Camera Lucida: La Frontière de l’aube von Philippe Garrel

Eine Figur in einen Kader stellen. In einen Kader, in dem nichts stabil ist. In diesem Spannungsfeld zwischen dem freien, suchenden Blick und seiner Stabilisierung arbeitet Philippe Garrels La Frontière de l’aube, einer der herausragenden Filme Garrels jüngeren Werks. Der junge Fotograf François (Louis Garrel) will die berühmte Schauspielerin Carole (Laura Smet) fotografieren, er will ein Bild von ihr, er will sie halten. Die Ankunft in des Fotografen an ihrer Wohnung wird von der Kamera von William Lubtchansky leicht zittrig empfangen. Das, was interessiert, ist nicht im Kader. Straßenpfosten stehen im Weg, sie versperren den Blick, es gibt einen Schwenk, so richtig lässt sich kein Bild finden, dabei ist dieses Bild doch so entscheidend für das Kino und die traurige Liebe bei Philippe Garrel, der aus der Zeit gefallen etwas in uns trifft, dessen Existenz wir gerne leugnen: Das Gefühl und die Notwendigkeit von vergänglichen Bildern, die wir machen, um in anderen, eine Zukunft zu sehen.

La Frontière de l’aube
Im Treppenhaus verharrt der Blick kurz auf dem Schatten des Fotografen an der weißen Wand. Bereits gestorben, seiner Fleischlichkeit entzogen bevor er wieder ins Bild rückt, als wäre der Kader seine Rettung und sein Ende. Immer wieder im Film wartet die Kamera auf ihn, der Kader existiert, aber wird er ihn finden, nur durchkreuzen oder wird er ihn selbst gestalten? Als François im Schwarz des Flurs verschwindet, erahnt man bereits, dass er sich dem Kader selbst dann entziehen wird, wenn er in ihm steht. Nein, was dieser Mann sucht, ist nicht ein Im-Bild-Sein, sondern ein Bild, in dem er sein kann. Frei nach Leonhard Cohen: Er kann nicht in einem Haus leben, in dem sein eigener Geist, den Kader heimsucht.

Denn das ist der Kader bei Garrel: Ein Heim. Folgerichtig sehen wir zum ersten Mal da Gesicht des jungen Mannes, als er durch die Rahmung einer Tür die Frau erkennt, die ihm dieses Heim in einer Kadrierung verspricht. Es ist der Moment des Verliebens, der nicht geschieht, der nie passiert, der da ist, weil er erblickt wird. Nichts am Gesicht von Louis Garrel verrät uns, dass er sich verliebt, aber die Tatsache, dass sein Gesicht zum Bild wird, lässt uns spüren, dass sich etwas verändert hat/verändern könnte. Es ist nicht unbedingt die Arbeitsweise der Nahaufnahme, die Garrel zu dieser motiviert. Es ist ihre Positionierung im Geschehen und ihre Verweigerung. Geduldig erwartet er den Moment, in dem sich darin etwas zeigen könnte. Die erste Nahaufnahme von Carole dagegen kippt, sie hält nicht, etwas stört die perfekte Ruhe des ersten Moments. Sie sagt dem perfekten Bild: Es gibt dich nicht. Sie windet sich mit einer Neigung, die Kamera verfolgt sie, verliert sie kurz. Etwas ist instabil, es ist nicht leicht, eine Figur in den Kader zu stellen. Die Instabilität der Figur verunmöglicht die Illusion einer Ewigkeit. Erst wenn sie ins Bild kommen würde, wäre sie wirklich verletzbar und sich ihrer Flüchtigkeit bewusst.

Aber wenn sie nie wirklich dort ist? Dann, so zumindest in La Frontière de l’aube, beginnt ihr nie gemachtes Bild sich zu verformen und jagt die vergängliche Liebe in einen Horror des nie gemachten Bildes. Denn der junge Fotograf bekommt das Bild dieser Frau nie und bemerkt erst ihre Bereitschaft für dieses Bild, als er bereits nach einem anderen gesucht hat. Als er sich Carole entzieht, nachdem er und sie von ihrem Ehemann überrascht werden, fällt sie in eine heftige Depression. Sie bringt sich um und voller Pillen sagt sie zu sich, dass sie ihn noch einmal sehen wolle. Sie will zu ihm und in seinen Armen zu einem Bild der Vergänglichkeit werden. Ein Bild, das sie nicht mehr erreichen kann genauso wenig wie Lubchtansky das Bild ihres Todes zeigen könnte. Denn ohne Kader ist sie nicht wirklich gestorben für die Kamera.

