Die Höhle und ein schwarzer Koffer

Grundsätzlich bemühe ich mich, meinen Filmkonsum möglichst elitär zu gestalten. Ich suche die große Kunst, die großen Autoren und die großen Entdeckungen. Das gelingt mir im Großen und Ganzen ziemlich gut. Ein kleines gallisches Dorf begehrt jedoch gegen dieses Vorhaben auf. Dieses Dorf ist eigentlich eine Wohnung im 16. Wiener Gemeindebezirk, im Winter schlecht beheizt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ideal zu erreichen. Trotz dieser Widrigkeiten kehre ich immer wieder gern zurück in diese Wohnung (oder „Höhle“, wie sie unter Freunden genannt wird), denn dort wartet neben den liebenswerten Bewohnern, die mich mit köstlichen Fressalien versorgen, eine Menge Geselligkeit und vor allem jene Facetten des Films, denen ich ansonsten zumeist ausweiche.

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Die Höhlenbewohner, beziehungsweise deren erweiterte Sippe, zu der ich mich stolz hinzuzählen kann, zeichnen sich durch einen äußerst diversifizierten Filmgeschmack aus (man könnte ihn auch „undefinierbar“ oder „quirky“ nennen). Neben traditionellen Game of Thrones-Marathons mit stilechtem Buffet aus dem Kochbuch zur Serie, frönt man hier klassischen Kultfilmen, halbvergessenen Raritäten aus dem europäischen Kino der 60er und 70er Jahre, Horrorfilmen – von den Universal-Klassikern der 30er Jahre, über blutverschmierte Eingeweideorgien bis hin zu totalem Trash –, Disney-Zeichentrickfilmen und Animationsextravaganza, obskuren Werner Herzog Filmen und einigen Ausreißern des Kunstfilmkanons (schwere Kost: Tarr, Tarkovsky, Sokurov). Alles in allem sind die Filmabende in dieser Runde Gesamtkunstwerke. Es gibt mindestens drei vollwertige Mahlzeiten und viel Kuchen (späteres Sodbrennen inklusive), Alkohol in moderaten Mengen, Musik aus dem Plattenspieler (wahlweise Tom Waits oder Gedichte, vorgetragen von Klaus Kinski) und seit neuestem auch große Nostalgie.

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Vor einiger Zeit hat sich der Hausherr nämlich dazu entschlossen einen 8mm-Projektor anzuschaffen, um der Analogfilmanalogie zu frönen – etwas absurd, denn niemand von uns wäre alt genug um jemals die Hochphase dieses Mediums erlebt zu haben. Wie sich schnell herausstellte ist diese Art des Filmkonsums jedoch sehr gut mit unseren Vorlieben kompatibel. Zusätzlich zum Projektor wurde auch ein ominöser schwarzer Koffer mitgeliefert. Dieser Koffer enthält eine veritable Sammlung an alten Pornos des Vorbesitzers, die sich gegenseitig an unfreiwilliger Komik zu überbieten versuchen (lautes Vorlesen der mehrsprachigen Klappentexte darf man getrost zum Gesamtkunstwerk hinzuaddieren). Zugleich wächst die Sammlung an anderen Filmen, die seit Anschaffung des Geräts vor dem Hauptfilm (dessen Auswahl traditionell ewig zu dauern hat) in kleinen Häppchen kredenzt werden. Diese kurzen Filmchen bieten einen guten Einstieg in die Welt des 8mm-Films und seiner sympathischen Unzulänglichkeiten:

  1. Da die Filme schon einige Jahre auf dem Buckel haben ist die Qualität gelinde gesagt mäßig. Die Filme sind stark rotstichig, was mittels halbprofessioneller Folien zu kaschieren versucht wird – so weit nicht weiter ungewöhnlich für Filmliebhaber, in Zeiten des ultrascharfen HD-Bilds aber immer wieder putzig anzusehen.
  2. Viele dieser Filme haben keine Tonspur. Pornos ohne Ton anzusehen erspart einem immerhin die absurd-komische deutsche Synchro, die die Exemplare mit Ton auszeichnet, fragwürdiger ist da schon die Entscheidung der Hersteller, Conquest of the Planet of the Apes in einer knapp halbstündigen Fassung mit Dialogszenen, aber ohne Ton zu veröffentlichen.
  3. In der Natur des Mediums liegt es, dass es sehr oft nötig war Änderungen am Schnitt vorzunehmen, um Filme in annehmbarer Länge auf 8mm veröffentlichen zu können. Zwar existieren „Vollversionen“ einzelner Filme (aufgeteilt auf zahllose Rollen), aber zumindest in unserer Runde erfreuen sich die zusammengekürzten Versionen bekannter Klassiker größerer Beliebtheit. Wenig überraschend ist da noch die einstündige Version von The Exorcist, die sich größtenteils auf die Exorzismusszenen beschränkt, aber zugunsten einiger inhaltsleeren Dialogpassagen gänzlich auf Exposition verzichtet. Die Produzenten von Alien beschränkten sich schlicht auf ein Best-of an Szenen aus dem Film, ohne irgendeinen Anspruch auf narrative Kohärenz zu erheben. Unschlagbar die bereits oben erwähnte Version von Conquest of the Planet of the Apes, die es weder vermag Handlung, Stimmung noch Action zu vermitteln und den Zuseher in kompletter Konfusion zurücklässt.

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Besuche in der „Höhle“ sind und bleiben für mich etwas besonderes. Und das obwohl ich ansonsten, Purist der ich bin, verstümmelte Schnitt-Versionen verschmähen oder Filme wie Ginger Snaps 2 meiden würde (schade eigentlich, denn so schlecht ist der gar nicht). Denn genauso wie zum Beispiel in den heiligen Hallen des Filmmuseums ein bis dato kaum wahrgenommener Film im Lichte des Kunstkontexts zu neuer Prominenz gelangen kann, schafft es diese unscheinbare Wohnung in der Wiener Peripherie, dass man Dinge anders wahrnimmt. Alles was hier auf der Leinwand flimmert wird durch einen Schleier an Ironie verzerrt, durch verbale Zwischenrufe in Form von sexuellen Anspielungen aufgewertet und ganz einfach durch die herrschende Atmosphäre bis zu einem gewissen Grad verfremdet. Spannend ist das vor allem, wenn die Zwischenrufe dann auf einmal verstummen, weil die schiere Bildgewalt eines Films selbst die lautesten Ironiker zum Schweigen bringt, oder wenn ein Zeichentrickfilm auf einmal voller scheinbar schlecht kaschierter Phallussymbole und versuchter Vergewaltigungen steckt. Ein Film, man erlaube mir die theoretische Ausschweifung, ist nicht von seiner Vorführung zu trennen, egal ob sie in einem Multiplex, einem Heimkino, bei einem Festival oder in einem Museum stattfindet. Eine Filmvorführung ist performativ – das vergisst man gerne, wenn man sich zu sehr in Ritualen verliert und zu selten seine comfort zone verlässt. Wer jemals den performativen Aspekt von Film in Frage stellt, darf uns gerne in unserer Höhle besuchen. Alle anderen ebenfalls, sofern sie Käse mitbringen.

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Casa de Lava-Caderno: Warum Drehbücher?

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Jemand hat mir Bilder des Sterbens in die Hände gedrückt. Ich traue mich kaum das Buch zu öffnen. Es sieht aus wie eine zerfallene Schönheit. Es sieht aus wie ein Film.

Es ist das seit einem Jahr veröffentlichte Notizbuch von Pedro Costa zu, nach, für, bei seinem Film Casa de Lava. Pedro Costa hat Angst vor dem dritten Bild. Sein Buch folgt dieser Logik. Wenn zwei Bilder aufeinanderprallen, wie das im Kino ständig und fortlaufend geschieht, dann entsteht ein drittes Bild, jenes das vielleicht nur die Poeten akzeptieren, das aber von keinem Zuseher ignoriert werden kann. In diesem dritten Bild liegt die Tiefe eines Films. In diesem dritten Bild kann alles lauern, man kann es nicht unbedingt kontrollieren. Dieses dritte Bild ist das, was Filme bewegt. Es findet sich aber niemals in Drehbüchern.

Dieses Notizbuch ist für Costa ein besseres Drehbuch.

“It was more or less from that point that I realized that the rhetoric of cinema wasn’t for me. Neither were the social obligations, the technical and artistic diplomacy, the mythology, the fascination, the haste, the money.”

