sorgfältig recherchierter Reportage und satirischer Ethnografen-Parodie. Obwohl die Bilder und der Kommentar von einer Zuneigung für diese Orte und die Menschen zeugen, bleibt der Film nicht kritiklos. Obwohl diese Kritik oft in komödiantischer Form vorgebracht wird, ist sie nicht frei von politischer Bissigkeit. Das gibt dem Film eine Ambivalenz, die weit über oberflächliche politische Satire hinausgeht, da letztendlich immer der Respekt für das Sujet spürbar bleibt und der Film seine eigene manipulative Kraft selbst zum Thema macht: in einer berühmten Sequenz wird die gleiche Sequenz dreimal mit unterschiedlichen Kommentaren wiederholt.

Man könnte sagen, Markers Reisefilme wie Lettre de Sibérie, Dimanche à Pékin oder Description d’un combat gipfeln in Sans soleil, wo nicht mehr die Reise zum Film wird, sondern der Film die Reise ist, eine physische Reise rund um den Erdball und zugleich eine gedankliche Reise durch die Ideenwelt von Chris Marker.

Das Spiel, ein Leben

Weniger buchstäblich ist „Reise“ in Level Five zu verstehen. In einem Dialog zwischen der Protagonistin Laura (Catherine Belkhodja) und Markers Voice-over-Kommentar wird die Schlacht von Okinawa aus dem Zweiten Weltkrieg aufgearbeitet. Der Film folgt dabei lose der Dramaturgie des imaginären Videospiels, an dem Laura arbeitet. Das Spiel muss unvollendet bleiben, weil der Computer, die Rechenmaschine, das ultimativ Rationale keinen Eingriff in die Geschichte zulässt. Die amerikanischen und japanischen Truppen lassen sich nicht einfach hin- und herschieben, der Verlauf der Geschichte darf nicht verändert werden.

Die Vorgehensweise des Films präzise zu beschreiben fällt schwer. Denn die Spiele-Metapher kreuzt sich mit Archivaufnahmen, kruden Animationen, Interviews und reportageartigen Bildern des Okinawa von heute. Das Spielemenü dient schließlich nur mehr als Kapitelmarke, als Skelett, an dem sich die verschiedenen audiovisuellen Materialien festklammern. Level Five hat vieles, was den meisten Arbeiten aus dem Bereich der artistic research fehlt: der Film ist eine Aufforderung an sein Publikum die Materialien mental selbst zu montieren, gibt aber zugleich unterschiedliche Interpretationsvorschläge. Im Zwiegespräch von Markers Kommentar und Lauras Monologen entsteht daraus eine selbstreflektierte Kritik am eigenen Material. Level Five vermittelt ohne zu schulmeistern, konfrontiert Bilder mit Bildern, Töne mit Tönen und Bilder mit Tönen, initiiert ein Versteckspiel der Bedeutung, so wie Markers gesamte Karriere ein Versteckspiel (hinter Katzen und Eulen) ist.

Das Stativ von Jean Rouch treibt noch immer irgendwo im Niger

Ausgestattet mit einem gewissen Durst nach den großen Abenteuern und Legenden des Kinos, nach den Mythen, die alle in dicken Wälzern erklärt werden und von der Leinwand selbst strahlen, machen wir uns mit einer kleinen Gruppe an Enthusiasten auf nach Guinea, um das Stativ von Jean Rouch zu finden. Dort entspringt der Niger in der Region Faranah. Rouch hatte einmal gesagt, dass es ihm dort hineingefallen wäre. Eine aus unserer Gruppe bemerkt, dass sie das alles an La última vez que vi Macao von João Pedro Rodrigues and João Rui Guerra da Mata erinnerte und ja, es ist schwer zu leugnen, denn die beiden Filmemacher fragen sich auch, wo ein Tuch treibt, das Jane Russell in Von Sternbergs/Howard Hughes’ Macao ins Meer fallen ließ. Nur ein Fluss ist kein Meer und so hielt ich unsere Chancen das Stativ zu finden doch für deutlich realistischer. Außerdem sind die beiden portugiesischen Abenteurer (von denen zumindest einer kürzlich ganz ähnlich unseres Vorhabens nach Vögeln spähte während er in einem Fluss trieb) einer Fiktion gefolgt, während wir einer fast dokumentarischen Selbstmystifizierung des Filmemachers folgten, der wie kaum ein zweiter zwischen dem Dokumentarischen und Fiktionalen oszillierte.

Seine Aussage mit dem Stativ ist vorstellbar. Darum geht es schließlich, wenn man sich auf eine Reise begibt. Etwas muss man sich vorstellen können. Dasselbe gilt auch fürs Kino, wobei sich dort die Imagination dessen, was man sehen wird nach einer gewissen Zeit und Anzahl an gesehenen Filmen leicht in eine Abgeklärtheit verwandeln kann. Man glaubt zu wissen, was da kommt, man will es nicht mehr sehen. Anders ist auch nicht dieses bizarre Getue mit Spoilern erklärbar. Wie Kelly Reichardt einmal richtig bemerkte, könne man einem alles über einen Film erzählen, man hätte ihn trotzdem nicht gesehen.

Il pianeta azzurro

Brüssel

Bevor wir mit unserer Gruppe aus Enthusiasten, deren Enthusiasmus hier und da im Stress einer Reise zu verschwinden drohte nach Guinea flogen, stoppten wir in der von Soldaten belagerten europäischen Hauptstadt Brüssel zu einem Screeningabend mit Franco Piavoli, der durchaus ähnlichen Prinzipien wie Rouch folgt, wenn auch mit einer deutlich poetischeren und weniger ethnographischen Ader. Wir sahen einige seiner Kurzfilme, die scheinbar von Youtube heruntergeladen wurden, um ins Kino gebracht zu werden und dann auf 35mm seinen Il pianeta azzurro, für dessen in der Mehrzahl an National Geographic erinnernde Bildsprache ein Stativ unabdingbar war. Der Film, so ein Freund unserer Gruppe, wäre interessant, vor allem der zweite in der Nacht der Welt angesiedelte Teil, in dem das Blau des Titels zur Grundstimmung wird. Allerdings betone der Filmemacher die Zusammengehörigkeit von Natur und Mensch ein wenig zu sehr, er argumentiere zu deutlich in seinen eigentlich beobachtenden Bildern.

Rouch hatte diese Diskrepanz zwischen Erklärung und Beobachtung oft zwischen Bild und Sprache angelegt. So entsteht gerade durch das Fehlen eines Stativs in Les maîtres fous eine spontane Direktheit, deren hektischer Blick nie erklären könnte und die der Erzählstimme Erklärungen überlässt, welche oftmals mehr Fragen als Antworten beinhalten. Jedenfalls war Piavoli in Brüssel nicht aufgehalten worden von den patrouillierenden Soldaten und so war er anwesend beim Screening. Vor den Filmen erzählte er diese nach. Der Kurator, ein nervöser Mann mit Hipsterbart und Zetteln in der Hand, der niemals auf die Idee kommen würde, nach dem Stativ von Jean Rouch zu suchen, unterbrach den Filmemacher mehrfach mit Gesten und verbal. Zu dieser Respektlosigkeit veranlasste ihn, dass Piavoli seiner Meinung nach seine Filme vorwegnehmen würde. Piavoli entgegnete richtig, dass sich die Zuseher niemals vorstellen könnten, wie es dann im Film aussehen würde. Es gibt diese Diskrepanz zwischen dem was man sieht und dem, was man darüber sagen kann, zumal in der Erinnerung. In dieser Lücke besteht weniger das Kino selbst, als das, was es mit uns tun kann.

Jean Rouch

Wir kamen schon ziemlich müde in Siguiri an. Eigentlich wollten wir an einer Goldmine stoppen, aber dann erinnerten wir uns an die schwarzen Tulpen am Ufer des Nigers. Sie hängen zusammen mit Madame l’eau, in dem Rouch den Traum einiger afrikanischen Freunde verfolgt, die Windmühlen zum Niger bringen wollten: “I had started to make a film about the drought. I had no solution. I was just filming Damouré, and people migrating to the south to farm millet because there was no rain here. The title of the film is awful, Madame l’eau. Philo noticed that Damouré’s rice lands were a similar mixture of sand and clay to that the Dutch use to farm tulips. I thought it would be wonderful, as a challenge to development and the drought, to farm tulips on the Niger’s banks, and to invent a new type: the black tulip from Niger. This is so crazy because the tulip is totally unnecessary. That’s the dream: we will shoot dream sequences of black tulips on the banks of the Niger.“

Idealisten

Rouch hatte ein Problem mit Chris Marker. Dieser wäre ein Idealist, er würde glauben, die Welt verändern zu können. Wir in unserer Gruppe aus Enthusiasten fühlen uns näher zu Rouch. Das liegt vielleicht daran, dass wir auf diese Reisen gehen, weil wir glauben, dass die Welt uns verändern wird, nicht wir die Welt. Wir haben keine Kamera dabei und eigentlich schäme ich mich ein wenig, dass ich diese Gedanken und Erlebnisse hier niederschreibe. So geht es mir nach jedem Film. Betrügt man nicht ein wenig die Kraft und Unschuld des Sehens mit den Worten, die man sucht, findet? Die Lücke, die beschreibt, was das Kino mit uns tun kann, muss sie beschrieben werden? Vor allem: Muss es immer eine schnelle Reaktion sein, eine Bewertung, eine Einordnung?

Nun ist es schon interessant: Da filmt ein Filmemacher, der sein Stativ im Niger verloren hat am Niger Menschen. Es sagt viel aus über Jean Rouch, dass er die Menschen gefilmt hat statt sein Stativ zu suchen. Ich frage mich, als wir uns doch zu einer dieser Goldminen bewegen, aus Neugier und Gier, ob er auch bei den Menschen geblieben wäre, wenn seine Kamera in den Niger gefallen wäre. Das Züchten schwarzer Tulpen am Ufer ist vielleicht als Kinotraum schöner als in dem, was man Realität nennt. Warum, fragt ein schon sehr erschöpfter Enthusiast mit Schweiß auf der Stirn und mit vor Müdigkeit weit aufgerissenen Augen, wäre das einzige Bild, das er von den Goldminen in Afrika hätte, jenes von Leonardo DiCaprio in Blood Diamond? Es entflammt eine hitzige Diskussion in der Gruppe über das, was man ein kulturelles Gedächtnis nennt, über die Art und Weise, in der sich Bilder einprägen, welche Bilder eine Chance bekommen, sich einzuprägen und welche gewissermaßen im Niger ertrinken. Warum kennen wir keine afrikanischen Bilder vom Niger? Als wir schon in unseren Zelten unter den Sternen lagen, fiel der Name René Caillié. Er war der erste Europäer, der lebend aus Timbuktu zurückkehrte und davon berichtete. In seinem Schreiben, das einige von uns in deutscher Übersetzung gelesen haben, vermischt sich fast spielerisch die Neugier, der staunende Blick mit einer verstörenden kolonialistischen Rhetorik. Caillié wurde mit viel Anerkennung und Geld überschüttet in Frankreich. Mit 38 Jahren verstarb er nach anhaltenden Krankheiten. Sein Monument steht heute noch in Kouroussa. Dort würden wir am nächsten Tag hinreißen. Meine Augen schließen sich langsam, ich höre noch wie jemand sagt, dass das Stativ mit Sicherheit gefunden und verkauft worden wäre, im Niger würde alles verkauft werden. Dann träume ich von schwarzen Tulpen.