La Frontière de l’aube
François’ neue Beziehung zu Ève (Clémentine Poidatz) und deren Schwangerschaft macht ihn selbst zu einem Bild, ein Bild, das er von sich selbst nicht sehen wollte. Es ist ein wenig so, als würde er gerne ein Geist bleiben, ein durch die Räume wandelnder Schatten, der auf der Suche nach einem Bild bleibt, dass er selbst machen will. Darin kann man eine Flucht vor Verantwortung sehen oder aber vor dem Leben selbst. Garrels Film zittert hier entlang einer Flucht. Oft liest man über Garrel, dass es in seinen Filmen immer um Selbstmord geht. Das mag stimmen, aber der Selbstmord ist nur Ausdruck einer ungreifbaren Verzweiflung, einer Unüberwindbarkeit und der fehlenden Bilder. In La Frontière de l’aube wird der Selbstmord zu einer letzten Hoffnung auf ein Bild. Das Bild der sterbenden Liebenden, vereint und getrennt zugleich.

Was es braucht für einen Kader:

a: Einen Rahmen: Bei Garrel sind das Türen, Fenster, Gitter und ein heimgesuchter Spiegel. Das erste Bild, dass François und Carole in einem Kader fasst, blickt durch die geöffneten Jalousien des Balkons. Sie verweilt dort kaum, alles ist immer zu von einer Unruhe beseelt, die der gesuchten Harmonie entgegentritt. Als wollte man atmen, aber spüre seine Luft nicht mehr.

b: Die Zweisamkeit und Isolation derjenigen Person, die den Kader baut und derjenigen, die darin zum Bild werden soll. So wirft Carole ihre Gäste und Freunde aus der Wohnung, um das Foto, machen zu können. Es gibt keinen wirklichen Grund für dieses Bild, außer dass es den Beginn einer möglichen Zukunft markiert und deren Scheitern. Später als François und Carole auf dem Balkon stehen und versuchen ein Bild zu kreieren, erinnert wiederum die Kadrierung von Lubtchanskys Kamera an L’amour fou von Jacques Rivette, ein Film den Williams Ehefrau Nicole Lubtchansky geschnitten hatte (so viel zum Thema der Wiederkehr im Film). In L’amour fou geht es unter anderem um die ideale Welt einer Zweisamkeit und die drohende, aktive Zerstörung dieser. Der Kader braucht die Isolation. Flucht aus der Welt, mit ihr verbunden über einen winzigen Balkon, auf dem man sich noch immer verstecken kann vom Bild, um Liebe zu machen: Man wird zum Bild des Versteckens und der Einsamkeit.

La Frontière de l’aube
c: Die Zeit, die es braucht bis man in einem Kader steht. Sie hat zu tun mit einem Vertrauen zwischen Kamera und Figur, zwischen den Figuren und dem Einklang und der Harmonie, mit der diese einen Schritt machen hinein in die eigene Vergänglichkeit. Die Manifestation einer in Blitzen belichteten Flüchtigkeit, kaum da, aber nur dann sichtbar. Später im Film verharren die Liebenden und die kranke Carole in diesen Bildern, die sie zusammen nicht machen konnten. Selbst als die Frau in einer psychiatrischen Heilanstalt gefesselt wird, vermag sie nicht zum Bild zu werden. Ihr Antrieb ist immerzu die Flucht, sie dreht sich wie ein zerbrechlicher Wind in und aus den möglichen Bildern, nach denen sie sich sehnt.

d: Eine Trennung, die sich zwischen Betrachter und Bild offenbart, zwischen dem Moment des Bildes und dem Augenblick seiner Betrachtung, zwischen der Kamera und der Figur. Als Carole auf einer Party mit einem anderen Mann intensiv spricht, wird François so kadriert, dass ein Stück Wand zwischen ihn und seine Lebensgefährtin ragt. Später erscheint sie unscharf im Bildhintergrund. Das mag wie eine recht gewöhnliche Art der Inszenierung anmuten, aber Garell zeigt hier auch eine Trennung, die selbst zu ihrem eigenen Bild wird statt ein Bild zu provozieren. Zumindest nicht vor dem Tod.

e: Geister, die im Rahmen eine Illusion werden, die Illusion ihrer Ewigkeit, in der sie sich der Welt für die Sekunde einer Möglichkeit zuwenden: Verliebt, verängstigt, zufällig, präsent.

La Frontière de l’aube
An einer entscheidenden Stelle des Films greift der liegende François mit der Hand nach oben in die Kamera. Er greift nach dem Bild, das er nicht haben kann. Die nächste Einstellung zeigt ihm auf dem Friedhof. Keine Mumien, nur versteckte Verwesung unter der Erde.

Die Liebenden bei Garrel finden diese notwendigen Bilder einer möglichen Zukunft oft nicht oder verzögert. Der Kader wackelt und zittert, weil eines der genannten Elemente oder alle zusammen nur ein Kartenhaus ergeben. In La Frontière de l’aube erscheint Carole François im Spiegel. Sein Spiegelbild wird zu ihrem Bild. Der Kader, in dem er sich selbst erblicken könnte, trägt ihre Konturen. Hier wird der Kader bei Garrel nicht nur zu einem Heim, sondern einer Heimsuchung. Sie bittet ihn zu kommen. In den Kader, in das Bild. Ein Happy-End.