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Das Drehbuch als Rhetorik des Kinos, als seine industriell aufgezwängte Vorform. Drehbücher entstehen aus einem Ordnungsdrang, das ist klar. In den besten Fällen ist dies eine Form künstlerischer Struktur, in den schlechtesten kann man an einem Drehbuch ablesen wie viel Gage ein Schauspieler bekommt. Sie scheinen unabdingbar für das Kino, dessen Förderung und dessen finanzielle Entstehung. Man sagt, dass es hilft, um auf ein gemeinsames Verständnis des Films zwischen allen Mitgliedern eines Filmteams zu kommen. Dabei gibt es selbstverständlich unterschiedliche Formen, wobei die klassische, von Hollywood erfundene Form, jene Pseudo-Lehrform dominiert. So, so sagt man, müsse ein Drehbuch aussehen. Man dürfe dieses oder jenes in einem Drehbuch machen, man müsse sich an diese oder jene Regel halten, um ein klares Verständnis, eine einfache Kalkulation und eine Sicherheit zu gewinnen. So funktionieren Drehbücher mit ziemlich großer Sicherheit effektiv für Produzenten und Geldgeber, natürlich auch für manche Schauspieler (sie glauben es zumindest), Kamera und alle Departments, die schön unterstreichen können, was sie betrifft: Ah, hier steht rote Schuhe, wir brauchen rote Schuhe! Wenn man sich nicht daran hält, dann wird man weder ernst genommen noch kann man auf Förderung hoffen. Aber kann man einem Filmemacher diktieren in welcher Form er sich Gedanken machen muss, wenn seine Gedanken und Gefühle in einer anderen Form vielleicht viel stärker, viel tiefer und selbst viel verständlicher zum Ausdruck kommen? Nun könnte man sagen, dass dann eben Film nicht die Ausdrucksform jenes Künstlers ist, aber Film ist nun mal mehr als ein Drehbuch. Ich glaube nicht, dass das was als klassisches Drehbuch bezeichnet wird keine Berechtigung hat, aber ich glaube, dass fast alle Filme, die man aus dieser Form machen kann, gemacht wurden. Nicht umsonst weiß jeder halbwegs ernsthafte Filmemacher, dass er sich von seinem Drehbuch entfernen muss, um einen Film zu machen.

Aber wann kann man sich trauen, so zu arbeiten wie Pedro Costa? Ich fühle mich selbst zu ängstlich. Derzeit schreibe ich an einem Drehbuch, ich arbeite sehr intensiv daran, aber ich merke immer wieder, dass mir die Form fehlt, dass Worte nicht das ausdrücken können, was ich mir mit dem Film vorstelle. Ich will ständig die komplette Form des Buchs überarbeiten, dann denke ich mir wieder, dass es eigentlich in Ordnung ist, so zu schreiben, schließlich müsse man es tun, um an Geld zu kommen, um sich verständlich zu machen. Ich habe aber das Gefühl, dass ich mich missverständlich mache. Es ist ein trauriger Prozess und ich kämpfe um den Mut es anders zu machen. Ich sehe wie meine Kollegen und Freunde an ihren Drehbüchern schreiben, wie sie diese Drehbücher als ihre Arbeit am Film betrachten, wie sie sich damit beschäftigen und beschäftigen und ich sehe auch, dass sie das nicht aus einem industriellen oder zwanghaften Impetus heraus machen sondern aus einer künstlerischen Intention, einem Drang die richtige Erzählform für ihre Geschichten zu finden. Sie schreiben spannende Dialoge, finden im Schreibprozess tolle Situationen und Szenen und schaffen es ihre Ideen in diese Form zu bringen.

Bei mir bezweifelt aber nur jeder Satz die Bilder in meinem Kopf, jedes Wort das Gefühl aus meinem Bauch, jede Struktur meine Idee für einen Film. Ich habe Film gefunden als ich nach etwas gesucht habe, dass mir erlaubt frei zu blicken, zu atmen und zu leben und was ich mehr und mehr finde ist ein Gefängnis aus festgefahrenen Meinungen, die mit objektiven Wahrheiten verwechselt werden, Profilierungsneurotikern und desinteressierten, desillusionierten Zynikern.

Casa de Lava Pedro Costa

Kann mir dieses Notizbuch von Costa vielleicht Mut geben? Ich schlage es auf. Da ich den Film gesehen habe, überwältigt mich sofort eine Erinnerung und eine Neugier. Ich sehe Bilder, die mir etwas sagen und Bilder, die ich nicht kenne. Das Buch besteht aus Fotografien aus Presse und von Künstlern, Zeitungsschnipseln, Abbildungen von Gemälden und Fußballtrikots, kleinen poetischen Passagen, Notizen, Zeichnungen, Screenshots aus Filmen, es ist in gewisser Weiße ein Moodboard. Costa erzählt in einem beiliegenden Interview, dass sein Tonmann den Film habe hören können durch das Buch. Nach dem Dreh habe dieser zu ihm gesagt: Well, it was all in the book.

Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob Costa nur einen Nebelschleier um seine Arbeit hüllt und nicht eigentlich im gleichen Gefängnis haust. Denn mir ist klar, dass dieses Gefängnis überall ist. Costa liebt das Mysteriöse im dritten Bild, er liebt das dritte Bild als seine Arbeit daran. Manchmal habe ich Angst, dass mich das alles überfährt. Ja, ich mag seine Filme und ich mag die Filme vieler Filmemacher und man muss aufpassen, dass man seine eigene Sprache sucht und nicht jene von anderen inmitten seiner Cinephilie. Man lernt das Sehen durch Filme, aber man muss es auch außerhalb von Filmen anwenden. Das ist ein harter Prozess, weil ich von der falschen Seite komme. Ich muss lernen mich zuerst für die Welt zu interessieren, dann für den Film. Aber ich kann die Welt auch mit Film sehen. Nun mache ich mir nicht nur Gedanken über die Sinnhaftigkeit von Drehbüchern, weil Costa es tut. Zum einen ist er nicht der einzige und zum anderen schreibe ich aus eigener Erfahrung.

Man schmeckt den Film, wenn man sein Buch in der Hand hält. Man muss dazu sagen, dass dieses Buch-wie alles von Costa-eine Fiktion ist. Es wurde nachträglich verändert und konstruiert. Dennoch besteht es aus Elementen, die der Filmemacher im Prozess der Drehvorbereitung gesammelt hat. Im Endeffekt hat er die Reihenfolge verändert. Aber die verändert das dritte Bild, also alles. Ich glaube, dass man eine Versuchung braucht, um einen Film zu machen. Damit meine ich eine Liebe, eine Wut, eine Angst. Ich sehe das alles auf der ersten Seite des Buches. Die Passage eines Todes über Wasser, die Einsamkeit eines Gefühls, Frauen und ihr Sterben in unserem Leben. Wie verändert der Tod unser Gesicht? Ingmar Bergman hat mal gesagt, dass das absolut Beste in der Kunst das menschliche Gesicht in Bewegung sei. Wir werden von traurigen Augen angesehen im Buch, Les Yeux Sans Visage…Costa castete Edith Scob, deren Gesicht für immer verschwand bei Georges Franju und im Kino. Man fühlt sofort welchen Film Costa machen wollte.

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Die Augen sterben, es geht um Krankheit und Zerfall. Auf einer Seite ruht ein Vulkan unter einem von Krankheit zerfressenen Gesicht. Daneben der Liebesbrief „Nha Cretcheu“, den Costa in seinem Juventude Em Marcha immer wieder sagen lässt. Eu gostava de te oferecer 100,000 cigarros…eine Sehnsucht für den Film entwickelt sich, es ist eine Liebesgeschichte. Gesichter von Frauen, dabei immer wieder die Maske von Edith Scob, die Augen ohne Gesicht. „Les Egyptiens n’aimaient pas morurir“, ein Zeitungsartikel, der sich mit dem Öffnen von Mündern der Toten und der Wahrnehmung des Todes im alten Ägypten beschäftigt.

Bislang waren alle Münder geschlossen im Buch.

Ganz unten ein weiteres Stück Zeitung: Ou comment éviter la seconde mort. (Oder wie man einen zweiten Tod vermeidet)

Es trifft mich wie einen Schlag, wie ein Schnitt. Das ist ein Schnitt, ein Plot-Point, eine Erkenntnis. Wenn die Kamera, wie André Bazin sagte, wie kein anderes Instrument der Repräsentation Zuneigung ausdrücken kann, wieso sollte man diese filmische Macht dann nicht auch in einem Drehbuch verfolgen? Man mag argumentieren, dass bei dem Vorgehen, das Costa nach Casa de Lava tatsächlich mehr und mehr für seine Drehs und Drehvorbereitungen (das fließt ineinander) anwendete eigentlich niemand weiß, was passieren wird. Aber weiß man das bei einem Drehbuch oder sperrt man sich eigentlich nur ein? Und vor allem: Warum sollte man es wissen?

Wie muss man sterben, damit man erlöst wird? Diese Frage stellen die Collagen. Tote Augen, sie bewegen sich nicht mehr. Aus der Dunkelheit sehen wir die Pupillen. Immer wieder Krankheiten. I walked with a Zombie von Jacques Tourneur. Diese Augen. Auch die Collagen erzeugen ein drittes Bild. Costas Scrapbook sucht nach dem dritten Bild in seinem Film. Es vermag dem Betrachter klarzumachen, was er an Essenz im Film sehen wird. Dann abstrakte Malerei. Farben, Stimmungen, alles ist da. Man muss die Bilder nicht verstehen, man muss sich nicht kennen, sie müssen nicht funktionieren oder irgendwelchen rationalen Gedanken folgen. Die Rationalität eines Films ist eine andere als jene eines klassischen Drehbuchs. Das ist ein Widerspruch, den eigentlich jeder Filmemacher aufheben muss. Es gibt verschiedene Methoden. Man kann natürlich eher Stimmungen beschreiben, vielleicht in lyrischer oder in Prosaform. Auch kann man die visuellen Informationen und/oder Metaebenen in seinen Drehbüchern mitnehmen, sie eingliedern. Man kann stichpunktartig Bilder beschreiben. Man kann nur Dialoge schreiben. Aber man muss einer anderen Logik folgen als jener der Realität, als jener des Theaters und als jener des Kopfes.

