Some Sundance Bullshit: The Life and Times of Alex Ross Perry

„There’s something dubious about the way critics are falling to their knees for Listen Up Philip. Why? Because the film appeals to the chin-stroking, tweed-wearing, elbow-patched pedant in those whose fantasy vision of Manhattan is a sepia-toned salon of literary bloviators. And therefore it flatters the New York contingent (that David Fincher likes to call ‚callous sophisticates‘) that cheered The Color Wheel in 2011. You wish Alvy Singer would burst through the frame: ‚Aren’t you ashamed to pontificate like that?‘“ (Ryan Lattanzio, Indiewire)

Schwartzman und Moss in

Listen Up Philip

Abgesehen von berechtigten Zweifeln ob Herr Lattanzio Alex Ross Perrys neuesten Film überhaupt gesehen hat, schockiert mich sein fehlendes Verständnis für welche Art von Kino Alex Ross Perry eigentlich steht. Für eine Seite wie Indiewire, die sich (nicht unberechtigt) als Sprachrohr einer gewissen Form der US-Independentszene sieht, ist eine solche Kurzsichtigkeit hinsichtlich eines ihrer spannendsten Talente zumindest eine kleinere Katastrophe. Lattanzio ist mit seinen Ansichten aber nicht alleine. Diesen Sommer in Locarno hörte ich mehrmals, Listen Up Philip sei bloß ein weiteres Beispiel gehypten „Sundance-Bullshits“, einer Auffassung, der ich mich damals wie heute nicht anschließen kann.

Alex Ross Perry hat mit dem heutigen Tag drei Langfilme abgeschlossen und mit Queen of Earth einen weiteren in Post-Production, der 2015 erscheinen soll. Diese drei Filme (vor allem die letzten beiden) wirken auf den ersten Blick tatsächlich wie eine Essenz aus Sundance-Charakteristika, die man sich in einem amerikanischen Indie-Film zu erwarten hat, wenngleich sie ein sehr heterogenes Trio bilden.

Perrys Debütfilm Impolex ist eine kuriose Geschichte über einen US-Soldaten nach Ende des 2. Weltkriegs, der auf der Suche nach deutschen Raketen durch einen Wald irrt und dabei auf eine Reihe seltsamer Gestalten trifft. Auf den ersten Blick wirkt Impolex wie ein billiger Studentenfilm, dessen Handlung und Milieu nach der Verfügbarkeit von leistbaren Kostümen im nächstgelegenen Verleih gewählt wurde. Natürlich verhält es sich anders, denn Perry bezieht sich auf Motive des Romans „Gravity’s Rainbow“ von Thomas Pynchon, den er jedoch nicht wortgetreu adaptiert (Pynchon gilt als „nicht verfilmbar“; man darf gespannt sein wie Paul Thomas Anderson diese Aufgabenstellung gelöst hat), sondern dessen Struktur, Sprache und Humor er in elliptischen Episoden zusammenfügt. Impolex ist enigmatisch und lässt einen halb-lächelnd ob der Absurdität der Ereignisse, halb-verwirrt ob der Inkonsistenz des Gezeigten zurück (und spiegelt somit das Verhalten des Hauptcharakters Tyrone, der ebenfalls halb-amüsiert, halb-verwirrt durch den Wald irrt).

Perrys zweiter Film, The Color Wheel, ist eine Variation eines Roadmovies (ein sehr beliebtes Sujet im US-Indie), in dem ein Bruder seine Schwester hilft, ihre Sachen aus dem Haus ihres Ex-Freundes (und Ex-Professors) zurückzuholen. Der Look des Films entspricht in etwa der gängigen Mumblecore-Ästhetik der frühen 2000er, also schwarz-weiß und ultra-grainy. Auch sonst nimmt der Film Anleihen bei diesem Subgenre: betont inhaltlose Dialoge, wackelige Handkamera, ein kaum wahrnehmbarer dramaturgischer Bogen und Endzwanziger, die gelangweilt nach ihrem Lebenszweck suchen. Das Milieu ist für Kenner der amerikanischen Independentszene auch kein neues – junge Intellektuelle in Upstate New York.