Il Cinema Ritrovato 2017: Alexandre Promio in Ägypten

Les Pyramides (Vue Générale) von Alexandre Promio

Die ersten Gehversuche des Kinos würde ich als „acquired taste“ einordnen. Als ich zum ersten Mal Filme der Gebrüder Lumière und ihrer Operateure sah, maß ich ihnen eher historische als künstlerische Bedeutung bei. Die kurzen, ausschnitthaften Ansichten von öffentlichen Plätzen, Gebäuden und Sehenswürdigkeiten erscheinen recht willkürlich, außer dem einen oder anderen Blick eines Passanten in die Kamera fehlt das Spektakel. Dem Auge fehlt der rote Faden, dem es folgen kann, wie es das gewohnt ist.

Ein „acquired taste“

Kurz: Lange Zeit fand ich es eher mühsam und etwas langweilig mir eine halbe Stunde am Stück diese Filme anzusehen (und ich vermute, es ging nicht nur mir so). Es war hier in Bologna, wo ich in den letzten Jahren eine neue Wertschätzung für die vues Lumière entwickeln konnte. Das hat vielerlei Gründe: Zunächst bekommt man hier eine breite Auswahl an unterschiedlichem Material vorgesetzt, das über die paar dutzend anerkannten, und immer wieder gezeigten Lumière-Klassiker der ersten Stunde (von L’arrivée d’un train über La sortie de l’usine bis zu Repas de bébé), hinausgeht. Zudem sind die Programme exzellent zusammengestellt, ob nach ausführenden Operateuren, geographischen Begebenheiten oder wiederkehrenden Motiven. Und außerdem, und das ist vielleicht der gewichtigste Grund, wird die Präsentation den Filmen gerecht: ein dunkler Kinosaal, eine große Leinwand, Live-Begleitung am Klavier, ein lebendiges Publikum.

Die Seherfahrung in dieser Konstellation ist eine andere, als bei einem pixeligen Youtube-Video zuhause oder in einem zu hellen und technisch schlecht ausgestatteten Hörsaal. Diese Filme können sich am besten entfalten, wenn sie sich entfalten können, wenn das Auge eingeladen wird über die Leinwand zu schweifen, sich in Details zu verlieren, die gemäldeartigen Ansichten zu betrachten wie ein Gemälde – der fehlende rote Faden, die ungewohnte Bildstruktur werden dann zum herausstechenden Merkmal. Ich erkennen meinen Blick wieder, mit dem ich Lumière-Filme sehe, er ist verwandt mit der Art, wie ich Loznitsa sehe, wie ich Akerman sehe, wie ich Tsai Ming-liang sehe, man könnte diese Liste weiter fortsetzen.

Rue Sayeda-Zeinab von Alexandre Promio (Vue N° 374)

Rue Sayeda-Zeinab von Alexandre Promio (Vue N° 374)

Kino des Vermessens

Die vues Lumière laden zum Vermessen des Bildraums ein. Das unterscheidet sie vom Kino des Eintauchens, des Akzentuierens, des Vorbetens. Die Ansichten – und nicht nur jene, die mit der Exotik ferner Plätze kokettieren – faszinieren zunächst als Seh- und dann als Zeitkapseln. Es ist, denke ich, nötig hinzuweisen, dass sich diese Filme nicht in ihrer Funktion als historische Aufzeichnungen erschöpfen. Selbstverständlich hat die Faszination mit den Filmen auch damit zu tun, dass sie einen Blick auf die Vergangenheit freigeben, die Möglichkeit bieten mit den Augen eines Menschen von vor einhundertzwanzig Jahren zu sehen, den Vergleich zwischen Damals und Heute nahelegen. Zu gleichen Teilen sind sie aber Beispiele für eine filmgeschichtlich vernachlässigte Form des Sehens, und für das Öffnen des Bilds für den Zufall, wenn Passanten die Kamera blockieren oder wenn Pferde scheuen (ich habe bereits letztes Jahr kurz darüber geschrieben, wie die Unreinheiten diese Filme bereichern).

Stummfilme sind selbst in den meisten Programmkinos und Cinematheken nur selten zu sehen, auch ihre Restaurierung hat keinen hohen Stellenwert. Was historischen Wert hat wird gerne (wie auch Wochenschauen) als Materialsammlung veröffentlicht, auf DVD oder gar in einer Online-Mediathek. Die Vermittlung dieser Filme wird aus dem Kinosaal ausgelagert auf die eigenen vier Wände des Publikums. Obwohl gerade diese Filme von einer lebendigen Auseinandersetzung profitieren. Hier in Bologna sprach Aboubakar Sanogo über die Ägypten-Filme des produktivsten Lumière-Operateurs Alexandre Promio.

Für mehr Lumière in den Kinos!