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Vor kurzem habe ich mich mit einem Drehbuchautoren darüber unterhalten, dass sich Filmvermittler wie Henri Langlois und Peter Kubelka bekanntermaßen dafür einsetzen/eingesetzt haben, dass auch fremdsprachige Filme ohne Untertitel gezeigt werden. Der Autor regte sich sehr darüber auf. Er sagte, dass man die Worte nicht einfach aus einem Film eliminieren könnte. Das würde seine ganze Arbeit zerstören. Hier liegt ein Sprung, denn auf der einen Seite verstehe ich ihn vollkommen, weil die Bedeutung mancher Worte tatsächlich essentiell für die Wirkung eines Films sein kann, aber dann weiß ich auch, dass das dritte Bild eines Films immer ohne diese Worte funktioniert, ohne ein sprachliches Verständnis. Es gibt ein filmisches Verständnis. Wir hatten diese Diskussion auch im Rahmen von Jugend ohne Film vor einigen Wochen nach dem Screening von Flowers of Shanghai von Hou Hsaio-Hsien. Rainer meinte nach dem Film, dass er irgendwann aufgehört habe, den Untertiteln zu folgen, weil die Wahrheit des Films (so würde er es nicht formulieren) im Rhythmus, den Bildern, den Figuren, dem Licht gelegen habe. Andrey dagegen meinte, dass man nicht einfach ignorieren darf, dass da was gesagt wird und dass sich in jedem Fall die Frage nach dem: Was reden die da?, stellen würde. Seiner Zeit habe ich zunächst Andrey beigepflichtet, obwohl mir Rainers Aussage in ihrer Romantik sympathischer schien. Heute würde ich sagen, dass es zwei Wahrheiten gibt im Film. Zwei Herzen, ein zweiter Tod. Rainers Aussage folgt dem Film selbst und dessen Fähigkeit das dritte Bild zu bewegen, Andreys Aussage folgt dem Betrachtungsmodus und sagt, dass es da ein erstes und ein zweites Bild gibt und man nicht einfach ignorieren kann wie diese funktionieren. Die Frage ist also weniger eine nach wahr oder falsch sondern vielmehr nach der eigenen Wahrnehmung. Film ist sowieso größer als man selbst.

Wenn ich also mit mir kämpfe, dann ist das kein theoretischer Kampf auf der Suche nach einer überlegenen Form sondern einfach die Suche nach einer Form, die meiner Wahrheit entspricht. Es ist weitaus einfacher, darüber zu reflektieren als es letztlich umzusetzen. Denn, wenn die Wahrheit nicht in den vorgefertigten Mustern funktioniert, dann wird man damit leben müssen, dass man nicht verstanden wird, dass man nicht gefördert wird, dass man nicht gesehen wird.

Und wenn Film in der Lage ist ganz bei sich zu sein (es gibt auch tolle nicht-filmische Filme), dann brauchen sie sicher keine Untertitel. Man wird die Worte trotzdem hören.

A Midsummer Night’s Dream: Costa markiert Dinge, andere streicht er durch. Da ist wieder seine Verweigerung, die uns fasziniert. Weil es eben nicht darum geht, alles zu verstehen, sondern gerade darum, Dinge auszulassen, Dinge zu verweigern. I scent human blood, and smile, ein rotes Kunstwerk, schwarz-weiße Szenenbilder und ein Hund mit abgeschnittenem Schwanz auf etwas, das aussieht wie ein jüdisches Denkmal. Wir sehen Tania, ein 14jähriges Mädchen mit kurzen Haaren. Sie wurde von einem Mann attackiert, der ihre neuen Schuhe gestohlen hat. Nachdenkliche Gesichter. Costa interessiert sich für die Haut, die Regungen, den Tod, der durch alles sieht.

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Plötzlich Bilder vom Krieg. Ein landendes Flugzeug, ein farbiges Bild von einem Hilfskonvoi. Dazu Drehbuchschnipsel, kleine Dialogfetzen. Natürlich entsteht eine Faszination auch daraus, dass ich oft nicht weiß, was dieses oder jenes Bild darstellt, woraus dieser oder jener Auszug aus literarischen Texten oder dieser oder jener Screenshot stammt. Das macht aber nichts, denn es geht nicht um die einzelnen Bilder, sondern nur wie sie zusammen klingen. Zu oft wird in Besprechungen des Drehbuchs und auch am Set mit Kameramännern das einzelne Bild ohne den Gedanken an das andere Bild, das vorhergehende oder das nachfolgende betrachtet. Als würde ein einzelnes Bild, ein einzelner Satz, eine einzelne Geste schon ein Film sein. Es ist, wie Adrian Martin einmal formuliert hat, der Übergang von Tag und Nacht, der Übergang von Lächeln und Ernsthaftigkeit, das Transzendieren und Dynamisieren von Räumen, die zwischen den Bildern entstehen, was einen Film ausmacht. Wenn jemand im ersten Bild blickt, dann wird das zweite Bild dadurch verändert.

Abstrakte Form. Ein Junge, vermutlich von den Kap Verden steht in einem expressionistisch anmutenden Bild im Schatten. Jemand hat seine Hand zärtlich auf seinen Kopf gelegt. Daneben ein Gemälde. Es scheint ähnlichen Formgesetzen zu folgen. Aber an der Stelle des Jungen erscheint ein Skelett. Wieder so ein Plot-Point. Verlorene Jugend, Sterben. Es gibt eine politische Konnotation. Menschen rennen, wieder ein Flugzeug. Die Geschichte der ehemaligen portugiesischen Kolonie wird greifbar. Nicht die Fakten dahinter sondern die damit verbundenen Gefühle. Kein Text könnte das derart präzise widergeben. Soldaten und Rock’n Roll…Post Punk Bliss: Twist and Shout.

Dann kommt plötzlich wieder jene unschuldige Liebe ohne die man kaum schreiben kann. Das spannende ist ja, dass erst durch unsere Wahrnehmung des dritten Bildes die anderen Bilder an Schönheit und Bedeutung gewinnen. Sie treffen dann auf uns wie ein Blitz. Jacques Tourneur, Charlie Chaplin oder Bruno Dumont sind Meister dieser Bilder, die vor einem geboren werden, weil sie wie eine Offenbarung aus dem vorherigen Bild erleuchtet werden. Wenn sie da sind, ist das eine Erkenntnis. Es sind Geister, die schon immer da waren. Man kann sie nur fühlen und wenn man sie dann sieht, ist es wie mit einem Spiegel. Man sieht alles und nichts. In der Mitte findet sich die Postkarte, die laut Costa ursprünglich ganz am Anfang seines Buches war. Showing GHOSTS! Everywhere and of any colour…

Ein Bild von Issach de Bankolé irgendwo zwischen einsamen Rollstuhlfahrern. Das Casting wird mit integriert in diese Filmwelt des Buches. Tortura! Die Bewegungslosigkeit, Machtlosigkeit, der Film bekommt eine Bewegung vor unseren Augen. Kranke Menschen liegen auf Betten. Bilder aus Zeitungen von spielenden Mädchen an der iranischen Grenze werden mit Beauty-Shots aus Modemagazinen kombiniert. Vergänglichkeit, Hoffnung, zwei Welten, zwei Leben, Distanz, alles steht da. Costa klebt eine Mauer über ein Gesicht.

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Natürlich folgt eine Collage wieder einer eigenen Logik, die eigentlich nicht jene des Films ist. Eine offensichtliche Verwandtschaft mit der Montage, die Tatsache, dass man Bilder, Texte und Leerstellen lassen kann, rechtfertigen aber zumindest die Vorgehensweise. Dennoch ist wie beim klassischen Drehbuch die Melodie, die Präzision, die Stimme des Autors entscheidend. Diese zu finden, ist ein Prozess der Einsamkeit. Sobald man glaubt, dass man fertig ist, hat man verloren. Deshalb habe ich auch Schwierigkeiten mit der klassischen Drehbuchform. Sie wirkt so abgeschlossen, sie untergliedert sich. Warum untergliedert sie sich? Aus praktikablen, industriellen Gründen, nicht im Ansatz aus Gründen, die mit dem Film zu tun haben. Eigentlich laufen Filme vor unseren Augen. Wie kann man das in einem Drehbuch vermitteln? Dadurch, dass man fesselnd schreibt. Aber was hat ein fesselnder Schreibstil mit dem Film zu tun? Niemand kann mir erzählen, dass die filmische Sprache auch nur im Ansatz etwas mit der schriftlichen Sprache zu tun hat. Das erfährt jeder Drehbuchautor spätestens, wenn seine in Papierform gut klingenden Dialoge plötzlich falsch erklingen. Das bedeutet nicht, dass es nicht filmische Pendants für Sprache gäbe. So haben die Coen-Brüder in ihrem No Country for Old Men zum Beispiel Bilder, Schnitte, Töne und Stimmungen gefunden, die jener der Worte von Cormac McCarthy entspricht. Selbiges ist John Hillcoat in seinem soliden The Road nicht gelungen. Die Collage ermöglicht also auch, die Bewegung eines Films zu empfinden. Wenn man dieses Buch von Costa einmal in den Händen gehalten hat, erscheint es absurd Filme ohne Bilder zu schreiben.

