Lars Fucks a Real Girl


Lars von Trier gehört jetzt zu jenem Establishment, zu dem er auf keinen Fall gehören will. Damit meine ich nicht seinen öffentlichen Ruf, sondern vielmehr seine Praxis des Filmemachens selbst. In seinem „Nymphomaniac“, den ich in einem Double-Feature in der kurzen Version gesehen habe, zeigt sich, dass von Trier weder ästhetisch noch inhaltlich am Puls des Weltkinos arbeitet, geschweige denn, dass er diesem etwas voraus hat, wie das noch bei seinen großen Filmen in den 90er Jahren und mit „Dogville“ der Fall war. „Nymphomaniac“, den ich größtenteils als einheitlichen Film besprechen werde, ist der traurige Provokations-Höhepunkt seiner einfallslosen Gainsbourg-Trilogie. Ähnlich wie sein Kollege Quentin Tarantino macht von Trier inzwischen nur noch weitere Filme, eben verschiedene Volumes der immer gleichen Muster, statt ein Feuer zu entfachen. Beim Dänen scheint mir diese Abnutzung sogar noch fataler als bei Tarantino, weil seine Filme sich in ihrem Kern sehr originell vorkommen. Es ist absolut legitim sich auf seine bewährten Erfolgsmuster zu verlassen, es scheint mir aber mindestens genauso gerechtfertigt eine gewisse Langeweile und Frustration über diese Einfallslosigkeit zu äußern, wenn es derart viele Alternativen gibt, die sich deutlich zeitgemäßer, furchtloser, glaubwürdiger und innovativer auf ähnliche Stoffe stürzen.
 
INHALT
Es geht jedenfalls um die Lebensgeschichte einer Frau, der recht schnell in ihrem Leben klar wird, dass sie ein besonderes Bedürfnis nach sexueller Befriedigung hat, ein sex addict, eine Nymphomanin. Dabei erzählt von Trier gewohnt vielschichtig von der Einsamkeit und den Qualen dieser Frau. Die strindbergesque Welt ist wieder die Hölle und die psychologische Welt ist wieder von Klarheit überzeichnet in Beziehungen zu Eltern und Kindern. In seiner Figurenzeichnung profitiert von Trier davon, dass Ingmar Bergman tot ist und sich nicht mehr über Diebstahl beschweren kann. Dennoch hat er seine Fähigkeiten tiefgehende Drehbücher zu schreiben natürlich nicht völlig verloren. Immer wieder gibt es erhabene Momente und eindrucksvolle Denkvorgänge, die eine verneinende Weltsicht auf einen Punkt bringen, der im Zuseher selbst etwas Schmerzendes auslöst, etwa die Unmöglichkeit Trauer zu empfinden oder einen Trieb, der Lust über Verantwortung stellt.
Insbesondere der erste Teil ist von einer überraschenden und unpassenden Leichtigkeit und Zärtlichkeit geprägt, die sich so gar nicht mit dem Ton, der unter allem zu schlummern scheint, vertragen will. Aber von Trier denkt eben an sein Publikum. Auf mich wirkt es eher so als wäre er ein wenig schamhaft und müsste im ersten Teil sobald es um Sex geht immer auch Humor mit ins Spiel bringen. Im zweiten Teil verschwindet dieser dann zu weiten Teilen und die Abgründe werden offenbar. Das funktioniert ein wenig besser, aber ist im Kern genauso unglaubwürdig wie der erste Teil.
Mit Unglaubwürdigkeit meine ich, dass es mir nicht reicht, wenn der Autor-ganz der Verfremder, der er schon immer war-auf seine eigene Konstruktion hinweist, wenn er seine eigene Erzählung ironisch kommentiert und sich dann eine völlig an den Haaren herbeigezogene Geschichte überlegt. Die Zufälle und exemplarischen Situationen bestimmen einen Film, der sich keine Zeit lässt für seine Figuren. Erst im zweiten Teil nimmt er sich häufiger längere Sequenzen, hastet nicht mehr derart ungeduldig durch seine Kapitel, sondern findet in Charlotte Gainsbourg einmal mehr jene Frau, die seinen Film wie auch bei „Antichrist“ und „Melancholia“ rettet. Der Naturalismus bei von Trier (und das wird von Film zu Film deutlicher) ist ein grausamer Fake. Seine Filme sind von „Idioterne“ angefangen kleine Lehrstücke, metaphorische Spielereien mit intellektuellen Ideen, in die er so allerhand Kunst reinsteckt ohne sie selbst zu machen. Ein Fest natürlich für Kritiker, die viel zu seinen Filmen schreiben können, aber jedem Filmschaffenden müsste sofort auffallen wie wenig Fleisch unter dieser nackten Haut steckt.
