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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Never gonna fall for (modern love): Gone Girl von David Fincher

Es gibt Filme, auf die findet man relativ schnell eine passende Antwort, eine Einschätzung, eine Meinung. David Finchers Gone Girl gehört für mich sicherlich nicht in diese Kategorie. Das liegt zum einen daran, dass man eigentlich nicht nur einen Film sieht und zum anderen daran, dass bei Fincher wie immer die Form und der Inhalt nicht unbedingt zusammengehen auf den ersten Blick. So läuft hinter den inhaltlichen Stories (Ehedrama, Mördersuche, Paranoia-Auf der Flucht-Film, Mediensatire, Psychothriller, Rachedrama) auch noch eine formelle Bewegung ab. Diese perfektioniert eine Idee, der auch schon Alfred Hitchcock erlegen ist: Schuld und Unschuld, Liebe und Gewissen, Leben und Wahrnehmung sind ein Opfer der Zeit. Immer wenn man glaubt, dass man über diese Dinge nachdenken kann, dann sind sie schon vorbei. Und darunter leidet man. Was sich entfaltet ist ein existentialistisches Speedboot, das immer auf die nächste Wand zusteuert, um in dem Moment, indem man sich vorstellt, dass man gleich in die Wand rasen wird, schon auf die nächste Wand zusteuert. Man wird das Boot nicht verlassen können. Das perfide und sarkastische an Gone Girl ist, dass die Figuren dieses Boot selbst steuern.

Es geht um den gescheiterten Schriftsteller Nick, der in einem Casting-Coup von Ben Affleck gespielt wird. Das ist deshalb eine derart gelungene Besetzung, weil der häufig für seine hölzerne Art und Steifheit kritisierte Affleck einen Mann spielt, bei dem man nicht weiß, ob er gut spielt oder ob er zu hölzern ist. Dadurch entsteht fast wie von selbst die beste Rolle, die Affleck je geben durfte. Jedenfalls kommt dieser in seinem Haus in Missouri eines Tages (es ist sein Hochzeitstag) nach Hause und stellt fest, dass in sein Haus eingebrochen wurde und seine Frau Amy (Rosamunde Pike-immer noch im Eishotel, Frau Frost) verschwunden ist. Mit dieser Ausgangsposition konstruiert Fincher eine Perspektivwechsel-Orgie, die einen immer dort hinbringt, wo man nicht erwartet hatte zu landen. Schelmisch setzt Fincher seine geliebten Twists, voyeuristischen Blicke und Montagesequenzen ein, um die Wahrheit einer Fassade selbst zu durchlöchern.

Gone Girl Affleck

Es geht dabei um die Fassade einer Ehe, die Fassade einer Liebe und die Fassaden von Männlichkeit und Weiblichkeit. Was Fincher-wie oft-verpasst, ist dass diese Fassade schon Drama und Thriller genug wäre. Seine heftigen Überraschungen sind Crowd-Pleaser, die selbst wieder eine Fassade aufbauen und damit nur vom Eheterror, von den Figuren, der Mediensatire und allem anderen ablenken. Zudem ist die Geschichte, die auf dem Bestseller von Gillian Flynn basiert und von ihr selbst adaptiert wurde, sehr, sehr groß angelegt und macht sich damit sehr angreifbar bezüglich Logik und Kohärenz. Nicht, dass das unbedingt ein Problem wäre, aber der gesellschaftskritische Touch leidet durchaus unter Unstimmigkeiten. So funktionieren zu viele Medienkanäle, die den Fall ausschlachten als Surrogate für eine größere Idee statt einer unkontrollierbaren Masse. Durch die unterschiedlichen Interessen des Drehbuchs werden zudem viele Aspekte nur äußerst oberflächlich angerissen und man fragt sich, warum sich Fincher nicht von Anfang an auf einen der Aspekte konzentriert hat, um diesen intensiver zu beleuchten. Er erreicht auch keine detailbesessene Faktentreue wie in Zodiac oder The Social Network, weil er deutlich mehr damit beschäftigt ist, mit Erwartungen und Wahrnehmungen zu spielen. Ähnliches gilt für die Figur von Amy, die derart überzeichnet daherkommt, dass man die Allgemeingültigkeit dieser dying Modern Love absolut hinterfragen muss. Denn wo man eigentlich einige grausame Wahrheiten über Beziehungen, Gefühle und Ehe spürt, da liegt hier auch ein trashiges Ein-Psychopath-schläft-in-meinem-Bett an der Oberfläche.