Sanogos Kommentare waren augenöffnend. Da ging es weniger um die Entstehungsgeschichte der Filme oder um ihre genaue Verortung und Verzeitlichung, sondern um allgemeine Fragen des Filmischen. Er problematisierte die Besonderheit der Seherfahrung, den dokumentarischen Gehalt dieser Bilder und wie sie sich von anderen unterscheiden – von anderen Bildern aus der gleichen Zeit, die an anderen Orten aufgenommen wurden, und von nachfolgenden Bildern, die andere Politisierungen der Orte und Menschen zum Ziel haben (die Filme der Lumières waren Produkte des Kolonialismus).

Es scheint, kaum eine Filminstitution fühlt sich heute mehr verpflichtet diese Filme zu zeigen, die wunderbar katalogisiert, in passablem Zustand und recht gut verfügbar sind. Das ist ein Versäumnis, denn nicht nur wer nach Bologna reist, sollte Gelegenheit dazu bekommen sich diesen „acquired taste“ anzueignen.

Il Cinema Ritrovato 2017: Niedzielne igraszki von Robert Gliński

Niedzielne igraszki von Robert Gliński

Niedzielne igraszki von Robert Gliński endet mit einem Freeze Frame. Die Kamera filmt aus dem Innenhof eines städtischen Wohnhauses hinaus auf die Straße, wo ein großes Plakat von Josef Stalin angebracht ist. Wir schreiben das Jahr 1953, Stalin ist soeben gestorben, das Wohnhaus steht in Warschau und ist noch immer vom Krieg gezeichnet. Der Film verlässt den Hinterhof nie, nur einzelne Personen, die nach draußen gehen oder von außen kommen, zeugen von der Existenz einer Welt außerhalb.

Am Anfang des Films herrscht Hektik. Die Familien machen sich bereit an diesem Sonntag auszugehen. Die einen gehen in die Kirche, die anderen zum Trauerzug für den sowjetischen Obergenossen. Nur wenige bleiben zurück: einige Kinder, die sich vor den sonntäglichen Verpflichtungen gedrückt haben oder von ihren Eltern nicht mitgenommen wurden, eine verrückte Frau, ein Babykätzchen. Draußen geben sich die Repräsentanten des sozialistischen Polens staatstragend, ein erheblicher Teil ihrer Mitbürger sucht in den verpönten Kirchen, drinnen bilden die Kinder einen eigenen gesellschaftlichen Mikrokosmos. Dieser ist mindestens ebenso von Intrigen, Misstrauen und Verleumdung durchsetzt, wie die Außenwelt – statt eines neuen besseren Menschen, züchtet das pervertierte Terrorsystem kleine Spitzel, Mitläufer und Monster heran.

Brüchiger Sozialrealismus

Ästhetisch bleibt der Film zunächst den sozialrealistischen Parteivorgaben treu: Im Hinterhof lebt die Arbeiterklasse, die nüchterne Schwarzweißfotografie fängt ihren Alltag ein. Der Alltag, das sind an diesem Sonntagvormittag die Spiele der Kinder. Was sind das für Spiele? Man spielt „Statue“, die Kinder nehmen heroische Posen ein und wer sich als Erster bewegt verliert, man tollt im abgesperrten, bombengeschädigten Nebenhof umher, kümmert sich um eine verwaiste Babykatze, man übt sich im Exerzieren. Es herrscht militärischer Befehlston, wie ihn die Kinder aus Jugendorganisationen, Kino und Elternhaus kennen und eine klare Hierarchie. Ganz oben in der pseudo-militärischen Hackordnung steht Józek, ein dicklicher Junge und glühender Sozialist, weit darunter Rychu, Sohn des Hausbesorgers, ganz unten ein namenloses Mädchen, das gar nicht erst an den Spielen teilnehmen darf.

Viel von der Dynamik des Films hängt an diesen drei Figuren. In ihrer kindlichen Parallelwelt ist ihnen ein fester Platz zugewiesen, der zunächst scheinbar mit ihren Familienverhältnissen korrespondiert. Józeks Vater ein Militär, Rychus Vater ein in Ungnade gefallener Widerstandskämpfer, das Mädchen ein nicht zuordenbares Störelement. Nach sozialrealistischem Schema F würde man nun jeder dieser Figuren ein bestimmtes Verhalten zuordnen: gesellschaftliche Position, so sahen das die sozialistischen Granden gerne, hat mit Tugend und Moral zu tun.

Niedzielne igraszki von Robert Gliński

Verkehrte Welt

An dieser Stelle widersetzt sich Niedzielne igraszki dem parteiideologischen Konsens. Rychu erfüllt noch am ehesten seine Rollenvorgaben. Er hat ein gutes Herz, wehrt sich gegen Józeks Alleinherrschaft, aber wenn es hart auf hart kommt, ist er Opportunist genug, um seinen Widerstand aufzugeben und sich unterzuordnen, um nicht gesellschaftlich geächtet zu werden. In letzter Konsequenz fügt er sich dem Gruppendruck und nicht einer höheren Moral, denn der Gruppendruck, und das ist eine weitere Bruchstelle des Films, ist nie ein positiver. Er zeugt nicht von der moralischen Überlegenheit der Gemeinschaft über den Einzelnen, sondern bringt, im Gegenteil, das Schlechte in ihnen zum Vorschein.