Es sollte mehr Filme geben, die der Dramaturgie von Flüssen folgen. Die Donau rauf von Peter Nestler, der sehr verwandt mit Rouch scheint, ist zu kurz, sollte mehr haben, sollte mehr Geld bekommen haben, um länger mit dem Fluss zu sein. Er findet Geschichten entlang des mächtigen Flusses und filmt diesen wie eine Person. Man denkt an das wundervolle Buch Donau: Biographie eines Flusses von Claudio Magris. Die Reise entlang eines Lebewesens, eines Naturphänomens, einer geographischen Gegebenheit als Anlass und prägendes Element einer Erzählung. Man denkt an Peter Huttons Study of a River. Es ginge nicht unbedingt nur darum, dass Filme einen Fluss filmen, sondern auch darum, dass sie sich dramaturgisch an Flüsse annäherten. Mein Lieblingsgenre, denke ich ganz bei mir, wäre das Binnendelta. Das langsame Versickern, Trennen, Sammeln an einer Tür zwischen Land und Wasser. Der Niger bildet ein solches Delta in Mali. Massina heißt die Region, totes Delta. Dort wäre das Stativ mit Sicherheit nicht durchgekommen.

Study of a River

Bell & Howell

Leider ist uns völlig unklar, wo genau Rouch sein Stativ verloren hat. 1941 ging er mit zwei Freunden nach Niger, um dort in den französischen Kolonien zu arbeiten. Er traf dort auf Menschen, Kulturen, die sein Filmemachen maßgeblich prägten. Er schrieb einmal von der Möglichkeit die Abenteuer eines anderen im eigenen Körper zu erleben. Aus diesem Grund, so formulierte er später, würde er auch auf das Stativ verzichten. Cine-Trance nannte er das Vorgehen des Verschwindens des Filmemachers im Körper von jenen, die er betrachtete. Nach einigem Ärger mit Vorgesetzten kehrte Rouch 1946 mit Jean Sauvy und Pierry Ponty zurück nach Afrika. Sie paddelten in einem Kanu flussabwärts und begleiteten eine Nilpferdjagd. Unter dem Pseudonym Jean Pierjean, eine Mischung ihrer drei Namen, schickten sie Artikel darüber nach Frankreich und filmten mit einer 16mm Bell & Howell. Es war hier, das Rouch sein Stativ in der Strömung verlor. Er filmte weiter, es entstand der Film Au pays des mages noirs.

And they came to the river
And they came from the road
And he wanted the sun
Just to call his own
And they walked on the dirt
And they walked from the road
‚Til they came to the river
‚Til they came up close

Der Film beginnt mit bedrohlicher Musik, betont werden die Abenteurer, die es in ein fremdes Gebiet zieht. Die ersten Bilder sind von einem Stativ geschossen. Dramatisch wird von der Gefahr und dem Ungewissen im „vorgeschichtlichen“ Afrika erzählt, während wir Bilder von gefährlichen und großen Tieren sehen. Rouch hatte keine Kontrolle über den schnitt und auch nicht über die Erzählstimme. Er sagte einmal abwertend, dass der Voice-Over wie ein Reporter bei der Tour de France klingen würde. Zwischen Gao und Niamey wäre der Film angesiedelt. Wir sind also auf dem richtigen Weg, Rouch hat sein Stativ nach dem Binnendelta verloren. Sie mögen sich vielleicht fragen, warum wir nicht gleich dort hingereist sind. So ganz genau und zu aller Zufriedenheit können wir diese Frage nicht beantworten, vielleicht aber sind Sie mit den Machenschaften des Kinoapparats vertraut und sich durchaus bewusst, dass ein Fluss prinzipiell in alle Richtungen fließen kann. In einem Land der schwarzen Tulpen hielten wir es für nicht ausgeschlossen, dass das Stativ flussaufwärts trieb, vielleicht auch im Maul eines Nilpferds davongetragen wurde.

Es regnete als wir Au pays des mages noirs wieder sahen und uns bewusst wurde, dass unsere Fantasie uns womöglich einen Streich gespielt hatte. Doch „Fantasy“ ist auch der Titel von Tag Gallaghers herausragender Rossellini-Biographie The Adventures of Roberto Rossellini und nicht nur deshalb wissen wir, dass großes Kino immer mit Fantasie beginnt.

“I had lost my tripod early on in some rapids and didn’t know how to shoot so as to be able to edit the footage later. We stopped one day just south of the Mali/Niger border, in Ayorou, which I knew pretty well, as I had been there as an engineer. I asked them to build a canoe and to hunt hippopotamuses from it—we returned and filmed them. We crossed into Nigeria, going through the rapids where Mungo Park was killed, and by the time we reached the sea, we were thoroughly exasperated with each other. From there, we returned to Paris in a military plane.“

Schwarze Magie

Dann filmt Rouch ein Dorf. So ganz ist nicht erkennbar, ob er dabei noch im Besitz eines Stativs war oder nicht. Es gibt zwar Schwenks, aber sie sind schlampig genug, um aus der Hand gemacht worden zu sein. Doch es folgen einige statische Bilder von der Arbeit am Fluss und wir sind uns sicher, dass er hier sein Stativ nicht verloren hat. Waffen werden gebaut, Waffen um Nilpferde zu töten. Der Ton des Films erinnert an Robert Flaherty. Ein Filmemacher von dem es unglaubliche viele Bilder mit einem Stativ gibt. Meist steht er damit an unmöglichen Orten. Diese Bilder erinnern an Van Gogh. Jemand geht in die Landschaft und stellt sich hin. Jemand macht ein Bild. Rouch hat einmal geschrieben: “Perhaps it was due to such simplicity and naïveté that these pioneers discovered the essential questions that we still ask ourselves today: Must one “stage” reality (the staging of “real life”) as did Flaherty, or should one, like Vertov, film “without awareness” (“seizing improvised life”)?“

Bei Rouch wirkt vieles, auch aufgrund technischer Entwicklungen spontaner, weniger kontrolliert. Er schneidet auch viel. Nach einem Opferritual bewegen sich die Jäger und Fischer aufs Wasser. Rouch fährt mit ihnen. Es folgen unglaubliche Bilder der Jagd auf ein Nilpferd, die wieder an Flaherty erinnern. Die selbst gemachten Harpunen fliegen durch die Luft, die Waden der Ruderer, Körper, die im Schilf zu schweben scheinen. Sie töten das Tier, das mehr einer abstrakten Masse durchbohrt mit geschnitzten Waffen gleicht. Die Bilder wirken noch immer statisch, vor allem wenn man bedenkt, dass Rouch auf einem Kanu sitzt. Im Anschluss filmt Rouch das Schlachtungsritual, lächelnde Gesichter. Rouch hat einmal gesagt, dass es nichts gäbe, was man nicht auch ohne Stativ filmen könne. Das erinnert an Cristi Puiu, der sich gerne damit brüstet, die Handkamera ins rumänische Kino gebracht zu haben. Allerdings habe er sein Stativ nicht im Niger verloren, sondern schlicht nicht genug Geld dafür.

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Irgendwie beschleicht mich beim Sehen das merkwürdige Gefühl, dass es für dieses Filmemachen von Rouch fast egal ist, ob er sein Stativ nun verloren hat oder nicht. Einer aus unserer Gruppe, er hat fast schon aufgegeben mit dem Kino, sagte mir einmal auf unserer Reise, dass es bei Dokumentationen sowieso nur um Zugang ginge. Mit Zugang meinte er, dass es letztlich darum ginge, was man filmte, nicht wie man es filmte. Ein sehr verkürzter Gedanke, wie ich finde, auch wenn ich die Grundneugier von Festivals bezüglich Filmemachern, die vom Ende der Welt zurückkehren, manchmal wie René Caillié, nicht leugnen kann. Es ist auch romantisch, wenn man an diese einsamen Filmemacher denkt, die reisen und reisen und uns Bilder mitbringen. Vielleicht sind wir deshalb auch aufgebrochen, um das Stativ von Jean Rouch zu suchen. Der Film wurde in Frankreich übrigens auf 35mm aufgeblasen zusammen mit Rossellinis Stromboli gezeigt. Später veröffentlichte Rouch einen Reisebericht, ein Ausschnitt aus The Mad Fox and the Pale Master:

„But there was still this majestic and beautiful Niger River, at the same time terrifying with its crocodiles and welcoming with all its freshness. Slowly, and with a great deal of reticence, I learned how to swim there, to navigate a canoe, and to avoid the mud banks and the cutting oysters, or the terrible steel hook fishing lines of the mamari “thieves.” Damouré Zika, one of the very young employees of the public works, was my initiator, and we traded knowledge: he was a Sorko fisherman, a master of the river, but I was a better swimmer than he.

So little by little, I became more distant from the European community, sharing my work and play with my first African friends. In fact I didn’t understand anything: you couldn’t swim over there because of a karey kyi, a “man-eating crocodile,” yet here, less than fifty meters away, you could dive in complete safety. At night you could go down to the Comacico cinema on a bicycle with a swinging lamp that hooked onto the handlebars. But you had to come back by the main road of the Bureau of Domaines (whose official buildings housed managing offices for public institutions and state properties), to avoid the “soul-eating sorcerers.”“

Was haben wir also zu erzählen, die nach einem Stativ eines Filmemachers suchen statt uns wirklich umzusehen? Unsere Gruppe aus Enthusiasten, so schien es mir plötzlich, war mehr auf der Flucht vor dem Sehen, als etwas zu suchen. Wir wurden müde von uns selbst. Es scheint sehr einfach sich für das verlorene Stativ von Jean Rouch zu begeistern. Der eingangs erwähnte Durst nach den großen Abenteuern verliert sich zu leicht in der Begeisterung für selbige. Nicht die Tat wird dann entscheidend, sondern der Held. Nun könnte man sagen, dass wir uns ja auf eine ähnliche Reise gemacht haben, so etwas gab es schon öfter in der Filmgeschichte, man denke an Innisfree von José Luis Guerín, also die Idee, dass man an einen bereits vom Kino bewohnten Ort blickt und dort auch hinter das, was man aus dem Kino kennt schaut. Nur tun wir das oder suchen wir bereits nach dem nächsten Abenteuer, dem nächsten Kleidungsstück von Jane Russell im Meer, der nächsten Einstellung, die wir so mal bei Marguerite Duras gesehen haben, den nächsten Schauspieler, den wir aus einem anderen Film kennen?

Wir brechen die Suche ab. Jemand kauft ein Stativ und eine Kamera und wir verlassen den Fluss. Danke, Jean Rouch.

Korrespondenz mit der Zeit: Ein Langzeitgespräch mit Philipp Hartmann

Vor fast einem Jahr am Rande des Filmfests Hamburg lernte ich den Filmemacher Philipp Hartmann kennen. Zuerst wollte ich über seinen Film Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe schreiben, aber dann kam mir die Idee, dass man doch ein Langzeitgespräch führen könnte. Es begann ein Mailaustausch, der sich zwar hauptsächlich um seinen Film dreht, aber immer wieder auch vom Vergessen handelt, vom Vergessen des Kontakthaltens, Vergessens des Films, Vergessen der Zeit.