Es geht um die medizinische Versorgung in Afrika. Hier trifft Spiritualismus auf Industrialisierung. The Horse and the Money. Es ist ein Glaubensverlust. Der Blick geht zum Himmel, das klinische Weiß eines Krankenhausflurs, ein Friedhof im Lava-Staub vor malerischer Kulisse, eine einsame Frau mit einem weißen Kleid. Die Medizin schreitet voran. Wir sehen Labormenschen, Anzugmenschen, sie machen Versuche mit Afrikanern oder sind Afrikaner, die Versuche machen. Es geht um Epidemien, die fehlende Versorgung. Ängste. Immer wieder gibt es Bilder von Baustellen. Figuren, die sich in luftiger Höhe bewegen. Vertigo, ist da ein Unfall, ist da nur eine Angst, ein Traum, das Gefühl, das Gleichgewicht zu verlieren? Costa klebt kleine Bilder der Trikots englischer Fußballmannschaften neben die Baustellen und dazwischen steht ein kleiner Text über die ägyptische Kunst und ihre Verbindung mit dem Tod.

Über was spricht man, wenn man stirbt? Jemand berührt diese harte Arbeit, diese Unerbittlichkeit mit seinen Fingerspitzen. Alle haben Gänsehaut. Man spürt die Gänsehaut im Kino. Vielleicht ist es sowieso zu viel verlangt. Vielleicht nehme ich das Drehbuch zu ernst. Denn ziemlich sicher ist, dass diese Gefühle auch und sehr oft aus Filmen erwachsen, die in klassischer Form geschrieben wurden. Ich kenne viele Filmemacher, die sagen würden, dass dieser oder jener ein Film ist, bei dem alles schon im Drehbuch war, die sagen würden, dass man von den guten Drehbüchern alles lernen kann. Aber für mich haben all diese guten Drehbücher immer nur dann funktioniert, wenn ich vorher den Film gesehen hatte. Bei Drehbüchern, die ich vor dem Film gelesen habe, haben sie mich im besten Fall für den Film interessiert. Aber darum geht es wohl. Nur warum muss es dann in eine solche Form gegossen sein? Ich wiederhole mich, aber ich verstehe die Gründe dafür, sie sind nur belanglos für die Filme. Vielleicht kann ich auch einfach keine Drehbücher lesen und schreiben oder ich habe es noch nicht lange genug versucht.

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Jetzt zieht es Costa in die Wüste. Nomaden und hoher schwarz/weiß Kontrast, der Staub wandernder Gestalten. Weltreisende der Filmgeschichte zwischen Hiroshima, den Kap Verden und dem Unbekannten; die Melancholie der Reise. Die Wanderung endet in der Massenvernichtung. Wo sind meine Verwandten? Auf einem anderen Kontinent, du kannst ihnen schreiben. Das Buch wird auch zu einem ethnographischen Dokument. Das Setting des Films ist hier. Man muss verstehen, dass dieses Buch nicht-wie das mit Drehbüchern oft ist-ein Zulieferer ist sondern ein autonomes Stück Ausdruck und Kunst. Bestenfalls sind das Drehbücher auch, aber wie viel Seele kann etwas haben bei dem man schreibt: Innen.Tag—Wohnzimmer? Das kommt mir falsch vor. So ist es nicht, wenn man an einem Tag in seinem Wohnzimmer sitzt und so ist es auch nicht für die Figuren. Die Schönheit der Insel, die Landschaft, Casa de Lava ist ein ethnographischer Landschaftsfilm, eine Geisterstudie, ein Film über Sterben und Einsamkeit, ein Gedicht über die Schönheit der Frauen. Menschen halten sich. Es geht um Fürsorge, um Zärtlichkeit, Liebe in Zeiten des Sterbens. Wir finden Iñes Medeiros, eine jener Costa Frauen, sie sind Mütter, sie sind immer Mütter und tragen das Geheimnis all ihrer Kinder in sich. Tintenkleckse zwischen den Fotos, die Zeichnung einer nackten Frau, immer anmutig, nie gierig.

Die Beschreibung eines Lebens auf der Straße mit Krankheit aus einem Buch: It’s never dark. The street light shines through the thin blue plastic. Es geht um die Außenseiter, um die Bettler und Ausgestoßenen. Kranke, arme Menschen. Aber Costa blickt nicht primär auf soziale Umstände sondern auf die Seele, die Erinnerung, die Trauer dahinter. Eine Frau sitzt mit einem Kleinkind im Arm in einem Lichtstrahl. Würde behalten, Weiblichkeit behalten.

Man hat das Gefühl, dass ein Wind durch dieses Buch weht. Er verbindet Landschaften, Menschen und die Herstellung eines Films. Ein Interview mit Edith Scob, Schauspielen sei ein komischer Beruf. Wieder ein Sterben, harte Arbeit, Sehnsucht. Davon können Filme sprechen. Am Ende gibt es einige leere Seiten. Es endet nicht. Es kommt mir jetzt vor wie ein Aufruf an mich. Man kann es anders machen. Man kann suchen und arbeiten. Man muss es tun. Ich bin normal nicht dafür einen solchen Prozess öffentlich zu teilen, aber in diesem Fall ist es für mich als würde ich mir selbst sagen, dass es geht. Und das ist es wert. Indem ich es aufgeschrieben habe und nochmal erfühlt habe, indem ich es Stück für Stück durchgeblättert habe, hat mit Pedro Costa mit diesem Buch wieder gezeigt, dass ich noch viel stärker sein muss, dass ich noch viel konsequenter sein muss und dass es für meine theoretischen Gedanken und Gefühle bezüglich Film, die ich hier seit längerer Zeit äußere, ein praktisches Äquivalent gibt. Und an diesem Lavahaus aus Film werde ich weiter bauen.

Kraków, Kubrick, Wajda

Das Nationalmuseum in Krakau

Im Muzeum Narodowe w Krakowie (Nationalmuseum Krakau) ist zur Zeit eine große Ausstellung zu Stanley Kubrick zu sehen. Glücklicherweise war das Wetter schlecht genug, dass ich meinen Reisepartner davon überzeugen konnte das polnische für den Moment links liegen zu lassen und dieser Ausstellung unsere Zeit zu widmen.

Der Eingang des Nationalmuseums in KrakauDas Museum selbst ist bereits eine Erwähnung wert, denn es handelt es sich dabei um einen riesigen Betonklotz, der verdächtig nach kommunistischer Protzarchitektur aussieht – manch einer würde das als hässlich bezeichnen, ich finde es hat speziellen Nostalgie-Chic – darin finden sich auf drei Stockwerken eine Reihe von verschiedenen Ausstellungen zum Thema Kunst und (Zeit-) Geschichte. So kann man sich nach einem Abstecher zu Kubrick noch der Filmplakatsammlung zu Andrzej Wajda, der Ausstellung zum ersten Weltkrieg oder der Ausstellung von polnischer Kunst des 20. Jahrhunderts einen Besuch abstatten.Stanley Kubrick ist selbst für nicht-filmaffine Menschen ein Name, den man zumindest schon einmal gehört hat (und dass er mit Filmen zu tun hat). Zumindest Menschen, die alt genug sind, dass sie seine Filme noch bei deren Erscheinen miterlebt haben, kennen auch seine größten Erfolge, wie 2001: A Space Odyssey oder The Shining. Kurz, Kubrick (wie zum Beispiel auch Hitchcock) spricht eine breitere Masse als das cinephile Kernpublikum an. Das heißt eine Ausstellung über sein Werk, darf nicht nur Spezial- und Hintergrundwissen vermitteln, sondern muss den Besucher „abholen“. Für mich hieß das, dass ich einige der Panele mit den Lebensdaten und Basisinformationen überspringen konnte (respektive meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen). Danach offenbarte sich allerdings ein kleines cinephiles Wunderland. Von Killer’s Kiss über A Clockwork Orange hin zu Eyes Wide Shut wurde Kubricks Karriere in Filmen aufgeschlüsselt und jedem ein eigener Bereich gewidmet. Neben Hintergrundinformationen zum Film gibt es dort Dokumentationen, Filmausschnitte, Requisiten, Storyboards, allerlei Skizzen und Setfotos zu sehen. Auf den ersten Blick mag das wenig weltbewegend klingen, aber spätestens wenn man vor der Originalschreibmaschine von Jack Torrance steht überkommt einen die cinephile Wonne. Dieses Prop war mein Lieblingsausstellungsstück – dicht gefolgt von einem (wie ich finde) genialen Plakat zu Eyes Wide Shut und einem Replika-Kostüm von Alex DeLarge aus A Clockwork Orange.

