Viennale Tagebuch: Wenn man im Freizeitpark wohnt


Ein Festival, das vor der eigenen Haustüre stattfindet, hat etwas Enttäuschendes. Es ist wie ein Freizeitpark, in dem man wohnt. Zum einen sind alle Attraktionen so leicht erreichbar, dass es grausam ist, wenn man eine nicht besuchen kann, zum anderen geht das normale Leben weiter, man verschwindet nicht wirklich im Dunkel des Kinos, sondern taucht nur kurz unter. Man beneidet jene, die nur als Besucher dort sind. Gleichzeitig ist es natürlich ein gewisser Luxus gerade, schlaf- und ernährungstechnisch. Dann spielt die Viennale dieses Jahr sehr viele Filme, denen ich gerne einen zweiten Blick geben würde. Von „Le passé“ von Ashgar Farhadi, über „La vie d’Adèle“ von Abdellatif Kechiche, „Stray Dogs“ von Tsai Ming-liang bis zu „Medeas“ von Andrea Pallaoro. Also gibt es auch diesen inneren Kampf, der sich zwischen diesem ständigen Drang neues zu sehen und dem so wichtigen zweiten Mal mit einem Film bewegt. Was werde ich also tun mit meiner Viennale? Wie sehr wird es sich überhaupt wie ein Festival anfühlen? Die Stadt jedenfalls lebt ihr Fest mehr als beispielsweise Venedig. Überall stehen kleine Säulen, große Schriftbanner oder etwa Karten zu den Kinos in der U-Bahn. Man muss sich anstecken lassen.
 „The Nutty Professor“ von Jerry Lewis  war ein solcher ansteckender Auftakt für mich. Der Film wurde im Filmmuseum im Rahmen der Retrospektive des großen amerikanischen Comediens dargestellt. Jerry Lewis ist ein Phänomen, das sich größtenteils jenseits meines Radars abgespielt hat, er war Groß in einer Zeit, in der selbst meine Eltern noch zu jung waren, um ihn zu würdigen. Also gab es keine Fernsehnachmittage mit ihm für mich, keine Zitate am Essenstisch und keine Lobeshymnen wie jene, die Alexander Horwath bei der Pressekonferenz der Viennale ausgepackt hat. Neugierig war ich trotzdem und ich wurde keinesfalls enttäuscht. Mit „The King of Comedy“ und „Arizona Dream“ hatte ich Lewis auch schon in zwei wohl eher untypischen Filmen für ihn gesehen, aber noch keinen seiner Paramount-Pictures, bei denen er selbst Regie führte.  Erschreckenderweise kenne ich das Remake mit Eddie Murphy. Aber was Lewis da abfeuert, ist eine ganz andere Liga. Sein Humor ist die Heirat aus einem unfassbar ausdrucksstarken Schauspiel, einem pointierten Drehbuch und vor allem einer herausragenden Regie. Ähnlich wie Chaplin steht die Kamera fast immer genau da, wo sie sein muss, es gibt einen Schwall an tollen, häufig filmischen (die quietschenden Schritte auf dem Boden, die Tatsache, dass Buddy schon immer im Raum ist und die Kamera ihn mit einem Schwenk abholt usw. ) Einfällen, die sich gegenseitig hochschaukeln bis der Film so dicht wird, dass es pure Unterhaltung ist. Dabei keineswegs billig, sondern immer hochintelligent, mit moralischen Fragen und dem Augenzwinkern an der entscheidenden Stelle. In den ersten Minuten hatte ich noch Schwierigkeiten in den Film zu sinken, er startet recht brachial, aber dann hat mich das Fieber gepackt. Fieber für den Film, Fieber für das Festival.