Das liegt vor allem am Wortführer dieser Gemeinschaft. Józek zeichnet sich nicht nur durch sozialistischen Eifer aus, sondern vor allem durch autoritären Führungsstil und einen Hang zu martialischer Grausamkeit. Er vereint ein großes Mundwerk, Selbstgefälligkeit und fehlendes Rückgrat – der Film zeichnet ihn als idealtypischen Funktionär. Józek ist es schließlich auch, der Rychu, dem Verlierer des Statuenspiels, befiehlt das Katzenbaby zu erwürgen, um Teil der Spielgemeinschaft zu bleiben. Alle Kinder unterstützen ihn bei dieser Forderung. Rychu weigert sich zunächst, ist aber im Begriff sich der Masse zu beugen, als das namenlose Mädchen die Katze rettet. Eine Hetzjagd beginnt. Nicht die erste im Film, denn schon zuvor hat das Mädchen einige Male korrigierend eingegriffen, als sich der Sadismus der Gruppe entladen hat.

Die Intervention kostet sie schließlich das Leben. Sie wird von den anderen Kindern lebendig begraben. Die Einzige im Gemeinschaftsverbund, die sich nicht der irren Gewaltherrschaft unterordnet wird von den Anderen zum Schweigen gebracht. Ein bitterer Schlusspunkt und eine noch bittere Lektion. Die Allegorie hat ihr Ende gefunden. Eine einstündige Miniatur des sozialistischen Polens und doch schlagfertig genug, um verboten zu werden: Niedzielne igraszki durfte erst 1988, vier Jahre nach seiner Fertigstellung, erstmals gezeigt werden.

Shadow Under This Red Rock: Farpões, Baldios by Marta Mateus

Writing about a first film involves a stumbling through the dark territory of an unknown dialogue. It might feel like the sound of one’s own voice after a decade of silence: fragile, wrong. Yet, in the case of Marta Mateus and her short Farpões, Baldios, a confidence is established as it decidedly is a film about dialogues. It opens and invites the words that follow.

The film premiered at this year’s Quinzaine des Réalisateurs in Cannes and is up to now the best film I have seen this year. Why such a statement? Maybe because otherwise it is hard to get the attention for a short film, a first film. It is a film in which two hearts beat: The first belongs to tenderness, the second to severity. The first belongs to the present, the second to the past. The first belongs to the young, the second to the old. Between those movements lies a shaking that opens a world of concentration. So, before talking about the setting or the plot of the film, it invites and asks to comment on its presence and sensuality.  In the case of Mateus, the kind of work that goes into each frame is reminiscent of very few filmmakers. As it is customary to give some names in order to place a new voice among the old, let me get that out of the way: D. W. Griffith, Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, Pedro Costa, António Reis and Margarida Cordeiro. Here Mateus opens a first dialogue, the dialogue with cinema. Like almost all dialogues in the film, it takes place between ideas of tradition and modernity, but also between the observer and the observed. Mateus, like great artists do, studied how to paint a person in order to film a real person, instead of studying the person and going ahead with painting without knowledge. So, it is clear that we can detect cinema in the film. Yet, Mateus succeeds taking cinema to people and places.

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The work that goes into each image is related to the work with distances, sounds and framing. The first shot of the film shows a dark entrance into an unknown space. The wall around the black hole that works as a door tells the stories of dirt and fire. On the left, a sort of chain hangs loose, slowly moving in the soft wind. It immediately becomes clear that things have passed that door, that building. We hear an approaching sound. It is loud and violent, it rattles along the ground, becoming louder and louder. Then an old farmer appears from out of the black hole, he holds a rake and drags it behind him. The moment he appears he vanishes out of the frame. The camera lingers a few more seconds to look at the black hole as an insect (maybe a butterfly) enters the frame, not certain if it wants to fly into the hole or stay outside. Somebody emerges from the blackness, something will be shown that was buried. Bodies, violence, rage and movements. Though distant clinking sounds can be heard from time to time in the film, the work with sound in the first shot tells a lot about the approach to the people and their (hi)story. Mateus never makes us hear more than what her position allows for. If people move into the distance, we hear the distance; if they come close, we hear the intimacy. It is a film about evidence and the impossibility of evidence: How to approach certain topics, what we see or do not see, especially when talking about things that have passed, like the Carnation Revolution, and the days of revolt and work in the Alentejo region. The subjectivity and forlornness of such an endeavour is reflected in the form of the film, a form that makes us feel the weight of each shot. Her framing is a decision. Though Mateus sometimes cuts during a scene, she never does it without reason. There are only two obvious point-of-view shots in the film (one could argue that many shots are seen through the eyes of children or ghosts), both depicting hands. One belonging to a young boy who holds grains in his hand, the other to an old woman who only holds wrinkles instead of life.

