Like someone in love von Abbas Kiarostami


Tatsächlich schaffen es Filme von den wichtigsten zeitgenössischen Regisseuren manchmal, wenn auch mit großer Verzögerung noch zu einem regulären Kinostart. „Like someone in love“ ist Abbas Kiarostamis neuester Film und gewissermaßen zur Abwechslung verlagert der iranische Filmemacher die Handlung nach Japan. Dort lässt er drei Menschen aufeinander prallen. Eine junge Prostituierte, ihr alter Kunde und ihr Freund. Die Prostituierte ist eigentlich Studentin, ihr Freund weiß nichts von ihrer zwielichtigen Arbeit und der ältere Herr, der sich das Mädchen bestellt, baut eher Vaterschaftsgefühle als sexuelles Verlangen auf. Wie man das vom Altmeister gewohnt ist verpflichtet er sich mit Strenge und Brillanz dem Realismus. Lange Einstellungen, die sich mit alltäglichen Bewegungen auseinandersetzen und immerzu mit der Erwartung des Kinopublikums spielen, die Sehgewohnheiten herausfordern und so zu einer tieferen Wahrheit gelangen. Ganze Dramen vollziehen sich dabei wie typisch für Kiarostami im Auto, hinter Glas, in einem isolierten Raum, der manchmal durchdrungen wird und manchmal nicht. 
Was dabei besonders augenfällig ist, sind die simplen Auflösungen, die Kiarostami errichtet, die aber ungeheuer präzise und effektiv sind. Schuss/Gegenschuss heißt bei ihm einen ganzen Raum zu erfassen. Wenn Menschen mehrfach an einen Ort kommen, hat man das Gefühl schon dort gewesen zu sein. Ähnlich wie Michael Haneke gibt es kaum Überreste in den Filmen von Kiarostami, wie ein Philosoph reduziert er auch so die Handlungsträger. Aber es ist kein Minimalismus, der selbstgefällig ist, sondern eine Entledigung von allem Überflüssigen und Konstruierten. In vielen Zweiergesprächen bewegt sich der Film durch die Handlung, Andeutung reichen aus und gehen tiefer als manche psychologische Ausarbeitung bei anderen Filmen. Im Vergehen der Zeit können sich so kleine Zwischenräume offenbaren, die anders gar nicht sicht- oder hörbar wären. Dann gibt es da noch das Auslassen. Es ist die Kunst dieses großen Filmemachers zu wissen, wann er wegschneiden kann ohne seinen Film zu verletzten, sondern ihm im Gegenteil eine weitere Ebene hinzuzufügen. Damit erbt Kiarostami von Michelangelo Antonioni, denn wie der so häufig ist auch „Like someone in love“ am Abwesenden und Nicht-Sichtbaren interessiert. Schon in der ersten Einstellung des Films, einen Blick in eine Bar zeigt uns der Regisseur den Point-of-View seiner Hauptfigur bevor er sie selbst zum ersten Mal ins Bild setzt. Zu hören ist nur ihre Stimme. Und auch später erfährt man immer dann mehr über die Charaktere, wenn diese gerade nicht da sind. So unterhält sich die junge Frau mit der Nachbarin des alten Mannes und bekommt derart eine Idee von dessen Existenz. Fast als abwertende Geste gegenüber den ewigen Steckbriefpsychologien in vielen Filmen („Wie alt? Was arbeiten? Familie? Fetische? Schwächen? Stärken? Hobbies?)  kann man verstehen, wenn der Freier seiner Prostituierten auf Nachfrage sagt, dass sie schon selbst herausfinden müsse, was ihr Kunde beruflich mache. Interpretationsspielräume laden den Zuseher zu genau jenem „selbst herausfinden“ ein. Aber vielleicht-und da sind wir wieder im Kino von Kiarostami-ist die junge Studentin gar keine Prostituierte. Die Schönheit findet sich in den Spiegelungen vom Auto bis hin zum Schlafzimmer des alten Mannes.
Fast schleichend entwickelt sich eine latente Bedrohung, ein Spannungsmoment (Es liegt eine Gefahr in der Luft, die von Minute zu Minute greifbarer wird.), der paradoxerweise mit dem Einschlafen beginnt. Der Film handelt von einer Müdigkeit. Lebensmüdigkeit, soziale Müdigkeit, die Müdigkeit in einer Beziehung und die körperliche Müdigkeit. Somit ist der Film auch ein trauriges Lied auf das innere Absterben. Jene Müdigkeit liegt aber auch in der Perfektion des Films. Hier beherrscht ein Filmemacher sein Handwerk so gut, dass alle Reibungspunkte absichtlich scheinen. Die Rauheit früherer Filme fehlt „Like someone in love“ genauso wie die Doppelbödigkeit, die man von „Close-Up“ bis „Copie conforme“ immer wieder im Schaffen von Kiarostami entdecken kann. Ähnlich wie bei Roman Polanski oder Michael Haneke schleicht sich so der Verdacht ein, dass das Schaffen von Regisseuren, die zu absoluten Meistern ihres Metiers gereift sind, die praktisch alles zu beherrschen scheinen, eine gewisse Glattheit nicht abschütteln kann. Man vermisst Ungereimtheiten, Unstimmigkeiten, die auch oft eine gewisse Tiefe mit sich bringen und eben etwas Aufregendes und Neues bieten. Bei den letzten Filmen von Polanski, Haneke und eben auch Kiarostami erwischt man sich dabei-und ich habe das hier mehr als beabsichtigt getan-dass man mehr über die Markenzeichen der Regisseure nachdenkt als über die Filme selbst, die nur noch wie Varianten von altbekannten Stoffen wirken. Wie viel Potenzial für Abgründe und Unerwartetes in der Beziehung zweier Menschen unterschiedlichen Alters tatsächlich liegen würde, hat zum Beispiel Carlos Reygadas in „Japón“ (wieder Japan) aufgezeigt. Auch dort geht es um Lebensmüdigkeit.  Wie bei berühmten Rockstars fehlt den Spätwerken von großen Regisseuren oft die Unschuld und Direktheit früherer Werke. Dafür gewinnt die Zugänglichkeit. Aber eigentlich ist „Like someone in love“ einer der besten Filme, die man dieses Jahr regulär im Kino sehen konnte bis dato. Und spätestens mit dem Ende zeigt sich wie trügerisch die Glätte und Perfektion des Films doch war. Dann ist der Moment gekommen, an dem man sich einfach nur verneigen und die Überlegenheit dieses ganz großen Regisseurs anerkennen muss.

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