Notes on a shot from La folie Almayer by Chantal Akerman

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“Through this taxonomic organization, Baillie suggests that cinema evolved out of consciousness and over time assumed forms increasingly distant from the deep self. In presenting these cinematic modes in reverse chronology, Baillie suggests that the cinema’s original and true nature is as a document of consciousness. – R. Bruce Elder on Bruce Baillie’s Quick Billy

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It begins with a look. One can hear the swirls, time distended in the water. It’s the sound of an eye that searches – Akerman’s – set on distinguishing “right” from “correct”. The boat arrives at a destination, but this isn’t what’s seen, at least not onscreen. Instead, we wait. It takes 1min 45secs for the camera to learn properly; learn properly how to swim, how to brush past palm leaves and, finally, how to compose a shot. Its essence is shown first before our people wander through, the ancillary subjects. Only in retrospect did this shot exist. At the time, it was a decomposed frame. We’re shown the piecemeal but remember a whole, the shot that never quite coalesced.

Akerman asks us to remember three things:

  1. That film is a choice
  2. That this choice takes time
  3. That most filmmakers are afraid to make this choice

This third fear is the only false move. There are only wrong choices if one spends too little time learning how to swim.

Film als Widerspruch: Esther Kahn von Arnaud Desplechin

Esther Kahn von Arnaud Desplechin

Arnaud Desplechins Esther Kahn ist ein Film der Widersprüche. Der augenfälligste davon: Es ist zugleich ein universeller und ein spezifischer Film. Universell, also allgemein gültig, weil sein Thema eines ist, das zu uns allen spricht, weil es jedermann betrifft, weil wir uns jeden Tag damit befassen müssen. Wie soll ich älter werden? Wie werde ich erwachsen? Vor allem auch: Wie erschaffe ich meine Persönlichkeit? Die Fragen, die der Film bezüglich seiner Protagonistin in jeder Szene stellt, sind so breit, so zeitlos wie möglich. Wie muss ich auf die Welt reagieren? Wie muss ich handeln? Muss ich überhaupt irgendetwas tun? Damit geht die Frage einher, was eine Handlung ist. Diese Frage wird im Film direkt angesprochen, als Esther Kahn, aspirierende Bühnenschauspielerin, von ihrem Mentor erklärt bekommt, was es bedeutet, zu schauspielern. Diese Fragen loten das Verhältnis vom Individuum zur Gesellschaft aus, den ewigen Kampf, Eingang ins Leben, in die Umwelt zu finden, den dieses Verhältnis mit sich bringt. In dieser Hinsicht können wir uns alle mit dem Film respektive seiner Hauptfigur identifizieren.

Spezifisch ist der Film wegen seiner Detailversessenheit. Zeitpunkt und Ort sind so exakt umrissen, dass er nur genau dann und dort derart stattfinden könnte: jüdische Immigranten, Schneiderfamilie, im Londoner East End, um das Jahr 1900. Und obwohl die Figur der Esther Kahn eigentlich so nachvollziehbar, so bekannt weil in uns selbst angelegt wäre, wird sie so präsentiert, als sei sie eine Ausserirdische. In Arthur Symons gleichnamiger Kurzgeschichte, die im Film oft als erzählerisches Voice-Over zitiert wird, heißt es: „[Esther Kahn’s] whole face seemed to await, with an infinite patience, some moulding and awakening force, which might have its way with it. It wanted nothing, anticipated nothing; it waited. Only the eyes put life into the mask, and the eyes were the eyes of the tribe; they had no personal meaning in what seemed to be their mystery; they were ready to fascinate innocently, to be intolerably ambiguous without intention; they were fathomless with mere sleep, the unconscious dream which is in the eyes of animals.“

Esther Kahn von Arnaud Desplechin

Die Identifikation wird neutralisiert durch Entfremdung; erstens durch das Ansiedeln der Handlung in einem fernen und hermetischen Milieu, zweitens durch das Abgrenzen der Hauptfigur, ihre Nichtangepasstheit an dieses Milieu (Geschwister, Eltern, Rabbiner, sämtliche sozialen Kontakte), und drittens durch die Nichtangepasstheit an unsere Jetztzeit; an grundsätzlichen Gepflogenheiten, Umgangsformen, die in allen Kulturen dieselben sind und erwartet werden: beispielsweise Reaktion, irgendeine Reaktion, auf Impulse der Umwelt.