This is the way dialogues are opened up in the film. The second one takes place between the old farmers and the children. During the Revolution, the farmers occupied their masters’ huge properties, scenes we only feel shadows of in the film, recalling Thomas Harlan’s Torre Bella. Yet, while Harlan stated that the revolutionary actions in his films were also motivated and changed due to the presence of the camera, Mateus’ camera has no choice but being either too early or too late. Too early refers to the children who, like in Paul Meyer’s Déja s’envole la fleur maigre, inspire the places of former struggle. Always on the move, observing, searching and being searched for, it becomes more and more unclear if it is the young ones who thwart history like phantoms or the old stories and legends that haunt the region. Regardless of what holds true, the utopian possibility of a dialogue is offered in the film when the old tell their story to the young in a mixture of oral storytelling and theatrical performance. Sometimes only the gestures remain (which is also true for the camera when it focuses on a group of people looking into the lense), and sometimes a reality that makes tangible what has been lost is established. In the end a bus leaves taking the young and the old with it. The idea of collectivized agriculture that followed that Revolution and the Agrarian Reform has long disappeared here. Very prominently, a very yellow Tati-like factory building centres the frame when the bus has long gone. The dialogue between agriculture and people seems to have stopped in a region that is considered the „bread basket“ of Portugal. The enthusiasm of 1974 has become an illusion. In a violent scene the film shows how children are expelled from a farm by two men. Instruments are thrown at them, nobody ever works with them in the film. It is a wasteland without use. Still, the film looks at the stones and dirt with eyes that want more:

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„What are the roots that clutch, what branches grow
Out of this stony rubbish? Son of man,
You cannot say, or guess, for you know only
A heap of broken images, where the sun beats,
And the dead tree gives no shelter, the cricket no relief,
And the dry stone no sound of water. Only
There is shadow under this red rock,
(Come in under the shadow of this red rock), (…)“

(T.S. Eliot, Wasteland)

The third dialogue takes place between the camera and the people acting. Recurrently, the young boy who we can call a protagonist faces the camera instead of the scene. He moves a bit like Benjamin’s “Angel of History“  and we can very well say that Farpões, Baldios is another one of those films that show the transfiguration of the revolutionary into the historian. It is an honest search for a beginning in order to know where and how to continue. This dialogue involves a visible effort for grace and independence in the faces and acts of the people. In a way, the film gives a voice not only to the historians but also to the common revolutionaries, even if they have no voice yet. Not only due to this, the film tells of an emancipation that derives from dissent and play at the same time. In order to continue, we have need for such a film.

Dossier Beckermann: Aufgeschrieben (Unzugehörig, Die Mazzesinsel)

Ein flüchtiger Zug nach dem Orient von Ruth Beckermann

Zum Filmemachen kam Ruth Beckermann erst relativ spät. Sie studierte zunächst Publizistik, Kunstgeschichte und Fotografie. Während ihrer Studienzeit an der School of Visual Arts in New York entstanden erste 8mm-Filme, im Zuge der Arena-Besetzung 1977 dann mit Arena besetzt! eine im Kollektiv entstandene Video-Dokumentation der Ereignisse. Nach einigen Reportagen über Arbeiterstreiks Ende der 70er, Anfang der 80er folgte 1983 mit Wien retour Beckermanns erster Langfilm. Wien retour stellt in mehrerlei Hinsicht ein Schlüsselwerk in Beckermanns Entwicklung dar: einerseits findet sie darin die Ansätze einer Poetik von Bild und Ton, die nicht mehr notwendig verknüpft sind, andererseits stellt der Film den Beginn der Hinwendung zum jüdischen Leben und der jüdischen Kultur in Österreich dar.

In den 80er Jahren erschien mit Die papierene Brücke nur noch ein weiterer Film von Beckermann. Dafür war sie zu dieser Zeit publizistisch sehr umtriebig. Aus der Beschäftigung mit der Zwischenkriegszeit und der jüdischen Gemeinde Wiens für Wien retour entstand ein Sammelband aus historischen Fotografien und Texten zur Wiener Leopoldstadt (Die Mazzesinsel, 1984) und als Abrechnung zur Waldheim-Affäre Beckermanns große Bestandsaufnahme des jüdischen Nachkriegswiens und der Generation der Nachgeborenen (Unzugehörig, 1989).