Schreibmaschine aus "The Shining"Alternatives Plakat zu "Eyes Wide Shut"Kostümreplika aus "A Clockwork Orange"Beethoven-Poster aus "A Clockwork Orange"Redrum - "The Shining"

Wie Institutionen wie das Österreichische Filmmuseum immer wieder betonen ist es nicht im Sinne eines Filmmuseums die Materialien und Requisiten eines Films auszustellen, da in einem Kunstmuseum auch nicht Picassos Pinsel ausgestellt sind. Dieser Auffassung kann ich mich zwar im Kern anschließen, allerdings fand ich es sehr erleuchtend und lehrreich eine Ausstellung, wie jene Krakau zu besuchen. Abgesehen vom Schauwert der Originalrequisiten wie der eben erwähnten Schreibmaschine oder den Masken aus Eyes Wide Shut, bekommt man ein besseres Gefühl für die Arbeitsweise eines Stanley Kubrick, wenn man mit seinem randvollen Bücherschrank mit Recherchematerial zu Napoleon (Recherchematerial, dass er tragischerweise nie in sein Napoleon-Projekt umsetzen konnte), oder mit einer vorläufigen Shooting Schedule für The Aryan Papers konfrontiert wird. Natürlich stehen die Filme als Kunstwerke im Zentrum, aber genauso, wie man über Picassos Arbeitsweisen lernen kann, wenn man seine Pinsel studiert (tut man das?), kann man mehr über Kubrick erfahren, wenn man sich seiner Materialien annimmt und Setfotos, Storyboards und Production-Design-Skizzen ansieht. Für Filminteressierte ist das sogar beinahe ein Muss, umso mehr, und hier zeigt sich, dass die Filme im Mittelpunkt stehen, wenn einem Kubricks Oeuvre bereits bekannt ist.

Eine Maske aus Kubricks Neben der großen Kubrick-Ausstellung gab’s im gleichen Museum noch eine andere Ausstellung mit Filmbezug zu sehen: Filmposter zu Andrzej Wajda-Filmen. Diese Poster machten mehr Eindruck auf mich als die Ausstellung Polnischer Kunst des 20. Jahrhunderts nebenan (obwohl ich ein großer Fan der Kunstrichtungen dieses Jahrhunderts bin), ich würde sogar so weit gehen, das Plakat zu „Kanal“ als künstlerisch interessanter zu bezeichnen, als jedes beliebige Werk in der Ausstellung – ein avantgardistisches Meisterwerk.

Darüber hinaus ist es natürlich auch interessant die unterschiedlichen Stile der verschiedenen Länder zu vergleichen – so zeigt sich, dass deutschsprachige Plakate konservativer wirken als zum Beispiel die polnischen und französischen (zumindest in Bezug auf Wajdas Filme).

Plakat zu Andrzej Wajdas Film PS: Meine Handykamera ließ leider keine Fotos Kubrick’scher Qualität zu – ich bitte das zu verzeihen.

Kino der Orte


Text: Rainer Kienböck
Meine Streifzüge durch die Wiener Kinolandschaft führten mich diese Woche in ein Co-Working-Space (einer dieser fancy Orte, wo man als Graphic Designer oder App-Programmierer einen Arbeitsplatz mieten kann, um sich dann in Wohnzimmeratmosphäre mit gleichgesinnten Hipstern seinem Tagewerk zu frönen) in Hütteldorf (einem Stadtteil Wiens, der sich, gelinde gesagt, weg vom Schuss befindet).
© St. Balbach Art Produktion 2014

Dort veranstaltete das Filmarchiv Austria (filmarchiv.at) ein Filmscreening im Rahmen ihres „Kino der Orte“-Projekts. Anders als in den vergangenen beiden Jahren, als Orte aufgesucht wurden, an denen man Kino normalerweise nicht vermuten würde, werden diese Jahr sieben ehemalige Spielstätten, die nunmehr als Sex-Kinos, Schuhgeschäfte oder eben Büros dienen, wieder für zwei Abende bespielt. In meinem Fall handelte es sich um das frühere Kino Baumgarten (auch Baumgartner Bio-Theater und Baumgartner Lichtspiele). Vom ehemaligen Kinosaal ist nicht mehr viel zu erkennen – kaum vorstellbar, dass hier vor 60 Jahren 574 Kinogänger Platz fanden. Das Kino schloss 1966, einzig die Balkone zu beider Seiten des Saals sind noch aus dieser Zeit erhalten. Behelfsmäßig hat man Lautsprecher aufgestellt – Büro- und Gartensessel dienen als Bestuhlung – auch Kassa und Barbetrieb sind improvisiert.
In dieser hippen Umgebung wird Giuseppe Tornatores „L’Uomo delle Stelle“ aufgeführt, ein Film, der sich mit dem Filmemachen auseinandersetzt – wie so viele Filme in der Reihe. Die Kuratoren der Programmreihe, Thomas Ballhausen (der mir danach noch Rede und Antwort stand) und Karin Moser, haben bewusst Filme ausgewählt, die sich mit dem Kino auseinandersetzen. Der erste „Ort des Kinos“, das ehemalige Eos-Kino auf der Landstraßer Haupstraße wurde mit Tornatores „Nuovo Cinema Paradiso“ wieder zum Leben erweckt. Im Baumgartner Bio-Theater konnte man diese Woche noch Woody Allens „Purple Rose of Cairo“ sehen.
Diese Thematisierung des Kinoraums, das Zurückweisen einer rein inhaltlichen Diskussion von Film und Kino imponiert und gefällt mir – das gebe ich offen zu. Als Wermutstropfen bleibt, dass der Film in deutscher Fassung, in digitaler Version gezeigt wurde – eigentlich ein Sakrileg diese heiligen Hallen so zu bespielen, doch der praktischen Umsetzbarkeit geschuldet. Gerade ein Film wie „L’Uomo delle Stelle“, der so stark die filmische Materialität behandelt, bleibt aber ein fader Beigeschmack. Ich verstehe die Entscheidung – anhand der herrschenden Lichtverhältnisse und ohne Projektionskabine und anderen technischen und räumlichen Einschränkungen wäre ein analoges Bespielen wohl unmöglich gewesen, die deutsche Fassung zu zeigen war trotzdem ein Affront – meine einzige Erklärung dafür ist die Demographie des Publikums. 
© St. Balbach Art Produktion 2014

Den gezeigten Film will ich eigentlich gar nicht näher besprechen, nur so viel: Ich hätte Tornatore solch ein grimmiges Ende gar nicht zugetraut. Thematisch passte der Film, wie gesagt, ausgezeichnet ins Programm: Es geht um einen Betrüger, der sich als Talentscout einer Produktionsfirma ausgibt und ein sizilianisches Dorf nach dem anderen abzockt, in dem er den Bewohnern Ruhm und Geld verspricht und sie für Probeaufnahmen bezahlen lässt. Der Traum der Filmkarriere im Filmtraum, der im Trauma endet.
Aber nicht nur thematisch war der Film eine gelungene Wahl. Bei solchen Programmen ist auch das Publikum in Betracht zu ziehen. Dieses war alt genug um die letzte Vorstellung im ursprünglichen Theater noch miterleben hätte können und tatsächlich habe ich am Eingang einer älteren Dame zugehört, die angab als Kind mit ihrer Mutter in diesem Kino gewesen zu sein – ihre Gesprächspartnerin war eine geschätzte Endzwanzigerin, die in dem Co-Working-Space arbeitet.
Damit erfüllt das Projekt auch seine Funktion als sozialer Raum, der unterschiedliche Menschen zusammenbringt. Auch das ist laut Thomas Ballhausen ein Beweggrund für die Initiative – dem Kino seine zentrale, soziale Rolle der vergangenen Jahrzehnte zurückzugeben. Das Kino soll als ambulante Form und als Ort thematisiert werden und ein historischer Diskurs soll entstehen und der inhaltlichen Fixierung, der cinephile Kreise so starke prägt, etwas entgegenwirken.
© St. Balbach Art Produktion 2014

Alles in allem, trotz schwieriger Rahmenbedingungen eine schöne Sache und durchaus empfehlenswert. Eine Mischung aus nostalgischer Ehrfurcht und hippem Lifestylegefühlt machen das Projekt zu einer tollen Erfahrung, wenn auch mit Einschränkungen der Vorführqualität verbunden.