Dieser Nonkonformismus ist motiviert weniger durch jugendlichen Widerstand gegen das Umfeld oder eine besondere, ausgefuchste Schlauheit (sie wird als „neither clever nor stupid; but inert“ beschrieben) als durch Esthers Ratlosigkeit, durch ihre Nicht-Identifikation, durch Unverständnis ihm gegenüber; durch das Nicht-Sollen-Wollen; das bedeutet gerade auch Eigenständigkeit, die ihr von allen stets abgesprochen wird, und eine fragile Würde. In einer parabelartigen Szene zu Beginn, als die Kinder der Familie zu Bett gehen, wird Esther von ihrer Schwester gefragt, auf welche Eigenschaft sie besonders Wert legt. Sie zögert; die eine Schwester sagt, auf ihre Schönheit, die andere, auf ihre Intelligenz, der Bruder möchte reich werden. Esther findet keine Antwort. Dass sie später das Theater und das Schauspielern als ihre „Domäne“ entdeckt (ironischerweise gerade sie als permanent anti-performative Lebenskünstlerin), wird nicht, wie zu erwarten, als Katalysator zu einer groß angelegten Persönlichkeitsentwicklung verwendet. Der Konflikt zwischen ihr und der Umwelt persistiert.

Die Figur Esther Kahn erscheint uns deshalb bizarr, losgelöst, distanziert; aber auf warme, sensible Art. Nicht nur wird uns damit die Möglichkeit gegeben, sie zu hinterfragen, sondern auch uns selbst. Vielleicht nur, weil ich kurz zuvor Ordet gesehen habe, aber: Esther Kahn scheint mir in gewissen Dingen ähnlich Dreyers Film. Beide Filme distanzieren uns mit der gleichen Geste, mit der sie uns zu sich holen. Dreyers Einstellungen beschwören eine losgelöste, zeitlose Welt, die wir durch einen Guckkasten betrachten, die aber aus unserem Innersten zu kommen scheint, uns so unergründlich bekannt wie ein längst vergessener Traum. Alle Figuren in Ordet, selbst der „verrückte“ Johannes, erscheinen uns logisch und authentisch; in Zeitlupe können wir die entstehenden, unvermeidbaren Konflikte betrachten, vergleichbar heranziehenden, unheilvollen Wolken, Resultat kollidierender innerer Wertesysteme. Überhaupt sind der sich selbst als Jesusfigur sehende Johannes und Esther Kahn einander ähnlich, trotz ihrer Gegensätzlichkeit; unfreiwillig apart vom Rest der Gesellschaft stehend, als Reaktion letzterer auf ihren unter- (Esther) respektive übertriebenen (Johannes) Willen, ihre Person zu erfinden; das heißt ihrem Nicht-Mitgehen des Weges, der für ihre Persönlichkeiten von der Gesellschaft vorgesehen ist.