Wien retour von Ruth Beckermann

Wien retour von Ruth Beckermann

Es war einmal

Die Mazzesinsel lässt sich recht nahtlos in Beckermanns Œuvre einfügen, nicht nur, weil das Buch mit seinem Schwerpunkt auf die jüdische Vergangenheit Wiens Filmen wie Wien retour, Die papierene Brücke oder Homemad(e) thematisch nahesteht, sondern aufgrund seines formalen Zugangs. Der Band versammelt eine Reihe von Texten jüdischer Autoren mit Wienbezug, darunter autobiographische Erfahrungsberichte, journalistische Reportagen und Liedtexte, sowie historische Fotografien, die das Alltagsleben und wichtige kulturelle Zentren in der Leopoldstadt zeigen. Die Leopoldstadt, der zweite Wiener Gemeindebezirk, war von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1938 das Zentrum jüdischen Lebens in Wien. Dort lebten 60.000 der rund 180.000 Juden Wiens – das war rund die Hälfte der Bevölkerung des Bezirks. Der umgangssprachliche Name für den Stadtteil, „Mazzesinsel“, gibt dem Buch seinen Titel.

Die Fotografien und literarischen Beschreibungen zeugen von einer besonderen Welt, die „anders gewesen sein [muss] als das übrige Wien und doch so sehr ein Teil dieser Stadt, dass sie schon nichts Exotisches mehr war.“ Nicht ohne Nostalgie schreibt Beckermann in ihrem einführenden Essay über diese Zeit und die besondere kulturelle und gesellschaftliche Sphäre in diesem Bezirk. Es ist aber keine Nostalgie für ein unwiederbringliches Gestern, sondern für eine potenzielle Gegenwart, die es nie geben wird, weil sie durch die Vernichtungspolitik der Nazis geraubt wurde. Ein Stadtteil, eine Kultur, ein Volk und sogar die Erinnerung wurden zerstört.

In diesem Licht betrachtet, stellt Die Mazzesinsel den Versuch dar, die spärlichen Erinnerungen zu sammeln und zu bündeln, aus Fotografien, Liedern, Kindheitserinnerungen, Alltagsbeschreibungen das Stimmungsbild eines Vorher zu zeichnen; eine Rückführung der gestohlenen Erinnerungen.

Es ist immer noch

Unzugehörig ist ein unvergleichlich wütenderes Buch. Eine Abrechnung mit der Verlogenheit der österreichischen Innen- und Außendarstellung in der Zeit nach 1945. Beckermann verfasste das Buch 1988, zu einer Zeit als die politische Stimmung in Österreich aufgrund der Affäre um die NS-Vergangenheit des Bundespräsidenten und früheren UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim aufgeladen war. Das politische Brodeln im Land spürt man beim Lesen des Buchs sehr deutlich. Ende der 80er Jahre war die Aufarbeitung der Nazizeit in Österreich, anders als in Deutschland, noch kaum vorangeschritten. Man beschränkte sich auf die offizielle Darstellung Österreichs als erstes Opfer Nazideutschlands und trotz der höchsten Dichte an NSDAP-Mitgliedern im gesamten Gebiet des Deutschen Reichs, blieb ein gesellschaftlicher Umbruch aus.

Beckermann erzählt aus der Perspektive eines Mitglieds des stark geschrumpften jüdischen Bevölkerungsteils und als Vertreter der zweiten Generation, als Nachgeborene, die die Entscheidung ihrer Eltern sich in Wien niederzulassen hinterfragt. „Jüdische Kinder im Wien der fünfziger Jahre. Jedes Kind ein Wunder“, schreibt sie über ein Foto, das bei der Feier zu ihrem dritten Geburtstag aufgenommen wurde. „Wunderlicherweise“, schreibt sie später, sei sie hier geboren und aufgewachsen, ständig antisemitischen Schikanen ausgesetzt, während sich das offizielle Österreich so sehr in der Opferrolle gefiel, dass Aufarbeitung nicht als notwendig angesehen wurde.

Unzugehörig ist eine Anklage an einen Staat, der seine historische Verantwortung nie wahrhaben wollte, an eine Gesellschaft, die sich nie entnazifiziert hat, an die jüdische Gemeinde, die immer stumm und staatstreu geblieben ist, um ja nicht unangenehm aufzufallen. Das Buch ist der Versuch eines Ausbruchs aus dem Schattendasein, ein Kampf um Sichtbarkeit, um eine Gegenöffentlichkeit – und damit gar nicht einmal so weit entfernt von den politisch motivierten Bestrebungen der Filmreportagen und des Filmladen-Verleihs, an denen Beckermann noch wenige Jahre zuvor beteiligt war, damals noch aus dem Geist des politischen Aktivismus

Homemad(e) von Ruth Beckermann

Homemad(e) von Ruth Beckermann

Immerhin, durch die Waldheim-Affäre und das Interesse der zweiten Generation am Trauma ihrer Eltern hat auch in Österreich die historische Aufarbeitung der NS-Zeit Fahrt aufgenommen. Es gibt auch von offizieller Seite ein klareres Bekenntnis zur Entschädigung von Opfern und zur Restitution von Raubgütern, die Opferrolle ist nicht mehr Staatsdoktrin. Auf der anderen Seite hat der Aufstieg der FPÖ den offenen Antisemitismus und Rassismus salonfähiger gemacht als je zuvor in der Zweiten Republik. Unzugehörig mag eine historische Zeitkapsel sein, aber die Erfahrung, die Stimmung und die Gefahren, die Beckermann darin beschreibt, haben nichts an Aktualität verloren.