Der beste Film, den Von Trier seit „Dogville“ fertig gebracht hat, ist demzufolge auch „The Boss of it all“, weil sich ein so unfassbar weit vom Inhalt entfernter, arrogant-höhnischer Blick auf Figuren, Welt und sich selbst am besten-und Ulrich Seidl weiß das auch- in satirischen Stoffen manifestiert. Der Humor, in seinem als Sex-Orgie beworbenen Gender-Melodram, ist im äußerst schwarzen Bereich und sicherlich von einer besonderen Note. Wie Seidl in seinem „Paradies: Glaube“ exemplifiziert von Trier in „Nymphomaniac“ aber immer auf die größtmöglichen Extreme und verliert dadurch immens viel, weil seine Figuren zum Teil einer vierstündigen Parabel werden statt zu echten Menschen mit echten Problemen. Treffen bei Seidl manische Katholikin und Moslem aufeinander sind es bei Von Trier manische Nymphomanin und Jungfrau. Das sind Pitch-Ideen für das Produzentenkino des sogenannten europäischen Autorenkinos rund um von Trier, Michael Haneke, Roman Polanski (mit dessen letzten Film er sich die autobiografischen Querverweise teilt) oder Ken Loach. Nicht, dass wir uns völlig falsch verstehen: Dabei können gute Filme herauskommen, aber mit einem Autorenkino oder einem alternativen Kino hat das nichts zu tun. Diese Autoren sind zu Marken geworden, ihr Kino ist nicht mehr lebendig.
Der Film wird von einer Rahmenhandlung überschattet, die sich zu einer Mischung aus Therapiesitzung, Meta-Reflexion auf den Film und kunstgeschichtlicher Vorlesung entwickelt und dabei immer wieder groteske Verbindungen zwischen diversen Tätigkeiten und dem Leben als Nymphomanin zieht. Besonders gelungen: Das Prinzip der Polyphonie und der Sex mit drei verschiedenen Männern. Besonders schlecht: Etwas aus einem anderen Winkel zu betrachten, lässt die Vagina wie ein Auge erscheinen. Am Ende will von Trier seinem Film dann sowas wie eine feministische Relevanz geben, sozusagen seinen „Death Proof“ abgeben. In seinen moralischen Querstellungen, die er sich unter anderem von De Sade leiht (wie vieles in seiner Filmographie) rechtfertigt er wie immer das Böse und Schlimme. Auch dieses Programm spielt er ab wie ein DJ, der nicht mehr an Film glaubt, sondern über Film schweben will. Er dreht an seiner eigenen Geschichte wie an einem Plattenteller und auch wenn eine gewisse Faszination von der Intelligenz des Films ausgeht, so kann man nicht leugnen, dass über weite Teile Nähe, Gefühl und Intensität fehlen, ja selbst Verstörung oder Harmonie, Schönheit und Rhythmus oder zumindest Charaktere und Realismus kaum vorhanden sind, sondern immer nur ein grinsender Regisseur im Hintergrund zu spüren ist, der das Publikum exakt dorthin manipuliert, wo er es haben will.
ÄSTHETIK
Damit wären wir auch bei der so heißerwarteten Darstellung von Sexualität. Diese hat ein paar nackte Penise zu bieten (Wow!) und einige Nahaufnahmen des weiblichen Geschlechts. Im Gegensatz zu „Antichrist“ gibt es keine stilisierten Nahaufnahmen der Penetration, dafür aber einige Blowjobs und einige Körperflüssigkeiten. Wer sich ein wenig mit zeitgenössischem Film beschäftigt, wird fast erschrocken sein über die Harmlosigkeit der Darstellung, insbesondere, dass der Film durch wilde Schnitte erst gar nicht den Eindruck von Echtheit vermitteln will. Wie wundervoll glaubwürdig war da die vielgescholtene Sexszene in „La vie d’Adèle“, eben gerade aufgrund ihrer Länge und den seltenen Schnitten. Es ist kaum nachvollziehbar, warum sich „Nymphomaniac“ erlaubt seinen Sex derart zu zerschneiden, ist er doch das zentrale Element der Protagonistin. Es gibt außer in schmerzvollen und daher guten sadomasochistischen Sequenzen im zweiten Teil kaum Zeit, die wir mit ihr beim Sex verbringen. Es geht nur darum ein paar Geschlechtsteile zu zeigen, jemand stöhnen zu lassen und ab und an eine furchtbar unkörperliche Nahaufnahme von Liebkosungen am Körper zu zeigen.