Für Interessierte habe ich hier das weitere Programm aufgelistet:
Kino der Orte 3: Fortuna Kino
26.3. „Dèmoni“ von Lamberto Bava (Vorfilm: „Lumière: Premonition Following an Evil Deed“ von David Lynch)
27.3. „Berberian Sound Studio“ von Peter Strickland
Kino der Orte 4:  Kaiserappartments in der Hofburg
9. und 10.4. Kurzfilmprogramm mit Filmen der Société Lumière und Besichtigung der Kaiserappartments
Kino der Orte 5: Metro Kino (das sich gerade im Umbau befindet)
25.4. Kurzfilmprogramm von österreichischen Filmzeugnissen der 1910er Jahre
26.4. „Phönix an der Ecke“ von Peter Patzak
27.4. „Himmel oder Hölle“ von Wolfgang Murnberger (Vorfilm: „Carmen“ von Anja Salomonowitz)
Kino der Orte 6: Phönix Kino
21.5. „Prix de Beauté“ von Augusto Genina (Vorfilm: „Die Filmprimadonna“ mit Asta Nielsen)
22.5. „Sunset Blvd.“ von Billy Wilder
Kino der Orte 7: Camera Kino (Währinger Bürgertheater)
25.6. „The Last Picture Show“ von Peter Bogdanovich
26.6. Kurzfilme von D.W. Griffith, Gustav Trautschold, Buster Keaton und Guy Maddin

Der „Dirty Dancing“-Selbstversuch

Ich habe Angst. Nach dem „Erlebnis“, dass ich mit diesem Teenie-Vampirfilm hatte, folgt nun der nächste Selbstversuch. Und zwar mit dem anerkannten 80er Jahre Kult-,Tanzfilm „Dirty Dancing“ von Emile Ardolino. Ich werde wieder alle 15 Minuten meine Gedanken spontan niederschreiben.
0-15min:
Im Unterschied zum „Vampirfilm“ schaue ich diesen Film in Begleitung an und so wurde ich schon im Vorspann, der mit einer Nicolas-Winding Refn-Drive-80er-artigen-Ästhetik aufwartet, ermahnt, dass es eigentlich unmöglich sei, dass ich diesen Film noch nicht gesehen habe. Nun gut. Los geht’s, mir wird gleich von einem Radiomoderator gesagt, dass ich mich bei dieser Musik verlieben muss. In den ersten 15 Minuten bleibt und ist das auch die einzige Thematik des Films. Da gibt es den Hauptcharakter. Gespielt von einer lockigen Jennifer Grey, sie ist nett und so und ihre Eltern wollen etwas anderes als sie und wir schauen sehr subjektiv durch ihre Augen auf diese Welt. Sie fahren in den Urlaub und dort gibt es anscheinend viele Möglichkeiten zu tanzen und ich bedauere, dass ich meine koralfarbenen Schuhe vergessen habe. Aber der Film lässt uns nicht lange auf sein eigentliches Highlight warten. Die Personifikation des 80er Jahre Looks erscheint hinter einem Regal, kurz und knapp und unglaublich hart und rebellisch: Patrick Swayze und seine Sonnenbrille. Später am Abend gibt es eine erste Kostprobe seines Tanzstils. Wahnsinn. Noch später am Abend, nach dem Jennifer Grey einen furchtbar interessanten Typen losgeworden ist, öffnet sich die Tür zu einer interessanten, orgienartigen Party. Wir sind entzückt.
15-30min
Eines ist klar: Jennifer Grey ist verliebt. Die wiederholende Naheinstellung ihres hingebungsvollen Gesichtes unterschnitten mit halsbrecherischen Tanzschritten, die Swayze mit einer Frau, die aber nicht seine Frau oder Freundin ist (gottseidank); dann wieder das verliebte, lockige Mädchen, dann wieder Swayze und Amerika feiert seine Äußerlichkeit. Die Äußerlichkeit der Liebe ist hier-wie in vielen Filmen-die Substanz auf der sich Identifikation gründet. Kommentar von links: „Wenn ein Mann tanzen kann, macht ihn das attraktiv.“; jetzt kommt dieser Swayze einfach zu ihr und sie stellt sich ungeschickt an, aber sofort entführt er sie in seine faszinierende Welt. Die Machomechanismen greifen hier durchaus, weil sie authentisch sind. Was ist das eigentlich für ein Ort? Gibt es sowas wirklich? Warum war ich mit meinen Eltern auch auf Ferienanlagen, die sich nicht wie eine Art Bordell angefühlt haben? Egal, macht die Sache spannend. Die blonde Nicht-Frau und Nicht-Freundin von Swayze ist schwanger. Nicht von Swayze. (gottseidank) Ihre Begründung, warum sie so gut tanzen kann, ist brillant. Ihre Eltern haben sie mit 16 Jahren rausgeschmissen und seit dem ist alles, was sie tut: Tanzen.  Ach so, was sonst. Endlich mal ein Charakter, der gut motiviert ist oder auch nicht. Den unsympathischen Typen ist Baby (so heißt Jennifer Grey tatsächlich) leider doch noch nicht losgeworden. Diese ältere Version von Tobey Maguire ist so schmierig, dass Swayze und sein Tanzstil gleich noch attraktiver werden. Dann öffnet sich die Tür zu einer interessanten, orgienartigen Party. Wir sind entzückt.
30-45min
In diesen 15 Minuten macht der Film vieles richtig, was er vorher falsch gemacht hat. In der Welt von „Dirty Dancing“ ist Tanzen wichtiger, als alles andere. Das wird an der Person der Penny Johnson (die gottseidank Nicht-Frau von Swayze) klar. Sie würde sogar Tanzen statt Abzutreiben. Harte Realität hier.  Gottseidank ist Baby bereit einzuspringen. Da sie allerdings nicht wirklich tanzen kann (bitter), muss Swayze ihr das erst beibringen. In dieser rockyartigen Trainingssequenz gefällt mir besonders gut, dass der Fokus im Spiel und in der Inszenierung wirklich auf das Tanzen und die Professionalität gelegt ist. Swayze ist sehr ehrgeizig und erst durch die Körperlichkeit des Tanzens und die Nähe und die Zeit, die die beiden miteinander verbringen wird sowas wie eine Verbindung spürbar. Dafür werden die richtigen Bilder gefunden. Einfache, präzise Halbtotalen verbunden mit flüssigen Schnitten oder Jump-Cuts. Der Film wirkt hier sehr frei. Allerdings typisch wieder, dass die Entwicklungen sehr schnell ablaufen. In 15 Minuten ist man hier bereit vieles zu verändern. In einem besonders charakterisierenden und guten Moment blickt Swayze noch durch Baby hindurch, als in einer Übung Penny hinter Baby tanzt. Er nimmt Baby gar nicht war. Später, als sie den berühmten „Move“ im Wasser üben, erlaubt er sich einen ganz kurzen Blick auf ihr durchsichtiges, weil nasses T-Shirt. Der Film nimmt sich auch nicht sehr ernst und rettet sich damit oft vor dem Abfallen in totalen Kitsch. Coca-Cola dürfte der Erfolg jedenfalls gefreut haben. Schließlich kommt es noch zu einem Frauen-Gespräch bei dem endlich wieder klar wird: Hier geht es um was. Dass ich das nicht immer bemerke, mag auch an meiner Unerfahrenheit im Tanzfilmgenre liegen. Das ständige Abdriften in musikalische Szenen ist mir nicht so vertraut, es führt zu einem totalen Berieselungseffekt.
45-60min
Irgendjemand von den Produzenten hat wohl gemeint: Jetzt wird es Zeit für Drama, Baby. Swayze und Baby sind sich jetzt wirklich nahe, aber dann gibt es Probleme mit der Abtreibung von Penny. Sie liegt dennoch fast unberührt und schön auf einem Tisch; okay, zu viel Realismus wäre schlicht und ergreifen auch unpassend. Dieses löst einen weiteren Elternkonflikt aus. Dieser Konflikt wird im ganzen Film jedoch sehr halbherzig genommen, fast so, als wäre schon alles geklärt alleine dadurch, dass es sich dabei um ein Klischee handelt. Dann kommt es endlich zum Beischlaf. Schön, mit warmem Licht und halbnackt. Swayze muss sich dafür nicht mal ausziehen, er ist prinzipiell halbnackt. Eifersucht gibt es jetzt natürlich auch und inmitten all dieser substanzlosen Tänze mit Klischees ein Dialog zwischen Swayze und Baby, der so wirkt, als würden die beiden sich schon ewig kennen; zum Teil ging es mir so, als hätte ich etwas verpasst oder als wäre das schon Teil 2 oder Teil einer Serie. Hat man sich einmal auf die 80er Jahre Tanzfilm Tatsache eingelassen, möchte ich jedoch bemerken, dass ich mehr Kitsch erwartet hätte. Nach wie vor fällt es mir trotzdem schwer wirklich einzugehen auf diese grob umrissenen Figuren, die so gar nicht aus der echten Welt zu kommen scheinen. Und da reicht auch kein sehnsuchtsvoller Blick in die Augen von Swayze, wenn dieser nicht seine mächtige Sonnenbrille trägt.
60-75min:
In diesen 15 Minuten wartet der Film mit der bis dato mit Abstand besten Szene auf. Konsequenterweise ist es eine Tanzszene (die in diesem Film allgemein das Zentrum und das Herz bilden und auch fantastisch gefilmt sind.). Mit ihr wird gewissermaßen ein Rollentauch eingeleitet; die Geschlechterrollen werden fast vertauscht. Hatte David Fincher in „The Girl with the Dragon Tatoo“ dieses Spiel in einer relativ rustikalen Sex-Szene, so benutzt man dieses Mittel in „Dirty Dancing“ in einem Tanz vor einem Spiegel, in dem plötzlich Baby die Rolle des Mannes inne hat;
 inzwischen hat sie auch einen richtigen Namen: Frances…hier wird nicht gerade subtil gearbeitet.  Im weiteren Verlauf wird plötzlich Swayze der hilfsbedürftige, weiche Charakter. Gut, dass er zwischendurch noch jemand zusammenschlagen darf. Weil sonst würde die Betonung bei tanzender Macho doch langsam mehr auf das „tanzend“ gehen.  Er würde ausgenutzt werden von gutriechenden Frauen. Armer Swayze. Aber mit Baby kann er im Bett liegen und ihr von seinen plakativen Träumen erzählen; das Licht, das durch die Fenster strömt ist immer warm, es wirkt melancholisch und verstärkt dadurch die schwelgerische Stimmung. Eifersüchtige Blicke sind ein weiteres Motiv in diesem Abschnitt. Alle Leute sind hier intrigant, jeder will eigentlich nur irgendwen ins Bett bekommen. Man darf gespannt bleiben.
75min-90min
Jetzt habe ich endlich bemerkt, dass es sich hierbei um einen Coming-Of-Age Film handelt. Mein Problem: Jennifer Grey ist 27 und soll ca. 10 Jahre jünger sein; das bringt sie aber gar nicht rüber, sie wirkt von Anfang an sehr reif. Dass ich den Kitsch nicht für so schlimm erachte liegt auch daran, dass er größtenteils über die Musik kommuniziert wird und bei dieser die Nostalgie, zumindest heute, über den Kitsch siegt. Dennoch ist Swayze im hautengen, schwarzen Oberteil, wie er den Kofferraum zuschlägt schon grenzwärtig. Aber hier werden Helden geschaffen und am Schluss laufen alle Fäden zu einem unheimlich, unheimlich, unheimlich runden Ausgang, wo alle Probleme gelöst, alle Konflikte sich in Harmonie lösen, wo Menschen endlich für sich stehen und die gute Laune siegen muss. Selbstverständlich wird hier getanzt. Der schwierige „Move“ glückt und es ist schön bunt und  wir erinnern uns an die Aufforderung zu Beginn des Films: „Verlieben sie sich.“  Ich werde zusammengestaucht: „Wie kannst du jetzt auf Pause drücken!“
Dann ist es auch aus, ja. Der Film erreicht gekonnt, was er möchte, indem er sich auf die nötigsten Elemente fokussiert und beweist, dass Körperlichkeit reicht, um einen Liebesfilm zu machen; dass sich das Ganze auf einer sehr dünnen Oberfläche bewegt, ist für das angestrebte Publikum egal. Hier geht’s um Träume. Träume, die es nicht gibt. Oder doch? Vielleicht als Ausdruck einer subjektiven Wahrnehmung oder Erinnerung, ja. Natürlich überzeichnet, aber nicht schmerzhaft. Jedoch definitiv belanglos im Inneren, wichtig im Äußeren. Also wurde die Form zum Inhalt. Ob absichtlich oder nicht.

