No von Pablo Larraín

Bei „No“ von Pablo Larraín haben wir es mit einem politischen Film zu tun, der derart souverän sämtliche Fehler anderer historisch-politischer Filme vermeidet, dass man zwar den ganzen Film über kaum spürt, dass es sich womöglich um einen herausragenden Film handelt, am Ende aber einfach keine Schwächen finden mag. Es geht, um die Vergangenheit Chiles, aber irgendwie auch um die politische Irrelevanz im modernen gesellschaftlichen Diskurs. Was muss man tun, damit Menschen zur Wahl gehen? Der Fokus liegt dabei auf René (anfangs gespielt, später verkörpert von Gael Garcia Bernal), einem Werbekreativen, einem Massenmanipulator.
 

  

„No“ vereinigt filmisches und politisches Understatement. Die Bilder kommen im schmutzigen Videolook daher, samt Wackelkamera, fehlendem Kontrast und schmalem Seitenverhältnis. Look also nicht als Spiegel der Zeit wie etwa bei den unmotivierten Boxkämpfen in David O. Russels „The Fighter“ oder Michael Hanekes „Das weiße Band“, sondern Stil als politisches Konzept, als filmische Politik. „No“ zeigt ganz im Kontrast zu vielen amerikanischen Wahlkampffilmen einen Wahlkampf ohne großes Pathos, ohne einen Idealismus, der einem ins Gesicht schlägt und gar nicht mehr atmen lässt. Trotzdem bekommt man Gänsehaut, etwa als einer der Offiziellen zunächst verkündet, dass Pinochet in seinem Amt bestätigt wurde und man die enttäuschten Gesichter im Raum betrachtet. Nur gibt es da zum einen das Gefühl selbst die Wahl zu haben. Selbst! Nüchtern und trocken scheint der Film die Werbespots der Opposition und die der Regierung original hintereinander zu zeigen. Natürlich findet in diesen Szenen bei Larraín ein Auswahlverfahren statt, natürlich hat er Mittel den Zuseher zu manipulieren, auf die Seite der Opposition zu bringen. Aber er gesteht auch deren Schwächen ein. Immer wieder musste ich dabei an die Diskussion gegen Ende von „Aprés Mai“ von Olivier Assayas denken: Inwiefern sollte eine Revolution sich der (filmischen/künstlerischen) Mittel der herrschenden Partei bedienen? In anderen Worten: Hier werden Bilder einer nicht-kapitalistischen Opposition mit den puren Mitteln des Kapitalismus, werbeästhetischen Bildern, die Freiheit als Produkt bewerben, gezeigt, um die Menschen politisch zu aktivieren. Keine intellektuelle Montage also und keine wirkliche Freiheit für den Betrachter/Wähler. Wir holen uns den Wähler, als würde er Cola kaufen. Doch denkt man beispielsweise an Fernando Solanas‘ „La hora de los hornos“ einem purem Aufruf in eine Revolution, bemerkt man, dass Werbeästhetik und Revolution durchaus zusammen gehen. Und irgendwie sind die klagenden Gesichter in Eisensteins Montageorgien doch auch nichts anderes als die Umkehrung des lachenden Milchschnitte-Gesichts.

Zum anderen versteckt der Film eigene Schwächen genauso effektiv wie die No-Kampagne selbst. Gewissermaßen stiehlt die Verfilmung damit das Erfolgskonzept ihrer realen Vorlage. In einer Szene wird auf einen der Mängel innerhalb des Wahlkampfes hingewiesen, die scheinbare Willkür des Regenbogens als Logo. Doch in einer spontanen Interpretation der Farben durch die kreative Leitung (ähnlich der Ausmessung der Größe von Ausschnitten in „Aviator“ von Martin Scorsese) rund um René flüchtet sich die Kampagne und damit auch der Film selbst in einen entwaffnenden Humor. Und das Casting von Bernal, der mit seinen treuen Augen ein absoluter Identifikationsstifter ist, selbst wenn der Film es gar nicht darauf anlegt, tut sein Übriges. Früher, da hätte Bernal mal das Milchschnitte-Gesicht sein können. Heute trägt er aber einen Bart und doch ist er auf merkwürdige Weise Kind geblieben. Ein Playmobil-Zug fährt durch seine Wohnung und als Vater wirkt er eher wie ein Bruder. Er liebt bunt und schön und positiv. Genau daraus macht er seine Kampagnen. Aus positiven Werten, die dieser Charakter (vielleicht ist Bernal auch immer noch in einem seiner selbstzusammengebrauten Träume aus „Science of Sleep“ von Michel Gondry gefangen?) lebt, wird das politische Schicksal eines Landes gestrickt. Immer wenn es droht sich ein wenig zu sehr in einem Überrealismus wie bei Finchers „Zodiac“ zu verlieren, erinnert sich der Film daran, dass er seine Botschaft ja an den Zuschauer verkaufen muss. Also bauen wir schnell noch einige tatsächlich bewegende Szenen ein. Nicht weil man so etwas nicht schon tausend Mal gesehen hätte, sondern weil einem die Vielschichtigkeit des Lebens von René gewahr wird, wenn dieser Mann, den man so häufig in seinem Job sieht, als Profi, plötzlich eine zutiefst zerbrechliche Fassade hinter seinem Harmoniedrang offenbart. Das könnte alles so danebengehen, funktioniert hier aber im Zusammenspiel ganz wunderbar.

Am Ende ist man sich dann auch gar nicht so sicher, was jetzt gewonnen wurde in dieser medialen Politikschlacht. Das spezielle an diesem Film von Larraín ist die Überzeugung, die man allen Beteiligten anmerkt. Bis zum letzten Komparsen vermittelt dieser Film eine Freude und eine Begeisterung für den Film. Dadurch wirkt der Film lange nicht so gefangen wie etwa Gus Van Sants „Milk“, der sich alleine auf seinem Hauptdarsteller ausruht und sich ansonsten, wie so oft im amerikanischen Kino, um die Wiederherstellung einer zeitlichen Epoche mehr bemüht als um alles andere. Dadurch hat man oft, dass Gefühl, dass irgendwer gleich „Print“ schreit und all diese schönen Schauspieler nach Hause gehen und etwas anderes machen. Bei „No“ dagegen wird man überzeugt. Vielleicht wird man auch manipuliert, aber der Film macht das so unheimlich clever, dass es einfach nichts dagegen zu sagen gibt.

Auf seine Art bildet der Film sozusagen ein Gegenstück zu Paul Thomas Andersons „The Master“. Dort wo Anderson aus jeder Pore nach Meisterwerk schreit, versteckt sich „No“. Dort wo bei Anderson eine politische Brisanz auf die Charaktere überspielt wird, zeigt „No“ Politik ungekünstelt und einfach. Dort wo Anderson an allen Ecken lose, auf ihre Art wundervolle Momente kreiert, ist „No“ an einer ganzheitlichen Struktur interessiert, die sich allerdings nie in banalen Botschaften oder emotionslastigen Identifikationsnummern verliert, sondern stets Respekt vor dem Zuschauer zeigt. So und nicht anderes sollte politisches Kino in unserer Zeit sein. Am Ende fährt René mit dem Skateboard durch die Straßen: Harmonie und Ästhetik im sozialen Kontext.

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