„Nymphomaniac“ ist daher kein Film über Sex, sondern lediglich ein Film, der einen Kommentar zur Sexualdarstellung des Mainstream-Kinos machen will. „The Brown Bunny“, „Twentynine Palms“, „La vie de Jésus“, „Pola X“, „Intimacy“, “Antares” und das meiste, dass Catherine Breillat gedreht hat, gehen deutlich aufgeschlossener, mutiger und ehrlicher an das Thema heran. Und das sind nur wenige Beispiele für ein Kino, dem von Trier weit hinterher rennt.
Seine typischen Jump-Cuts provozieren ansonsten wie gewohnt einige tolle Schauspielmomente, die aber durch ihre Manipulation durch Schnitt genauso verfälscht sind, wie der Rest des Films. Immerhin spielen Charlotte Gainsbourg und ihr jüngeres Ich Stacy Martin absolut großartig und selbiges gilt auch für Stellan Skarsgård und Shia LaBeouf. Gainsbourg, die mit ihren brennenden Augen mitten in ihrem abgestorbenen Gesicht ein Verlangen ausdrückt, dass der Film selbst nie von ihr verlangen dürfte, trägt den zweiten Teil mit schierer Präsenz und Verletzlichkeit.
Ansonsten bedient der Film ein recht breites ästhetisches Vokabular begonnen bei Blenden, über Zooms, Found Footage (Warum?) und interessante Musikeinsätze (inklusive eines sehr spannenden Selbstzitats, das große Verbindungen zwischen den Figuren von Gainsbourg in den letzten drei Teilen offenlegt und sie als eine Frau präsentiert, die ihre Kinder alleine lässt). Außerdem die fast obligatorische Einteilung in visuell unterschiedlich präsentierte Kapitel.
Grausam allerdings, dass fast alles, was in diesem Film nach Kino aussieht von Andrei Tarkowski geklaut ist. Kein Wunder, dass er diesem in beiden Abspännen dankt, aber ich frage mich, ob nicht jede großartige visuelle Idee von von Trier, angefangen bei dem Apfellaster in „Dogville“ über die Zeitlupen und die Fahrt auf die Vase in „Antichrist“, über alles in „Europa“ und „Epidemic“, über das Pferd in „Melancholia“ einfach nur ein Zitat ist und ich frage mich, ob dieses Zitatekino noch zeitgemäß ist. Jedenfalls stand „The Mirror“ mehr als nur einmal Pate und alleine der Anfang des Films spricht für sich. Subtil ist der Film sowieso nicht, deshalb nennt er einige Filmtitel von Tarkowski an verschiedenen Stellen, man könnte ein Spiel daraus machen.
Sicherlich ist „Nymphomaniac“ kein schlechtes Kino. An einen Regisseur dieses Formats muss man nur andere Ansprüche stellen. Dies ist jene Art von Kino, zu der angehende Filmschaffende aufschauen. Aber dieses Kino ist nicht mehr zeitgemäß, es ist überholt und wiederholt und leistet sich unmotivierte Schwächen und Selbstgefälligkeiten, wo in anderen Filmemachern, die nicht das Standing eines von Triers haben, ein Feuer brennt, ähnlich der Augen von Gainsbourg. Am Ende bleibt der fade Beigeschmack eines manipulierenden Stück Provokation, einer filmischen Masturbation, die in einer Gleichgültigkeit versinkt, die sie selbst auf keinen Fall möchte. Souveränität und einige intelligente Momente können nicht genug sein, wenn man ins Kino will, um verändert zu werden, um neu und anders zu sehen, um Film zu erleben. Dieser Film kratzt an der Oberfläche und vor allem schaut er zu lange in den Spiegel statt in die Welt und ins Kino.

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