Während unserer Korrespondenz reiste der Filmemacher durch ganz Deutschland, um seinen Film auf einer großen Kinotour zu begleiten. Diese Eindrücke verfolgen seine Gedanken zu seinem eigenen Werk spürbar. Letztlich dreht sich das Gespräch vielleicht mehr um die Zeit selbst als um diesen Film über die Zeit. Jedoch treffen sich die beiden in der gleichzeitigen Unendlichkeit und der Flüchtigkeit ihres Daseins.

Die Gedichte zwischen den Fragen und Antworten sind L’Horloge und L’Ennemi von Charles Baudelaire und wurde von mir ergänzend nachträglich hinzugefügt.

Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe

 

Hallo Philipp,

es freut mich, dass du dich auf diese Idee einer Korrespondenz bezüglich deines Films und des Filmemachens im Allgemeinen einlassen willst. Es hat etwas länger gedauert, da ich derzeit als Regieassistent bei einem Film mitwirke, in der Fertigstellung eines eigenen Films bin und die Viennale unmittelbar bevorsteht. Mich interessiert sehr wie deine Kinotour läuft. Du reist ja mit deinem Film Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe durch ganz Deutschland und bist derzeit in meiner Heimat im Süden. Wie sind die Reaktionen? Sind die Häuser gut gefüllt?

Erst gestern war mir dein Film wieder ganz präsent. Es gab plötzlich ein herbstliches Gewitter in Wien und irgendwie musste ich dann daran denken, wie in deinem Film-in der für mich bewegendsten Szene-die Zeit und das Wetter plötzlich dasselbe bedeuten…es ist, wenn dieser spanische Spruch, dass alles was hier passiert die Zeit ist, vom Regen weggewischt wird und du in einer unheimlichen Erkenntnis feststellst, dass Zeit und Wetter im Spanischen aus dem selben Wort kommen. Wie ist das für dich mit dem Film zu reisen? Kannst du dich so an die Zeit des Films klammern oder ist die schon zu weit entfernt? Im Film kommt bei mir die Idee an, dass alles nur ein Augenblick ist, alles ist schon vergangen, wenn es dir bewusst wird…sozusagen die Flüchtigkeit von Glück, aber auch die Flüchtigkeit von Leid. Es ist sehr interessant, dass du dich ausgerechnet mit Film diesem Thema näherst. Ich empfinde zwar Zeit als den natürlichen Motor von Film, aber damit speicherst du ja gewissermaßen die Momente. Du kannst sie immer wieder ansehen, sie bleiben. War das eine Idee hinter dem Film, diese Kollision aus Fließen von Zeit und daran Festhalten?

Viele Grüße aus dem gewittrigen Wien,

Patrick

L’Horloge

Horloge! dieu sinistre, effrayant, impassible,
Dont le doigt nous menace et nous dit: «Souviens-toi!
Les vibrantes Douleurs dans ton coeur plein d’effroi
Se planteront bientôt comme dans une cible;

The Clock

Impassive clock! Terrifying, sinister god,
Whose finger threatens us and says: „Remember!
The quivering Sorrows will soon be shot
Into your fearful heart, as into a target;

Lieber Patrick,

sorry, es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich Dir nun endlich antworte. Die Tour durch 66 Kinos beansprucht doch mehr Zeit als gedacht. Aber so hat es den Vorteil, dass ich inzwischen viele Erfahrungen gesammelt habe und dir ein bisschen erzählen kann, wie es läuft. Ich habe inzwischen fast die Hälfte der Kinos abgeklappert und es macht nach wie vor riesigen Spaß! Von den Besucherzahlen ist es sehr unterschiedlich– manchmal Sind es 100, Manchmal auch nur vier oder fünf. Wenn die Zahlen mehrmals nacheinander einstellig bleiben, ist das etwas frustrierend, Aber was immer gilt: Es ist jeden Abend interessant und ein großer Luxus, Neue Menschen, neue Orte kennen zu lernen und mit dem Publikum über den Film zu sprechen.

Und was mir interessant erscheint im Bezug auf das Thema Zeit: diese Reise, die eigentlich ein Wahnsinn ist– jeden Tag in einer neuen Stadt, jeden Tag Züge nehmen und von A nach B reisen, jeden Tag in einem neuen ungewohnten Bett übernachten–entpuppt sich als eine unglaublich ruhige, intensive und entschleunigte Erfahrung. Ich fühle mich fast wie im Urlaub, Das einzige was ich zu tun habe, ist abends meinen Film anzusagen und hinterher ein bisschen darüber zu sprechen. Ansonsten genieße ich es, nichts zu tun, während der Film läuft, mich in den Foyers der Kinos umzusehen, mit Leuten zu sprechen, die ich treffe, und die meist sehr interessant und sympathisch sind (- klar, wer ein kleines Programmkino aus Leidenschaft betreibt ohne den Anspruch damit reich zu werden, muss sympathisch und interessant sein) und interessante neue Orte kennen zu lernen. Klar, dass daraus natürlich der nächste Film entsteht. Die Kamera ist immer dabei und ich sammle alles, was mir vor die Linse kommt. Was daraus entsteht– keine Ahnung. Das wird die Zeit beziehungsweise die Akkumulation von Material irgendwann zeigen.

Was aber wirklich das schönste an der Tour ist, ist den Luxus zu haben, mit zu bekommen, was das Publikum denkt, wer was beizutragen hat und wer welche Erfahrungen gemacht hat. Das ist eine Erfahrung die ich glaube ich in Zukunft nicht mehr missen möchte: Das direkte Feedback durch meine Zuschauer. Daher ist so eine Kinotour vermutlich eine ganz andere Erfahrung, als wenn der Film normal im Verleih liefe und ein anonymes Publikum in einer anonymen Stadt keine Chance hat, mit mir darüber zu sprechen und erstaunlicherweise (oder auch nicht erstaunlicherweise) sind die Reaktionen fast durchweg positiv. Obwohl, oder vielleicht auch gerade weil, der Film alles andere als Mainstream und einfach ist. Auch das ist eine schöne Erfahrung, denn sie straft diejenigen Kinobetreiber lügen, die mir abgesagt haben mit dem Argument, der Film sei zu schwierig für ihr Publikum. Dieses scheint also doch nicht so doof zu sein, wie manche Kinobetreiber glauben…

Und noch ein Nachtrag zu der von dir angesprochenen Szene aus meinen Film. Auf einer Eisenbahn steht der Spruch „Das einzige, das hier vergeht, ist die Zeit“. Ein Jahr später hatte der Regen den Spruch abgewaschen, obwohl es in der Gegend in Bolivien wo ich das gefilmt hatte, eigentlich fast nie regnet. Diese Tatsache wird auch im Film erwähnt. Und neulich auf einem Festival erzählte mir eine Zuschauerin, dass sie in der Woche zuvor in Bolivien gewesen sei und dass inzwischen jemand den Spruch wieder hin geschrieben habe. Auch so lassen sich Zeit und Wetter austricksen…

In diesem Sinne– ganz herzliche Grüße aus dem grauen, herbstlichen Hamburg.

Dein

Philipp

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Lieber Philipp,

nun musste ein zufälliges Treffen auf der Berlinale unser Gespräch wieder aktivieren. Ich entschuldige mich sehr dafür, denn mein ausbleibendes Schreiben hat sehr wenig mit einem fehlenden Interesse zu tun, sondern vielmehr mit der Zeit selbst, die in unserem Fall keine Dringlichkeit innehatte und daher einfach nur vorbeistrich. Aber das soll sich hiermit von meiner Seite ändern, denn wenn es etwas Dringliches gibt, dann doch über die Zeit selbst nachzudenken, solange man sie noch hat und daher auch über deinen Film.

Wie du mir erzählt hast bist du (fast?) am Ende deiner Tour angelangt. War es für dich weiter faszinierend oder wurde es eher ermüdend deinen Film zu zeigen? Bei allem, was du mir so geschrieben hast über das Reisen, die Wahrnehmung und die Zeit komme ich nicht umher auch an Chris Marker zu denken. Die persönlichen Verknüpfungen in deinem Film scheinen mir auch eine gewisse Verwandtschaft zu besitzen…dennoch kommt es mir immer so vor, dass man sich sowieso sehr von solchen Vorbildern entfernt, wenn man ein persönliches Kino macht. Schwirrt er dir dennoch im Kopf herum?

Was du da beschreibst, hat ja letztlich auch viel damit zu tun wie ein Film lebt. Jetzt sprechen viele Filmemacher immer davon, dass ein Film ein eigenes Leben bekommt. Du aber begleitest dieses eigene Leben, machst dich selbst zu einem Teil davon. Könnte man sagen, dass du und der Film ein gemeinsames Leben habt? Es ist ja deine Zeit, die den Motor des Films bildet und womöglich hat es sich in der Zeit dieser Tour umgedreht? Das sind nur wilde Gedanken zugegeben, aber sie kommen mir, wenn ich mir diesen romantischen Weg ansehe, den du mit deinem Film gegangen bist. Ist das nicht auch ermüdend? Reicht es dir nicht mit dem Film, willst du dich nicht davon trennen?

Liebe Grüße,

Patrick

Le Plaisir vaporeux fuira vers l’horizon
Ainsi qu’une sylphide au fond de la coulisse;
Chaque instant te dévore un morceau du délice
À chaque homme accordé pour toute sa saison.

Nebulous pleasure will flee toward the horizon
Like an actress who disappears into the wings;
Every instant devours a piece of the pleasure
Granted to every man for his entire season.

TRAILER – DIE ZEIT VERGEHT WIE EIN BRÜLLENDER LÖWE from philipp hartmann on Vimeo.

 

Lieber Patrick,

kein Problem – das ist ja das Schöne an der Zeit, sie vergeht zwar, aber manchmal kann man sie auch einfach zurück drehen und da wieder ansetzen, wo man vor einer Weile aufgehört hat.

Was in diesem Fall auch durchaus Sinn macht, denn es hat sich auch nach der zweiten Hälfte der Tour (ja, sie ist „offiziell“ zu Ende, aber es kommen noch ein paar vereinzelte Termine, hoffentlich auch noch ein paar mehr und vielleicht noch eine Tour durch Österreich und die Schweiz) nichts daran geändert, was ich Dir beim letzten Mal schrieb. Des Rumreisen mit meinem Film, das Sprechen über ihn und das Erfahren von Reaktionen, Rückmeldungen und von Gefühlen, die der Film beim Publikum auslöst, war bis zum letzten, dem 66., Termin eine Freude und eigentlich nie anstrengend oder ermüdend. Dazu ist das doch ein zu gutes Gefühl, eben, wie Du sagst, zu begleiten, mit zu bekommen, wie der Film sein eigenes Leben bekommt. Das tat er, zumindest in meinem Fall, in der Tat. Und zwar jeden Abend aufs Neue. In jeder Vorstellung entstand der Film gewissermaßen aufs Neue. Denn nie ist ein Gespräch über den Film das gleiche wie am Abend vorher. Selbst wenn bestimmte Fragen sich natürlich wiederholen, so ist es doch eigentlich jedes Mal eine neue Frage, je nach dem, von wem und in welchem Kontext sie gestellt wird. Und für mich als Macher des Films war es oft sehr überraschend und schön, zu merken, dass der Film ganz unabhängig von mir und meinen Intentionen ein Eigenleben bekommt, in dem ich selbst noch vieles entdecken und lernen kann. Nur ein Beispiel: eine Veranstaltung einer evangelischen Erwachsenenbildungseinrichtung, die den Film und mich eingeladen hatten. Obwohl ich mit der Kirche nicht wirklich viel zu tun habe und auch mein Film auf den ersten Blick Themen wie Religion, Glaube, Gott nicht direkt behandelt, war es für mich sehr interessant und berührend, zu hören, welche religiösen, oder besser: mit Religion verbundenen, Gedanken und Gefühle einige Stellen in meinem Film bei den Besuchern auslösten.