Die Vorgänge beider Filme bezeugen wir wie durch ein hermetisch abgeschlossenes Reagenzglas, wie eine chemische Reaktion, obwohl Esther Kahn filmisch ganz andere Mittel anwendet als Ordet. Ein sinnlich-impressionistischer Stil herrscht vor. Es konfrontieren uns, durch Handkamera, Realitäts-Schnipsel, Fragmente, in Großaufnahme, ein bisschen wie in Bruce Baillies Valentin de las Sierras. Diese Schnipsel, die uns außerordentlich nahe ans Geschehen, an Details heranbringen (und Details, Handgelenk, Wange, werden in der ersten Hälfte des Films oft noch besonders betont durch den Einsatz von Irisblenden) lassen uns auch etwas verloren zurück, zerbröseln die Realität, die wir uns nochmals neu zusammenbasteln müssen. Arthur Symons schreibt in seiner Geschichte: „Sometimes, when [Esther] had been watching [her family] until they had all seemed to fade away and form again in a kind of vision more precise than the reality, she would lose sight of them altogether, and sit gazing straight before her, her eyes wide open, her lips parted.“ Dieses ständige Push and Pull wird eigentlich den ganzen Film über praktiziert; in einer genialen Szene wird dieser Satz aber wortwörtlich umgesetzt, als wir sehen, wie Esther die Familie betrachtet, und verschiedene Familienszenen sanft überblendet werden, sich tatsächlich zu einem großen, multidimensionalen Puzzle formend, das Universelle und das Spezifische vereinend.

Viennale 2014: Kurzfilme

"Fog Line" von Larry Gottheim

Was ich besonders an der österreichischen Filmlandschaft schätze ist, dass sie immer auch Platz für vergleichsweise marginalisierte Filmformen, wie Avantgarde-, Dokumentar- und Kurzfilme bietet. Wie jedes Jahr wartet die Viennale mit einer großen Auswahl an Kurzfilmprogrammen auf – neben einigen Programmen zu Filmen aus dem laufenden Jahr, gibt es auch eine Retrospektive zum 16mm-Film zu sehen, die aus 13 Programmen besteht (12 davon sind Kurzfilmprogramme). Es sammelt sich also eine Menge an großartigen Kurzfilmen an, über die (zu) wenig geschrieben wird. Zur Halbzeit des Festivals will ich also die Gunst der Stunde nutzen und ein paar meiner bisherigen Favoriten besprechen.

Milchig weiße Leinwand, ein dunkler Schemen rechts im Vordergrund. Warten, dass etwas passiert. Es passiert nichts. Passiert nichts? Langsam, eigentlich unmerklich wird der Schemen deutlicher, weitere Schemen sind zu erkennen. Eine Landschaft. Am Ende sieht man eine nebelverhangene Baumgruppe und versucht sich das Anfangsbild ins Gedächtnis zurückzurufen. Subtile Veränderung. Film ist Raum in der Zeit. Fog Line ist Film. Ein Meisterwerk des (Strukturalen) Films.

Fog Line lief im 16mm-Programm „Struktureller und freier Film“. Dabei handelte es sich quasi um ein Best Of des klassischen Avantgardeschaffens der 60er und 70er Jahre in 16mm – soweit man bei einem 70-minütigen Programm überhaupt von einem Best Of sprechen kann. Das soll die Qualität der ausgewählten Filme jedoch nicht schmälern. Neben Fog Line liefen in diesem Programm noch acht andere Filme, die eigentlich alle eine Erwähnung verdient hätten – ich beschränke mich auf Bruce Conners Cosmic Ray, das wohl beste Ray Charles-Musikvideo aller Zeiten. Conners Filme kann man eigentlich nicht oft genug sehen, deshalb war ich sehr dankbar für die Gelegenheit wieder einmal in seine Bilderwelten aus beißender Politsatire und Filmgeschichtszitaten einzutauchen. Cosmic Ray ist Kunst und Krempel in einem. Ein Meilenstein des Found Footage-Films und des New American Cinema allgemein.

Ebenfalls als Meilenstein des New American Cinema darf Bruce Baillies Quixote gelten. Baillie, dem mit „Oden an eine untergegangene Welt“ ein eigenes Programm gewidmet wurde, löst hierin die kalifornische Landschaft in Licht auf. Elegisch, fließend, poetisch, lyrisch ist der Film, da gehen einem die Adjektive und Superlative aus. Über vierzig Minuten habe ich das Licht gesehen – wohl mit ein Grund weshalb Aleksey Germans Hard to be a God, der im Anschluss lief, so schlecht bei mir weggekommen ist.

