Manifest eines Cinephilen

Wir irren durch die kinematographische Landschaft, in der wir uns für imaginierte Texte Akkreditierungen beschaffen, um uns mit möglichst großen Sonnenbrillen der ewigen Leinwand auszuliefern. Wir entzünden unsere Glimmstängel als wären wir Leos Carax in schwarz und weiß mit einer Schallplatte unterm Arm, auf der wir uns selbst tanzend zuhören. Kaum atmend sitzen wir schon wieder im Kino und es juckt in unseren Augen. Nach den Filmen vergleichen wir unsere Augen. Wir sind unzufrieden, wenn sie sich nicht ähneln, wir schreien uns an. Wir stopfen unser Essen zwischen den Vorstellungen in unsere zerstörten Mägen, wir suchen in allen Winkeln nach dem nächsten Traum. Das Gift meiner Augen verteilt sich auf den DCPs meiner digitalen Erfahrungen, schnell haste ich noch nach Hause, um mir den Film anzusehen, von dem alle reden, den ich aber nicht kenne. Es gibt ihn in schlechter Qualität. Ich lade mir die Untertitel herunter. Hauptsache, ich habe ihn gesehen. Vibrierende Festplatten sind unser Beruhigungsmittel, dennoch geben wir unser letztes Geld für ein echtes Kinogefühl. Wir führen Listen unserer Erinnerung, schließen manches aus, wir wissen nicht warum, aber es berührt uns nicht. Lange Zeit verharren wir vor alten Filmpostern im Internet, die wir nicht mehr aus den Foyers klauen können, dafür klauen wir die Poster an der Straßenecke, ganz zerfetzt hängen sie im Treppenhaus während die Zeit des Kinos langsam zerfließt.

Boy meets girl

Boy meets Girl de Leos Carax

Während draußen politische Proteste lärmend durch die Straßen ziehen, findet unser Protest auf der Leinwand statt. Wir bahnen uns den Weg durch die Menschen, um rechtzeitig im Kino zu sein. Wir sprechen nicht von der Erinnerung an unserer Kindheit, sondern von einer Resnais-ssance, wir verwenden unsere Augen wie ihr eure I-Pads und Smartphonekameras, weil wir sehen, statt gesehen werden zu wollen. Wenn ihr im Kino eure Handys checkt, schlagen wir euch. Wenn jemand schön ist, spüren wir es, wenn jemand schön sein will, ignorieren wir es. Wir küssen uns in Nahaufnahmen und spüren dabei den Wind der Dollyfahrt auf unseren Zungen. Wir stehen in zu kurzen Schlangen in kleinen Lichtspielhäusern und lachen über eure Ignoranz. Aber manchmal in der Nacht, wenn wir vom Kino träumen, bekommen wir Angst. Wir bekommen Angst, weil man in den Momenten zwischen den Filmen spürt, dass die Augen ihr Licht verlieren, dass der Herzschlag der Montage uns nicht mehr ähnelt und dass wir etwas verpasst haben. Wir haben Angst, dass es bald kein Licht mehr gibt. Dann stehen wir alleine im Kino und blicken uns um, sehen die alten Gesichter, die zynisch vom Kino sprechen als hätten sie darüber gesiegt, die auf ihren Regiestühlen einschlafen und uns von Vernunft und Zukunft erzählen, obwohl sie bald sterben werden. Wir sind im Publikum und man sagt uns, dass wir auf das Publikum achten müssen. Die Masse hat nichts in unserem Kino verloren, weil die Masse nicht überleben kann. Wir schreien euch im Kino an, wenn ihr glaubt reden zu müssen, wir sitzen immer auf denselben Plätzen, weil es unsere Plätze sind. Wir verachten euch, wenn ihr nicht versteht. Ihr könnt uns nicht verstehen. Wir wollen nicht, dass ihr uns versteht. Aber wenn ihr uns nicht versteht, versteht ihr nichts. Unsere Gesten sind die von Filmstars, wir imitieren ihre Blicke, wir schauen euch so an, weil wir gar nicht hier sind. Wir sind Schatten auf eurer Leinwand, die ihr Alltag nennt. Wir lieben es, wenn uns der Staub eines Filmes in die geöffneten Münder weht, wir lieben es, wenn in der Dunkelheit die Welt vor uns erwacht. Wir glauben an nichts und alles, wir würden nie das Bild bezweifeln, nur was ihr damit macht. Wir belächeln eure pseudo-intellektuellen Geschmacksurteile, euer Begehren nach Unterhaltung in einer von Unterhaltung zugedröhnten Welt, eure Ungeduld und abgestorbenes Wertschätzen von Zeit. Wir vermeiden euer Reden von Dingen, die ihr nicht gesehen habt, eure Pauschalisierungen und eure Logik, für die wir keinen Platz im reinen Kino sehen. Wir werden weiterleben bis wir tot sind und dann werden wir einfach weiterleben. Ihr werdet uns nicht los, weil wir uns erinnern, weil wir träumen, weil wir schauen, weil wir im Kino sind, weil wir Kino machen, Kino träumen, Kino denken, Kino schreiben, vom Kino erzählen, Kino verändern.

Möchtest du keinen Artikel mehr verpassen? Dann melde dich für den Newsletter an!

[mc4wp_form]