So besehen ja – ich habe vier Monate lang ein symbiotisches Dasein mit meinem Film geführt. Wobei – eigentlich gar nicht mit dem Film, sondern eher mit seiner Präsentation – den Film selbst habe ich mir wohlweißlich während der vier Monate nur einmal bei der Premiere und einmal bei der letzten Vorstellung des Films im Filmclub meines Bruders selbst mit angeschaut. Aber klar, man führt in der Zeit ein sehr merkwürdiges Leben, wenn man es so konzentriert und ausschließlich betreibt, wie ich es getan habe. Man lebt mit seinem Film und das ist dann ein sehr monogames Leben. Außer über den Film zu sprechen und mir noch ein bisschen die Städte anzuschauen, wo ich war, und vor allem die Kinos und ihre Macher genauer zu erkunden, habe ich nicht viel gemacht. Keine Arbeiten nebenher, oft nicht mal E-Mails abgerufen. Das hat aber auch etwas ganz tolles. Nicht nur weil man ja irgendwie die Früchte erntet, die man die ganzen Jahre der Herstellung des Films gesät hat. Auch weil eben diese Konzentration auf eine Sache anstatt auf Multitasking sehr gut tat. Dennoch – klar. Irgendwann sollte es dann doch mal weiter gehen und man muss den Film loslassen, den Rest seines ja weiter entstehenden Eigenlebens nicht unbedingt en detail mitverfolgen wollend. So sitze ich nun an einem neuen Projekt, bzw. gleich zweien. Eins davon – da gehts dann zumindest gedanklich doch nochmal zurück – ein Film über die Kinos, die ich auf meiner Reise besucht habe.

Und noch ein Gedanke zum Reisen: für mich hat die Art, des Filme Machens, und die Art, die Welt wahr zu nehmen, die dahinter steht, viel mit dem Blick zu tun, den man als Reisender hat. Mit der Offenheit, auch der Zeit, die man sich nimmt, sich auf Dinge, auf Neues einzulassen. Einer Neugier, sich auf Dinge überhaupt einzulassen…

Chris Marker ist sicher jemand, der mich – und dadurch auch diesen Film – beeinflusst hat und das immer noch tut. Speziell Sans Soleil ist ein Film, den ich sehr mag und der bzw. dessen Mach-Art teilweise direkt Inspiration für einige Stellen im Brüllenden Löwen waren. Andererseits ist es glaube ich, wie Du sagst – wenn man einen so persönlichen Film macht (oder vermutlich auch bei anderer Art von Filmen), und wenn man sich die Zeit nimmt, die es braucht, um den Film reifen zu lassen, dann entfernt man sich vermutlich irgendwann auch recht bald wieder von Vorbildern und Inspirationsquellen. Und findet seinen eigenen Weg, der dann vielleicht noch vieles aus der Inspiration durch Vorbilder Entstandene enthält, dies aber auf eine eigene Weise sich aneignet und weiter führt. So etwas wie eine Synthese aus Marker und Hartmann kommt dann vielleicht in meinem Fall bei raus. Wobei in der Synthese sicher noch mehr Einflüsse enthalten sind, von denen ich vielleicht zum Teil selbst gar nichts weiß, weil sie indirekter und unbewusster wirken…

So weit – viele Grüße – aus dem Zug, ich reise schon wieder durchs Land…

Philipp

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Lieber Philipp,

nun ist wieder einige Zeit vergangen, aber diesmal ganz bewusst, denn das beginnt mir zu gefallen.

Eine Sache bezüglich deines Films ging mir durch den Kopf in den letzten Tagen, in denen ich mich intensiv mit dem Potenzial und der Spekulation in Dokumentarischen Arbeiten beschäftigt habe. Es ist die Frage nach der Idee, die ich bei einem so autobiografischen Zugang sehr spannend finde. In deinem Film geht es- wie ich finde- sehr stark um deine eigene und die allgemeine Sterblichkeit, es ist ein wenig wie Cocteau gesagt hat, dass Film bedeutet, dem Tod bei der Arbeit zuzusehen…(ich empfinde den Brüllenden Löwen vielleicht als etwas grausames und notwendiges). Aber wie gehst du da vor? Gab es zuerst das Thema oder gab es die Kamera und dich und die Zeit war einfach da? Wenn ja, was zieht dich zur Zeit? Es ist natürlich auch schrecklich vereinfacht zu sagen, dass es in deinem Film nur um die Zeit oder nur um das Altern geht, das stimmt ja so nicht. Aber entwickelst du eine Ordnung vor dem Dreh oder erst danach? Wie ist es mit dem Format? Bist du jemand, der sieht, um zu denken oder der denkt, um zu sehen?

Viele Grüße aus Wien,

Patrick

Trois mille six cents fois par heure, la Seconde
Chuchote: Souviens-toi! — Rapide, avec sa voix
D’insecte, Maintenant dit: Je suis Autrefois,
Et j’ai pompé ta vie avec ma trompe immonde!

Remember! Souviens-toi! prodigue! Esto memor!
(Mon gosier de métal parle toutes les langues.)
Les minutes, mortel folâtre, sont des gangues
Qu’il ne faut pas lâcher sans en extraire l’or!

Three thousand six hundred times an hour, Second
Whispers: Remember! — Immediately
With his insect voice, Now says: I am the Past
And I have sucked out your life with my filthy trunk!

Remember! Souviens-toi, spendthrift! Esto memor!
(My metal throat can speak all languages.)
Minutes, blithesome mortal, are bits of ore
That you must not release without extracting the gold!

Lieber Patrick,

Ja, gefällt mir auch – auch wenn ich lieber gleich antworte – sonst geht es unter… Ich glaube, das geht immer gleichzeitig Hand in Hand, das Sehen und das Denken. Und nicht immer kann man sagen, was von beiden was bedingt. Klar, eine Idee, wenn auch eine vage, steht meist am Anfang – die war bei mir aber recht einfach: der eigenen Sterblichkeit und der Vergänglichkeit, dem immer brutaler werdenden Vergehen – Ablaufen – der Zeit einen Film entgegen zu setzen. Und dann fängt man an, zu lesen, zu schauen, zu denken, zu reden und nach und nach entwickeln sich von alleine ein ganzer Haufen konkretere Ideen. Aus denen dann nach und nach ein Film wird. Zum Teil waren das Ideen, die wir dann gedreht haben (meist mit einer gewissen Offenheit, spontanen Einfällen und Zufällen gegenüber) und zum Teil fand ich Dinge, die ich vorher schon gedreht hatte, die nun im neuen Zusammenhang plötzlich anders passten. Ein Sammelsurium an Vorgehensweisen, das vermutlich genauso disparat war wie der Film von der Form her ist. Und das vielleicht auch deshalb – weil das vermutlich „menschlicher“ ist als irgendein starres Konzept – so organisch funktioniert…

Viele Grüße!

Philipp

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Lieber Philipp,

wieder ist einige Zeit verstrichen. Wie geht es dir? An was arbeitest du zur Zeit?

Mir sind wieder Gedanken zu deinem Film gekommen, die ich gerne mit dir teilen würde und zu denen du vielleicht etwas sagen kannst. Es geht dabei irgendwie um den Druck der Zeit, die Plötzlichkeit, mit der Zeit manchmal sein wahres Gesicht offenbaren kann, wenn man so will der Speer der Zeit, der uns Wunden zufügen kann. Film scheint mir diesen Speer benutzen zu können und gleichzeitig kann Film ihn kontrollieren, ja abstumpfen. In deinem Film scheint es eine sanfte Brutalität mit der Zeit zu geben. Ein wenig wie der von uns schon besprochene Regen…ist der Brüllende Löwe für dich ein Bild von Gewalt?

Und damit in Verbindung steht auch eine Angst, die ich in mir selbst habe. Es ist so ein Drang in zwei Richtungen in mir. Der eine Teil möchte am liebsten seine eigene Zeit leben, immerzu seinen Rhythmus finden und sich um nichts kümmern müssen, die Zeit sozusagen beherrschen (auch wenn man das nicht kann). Der andere Teil ist insbesondere in Bezug auf Film sehr ehrgeizig, geht nach vorne, blickt die ganze Zeit in alle Richtungen (nur möglichst wenig nach hinten)…ich empfinde das als Widerspruch, der mich auch sehr kämpfen lässt manchmal. Wie ist das bei dir? Wie funktioniert für dich dieses sehr persönliche Suchen nach der Zeit, dieses ständige Zurückblicken, dass da ja auch einbegriffen ist mit deinem Leben als Filmemacher? Oder empfindest du das gar nicht so?

Viele Grüße,

Patrick

Souviens-toi que le Temps est un joueur avide
Qui gagne sans tricher, à tout coup! c’est la loi.
Le jour décroît; la nuit augmente; Souviens-toi!
Le gouffre a toujours soif; la clepsydre se vide.

Remember, Time is a greedy player
Who wins without cheating, every round! It’s the law.
The daylight wanes; the night deepens; remember!
The abyss thirsts always; the water-clock runs low.

Lieber Patrick,

interessant, der Speer der Zeit (die Metapher kannte ich noch nicht) und die Rolle des Films… Ja, vielleicht, Film als Rettung… Zumindest in Filmen, die sich bewusst Zeit nehmen, auf Dauer setzen, der Schnelllebigkeit und dem Speer das genaue Hinschauen und eben das Sich-alle-Zeit-der-Welt-Nehmen entgegensetzen, könnte das stimmen, dass darin zumindest eine kleine Rettung ist.