Die Fassaden von Ehe und Medien gehen hier Hand in Hand. Die Wahrheit/Liebe selbst spielt keine Rolle mehr. Vielmehr geht es um das Bild, dass man vor der Welt, dem Partner und sich selbst hat. Ein Lügenmärchen, in dem die Generation Facebook ins Leben torkelt. Dabei setzt Fincher auf einen sarkastischen Humor, der in seinen besten Momenten eine Rotzigkeit aufweist, aus der man gleichzeitig Freude und Verbitterung spürt. Ein großartiger Moment ergibt sich zum Beispiel aus einer Szene, in der Nick von seinem One-Liner Anwalt (ein Überrest aus The Social Network) mit Gummibärchen beworfen wird, wenn er etwas Unglaubwürdiges sagt. Die Verbitterung kommt dann vor allem im letzten Abschnitt des Films zum Ausdruck. Dann steckt hinter jeder Tat eine Falschheit, die wehtut.

Der Look von Gone Girl ist auf der einen Seite jener, den man von Fincher kennt, einer von grün-kalter, digitaler Sauberkeit strahlender Blick in technischer Perfektion, der aber hier mit den überglatten Fassaden und dem makellosen Szenenbild und Erscheinungsformen in Form und Inhalt perfekt korrespondiert. Die schnellen Abblenden, die den ganzen Film durchziehen, machen klar, dass etwas nicht stimmt und dass es eben zu schnell geht und dass es der Zeit an den Kragen geht. Immer wieder blicken wir auf die undurchschaubaren Figuren so lange aus so vielen verschiedenen Perspektiven bis wir ihrem Spiel klein bei geben müssen oder wir einen Funken ihrer wahren Personen zu erkennen glauben. Die ständigen leichten Fahrten geben eine ähnliche Wahrheitssuche wieder. Sie entblößen keine wahren Gesichter, sie deuten nur den Weg an, den man gehen müsste. Dazu parallel werden Plotinformationen in einer Geschwindigkeit wiedergegeben, die für die Figuren zu viel sind und für den Zuseher tatsächlich angenehm. Sie sind deshalb angenehm, weil Fincher-insbesondere, wenn er auf Twists verzichtet- seinen Figuren folgt und nicht seinem Plot. So entdecken wir neue Informationen durch die Augen (POV) und Ohren (Dialog) der Figuren. Statt auf Suspense setzt Fincher auf Anteilnahme. Der Zuseher weiß nicht mehr als die Figuren sondern er weiß genauso viel oder weniger.

Gone Girl David Fincher

Diese Anteilnahme liegt nun aber nicht in einer Identifikation sondern in einem Zweifel. Und dieser Zweifel an den Figuren ist der springende Punkt. Er wird durch die Abblenden und vielen Perspektivwechsel der Kamera in jeder Szene verstärkt, er wird vom treibenden Rhythmus von Montage und der wieder herausragenden Musik von Trent Reznor und Atticus Ross unaufhaltsam weitergetrieben bis uns klar wird, dass wir immer nur eine Wahrheit in der Zeit sehen, ein Puzzle Stück, das im reißenden Fluss an uns vorbeischwimmt. Man bekommt genug Zeit, um es zu sehen, aber nicht genug um damit zu leben. Und diese Wahrheit ist die einzige, die diese Liebe zulässt. Damit lenkt Fincher die Aufmerksamkeit auf jene Dinge, die es sicher nicht gibt in Gone Girl: Liebe, Vertrauen, Familie und Ruhe. Hier liegen in Blicken keine Wahrheiten sondern Abgründe, in Gesten finden sich Lebenslügen und in Tagebüchern ein Image, also ein Zeitprodukt, aber keine Persönlichkeit. Dasselbe gilt für den Film und das ist gleichzeitig gut und schlecht.

His script is you and me boys
Time – He flexes like a whore
Falls wanking to the floor
His trick is you and me, boy
Time – In Quaaludes and red wine
Demanding Billy Dolls
And other friends of mine
Take your time

Gone Girl Fincher