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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Quentin Tarantinos 8. Film


Nun ist er also in den Kinos: Der neue Film des größten Kinofanatikers unserer Zeit. Dabei kann man sich auf drei Dinge verlassen, wenn man in einen Tarantino-Film geht: Musik, Gewalt und Dialoge. Aber das sind nur oberflächliche Methoden und Begriffe für das, was sich darunter abspielt. Die Musik bei Tarantino steht in der Art und Weise wie er sie verwendet für eine Reflexivität des Films allgemein und seiner Genres. Die Gewalt steht für das Fest des Kinos, das Tarantino mit jedem Film abzufeuern versucht. Und die Dialoge stehen für seine Charaktere. 
Man könnte auch sagen: Tarantino, das ist der letzte Autorenfilmer für die Massen. Seine Filme haben sich inzwischen schon ein Label erarbeitet, sie atmen eine ganz bestimmte Luft, in der alles möglich scheint und die sich mit dem Zuseher verbündet; eine Luft, in der Gewalt zu Lachen führen kann, weil sie stilisiert und kommentiert wird. Da gibt es ein pointiertes, den Schnitt unterstützendes Sounddesign, Zeitlupensequenzen und eine popkulturelle Orgie der Anspielungen und Referenzen, der Verbeugungen und Erwähnungen. Seine Geschichten filmt er fragmentarisch, in kurzen Episoden, ja fast Sketchen. Doch macht immer noch der wahnsinnige Videonerd diese Filme? Oder ist etwas passiert?
„Django Unchained“ ist auf dem Papier ein Western, der sich mit der Sklaventhematik kreuzt. Aber nur auf dem Papier. Filmisch verarbeitet ist da kein Western mehr, sondern lediglich ein Tarantino-Film. Aber ist das schlimm? Im Folgenden werde ich die oben genannten Aspekte
Musik
Gewalt
Dialoge
in „Django Unchained“ betrachten.
MUSIK
Um es philosophisch auszudrücken: Tarantinos Bezüge zu anderen Filmen haben sich so in ihr Gegenteil verkehrt, dass ein Bezug zu irgendeinem Film nicht mehr als typisch für diesen oder jenen Film anzusehen ist, sondern als typisch für Tarantino. Wenn plötzlich Filmmusik aus anderen Filmen oder Johnny Cash im Wilden Westen zu hören sind, dann ist das schon lange keine Besonderheit mehr, bei der man nach Gründen und Motiven sucht, sondern es ist schlicht und einfach Tarantino. Damit eliminiert sich das Meta-Kino gewissermaßen selbst. Die Zitate werden gar nicht mehr als solche wahrgenommen. Wenn man die zahlreichen Anspielungen zu den Django-Filmen, diversen Spaghetti-Western, „Birth of a Nation“, „Butch Cassidy and Sundance Kid“ usw. sieht, dann bemerkt man sie für die Dauer einiger Sekunden, manchmal völlig aus dem Kontext gerissen. Ein Zitat dem Zitat zu Liebe. Das Bedauerliche daran ist, dass dadurch wiederkehrende Motive in den Filmen von Tarantino selbst wie Zitate wirken. Ein Beispiel aus „Django“ wäre das Thema des Rollenwechsels und Rollenspiels, dass er unter anderen in „Reservoir Dogs“ oder „Inglorious Basterds“ mehr oder weniger gleich anwendet. Soll ich das jetzt als Handschrift eines Autors oder als gelangweiltes Selbstzitat sehen? Eigentlich wirkt der ganze Film wie eine möglichst geschickte Aneinanderreihungen von Zitaten, egal ob auf das Westerngenre, irgendein Genre oder sich selbst bezogen. Das ist aber nicht ausschließlich negativ, denn damit wird auch ein eigener Kosmos erschaffen, eine eigene Welt. 
Schade ist nur, dass deshalb so gar kein Western-Feeling aufkommen mag. Hierbei geht es mir nicht, um die offensichtlichen mit Hip-Hop Musik untermalten Sequenzen, sondern um ein ganz spezielles Versäumnis, das man bei einem solchen Cineasten niemals erwartet hätte: Die Ruhe der Wüste, die Breite des Bildes und das epische Potenzial des Stoffes, dass sich IMMER um einen einsamen Helden bewegt. Diese werden allesamt nicht eingefangen, sind aber fester Bestandteil von einer amerikanischen Western-Mythologie. Vielmehr scheint Tarantino zu versuchen das Genre zu brechen. Letztlich bricht er sich aber damit selbst, weil sein Drehbuch eben all jenen nicht-visuellen, rein narrativen Westernmotive enthält; oder soll man besser sagen: Alle Zutaten? Und genauso wirkt auch die Musik in „Django Unchained“. Egal wie ungewöhnlich oder mutig, es ist eben gewöhnlich für Tarantino, er scheint sich mehr oder weniger selbst zu zitieren; die Art, wie er insbesondere durch die erste Hälfte des Films schneidet, zeigt wie abgekocht er schon mit dem Publikum umgeht. Man hat fast das Gefühl, dass der Film Pausen für Lacher lässt, es geht Tarantino nicht mehr darum einem Genre oder bestimmten Konventionen gerecht zu werden beziehungsweise damit zu spielen, es geht ihm nur mehr um den Effekt, den er damit erzielt. Die Folge ist, dass es sich bis zur Ankunft in Candyland um eine sehr gute Komödie handelt; nicht aber um einen Western und deshalb auch nicht um einen Tarantino-Film, wie es ihn schon gab.
GEWALT
Allerdings finden sich viele Aspekte des klassischen Tarantino-Kinos auch in „Django Unchained“, der auch weit davon entfernt ist ein schlechter Film zu sein. Eine dieser Aspekte ist Gewalt oder anders ausgedrückt: Die Art und Weise, wie Tarantino das Kino zelebriert. Verzögerung und Beschleunigung, Laut und Leise, Schnelle Bewegungen und Bedachte Bewegungen; diese Kontraste präsentiert der Film in Perfektion. Immer wieder wartet man auf die Explosion, man spürt die Umgebung, in der sich die Charaktere befinden. Die Einstellungen sind völlig klar und selbst wenn man merkt, dass hier und da gekürzt wurde, um den Film wenigstens knapp unter drei Stunden zu halten; es ist auch die Art und Weise, wohin die Kamera blickt: Ein Mann wird auf einem Pferd reitend erschossen. Man folgt nur den Hufen des Pferdes. Einzelne Schüsse sind zu hören und das Schnauben und Galoppieren des Pferdes. Ab und an spritzt etwas Blut durchs Bild, dann fliegt am linken Bildrand der Mann vom Pferd. Die Kamera folgt aber weiter den Hufen und schwenkt hoch, um das blutüberströmte weiße Pferd zu zeigen. In den Augen von „Django“ spiegelt sich in einer grausamen Mordszene tatsächliches Mitgefühl; eine seltene Geste dieses Regisseurs, die die Gewalt für einige Momente aus der Komik und aus dem Comic reißt. Langweilig kann einem praktisch nicht werden. Entweder wartet man auf einen Ausbruch oder verfolgt gespannt seine Antizipation. Die Vollendung jener ungestillten Konsequenz im Kino des Quentin Tarantino vollzieht sich im letzten Drittel des Films. Die Gewalt macht den Film erst aus, eine Flut der Farben und Eindrücke, die den Zuseher in einen euphorischen Rausch versetzen mag. Und da man diese Freude im ganzen Kinosaal spüren kann, entwickelt man selbst eine Freude. Hier scheint jeder eingeweiht zu sein in einen Wahnsinn und in ein wahnsinniges Bildermeer.
DIALOGE