Ob der Brüllende Löwe was mit Gewalt zu tun hat, weiß ich nicht. Da sieht jeder was anderes drin und das gefällt mir. Manche sagen, ein Löwe, der brüllt, macht Angst, bedroht. Andere sehen – wie die spanische Übersetzung – statt dem brüllenden Löwen eher das Brüllen eines Löwen, und das ist, im Gegensatz zum Gerundium des brüllenden Löwen etwas schnell Vorübergehendes und dadurch weniger bedrohliches. Oder eine Freundin sprach neulich vom Brüllenden Löwen als etwas bemitleidenswertes, weil sie eher an den alten früheren Rudelkönig dachte, der nun alt geworden von seinen Kollegen fortgejagt und in die Wüste geschickt wird, und nur noch kurz vor sich hinfaucht – gar nicht mehr bedrohlich…

Und wie das persönlich ist – auch das ist schwer zu sagen. Wie in meinem Film zu sehen, schau ich ja doch recht viel zurück. Und sehe das Vergangene durchaus als Teil der Gegenwart, weil es mich geprägt hat. Und so ist es weniger der Rhythmus und das zurückblicken, was einen ängstigen und schrecken, denn den Rhythmus kann man ja doch in gewissem Maße beeinflussen. eher das – auch darum geht es ja im Film – Wissen um die Machtlosigkeit gegenüber der Endlichkeit. Und der Tatsache, dass man – das schon – nicht genug rein bekommt in die wenige begrenzte Zeit…

Jetzt sitze ich grad im Zug nach Berlin und die Zeit läuft ab, denn ich nähere mich Berlin…

Ende Oktober komm ich zur Viennale – ich vermute, da sehen wir uns, oder?

Viele Grüße!

Philipp

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Lieber Philipp,

schön, dass du zur Viennale kommst, dort dürften wir uns ziemlich sicher sehen . Bist du denn auch in Hamburg anzutreffen? Ich versuche dort auch wieder anzureisen. Momentan bin ich in Deutschland und ab Herbst auch viel in Ungarn, weil ich selbst an einem Film arbeite, der passenderweise viel mit Vergänglichkeit zu tun hat. Es ist schön, dass die Orte, an denen wir sind, wenn wir uns schreiben, im Moment des Lesens dieser Texte etwas Vergangenes sind. Also nicht die Orte selbst, aber unsere Anwesenheit.

Deine Gedanken sind sehr spannend und nachvollziehbar. Ich kenne dieses Gefühl vom Vergangenen als Teil der Gegenwart, es ist ein wenig eine Sache von Geistern auch wenn mir das manchmal etwas zu bemüht scheint im modernen Kino. Dein Film hat ja auch dieses proustianische Gefühl dieser Unmöglichkeit des „Jetzt“. Ich erinnere mich (ja das ist auch proustianisch, weil man über Film vielleicht gar nicht richtig ohne Proust sprechen kann) an diese Sequenz in der du nach dem „Jetzt“ suchst, nach der Gegenwart, die immer schon vorbei ist, aber ich finde, indem du diese Vergänglichkeit festhältst und diese Endlichkeit kämpfst du auch dagegen an. Das ist kein besonders neuer Gedanke, aber er ist in deinem Film sehr präsent (im wahrsten Sinne des Wortes) Aber du wirst ja in deinem Film auch zum Schatten, ein Schatten bevor du zumindest aus dem Film verschwindest. An dieser Stelle – auch wenn ich das sehr bewegend und gelungen fand beim Schauen – würde ich dir widersprechen, weil du ja den ganzen Film schon für mich ein Schatten bist. Ich finde nicht, dass es mit deinem Schatten enden sollte, sondern damit beginnt das Kino ja erst. Alexander Horwath, der hier das Filmmuseum in Wien leitet, spricht sehr viel von der Gegenwärtigkeit der Projektion, er sagt, dass ein Film immer im Jetzt seiner Aufführung stattfindet. Es gibt Tage, da wache ich auf mit Zweifeln an dieser Feststellung, aber heute ist kein solcher Tag. Es scheint mir einfach zu hundert Prozent stimmig zu sein. Diese Gedanken über das Vergangene als Teil der Gegenwart sind für mich nicht nur in meiner und wie du mir mitgeteilt hast, auch in deiner Wahrnehmung zu finden, sie sind wahrscheinlich ein essentieller Bestandteil des Kinos und vielleicht sind wir daher beide auch vom Kino fasziniert. Wenn ich da an meine zweite Lieblingsszene in deinem Film denke, den Ampelstopp, dann findet sie genau in dieser Vergegenwärtigung des Vergangenen statt, es ist ein Stopp, ein kurzes Aussteigen aus den Regeln, den Regeln der Zeit, des immer weiter fließenden Verkehrs und gleichzeitig ist es eine Erinnerung, die vor uns gegenwärtig wird, du hast dich in diesem Fall für eine Repräsentation der Erinnerung entschieden, warum? Und mit dieser Fahrt der Kamera erfahre ich eine Zeitlichkeit. Es ist wirklich ein „Jetzt“-Moment für mich gewesen.

Es gibt noch eine Frage, die ich dir stellen möchte zu deinem Film. Sie scheint banal, aber vielleicht ist sie es nicht. Es geht um deinen Titelschriftzug. Mir ist aufgefallen, dass er von rechts nach links durch das Bild fährt. Warum diese Fahrt gegen die Leserichtung?

Viele Grüße,

Patrick

Tantôt sonnera l’heure où le divin Hasard,
Où l’auguste Vertu, ton épouse encor vierge,
Où le Repentir même (oh! la dernière auberge!),
Où tout te dira Meurs, vieux lâche! il est trop tard!»

Soon will sound the hour when divine Chance,
When august Virtue, your still virgin wife,
When even Repentance (the very last of inns!),
When all will say: Die, old coward! it is too late!“

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Lieber Patrick,

gute Fragen! Die ins Schwarze treffen.

Der Ampelstopp – ja, das ist ein Moment des jetzt. Zum einen natürlich wegen des Innehaltens an der Ampel – für die Minute oder wie lang auch immer sie rot ist, wird die Zeit ( – repräsentiert durch den linearen Verkehrsfluss – ) angehalten. Andere Bewegungen laufen in anderen Richtungen zeitgleich ab (die Kamerafahrt, das Kreisen um das Auto (Kreisbewegung statt linear!) und nicht zuletzt das ebenfalls linear sich bewegende Flugzeug (aber im Gegensatz zum Verkehrsfluss auf ein Ziel hin – das Landen und dann ist die Bewegung zu Ende; was hier noch vorher passiert, dadurch dass das – digitale – Flugzeug verschwindet und nicht mehr landet, gewissermaßen die Endlichkeit der Bewegung hintertreibend, wenn man so will…). Zum anderen ist das ein jetzt Moment, weil es ja um dieses Gefühl geht, was man (ich zumindest) mit 18 hatte, was ja das Alter der Jungs ist, die hier dieses alberne Spiel machen. Dieses Gefühl von Die Welt liegt mir zu Füßen, ich hab alle Möglichkeiten, ewig Zeit und so weiter. Diese unbedarfte, unbeschwerte Zuversicht, die allein aus dem Moment, aus der Zeit oder der Lebensphase (die man gar nicht als solche im Sinne von eine Phase im Ablauf von einigen wenigen Phasen insgesamt wahrnimmt) heraus entsteht und sich speist. Um dieses Gefühl, um diesen Jetzt-Moment ging es uns in dieser Szene. Mir und Jan Eichberg, der ja diese wie auch die anderen vier inszenierten Miniaturen im Film entwickelt hat. Das Spiel des „Ampelstopp“ übrigens kannte ich gar nicht. Das kommt von Jan aus seiner Jugend im Odenwald. Da wo ich aufgewachsen bin, haben wir anderen Quatsch gemacht. Aber dieses Gefühl des alleine im Augenblick Leben, das dahinter steht, ist natürlich das gleiche.

Und die Schrift-Richtung ist eine gute Frage zum richtigen Zeitpunkt. War glaub ich ein Gefühl – ich weiß gar nicht ob meins oder das des Grafikers, der die Titel gemacht hat. Oder vielleicht auch nur Konvention, weil man das halt so macht. Aber vor allem vermutlich weil die Lesbarkeit wäre andersrum natürlich schwierig und der Film ist ja offen genug, da würde ich gerne nicht noch im Titel mehr Verwirrung stiften. Ist ja nur gegen die Leserichtung bei unbewegtem, bewegt gehts nur so rum.

Aber die Frage ist gut, weil es ja später nochmal die Fotos von meinem Vater gibt, wo er auf Leerstellen und vermeintliche Belanglosigkeiten guckt und die laufen auch von rechts nach links und mir schien das da das „normale“ zu sein. Und neulich sah ich den Film von hinter der Leinwand bei einem Open-Air-Screening auf Bettlaken und war ohnehin ganz baff, wie anders der Film wird und fand bei der Szene, dass sie von links nach rechts laufend (also eher das, was man als unnatürlich empfinden würde) besser wurde. Ich dachte schon, in Zukunft sollte man vermutlich nach dem Rohschnitt immer erstmal den Film seitenverkehrt anschauen und dann entscheiden, wann der Schnitt fertig ist…

So weit für heute.

Viele Grüße und bis bald in Wien und – ja, Filmfest Hamburg bin ich vermutlich auch wieder unterwegs.

Philipp

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Lieber Philipp,

ich habe gehört, dass der Regen, der gekommen ist, den Sommer noch nicht endgültig weggespült hat.

Ich habe das Gefühl, dass sich unserer Korrespondenz mit der Zeit langsam dem Ende zuneigt. Sie müsste natürlich nie enden, vielleicht sollten wir einfach immer weitermachen, aber ein Jucken in meinen Fingern fordert langsam eine Veröffentlichung. Ich habe deinen Film in diesen 10 Monaten 2mal gesehen. Es war spannend zu beobachten, was bleibt von ihm, was geht, was wieder kommt…ich frage mich, ob es gut ist, wenn ein Film ganz präsent bleibt oder ob das langsame Gleiten in eine Dunkelheit auch wertvoll ist. Ich weiß es nicht. Dein Film teilt sich da sehr für mich. Manches bleibt wirklich ganz gegenwärtig, anderes weiß ich überhaupt nicht mehr.

Wie also eine abschließende Frage an dich formulieren mit dem Halbwissen über einen Film, der sich gegen all diesen filmischen und außerfilmischen Eindrücke der letzten Monate erwehren muss, der da in einen Fluss gesprungen ist, an dem mein Leben hängt? Ich versuche mich daran zu erinnern, wie ich ihn das erste Mal gesehen habe. Ich war in Wien in meiner kleinen Wohnung. Man muss auf dem Bett sitzen, um das Bild zu sehen. Es war ein kalter Tag. Ich weiß noch, wo ich die Verpackung der DVD abgelegt habe, weil sie dort sehr lange lag. Sie lag auf der DVD von Uzak von Nuri Bilge Ceylan. Ab Dezember lag dort The man who fell to earth von Nicolas Roeg. Deine DVD lag darunter. Im Winter habe ich ihn nochmal gesehen, ein Freund von mir war bei deiner Vorführung in Augsburg. Ich kann mich auch erinnern wie du mir die DVD gegeben hast in Hamburg im Cinemaxx (wie unpassend für deinen Film). Ich kann mich nicht mehr an meinen Körper während des Films erinnern. Nur an Bilder und Töne. Ist das eine Erfahrung von Zeitlosigkeit?

Wie also eine abschließende Frage an dich formulieren? Vielleicht sollte ich nicht. Natürlich will ich wissen wie es deinem Projekt geht, das du begonnen hast während der Kinotour. Darüber könntest du mir schreiben, aber vielleicht gibt es noch etwas anderes, was dich beschäftigt. Vielleicht sollte ich härter fragen. Ich frage mich zum Beispiel warum dein Film nicht auf einem größeren Festival lief. Machst du dir über sowas Gedanken?