Der Twilight-Selbstversuch

Nach längerem Kampf habe ich mich zu diesem Experiment hinreißen lassen: Ich werde mir einen Twilight-Film (aus vernünftigen Gründen den 1.Teil) ansehen; von einem Blog, der sich mit Jugend und oder ohne Film beschäftigt, muss man erwarten können, dass der Autor die wichtigsten Phänomene der Jugendkultur am eigenen Leib erfahren hat. Alle zehn Minuten werde ich meine Gedanken posten…und ich werde VERSUCHEN nicht mit Vorurteilen in das Filmerlebnis zu gehen…los geht’s
0-10min:
Das sieht ja aus wie Antichrist von Lars von Trier da im Wald; alles ist blau und grün und ein Reh wird gerissen von einem schwarzen Schatten. Die Handkamera zerstört leider jegliche Ästhetik an dieser Stelle. Eine Voice-Over Narration, die ich nah an der literarischen Vorlage vermute und die unendlich stört, begleitet das Geschehen um dieses Arizona-Girl Bella, das sich in einer neuen Schule und Umgebung eingewöhnen muss. Die Fremdheit des Ortes wird ganz gut eingefangen, es gibt auch einige etwas peinliche Situationen, die dem Ganzen eine charmante Note beifügen. Dann war da auch schon dieser Taylor Lautner mit toller Frisur, ja…und am Ende der zehn Minuten eine vor Kitsch triefende Einführung des männlichen Hauptcharakters, der im strahlenden Weiß und in Slow-Motion durch den Eingang zur Mensa einschreitet und er lächelt. Bislang ist alles flüssig und es wird dafür gesorgt, dass man wissen will, wie es weitergeht.
Antichrist; Lars von Trier
10-20min:
Subtil wird nicht das passende Adjektiv sein, um diesen Film zu beschreiben; ich habe gesehen wie Bella in ein Klassenzimmer geht. Dort steht ein riesiger Ventilator und der bläst ihr den Wind um die langen braunen Haare und dann gibt es eine Zeitlupe und eine vergewaltigende Musik und dann sitzt da dieser Edward (hoffe er heißt so); blass und merkwürdig (ihm ist schlecht?) und die beiden blicken sich an, aber Edward geht es dabei nicht gut. Er hat mich ein bisschen an einen Autisten erinnert, vielleicht auch Sean Penn in I am Sam. Jedenfalls gibt es einige Ereignisse und jetzt kommen sich die beiden näher. Allerdings muss man dem Film lassen, dass er sich sehr auf cineastische Mittel verlässt bis dato; wenig wird gesprochen, viel wird gezeigt. Viele Nahaufnahmen setzt Catherine Hardwicke ein, die ja mit Thirteen und Lords of Dogtown bereits zwei sehr jugendaffine Filme realisiert hatte. Die nahen Gesichter des Over-Actings, blasse Gesichter, Außenseiter und schöne Menschen. Der Film setzt auf ein Gefühl der Jugend; das Gefühl alleine zu sein und anders zu sein. Was mir noch aufgefallen ist: In der Serie True Blood ist die Umgebung dreckig und feucht, überall lauern Tiere und es ist schwül und unangenehm und daraus zieht diese Serie einen großen Teil ihres Reizes. Dagegen wird in Twilight nur davon gesprochen wie feucht es ist; wenn man darauf achtet ist alles sauber und schön. Übrigens finde ich Bella’s Vater merkwürdig.
True Blood
Thirteen, Catherine Hardwicke
20-30min:
Interessante Spiele mit der Wahrnehmung: Distanz und Nähe werden hier leicht überbrückt; dies entspricht wohl der Wahrnehmung der Vampire. Es gibt ständig Blicke, der Film dreht sich ausschließlich um Bella und Edward, alles andere ist nur Beiwerk. Konsequent die Schärfenverlagerung. Und dann wieder zwei Blicke in Nahaufnahme und man hat das Gefühl, dass sich hier zwei Menschen (bzw. Wesen) sehen können, nur um in der nächsten Einstellung zu zeigen, dass sie sehr weit voneinander entfernt stehen. Die Welt ist immer noch sehr blau und ich frage mich, warum sich die Vampire keine Mühe mit ihrer Hautfarbe geben. Das sieht man doch, Leute. Das Kostüm ist intelligent gewählt. Wirkt stylish, aber bezahlbar.
30-40min:
Google, Superman, Spiderman…der Film installiert sich innerhalb einer popkulturellen Gesellschaft; bricht sogar ironisch mit sich selbst…“What if I am not the hero?“; der Schuss-Gegenschuss Dialog ist noch lange nicht tot. Wirkt stylish, aber bezahlbar. Was mich ein wenig irritiert: Warum ist Bella so beliebt bei ihren Mitschülern? Sie gibt sich ja nicht gerade sympathisch. Ich kenne das Buch nicht, aber rein aus filmischer Sicht wäre hier ein ganz anderes Potenzial gelegen, welches den Film weit mehr in den heutigen, gesellschaftlichen Problemen hätte unterbringen können. Wo ist denn die Voice-Over Narration hin? Typisches Hollywood-Stilmittel; am Anfang hören die Charaktere gar nicht damit auf uns alles zu erzählen über sich und ihre Gefühle und wenn sie dann mal vorgestellt sind, dann wird der Voice-Over-Ton einfach weggelassen. Bei vielen Filmemachern und Kritikern gilt die Verwendung des Stilmittels zur Beschreibung der Gedanken der Charaktere sowieso als „billig“ und „unästhetisch“. Gegenbeispiele wie Memento von Christopher Nolan, Goodfellas von Martin Scorsese oder sämtliche Filme von Terrence Malick beweisen, dass es aber durchaus möglich ist Voice-Over kreativ und wertgenerierend zu verwenden.
The Thin Red Line; Terrence Malick
40-50min:
In der bis zu diesem Zeitpunkt stilistisch aufregendsten Passage wird aufgelöst, dass es sich bei Edward tatsächlich um einen Vampir handelt; die Kamera löst sich immer wieder vom Geschehen und schwebt frei durch die Flora und Fauna des blau-grünen Waldes, Nebelschwaden. Wieder muss man an Malick denken, wobei der sich, ob der Unnatürlichkeit der Natur und der zerstörerischen Verwendung unnötiger Schnitte wohl gelangweilt abdrehen würde. Die Dialoge sind flach; vorgetragen werden sie immer am Rande der Emotion, auf ganz dünnem Eis. Alles ist überemotional. Schockierend. Dennoch bleibt der Horror- und Angstfaktor kinderfreundlich. Es geht um Schatten, und laute Flashbacks, die so verfremdet sind, dass man sich fragt, ob irgendwer hier die Gesamtwirkung des Filmes in Auge hatte oder es nur Szene für Szene ging. Außerdem wird mit wichtigen Themen für junge Mädchen jongliert: Nachts durch einen Tunnel gehen, wenn einem dunkle Gestalten entgegenkommen; das Anprobieren von Kleidern oder den Mut auch mal selbst den Jungen ihrer Wahl nach einem Date zu fragen. Gott, sind wir aber emanzipiert. Was mich überrascht sind die geringen Schauwerte für einen Blockbuster. Da es so viel Nebel gibt und so viele Naheinstellungen gibt es kaum Totalen, die sich in Herr der Ringe oder Harry Potter ja nur so tummeln.
Lord of the Rings; Peter Jackson
50-60min:
„I am designed to kill“, sagt er, dieser Pattinson und dann springt er mitsamt unheimlich elektronisch-klingender „Wusch“ Soundeffekte von Baum zu Baum und wird sehr wütend. Aber Bella mag ihn sehr und so. Und wenn er in der Sonne glitzert, dann ist vielleicht kein typischer Vampir, aber hübsch, hübsch. „Your scent is like a drug to me“. Der schmale Grat zwischen Tod und Versuchung, auf dem sich die Regisseurin hier bewegt, misslingt ihr für meinen Geschmack. Immer wenn das Potenzial für die Versuchung aufkeimt, der unterschwellige Sexappeal des Gefährlichen, der schon immer Teil der Faszination im Vampirfilm-Genre war, kommt ein Kitsch ins Spiel, ob mit lila Blumen, einem schmachtenden Blick oder dem nach wie vor kaum nachvollziehbaren Einsatz von vergewaltigender Musik. Und dann liegen sie im Gras wie Anakin und Amidala, ja. Dann gibt es eine interessante Szene; aus all dieser Melancholie kommt plötzlich eine Teenage-Highschool Coemdy-Szene. Edward und Bella kommen mit dem Auto in die Schule und alle starren sie an und Edward hat eine coole Sonnebrille auf und haut einen coolen Spruch raus. Mehr davon, bitte! Aber nein, zurück in den Wald. Dort gibt es eine Inception-artige Aufklärungsstunde zu allem, was einem so auf den Fingern brennt zum Thema Vampirismus. Meine Meinung zu diesen „Logikfüllern“ habe ich ja schon des Öfteren von mir gegeben, aber gerade in einem Genre, das so von Mythologie und Legenden lebt, ist es meiner Meinung nach einfach nur schädlich so viele Fragen zu beantworten.
60-70min:
Endlich sehe ich etwas, was den Erfolg des Filmes gerechtfertigt; die Sequenz, in der Edward Bella zu sich nach Hause nimmt. Viele interessante, komische, merkwürdige und spannende Situationen entstehen hier; auf ähnliche Art und Weise, wie Casino Royale mit diversen James Bond Gesetzmäßigkeiten aufräumte, wird hier auf selbstreflexive Art der Vampir an sich in seine Einzelteile zerlegt; Erwartung und Erklärung ergänzen sich und man bekommt ein Gefühl für ein Leben in dieser Welt; auch das Serienpotenzial kommt hier zum Vorschein, denn hier gibt’s es eine Welt, die entdeckt werden möchte; mit „Claire de Lune“ und dem erstmaligen Gefühl von emotionaler Teilnahme meinerseits (wenn auch extrem manipuliert) kulminiert die Sequenz dann im Höhepunkt des Kitsches: Einem Flug von Baum zu Baum mit anschließendem Klavierspiel, welches all die Vampir-Dynamik wieder zu einer Vampir-Romantik verklärt. Deshalb habe ich auch mehr und mehr das Gefühl, dass der Film sich nicht vorwärtsbewegt. Es gibt einfach keinen Wechsel in Stimmungen.
Casino Royale; Martin Campbell
70-80min:
Die Eltern dürfen nicht vergessen werden, ist einem der Autoren hier wohl eingefallen; die Beziehung zu den Eltern ist modern, das heißt distanziert, aber freundschaftlich. Dann endlich der erste Kuss. Hardwicke inszeniert ihn ruhig und präzise. Wieder entsteht für Augenblicke sowas wie Magie, das Problem ist eher, dass die Figuren wie Marionetten der Geschichte wirken, ihre Motivationen bleiben nebulös, denn in einem Film reicht es womöglich nicht, dass sich zwei Personen einfach verlieben, als Zuseher habe ich den Wunsch diese Liebe nachvollziehen zu können. Oft spricht man dann von der Chemie zwischen den Darstellern, die will ich Stewart und Pattinson gar nicht absprechen, aber ich glaube, dass man ihnen nicht genügend Raum gibt. Sie reden fast ausschließlich über Vampirismus und dann verzehren sie sich mit Blicken und der Funke will nicht überspringen, weil in dieser kitschigen Szene, als sie sich das erste Mal begegnen nur Kitsch und keine Substanz lag. Zudem fehlt es dem Film an einer richtigen Exposition; gezwungen dem Willen nicht zu „langweilen“, langweilt mich der Film nun, weil ich das Gefühl habe die Charaktere nicht zu kennen und auch nicht die Möglichkeit bekomme sie zu lesen, denn immer dann, wenn es interessant wird, wird geschnitten und gewackelt. Das in 10 Minuten Teile zerlegen dieses Films betont noch mehr sein, auf eine Aufmerksamkeitsspanne der Youtube-Generation geschriebenes Drehbuch. Dann gibt es Jump-Cuts und wie so oft Überblendungen, die wohl einen traumartigen Zustand vermitteln sollen, aber einfach nur stimmungstötend wirken. Apple-Produkte fühlen sich auch wohl im Twilight-Universum. Dann wird Baseball gespielt und es entwickelt sich ein Musikvideo-Flair, der aber derart durchkomponiert ist, dass es wieder dieses Serien-Gefühl in mir weckt und auf eine merkwürdige Art und Weise auch Freude auslöst. Schließlich kommen aus dem Wald drei bösartige Vampire mit vielen Bauchmuskeln und man redet.
80-90min:
Pattinson fährt Stewart mit dem Jeep durch den dunklen Wald auf der Flucht vor den bösartigen Vampiren, die Stewart ganz und gar als lecker empfinden. Warum fliegt er nicht von Baum zu Baum? Wenig ausbalanciert ist das Ganze für mein Gefühl; habe ich mich vorher noch über immer dieselbe Stimmung beschwert, sind es jetzt Wechsel in jener, die ich nicht mitmachen will. In einer effektiv-herzzerreißenden Szene muss Bella ihren Vater belügen und verletzen, um ihn zu retten. Es geht Schlag auf Schlag und jede Emotion wird von dieser unnötigen Geschwindigkeit des Plots vernichtet. Da der Film aber in einer gewissen Altersgruppe eben diese Gefühle auslöst, ist davon auszugehen, dass entweder diese Generation näher am Gefühl gebaut ist  und daher keine Langsamkeit braucht oder aber dass diese Generation einfach schneller in der Lage ist mediale Muster aufzusaugen, um sie mit eigenen Emotionen zu kombinieren. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die kurze Szene, in der sie ihre (fast vergessenen) Freunde aus der Schule sieht; das Leben, das sie hätte haben können. Drei Sekunden scheinen hier zu reichen für die Emotion. Jetzt wird es ein richtiges Verfolgungsjagdspektakel und so weiter.
90-100min:
Endlich werden Helden geschaffen; die Familie ist in Gefahr und die Heldin ist bereit sich zu opfern. Hollywood lebt. Voice-Over und Mut. Und den Vater, trägt sie in Form eines Sprays in ihrer Tasche. Go Bella! Eigentlich ist es ganz schnell vorbei, aber um es in den Worten von Funny Games zu sagen: „Unterschätzen Sie nicht den Unterhaltungsfaktor.“, hier wird wirklich jedes Klischee bedient. Dann kommt der Held zur Rettung, aber „You’re alone…cause you’re faster than the others.“, achso, hatte mich schon gefragt. Es wird auch relativ brutal, mit der bislang kinderfreundlichen Umsetzung wird aufgeräumt. Doch die Moral wird nicht gebrochen. Gut ist, wer nichts Schlimmes tut. Der Held muss die Heldin nun aussagen, um sie vom Gift zu befreien; die Nahtoderfahrung wird meiner einer recht anschaulichen und völlig belanglosen Montage garniert. Und es gibt gleich noch einen Konflikt hinterher. Bella möchte in Zukunft bei ihrem Vater leben, aber Edward möchte, dass sie zu ihrer Mutter nach Florida zieht, damit er nicht mehr in Versuchung kommt. Das waren zehn Minuten der absoluten Fülle. Bis hin zur völligen Belanglosigkeit.
Funny Games US; Michael Haneke
100-110min:
Ah da ist der Lautner wieder; er präsentiert den Cliffhanger. Das Szenenbild ist schon auffällig; diese Gothik-Romantik Mischung, schwarz und lila sind dominierend; es gibt keine natürliche Lichtsetzung in dieser Welt, alles wirkt immer wie vom Mond durchleuchtet. Ganze Arbeit wurde da geleistet. Thom Yorke beendet mit einem weiteren Cliffhanger und irgendwo zwischen diesen Gesprächen über Unendlichkeit, Liebe und Tod muss sich Substanz und Wahrheit versteckt haben. Abspann. Danke.Aus.