Quixote von Bruce Baillie

Aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Einer der spannendsten österreichischen Filmemacher der Gegenwart ist zweifelsohne Johann Lurf. Der meldete sich auch mit einem neuen Film zurück, der ironischen Essaykomposition Twelve Tales Told, einer melodischen Kakophonie aus Logovorspännen großer Filmstudios. „Melodische Kakophonie“, ein Oxymoron, ganz wie die Vermengung von Blockbusterkultur und Filmavantgarde.

Die US-Amerikanerin Deborah Stratman ist altersmäßig zwischen dem 32-jährigen Lurf und dem 83-jährigen Bruce Baillie anzusiedeln. Jedes Jahr stellt die Viennale unabhängige Filmemacher der Gegenwart vor. 2014 laufen diese Filme unter dem Programmpunkt „Broken Sequence“. Stratman ist neben ihrem Landsmann Kevin Jerome Everson und der Österreicherin Dorit Margreiter eine der drei Künstler und Künstlerinnen deren Arbeiten hier präsentiert werden. Und zurecht. Stratmans O’er the Land kann ohne Zweifel zur Riege der ganz großen Studien zum Wesen der amerikanischen Gesellschaft gezählt werden. Ausgehend vom Schicksal des Piloten William Rankin, der anno 1959 aus rund vierzehn Kilometern Höhe über und durch eine Gewitterwolke seinen Kampfjet mittels Schleudersitz verlassen musste. Das ist bis heute der einzige bekannte Fall in dem solch ein Manöver von einem Piloten überlebt wurde. Da Rankin wegen seines Alters nicht für ein Interview bereitstand (wie einer aufgezeichneten Nachricht von Stratmans Anrufbeantworter zu entnehmen ist), macht die Filmemacherin sich auf Heroismus und Pseudo-Heroismus ihres Landes einem kritischen Blick zu unterziehen. So folgt sie unter anderem den Protagonisten eines Reenactments einer Schlacht aus dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, Feuerwehrmännern und Grenzpatrouillen bevor sie sich selbst in die Wolken stürzt und eine geradezu magische Sequenz aus Himmel und Wolken auf die Leinwand zaubert und im Off-Kommentar Rankins Beschreibung seines einzigartigen Erlebnisses zu hören ist. An Stratman ist eine beachtliche Actionthriller-Regisseurin verloren gegangen – ein Verlust für die Filmindustrie, ein Gewinn für den unabhängigen Film.

O’er the Land von Deborah Stratman

O’er the Land ist eine ethnografische Studie des Landes und mit dem Stichwort Ethnografie sind wir schon beim letzten Abschnitt dieses kleinen Zwischenberichts angekommen. Ich kehre zurück zu einem der 16mm-Programme. „Radikale Ethnografie“ vereint acht Filme, die über Menschen und ihre (teils skurrilen) Lebensweisen erzählen. Dabei geht es nicht bloß um venezolanische Indianerstämme (wie in Children’s Magical Death) oder Tanzrituale in einem afrikanischen Dorf (wie in Tourou et Bitti), sondern auch um uns nicht ganz so fremden Milieus, wie der Wrestlingszene in Montreal (in La Lutte) oder einem Badesee in Massachusetts (in Quarry). Wenn es dem Programm darum ging das Poetische des Alltagslebens aufzudecken, dann hat Almadabra Atuneira von António Campos diese Aufgabe am befriedigendsten bewältigt. Seine wortlose Studie über portugiesische Fischer zeugt nicht bloß von einem immensen Verständnis für Arbeitsabläufe und Lebensweisen, sondern auch von einem unglaublichen Gespür für die Schönheit von Licht und Schatten. Das Glänzen des Sonnenscheins auf den Wellen der Algarveküste ist das elegische Licht Bruce Baillies. Das Glänzen des Sonnenscheins ist Nebel. Das Glänzen des Sonnenscheins ist Film.