Viele Grüße,

Patrick

 

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Lieber Patrick,

das klingt schön für mich und ehrt mich – dass Du Dich nicht an Deinen Körper während meines Films erinnern kannst und dass manche Dinge gegenwärtig bleiben und manche verschwinden. Ich empfinde das als Qualität des Sehens und glaube gleichzeitig, dass das vermutlich oft so und ist etwas positives. Und sagt dennoch vermutlich nichts über die Qualität eines Films aus, sondern nur über die Beschaffenheit unseres Bewusstseins. Oder doch über die Qualität? So wie ich immer die These verteidige, dass man (oder zumindest ich selbst) nur in guten Filmen einschlafe. Und das übrigens genau deshalb sehr gerne tue, weil dieses Weggleiten, das Verlassen des Films und Übergehens in einen ganz eigenen Film – der manchmal noch aus der Tonspur und eigenen Bildern eines beginnenden Träumens besteht – so interessant ist. Wer war es, der mal sagte, dass man nur in Filmen einschläft, denen man vertraut?

Dein Gefühl scheint mir diesem ähnlich zu sein. Und das in Erinnerung bleiben von Bildern und Tönen scheint mir etwas sehr wertvolles zu sein. Vielleicht so etwas ähnliches wie Zeitlosigkeit. Oder bewusste Zeit ohne Ablenkung.

Solche – für mich sehr schönen – Rückmeldungen über Eindrücke, die mein Film auslöst, habe ich in den letzten 11 Monaten auf Tour des Öfteren bekommen. Eigentlich täglich. Auch vorher schon, auf ein paar der Filmfestivals wo ich war. Und diese Rückmeldungen sind es, die mir besonders wichtig sind. Sehr viel wichtiger als ob der Film nun auf diesem oder jenem Festival läuft. Zumal man da ja weiß, wie absurd manchmal die Entscheidungsprozesse ablaufen. Und zudem lief mein Film ja auf nicht vielen (insbesondere in Deutschland), aber auf einigen der wichtigen und sympathischen Festivals. Schon die Weltpremiere auf dem wunderbaren FICUNAM-Festival in Mexiko war mehr als ich mir hätte träumen lassen…

So weit zu Deinen Fragen – ich glaube mehr muss dem nicht hinzugefügt werden, es sei denn, wir wollen zeitlos bis in die Ewigkeit weiter korrespondieren. Aber vielleicht muss das nicht sein und wir reden lieber in einer Weile weiter – z.B. über Kinos, wenn dann mein Film aus der Kinotour – die Reise durch 75 Kinos – fertig ist. Und ich hoffe, in Hamburg beim Filmfest und/oder während der Viennale sehen wir uns auf ein Bierchen…

Erstmal danke für Dein Interesse und Deine anregenden Fragen!

Und viele Grüße!

Philipp

L’Ennemi

Ma jeunesse ne fut qu’un ténébreux orage,
Traversé çà et là par de brillants soleils;
Le tonnerre et la pluie ont fait un tel ravage,
Qu’il reste en mon jardin bien peu de fruits vermeils.

Voilà que j’ai touché l’automne des idées,
Et qu’il faut employer la pelle et les râteaux
Pour rassembler à neuf les terres inondées,
Où l’eau creuse des trous grands comme des tombeaux.

Et qui sait si les fleurs nouvelles que je rêve
Trouveront dans ce sol lavé comme une grève
Le mystique aliment qui ferait leur vigueur?

— Ô douleur! ô douleur! Le Temps mange la vie,
Et l’obscur Ennemi qui nous ronge le coeur
Du sang que nous perdons croît et se fortifie!

The Enemy

My youth has been nothing but a tenebrous storm,
Pierced now and then by rays of brilliant sunshine;
Thunder and rain have wrought so much havoc
That very few ripe fruits remain in my garden.

I have already reached the autumn of the mind,
And I must set to work with the spade and the rake
To gather back the inundated soil
In which the rain digs holes as big as graves.

And who knows whether the new flowers I dream of
Will find in this earth washed bare like the strand,
The mystic aliment that would give them vigor?

Alas! Alas! Time eats away our lives,
And the hidden Enemy who gnaws at our hearts
Grows by drawing strength from the blood we lose!

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PS: Einen Nachtrag könnte ich noch liefern, er hat mit Zeit, mit dem Film und mit den wunderbaren Begegnungen zu tun, die ich auf der Tour hatte.

Neulich eine Schulvorstellung meines Films mit 14 und 15 jährigen Neuntklässlern. 45 Minuten lang unerwartet guter Fragen vor einem ganz anderen Hintergrund, altersmäßig. Jugendliche, denen Tod und Endlichkeit noch gar kein Thema ist. Und gerade das war natürlich für mich nicht nur hoch interessant, sondern bereichernd und natürlich auch eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit.

Nach Schulschluss dann noch ein langes Gespräch mit einer Schülerin, die von ihren Zukunftsängsten, von Ängsten vor Veränderung und von Ängsten vor der falschen Entscheidung, was ihren Weg nach dem Abitur angeht, berichtete. Auf eine unglaublich kluge und reflektierte und auch traurige Art, die mich sehr berührt hat. Und nach einem fast einstündigen Gespräch, schon auf dem Flur, bei der Verabschiedung, stellte sich heraus: ihr Vater ist mein Fußball-Idol aus den achtziger Jahren! Auch das eine Zeitreise und in dieser wunderbaren Begegnung nebenbei noch eine Bestätigung, dass mein Idol wohl noch mehr richtig gemacht hat, als nur gut Fußball zu spielen…

So, nun ist es genug, das nächste Gespräch, beim Bier zum Filmfest, führen wir über Fußball!

Herzliche Grüße!

Philipp

Wer den Film sehen möchte:

Auf der Webseite www.zeit-film.de gibt es aktuelle Termine  und einen Kontakt zur Bestellung der DVD.

Und auf Doc Alliance kann man den Film als VoD runterladen.

Die Zeit filmen

An einer dieser wundervollen Wiener Fassaden zeichnete sich ein Lichtspiel ab, als die untergehende Sonne manchmal und nur leicht von Wolken verdeckt wurde. Einige Menschen, darunter vermehrt Touristen zückten ihre Fotoapparate und Mobiltelefone, um das Schauspiel festzuhalten. Sie drückten verzweifelt auf ihre Knöpfe, um die Schönheit des Moments festzuhalten. Ich frage mich wie ihre Bilder schließlich aussehen, aber ich weiß mit Sicherheit, dass sie es nicht vermögen, das wirklich Atemberaubende an diesem Moment einzufangen, weil diese Schönheit an der Zeit hängt.

Das bedeutet aber nicht, dass es ganz einfach gewesen wäre, mit einer Filmkamera beziehungsweise mit der Videofunktion des Mobiltelefons jenes Wechselspiel in seiner zeitlichen Entfaltung einzufangen. Die Schönheit des Lichts war an diesem späten Nachmittag in Wien die Zeit selbst und es ist unheimlich schwer, die Zeit zu filmen. Beliebt ist die Annahme, dass die zeitliche Strukturierung beziehungsweise die filmische Fähigkeit, Zeit zu entblößen eng mit der Montage zusammenhängt. Das ist allerdings ziemlicher Schwachsinn. Zwei Filme, die ganz leicht das Gegenteil beweisen, sind zum einen Chris Markers (dieser Mann, der es wie Alain Resnais wie kaum ein zweiter vermochte, die Zeit zu filmen) La Jetée, ein Film der heftig an den Prinzipien der Montage hängt, aber seinen großen Moment der Nacktheit von Zeit gerade dann entfaltet, wenn er nicht schneidet, sondern Bewegung zeigt, begleitet von einem Vogelzwitschern für die Ewigkeit. Der andere Film ist Fish&Cat von Sharam Mokri, ein kleines Wunder, das letztes Jahr in Venedig Premiere feierte und seither völlig unterging. Der Film besteht aus einer einzigen langen Einstellung und zerstört jegliche Sicherheit und Empfinden für Zeit. Zeit ist eben auch eine Frage der Perspektive und des Raumes. Wen schaut man wann und wie an? Wie oft im Leben hat man sich schon gefragt wieso einem etwas in der Vergangenheit nicht aufgefallen ist? Wie oft erlebt man eine Vergangenheit neu, wenn man einen neuen Kontext zu ihr bekommt, eine neue Perspektive darauf?

Chris Marker La jetée

Daher wird es den Fotografen und Filmern vor den Fassaden in Wien äußerst schwerfallen diesen, Augenblick auf ihren Bildern zu finden. Denn was sich in ihren Augen manifestiert hat, ist in der Linse der Kamera schon etwas ganz anderes. Einen Film über die Zeit hat auch der deutsche Filmemacher Philipp Hartmann mit seinem Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe gemacht. Dabei vermag er es, die Zeit in ihrer Abwesenheit zu filmen. Bei ihm macht sich die physikalische Größe als philosophisches Konzept im Off-Screen bemerkbar. Etwas ist vergangen, das sehen wir. Fast verzweifelt und tragisch klammert sich der Film an die Möglichkeit, Zeit auf Film zu speichern. Man denkt an Jonas Mekas, der immer wieder für einen Gegenwärtigkeit der Bilder eintritt, die allerdings etwas anderes sind als Erinnerungen oder Vergangenheit. Bilder, die sich mit jeder Projektion neu in der Zeit verorten. Hartmann ist clever und sensibel genug, um nicht in einen Fehler zu tapsen, er richtet stattdessen einen Spiegel auf die Zeit und sich selbst und lässt beides verschmelzen. Insofern macht er einen Film über die Krise des Alterns, das natürlich an der Zeit, den Erinnerungen und der Gegenwart hängt. Die Gegenwärtigkeit von Bildern sind auch ein Grund warum man nicht einfach die Schönheit einer Fassade sieht, sie fotografiert und dann die Schönheit wiederfindet. Dies könnte jetzt natürlich ein Plädoyer für die große Kraft der Realität und der Erinnerung gegenüber von Filmen sein und tatsächlich erwische ich mich beim Gedanken der scheinbaren Unterlegenheit von Film gegenüber dem, was man als unsere Augen bezeichnen könnte. Aber dann fällt mir wieder ein, dass der Blick im Film uns erst erlaubt zu schauen. Damit meine ich, dass er uns konzentriert, aufmerksam macht und ja, ermöglicht Zeit wahrzunehmen. Gerade in der heutigen Welt, der wir kaum mehr Platz lassen für eine Leere und ein inspirierendes Nichts, eine Langeweile kann Film diese zeigen und geben. Film kann zeigen wie Zeit vergeht und das sollte in unserer Zeit fast einem außerirdischen Spektakel gleichkommen. Man denkt an Tsai Ming-liang und seine Walker-Filme. Die Bedeutung von Langsamkeit, was bedeutet es zu sehen? Man sieht jeden Tag so viel, dass man versucht ist, zu vergessen was es bedeutet. Inzwischen ist Zeit ein politisches Statement in der Kunst und Kultur. Bewegungen und Schlagworte werden erfunden, um die Bedeutung von Zeit zu unterstreichen. Zeit kann also auch eine rebellische Antwort auf den Mainstream sein, aber dann hat sie selten eine Bedeutung. Bei Tsai Ming-liang geht es auch um eine Wahrnehmungsveränderung, eine sinnliche und zugleich rhetorische. Wir betrachten zum Beispiel ein Gesicht, wir bekommen eine Information, wir gehen. So sind die meisten Filme konstruiert und so gehen sie meilenweit an ihren Möglichkeiten vorbei. Denn erst wenn wir eine längere Zeit bekommen, das Gesicht zu betrachten, wird etwas mit unserer Wahrnehmung passieren, etwas, dass uns in der Realität zumindest bei fremden Menschen gar nicht möglich ist. Wir werden es studieren, es fühlen, es wirklich sehen. Natürlich muss man dafür hinsehen und viele Menschen können das nicht/nicht mehr. Auch ermöglicht Film eine besondere Perspektive auf dieses Gesicht. Einen anderen Blick, der ganz automatisch von Zeit beseelt ist, weil er uns aufmerksam darauf macht, dass wir blicken. In diesem Sinn ist die Dynamisierung räumlicher Prozesse und die Strukturierung von Personenkonstellationen essentiell für unsere Wahrnehmung von Zeit im Film.