In Listen Up Philip kulminieren in einer Geschichte über einen circa dreißigjährigen Schriftsteller, der in einem sepia-getünchtem Brooklyn lebt, sich nebenbei als Collegeprofessor verdingt und getrost als „quirky“ bezeichnet werden kann. Darüber hinaus bedient sich Perry noch exzessiver als in seinen früheren Filmen Stilmitteln, wie Voice-over Narration und Deadpan-Humor, die man gemeinhin mit dem amerikanischen Independentkino in Verbindung bringt (die Handkamera darf natürlich auch hier nicht fehlen).

The Color Wheel

Neben offensichtlicheren Anleihen bei Woody Allen und Wes Anderson, die vor allem in Listen Up Philip hervorstechen, wird Perrys Stil auch immer wieder mit dem Urvater der Szene, John Cassavetes verglichen. In einem wichtigen Punkt unterscheiden sich Perrys Filme aber von der großen eintönigen Menge der Filme, die Jahr für Jahr im Jänner die Leinwände Utahs bevölkern – seinen Filmen fehlt der Wille um jeden Preis geliebt zu werden.

Perry hatte die Chuzpe einen völlig unverständlichen Debütfilm zu drehen, in der ein verlorener US-Soldat in einem fiktiven deutschen (oder amerikanischen, man weiß es nicht) Wald auf seine Freundin, einen Piraten und einen sprechenden Oktopus trifft. Im Kern ist Impolex, wie oben erwähnt, eine Literaturverfilmung, allerdings ohne dies kenntlich zu machen, beziehungsweise ohne den üblichen Konventionen einer Literaturverfilmung zu folgen. Mit The Color Wheel realisierte Perry einen Film über zwei Menschen, die zumindest die erste halbe Stunde wenig sympathisch wirken und der schließlich in Inzest endet und mit Listen Up Philip schoss er ohnehin den Vogel ab, und präsentierte mit dem namensgebenden Hauptcharakter einen unerträglichen, selbstgefälligen Ungustl in Reinkultur. Perry macht Filme, die zwar in gewisser Weise in ein Muster fallen, bricht aber mit diesem Muster, in dem er entscheidende Elemente entweder beiseitelässt oder verfremdet und so das Publikum orientierungslos zurücklässt.

In jedem Fall unterscheidet er sich damit von seinen Kollegen, den er nimmt sich trotz allem ernst. Oder vielleicht nicht ernst – das wäre nicht das Wort, das er selbst wählen würde um sich zu beschreiben. Perry sieht sich als zynischer Betrachter und mit dieser Beschreibung kommen wir der Sache schon näher. Andere Filme ähnlicher Machart tendieren zu einem selbstreflexivem Augenzwinkern um dann doch wieder ihre „likability“ zu erhöhen – also um doch wieder geliebt zu werden. Perry kennt diesen Gestus nicht, sondern bloß staubtrockenen Zynismus. Perrys Filme zelebrieren nicht ihre eigene Überspitztheit, sondern lehnen eine solche Sichtweise gänzlich ab und betonen stattdessen die Ernsthaftigkeit der Lage. Das soll nicht heißen, dass diese Filme humorlos sind – ganz im Gegenteil – aber anders als andere Filme, die davor zurückschrecken ihr Publikum mit politisch-unkorrekten Witzen und unsympathischen Charakteren zu konfrontieren und sich mit aufgesetzter Ironie aus der Verantwortung winden, lässt Perry seine Gags unrelativiert stehen und überbrückt die Wartezeit des betretenen Schweigens ganz einfach mit einem Witz über die Gemächte von Afroamerikanern oder lässt seinen Hauptcharakter einen Partygast vollkotzen. Damit behält er eine gewisse Ehrlichkeit im Umgang mit seinem Publikum, und hält den Zusehern einen Spiegel vor – wer und was bin ich, wenn ich mich trotz alledem mit dem Charakter identifiziere?

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