Herzstück des Filmes sind seine Charaktere. Vor allem Django selbst, Dr. King Schultz und Calvin Candie. Django wird gespielt von einem Jamie Foxx, der seit langer Zeit mal wieder eine vielschichte Figur verkörpert. Er ist der mit Abstand „unlustigste“ der drei wichtigsten Figuren, aber er trägt die emotionale Last des Films. Nicht immer gelingen diese ernsteren Töne, aber sie gelingen vor allem dann, wenn er sie unter einer Maske verstecken muss. Dann offenbart sich hinter seiner Sonnenbrille ein wütend-ängstliches Gesicht oder ein kalter Blick im Angesicht des Todes. Dr. King Schultz wird verkörpert von Christoph Waltz, der hier noch viel mehr macht, als nur seinen Hans Landa aus „Inglorious Basterds“ zu kopieren. Er legt Menschlichkeit in die Rolle und das gelingt vor allem deshalb so gut, weil man sie von ihm nicht erwartet. Tarantino hat seine Charaktere also mal wieder so ausgelegt, als würden sie sich selbst ihrer Künstlichkeit bewusst sein. Dr. Schultz pflegt seinen eigenen Sinn für Coolness; die Selbstverständlichkeit mit der er durchs Leben stolziert ist in ihrer Abgebrühtheit kaum zu überbieten. Genauso wenig die wiederkehrende Geste des durch den Bart Streichens, die entspannte Art, wie er von Siegfried und Brunhilde erzählt und der Stolz, den er mit seiner Herkunft aus Deutschland verbindet. Calvin Candie ist der Bösewicht, was liegt da ferner als ihn mit Leonardo DiCaprio zu besetzen. Interessant an der Anlage des Charakters ist, dass seine Bösartigkeit sich nur am Rande auf Django und Dr. Schultz bezieht. Im eigentlichen Sinne erfährt der Zuschauer von seinem tatsächlich boshaften Charakter gleichzeitig wie die Protagonisten. Und wer daran gezweifelt haben sollte, dass DiCaprio eine solche Rolle mit einer diabolischen Kälte und Arroganz in bester Manier abliefern kann, der sollte sich „Django Unchained“ ganz schnell ansehen. Welch ein großartiger Schauspieler er ist zeigt sich spätestens, als er Django zum ersten Mal ganz nahe kommt; er bringt derart viele Elemente in seinen Zügen zum Vorschein, dass ein wahrhaftig lebendiger Mensch entsteht, der dennoch in das comichafte Universum seines Regisseurs zu passen scheint. Ein Monster, das nur durch die Art des Spielens motiviert wird. Dr. King Schultz hat die meisten Lacher mit seinen scharfsinnigen, absurd-argumentieren Schlussfolgerungen, während Candie zum Teil anstößt, aber schnell in einen unheimlichen Wettbewerb mit seinen Kontrahenten tritt.

Sobald der Film Candyland betritt wird es ein Tarantino-Film mit allem was dazugehört, positiv wie negativ. Davor sind es unheimlich lustige Christoph Waltz Festspiele und der erfolglose Versuch eine Atmosphäre zu schaffen. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass Dialoge gar nicht so viel verloren haben in einem richtigen Western. Was bleibt ist der 8.Film eines Kinoliebhabers, der sich wunderbar eingliedert in dessen Gesamtwerk; eine Ansammlung von filmischen Highlights und Kultszenen, ein Film, den man problemlos häufiger sehen kann. Nur wenn nicht noch etwas Großes in Tarantino schlummert, muss er aufpassen, dass er am Ende nicht doch in völliger Selbstverliebtheit untergehen wird. Aber selbst dann müsste man sagen: „I like the way you die, boy.“