Post Tenebras Lux Reygadas

Man denke beispielsweise an die verunsicherte Swinger-Sauna Szene in Post Tenebras Lux von Carlos Reygadas. Zuerst zeigt Reygadas die Protagonistin und ihren Ehemann in einer amerikanischen Einstellung in den blau-roten Lichtern der Sauna. Sie entkleidet sich. Im Anschnitt am linken Bildrand beobachtet sie ein älterer, nackter Mann und im Bildhintergrund sitzt in einer Nische eine nackte Frau. Wir hören es vor Hitze tropfen. Plötzlich dynamisiert Reygadas unsere Raumvorstellung. Ein weiterer nackter Mann kommt von hinter der Kamera ins Bild gelaufen und nimmt unsere Protagonistin an der Hand. Der Mann im Bildvordergrund erhebt sich und hält die andere Hand der Frau. Zusammen gehen sie aus dem Bild, wobei sich Hinterteile und Geschlechtsteile noch prominent in der Bildmitte platzieren. Die Kamera bleibt stehen und zeigt den nervösen Ehemann, der das Handtuch seiner Frau hält und schwer schluckt. Hier spüren wir zum ersten Mal in dieser Szene den Druck der Zeit. Ein Mann beginnt Off-Screen, von der schönen Haut der Frau zu schwärmen während die Frau aus der Nische im Hintergrund aufsteht und auf die Kamera zugeht. Wieder dynamisiert Reygadas den Raum in der Zeit, denn plötzlich offenbart sich das in der Nische nicht eine nackte Frau war sondern gar zwei. Sie bleiben beide in der Türschwelle stehen und der Ehemann bemerkt die beiden nackten Frauen mit einem schüchternen Seitenblick, der immer deutlicher wird. Die Geräusche und Dialoge im Off-Screen deuten gleichzeitig darauf hin, dass die beiden Männer nun mit der Protagonistin schlafen. Reygadas schneidet in eine amerikanische Zweiereinstellung von einem nackten, sitzenden Paar. Sie beobachten offensichtlich das Geschehen und berühren sich dabei am unteren Bildrand. Reygadas hält diese Einstellung für circa 50 Sekunden. Off-Screen ist die besorgte Stimme der Protagonistin zu hören, die darum bittet, sanft behandelt zu werden. Die Frau im Bild bemerkt, dass die Protagonistin schön sei. Der Mann fordert sie auf, zu ihr zu gehen. Das Pärchen gibt sich einen flüchtigen, in dieser Umgebung fast surreal-süßen Kuss und die Frau verschwindet aus dem Bild. Reygadas bleibt mit der Kamera erneut auf dem verlassenen und beobachtenden Mann und erinnert damit zugleich an den Ehemann, der auch noch im Raum steht. Dadurch wird so etwas wie Gleichzeitigkeit manifestiert, also Zeit. In der nächsten Einstellung bewegt sich die Kamera ganz langsam in eine Nahe der Protagonistin während ein Mann wild in sie eindringt und die Frau aus der vorherigen Einstellung ihren Kopf auf den Schoß legt und die Protagonistin gleich einer Mutterfigur beruhigt und ihr Mut macht. Im Bildhintergrund sind allerhand nackte Körper zu sehen. Im Anschnitt am rechten Bildrand beobachtet ein Mann das Geschehen als wäre er bei der Arbeit an einem Fließband und im Hintergrund sind unter anderem die beiden Frauen aus der ersten beschriebenen Einstellung dieser Szene. In einer an Bruno Dumont erinnernden Weitwinkeleinstellung des Gesichts der Mutterfigur verzerrt Reygadas unsere Perspektive auf diese Figur und man kann sich nicht sicher sein, ob es sich dabei um einen Point-of-View unserer Protagonistin handelt oder nicht. Jedenfalls wird uns das Unwohlsein der Szene durch die Wahl des Objektivs noch deutlich bewusster. Reygadas hält auch diese Szene sehr lange (ca. 25s), aber im Dialog wird klar, dass die Protagonistin beginnt, sich wohl zu fühlen. Reygadas schneidet in eine fast symbolische Naheinstellung des Gesichts der Protagonistin, die kurz vor ihrem Orgasmus steht und der Brüste der Mutterfigur, die ihren Körper berühren während ihre Finger zärtlich über die Haare der Protagonistin streichen. Die Zeit, die hier vergeht, entspricht keineswegs jener Zeit, die der Akt in der Realität einnehmen würde, aber das Gefühl für die Zeit ist das gleiche, intensiviert und entfaltet durch die Wahl von Kamerapositionen, Ton, Licht, Maske, Schauspiel, Länge der Einstellungen und allem was dazugehört. Die Protagonistin kommt sehr leise zum Höhepunkt und wir glauben ihr. Reygadas bleibt mit der Kamera auf ihrem verschwitzten, leeren Ausdruck, die Mutterfigur sagt: They all want you because you are beautiful. Die Protagonistin bedankt sich. Wo ist ihr Ehemann? Wessen Perspektive haben wir hier tatsächlich?

Satantango Tarr

Nun ist es mit großer Sicherheit auch fatal zu glauben, dass man die Zeit filmt, indem man sich einfach Zeit lässt. Nein, denn die filmische Zeit hängt auch am Licht und der Illusion dahinter, die filmische Zeit braucht eine innere oder äußere Bewegung. Denn wenn ein Regisseur sich für eine lange Einstellung ohne ein solches Licht entscheidet, dann wird er die Zeit von der Leinwand verweisen und in den Zuschauerraum verbannen. Dort vergeht sie jedoch immer gleich. Die Möglichkeit von Film ist es jedoch, die Zeit zwischen Zuschauer und Bild spürbar zu machen, sie zu verschhärfen oder außer Kraft zu setzen. Genau das hat die Szene von Reygadas beschrieben und genau das unterscheidet auch die etwas stupide Wahrnehmung eines Kinos der Zeit als Slow-Cinema von jenem eines Kinos der intensivierten Realität. Man denke an die Filme von Béla Tarr, zum Beispiel Sátántangó oder A torinói ló. Dort ist die spürbare Zeit oft der Weg von einer Perspektive in die Nächste und zugleich ist es auch eine Frage der Geschwindigkeit dieser Bewegung. Wir sehen unserem Blick beim Wandern zu und dringen somit in die Zeit des Raumes und der Figuren ein. Ähnliches ist auch ohne Bewegung zu erreichen wie in Filmen wie Historia de la meva mort von Albert Serra (eigentlich alles von ihm), den Filmen von Jia Zhang-ke oder jenen von Lisandro Alonso klar wird. Die Frage nach der Zeit ist immer eine Frage nach unserer Aufmerksamkeit dafür. Ein Filmemacher wie Alonso bekommt diese womöglich aufgrund seiner deformierten Seltsamkeit, seiner überwältigenden Landschaften und seinen räumlichen Überraschungen, indem er uns auch Blicke und Informationen verweigert bis zu einem Grad, an dem wir unbedingt sehen wollen. Dagegen wird unsere Aufmerksamkeit bei Filmemachern wie Albert Serra oder auch Cristi Puiu dadurch erfasst, dass in der Zeit ein ironisches, ja absurdes Element liegt. Das bedeutet nicht, dass man die Zeit in ihren Filmen als besonders lustig wahrnimmt-ganz im Gegenteil-aber dass die Überlegung welche Schritte in einem Prozess wirklich nötig sind (zum Beispiel bei der Ermordung seiner Frau) nicht lediglich ein entdramatisierendes Potenzial beinhaltet, sondern dass das Dramatische gerade in dieser Zeit liegt.

Aurora Puiu

In Aurora beschäftigt sich Puiu eigentlich durchgehend mit dieser Zeit, aber wenn man einen Blick auf die unmittelbare Phase um einen Mord im Film legt, sieht man die manische Präzision und die Größe dieses Regisseurs im Umgang mit Raum und Zeit. Der Protagonist fährt mit dem Auto. Die Kamera hält ihn links am Steuer im Anschnitt und verschwindet sonst mit einem Phantom Ride durch das nächtliche Bukarest und in einen Tunnel. Wir hören das Rascheln der Kleider und das angespannte Atmen des Protagonisten. Die Schärfe verlagert sich vom Raum auf das Spiegelbild im Rückspiegel. Ein harter Schnitt und der Protagonist erscheint mit Mütze hinter einer Pfütze. Ein Schwenk begleitet seinen Weg über einen Parkplatz zum Auto. Er öffnet es. Ein lautes Motorrad ist zu hören und die Kamera beginnt etwas zu wackeln, als der Protagonist eine Tasche aus dem Kofferraum holt. Er geht zurück, die Kamera schwenkt wieder mit ihm. Aber auf halbem Weg fällt ihm etwas ein. Er dreht nochmal um, die Kamera geht wieder mit, aber es ist nur ein Schritt. Er drückt auf seinen Schlüssel, um das Auto zuzusperren und geht erst dann weiter. Nun geht er den Weg zurück und die Kamera schwenkt mit ihm. Warum denken so wenige Filmemacher daran wie oft man sich nicht sicher ist, ob man seine Tür zugesperrt hat? Ein solcher Augenblick ist ein Augenblick der reinen Zeit. Der Protagonist sucht seinen besten Weg durch die Pfütze und geht durch eine Gittertür nach hinten. Die Kamera bleibt stehen und folgt ihm aus einer beobachtenden Totale. Dies ist das wichtigste formale Gestaltungsprinzip der folgenden Minuten. Er macht die Tür hinter sich zu. Ein harter Schnitt und unser Protagonist taucht mit seiner Tasche in einer Halbtotale in einer Tiefgarage auf. Aus dem Off-Screen sind Schritte zu hören, er schaut angespannt. Die Kamera schwenkt mit seinem Blick (hier haben wir wieder eine Perspektive, die mit der Zeit entsteht) und wir sehen noch die Umrisse eines Mannes in der Tiefe des Bildes. Er verschwindet und unser Protagonist schaut etwas entspannter um sich. Er dreht um und blickt in eines der Autos, die auf einem Parkplatz stehen. Er schaut durch das Fahrerfenster. Ein weiterer harter Schnitt in eine Halbtotale. Unser Protagonist steht hinter einem Auto, wieder sind Schritte zu hören. Er bewegt sich langsam nach links und die Kamera schwenkt mit ihm mit bis er hinter einer Säule verschwindet. Nach einigen Sekunden kommt er auf der anderen Seite der Säule hervor und der Schwenk folgt ihm weiter. Nun bewegt er sich etwas schneller zwischen den geparkten Autos und folglich wird auch der Schwenk schneller. Plötzlich kommt eine Tür ins Bild, aus der zwei Männer treten. Wir sehen sie gleichzeitig wie der Protagonist, der daraufhin umdreht und seinen Kopf senkt. Der Schwenk folgt ihm wieder zwischen die Autos, er steht mit dem Rücken zu den Stimmen der Männer, auch ein Auto fährt vorbei. Er berührt einen Kettenzaun mit seiner Hand und schaut möglichst beiläufig um sich. Die Zeit in dieser Szene besteht nicht nur aus dem Nicht-Auslassen der Ereignisse, sondern auch aus der Antizipation einer Tat, man merkt, dass da etwas nicht stimmt und dadurch gewinnt der Ablauf eine Aufmerksamkeit. Diese ist keineswegs undramatisch, sondern hochspannend, obwohl Puiu einer der wenigen Regisseure ist, die es tatsächlich vermögen, ein Gefühl für Echtzeit zu vermitteln. Es ist wieder ruhig in der Tiefgarage. Der Protagonist setzt seinen Weg fort und tritt wieder heraus aus den Autos Richtung Tür. Die Kamera bleibt erneut stehen (das Schwenken und stehenbleiben immer mit einer Handkamera strukturiert hier die Szenen) und er verschwindet hinter der Tür, die laut Schild zu einer Hotellobby führt. Was macht er? In einer amerikanischen Einstellung schwenkt die Kamera mit ihm durch ein Treppenhaus. Wieder sind Stimmen zu hören, er nimmt seine Mütze herunter und dreht panisch um. Die Kamera schwenkt mit ihm. Er streift durch eine Nahaufnahme und versteckt sich unter den Treppen. Jetzt wechselt die Kamera ihre Perspektive ohne Schnitt und fokussiert auf einen Mann in Lederjacke, der die Treppen herunterkommt. Hier dynamisiert Puiu seine Perspektive, seinen Raum in der Zeit. Fast spielerisch folgt die Kamera dem Mann, aber nur so weit wie der Blick des Protagonisten es erlauben würde. Dann dreht sie um und aus dem POV wird wieder eine Verfolgerkamera, in die der Protagonist blickend tritt. Er geht die Treppen nach oben, wir folgen ihm mit einem Schwenk. Bewegung-Stehen Bleiben-Umkehren-Bewegung-Bewegung-Stehenbleiben-Umkehren…unsere Wahrnehmung für die Bewegung in der Zeit wird geschärft. Eine Halbtotale holt den Protagonisten in der Hotellobby ab. Im Hintergrund sind unscharfe Menschen, wir folgen ihm mit einem Schwenk durch die Loungemusik und bleiben oberhalb einer wendelförmigen Treppe stehen, die er mit schnellen Schritten nach unten geht. Dabei reagiert die Kamera auch auf seine Bewegungen, wenn sie ihn nur kurz aus der Topshot-Perspektive erkennen kann. Ein harter Schnitt in eine Totale. Der Protagonist erscheint wieder draußen auf dem Parkplatz vor dem Hotel. Ein 360 Grad-Schwenk zeigt uns wie das Hotel, die Tiefgarage und der Parkplatz räumlich zusammenhängen. Der Weg, den wir gegangen sind, wirkt trotz der Schnitte nun glaubwürdig. Der Protagonist rennt fast. Wieder schwenkt die Kamera und bleibt dann stehen. Wir sehen ihn aus einer totalen Einstellung durch dieselbe Gittertür wie am Anfang gehen. Hier spiegelt Puiu die kleinen Bewegungen der Szene in der großen Bewegung der Szene: Denn wie immer ist der Protagonist einen Weg gegangen, ist umgekehrt und geht ihn dann doch weiter. Also wieder zurück in die Tiefgarage. (UNGLAUBLICH!) In einer Halbtotale erahnen wir ihn hinter einem Auto auf dem Boden lauernd. Man hört wie er sein Gewehr zusammenbaut. Er steht auf, das Gewehr in seiner Hand, er hat ein paar Probleme damit und schaut gespannt Off-Screen. Er stößt mit seiner Waffe gegen ein parkendes Auto. Hier liegt das absurde Element, das nur in einer Entfaltung der Szene in Raum und Zeit überhaupt möglich ist. Wir schwenken mit ihm und bleiben dann stehen. Er positioniert sich schnell zwischen zwei Autos. Nun sind wieder Stimmen aus dem Off zu hören. Der Protagonist ist sehr angespannt, man glaubt, dass er gleich schießen wird, aber dann blickt er nochmal und entscheidet sich weiterzugehen. Er verschwindet hinter den Autos, die Kamera schwenkt mit ihm mit, obwohl wir ihn nicht immer sehen. Sie schwenkt soweit nach rechts bis im Bildzentrum sehr nah eine Säule auftaucht. Rechts von der Säule erscheinen ein Mann und eine Frau. Wieder dynamisiert Puiu unsere Perspektive und macht aus der Verfolgerkamera einen POV-Shot, nun sind wir wie der Mörder, versteckt lauernd hinter einer Säule. Die Kamera folgt den beiden. Sie sperren jenes Auto auf, das der Protagonist früher betrachtet hat. Sie haben offensichtlich einen Streit. Als sie einsteigen, springt der Protagonist hervor und erschießt beide mit jeweils einem lauten Schuss. Die Kamera bleibt in der Totale und reagiert mit atmenden Schwenks. Nun folgt sie wieder dem Protagonisten, der hektisch zurück zu seiner Tasche hinter dem Auto läuft. Er setzt sich wieder hin und packt das Gewehr ein. Die Kamera hat ihre Position nicht verlassen, Puiu demonstriert die zeitliche macht eines Schwenks. Er rennt nach hinten aus dem Bild und ein harter Schnitt führt uns wieder in das Auto, mit dem der Mann holprig flüchtet.

La libertad Alonso

Dieses Licht, das mit der Zeit korrespondiert, ist keine Frage eines glücklichen Moments wie dem einer spontanen Beobachtung einer Fassade. Deshalb hat man in einem Film von Terrence Malick auch kein Zeitgefühl sondern nur leere Schönheit, die erst mit einem Voice-Over- und Musikgedudel so etwas wie Zeit bekommt. Nein, es ist eine Frage von Wahrnehmung, dem Denken und Arbeit in der Zeit. Ein Fotograf, der das eingangs beschriebene Phänomen beobachtet und jeden Tag zur Fassade kommt, der den Raum kennt, der seinen Fotoapparat kennt, der das Licht kennt und sich selbst, der wird die Schönheit dieses Augenblicks auch einfangen können. Man denke an ein Gewitter bei John Ford in She wore a yellow ribbon. Ja, die Legende des Mannes pocht auf das Glück und die Spontanität dieses Augenblicks, aber wenn ich die Szene sehe, sehe ich Schnitte und sehe ich Perspektiven, die einen perfekten Blick auf das Naturschauspiel in der Zeit ermöglichen; eine Zeit, die aus dem Raum und aus dem filmischen Gewissen eines Künstlers hervorgeht. Die Zeit filmen ist zugleich Essenz als auch Meisterschaft des Filmemachens.

Viennale 2014: Phantom Power von Pierre Léon

Phantom Power Pierre Léon

Narzisstische Blüte einer französischen Melancholie treibt durch ihr Gewissen; was treibt dich an, welchem Strang folgst du? Französische Mädchen trennen sich in einem Machtspiel des Schmerzes und wir hören diese Hypnose die ganze Nacht (der erste Schnitt auf das junge Mädchen mit glasigem Blick, ein Hauch von einer Sekunde bevor sie spricht, das ist ein solcher Moment von dem man träumt), verrauschter Sturm eines Korridors, ein nackter Mann in einer roten Nische, in einer roten Nische ist ein nackter Mann. Er liest ein Gedicht, das er auswendig kann. Appollinaire (Vendémiaire). Das ales und mehr ist Phantom Power von Pierre Léon.

Hommes de l’avenir souvenez-vous de mo
Je vivais à l’époque où finissaient les rois
Tour à tour ils mouraient silencieux et tristes
Et trois fois courageux devenaient trismégistes

Russland ragt wie ein süffiger Schatten in die nächtlichen Reflektionen eines ruhigen Hauses, ein verspielter Suizid, wohin führt dein Weg: Die Hände von Fritz Lang, die Hände bei Fritz Lang, Tränen tropfen auf die Remains, das Bleibende bleibt. Ein Gespräch am Fenster, ein Mann auf einem Fahrrad, die Augen eines Mannes, dann wieder die Hände: In der Badewanne. Wie sehen Hände in der Badewanne aus?

Que Paris était beau à la fin de septembre
Chaque nuit devenait une vigne où les pampers
Répandaient leur clarté sur la ville et là-haut
Astres mûrs becquetés par les ivres oiseaux
De ma gloire attendaient la vendange de l’aube

Phantom Power

Was treibt? Was treibt dich an? Es tropft auf die Hände, sie knöpfen, sie schreien, wenn sie sich spreizen. Wann hat Fritz Lang über Hände nachgedacht? Ein Kino macht dieser Pierre Léon, mit dem muss man lernen umzugehen. Er hat diesen Film als eine Antwort auf die ausbleibende Finanzierung eines anderen Films gedreht. In den uninspirierteren Momenten wirkt das ganze wie eine Müllsammlung, in der Léon das unbrauchbare seines filmisches Schaffens poetisch gebraucht, in besseren Momenten macht er Musik. Nichts geht so ganz zusammen in diesem Film, der zugleich kein Film ist und tausende. Ein wenig Chris Marker steckt im Film, in der nachdenklich-lyrischen Art des Voice Overs in den Fragen über den Blick und die Zeit. Ein wenig Jonas Mekas in der Spontanität der Bilder, ihrer Flüchtigkeit. Und ganz sicher eine der lyrischsten Found Footage Montagen, die ich bisher sehen durfte: Die Hände bei Fritz Lang (ist das wirklich nur Fritz Lang?). Am Ende ist der Film wie eine trunkene Nacht, ein Dämmerlicht und ob man es als Morgen oder als Nacht wahrnimmt, ist eine ganz andere Geschichte. Léon arbeitet fast wie ein DJ seiner Erinnerungen. Aber diese Erinnerungen existieren auch ohne ihn und werden nur in ihrer Montage zu seiner Erinnerung an diese verlorene Nacht in Paris.

Un soir passant le long des quais déserts et sombres
En rentrant à Auteuil j’entendis une voix
Qui chantait gravement se taisant quelquefois
Pour que parvînt aussi sur les bords de la Seine
La plainte d’autres voix limpides et lointaines