Dossier Beckermann: Heimatsuche (Die papierene Brücke)

Die Papierene Brücke von Ruth Beckermann

In manchen Fällen kann es aufschlussreich sein, Filme einem Umfeld auszusetzen, das ihnen nicht gerecht wird. Schlechte Sichtungsbedingungen können die Wahrnehmung derart beeinträchtigen, dass sich daraus neue Perspektiven auf einen Film ergeben. Das kann sehr produktiv sein. Ein Beispiel für so eine durch äußere Einflüsse verschobene Perspektive war ein rezentes Screening von Ruth Beckermanns Die papierene Brücke im Raum mit der vielleicht schlechtesten vorstellbaren Akustik. Er befindet sich ironischerweise im filmwissenschaftlichen Institut der FU Berlin, wo die Räumlichkeiten doch eigentlich dafür geeignet sein sollten audiovisuelles Material zu präsentieren. (Freilich ist das kein exklusives Problem dieses Instituts, denn die Seminarräume des TFM-Instituts in der Wiener Hofburg sind ähnlich schlecht für Filmvorführungen geeignet.)

Die Kombination aus unterirdisch schlechtem Ton-Setup, mittelmäßigen Boxen und mieser Akustik machte es beinahe unmöglich zu verstehen, was die Personen im Film sprachen. Da nur das Voice-Over einigermaßen zu verstehen war, blieb uns (einer Gruppe deutscher Muttersprachler) nichts Anderes übrig, als nach einiger Zeit die englischen Untertitel der DVD zu aktivieren, um den Erzählungen der Protagonisten folgen zu können.

Untertitel können den Klang und die Melodie der menschlichen Stimme jedoch nicht ersetzen. Eine Binsenweisheit, aber gerade im Fall von Die papierene Brücke, konnte man hören (oder eben: nicht hören), was durch die schlechte Tonqualität verloren ging. Dazu später mehr.

Eine Reise in die Erinnerung

Die papierene Brücke markiert einen Bruch im Filmschaffen Beckermanns. Waren ihre ersten Filme noch aus dem Geist der Arena-Bewegung als Form des politischen Aktivismus entstanden, so folgte mit Wien retour ein langsamer Übergang zu einem selbst- und formbewussteren Filmemachen. Nach einigen Jahren verstärkter publizistischer Tätigkeit hat Beckermann in Die papierene Brücke einen Stil entwickelt, den sie auch in ihren folgenden Filmen beibehalten sollte. Die stilistische Entwicklung lässt sich einerseits an einer Abkehr vom Reportagestil der früheren Filme festmachen (wenngleich das bereits zu großen Teilen auf Wien retour zutrifft) und andererseits an einer Wendung hin zum Persönlichen.

Mit Die papierene Brücke rückt die Familiengeschichte und die eigene Biographie ins Zentrum des Beckermann’schen Filmkosmos. Anders als noch in Wien retour, tritt Beckermann kraft ihrer Stimme nun selbst als Erzählerin auf. Zu Beginn des Films erzählt sie von ihrer Großmutter, die den Zweiten Weltkrieg als U-Boot überlebte, indem sie sich stumm stellte und phasenweise obdachlos durch die Straßen streunte. Während Beckermann das erzählt, filmt sie mit ihrer Kamera aus einer Straßenbahn, die am Wiener Ring entlangfährt – der Auftakt für eine filmische Reisebewegung, die sie auf die Spuren ihrer eigenen Vergangenheit führt.

Die Papierene Brücke von Ruth Beckermann

Sie reist nach Osten, nach Czernowitz, an die ehemalige Ostgrenze des k.u.k.-Reichs, in die damalige Sowjetunion, in die heutige Westukraine, in die Geburtsstadt ihres Vaters Salo Beckermann. Sie sucht nach Bildern zu den Erzählungen und Erinnerungen ihrer Verwandtschaft, ein aussichtsloses Unterfangen, denn die Erinnerung lässt sich schlicht nicht bebildern, und nur mühevoll mit der Realität konfrontieren.

Der Film lebt von dieser produktiven Differenz vom Damals, das Beckermann nur aus Erzählungen und Büchern kennt, und vom Heute, das die Kamera aufzeichnet. Die Vergangenheit manifestiert sich in Spuren, ist (noch) nicht ganz verschwunden, lebt vielleicht so lange, wie die wenigen alten Männer und Frauen der jüdischen Gemeinde von Czernowitz den Sabbat feiern – die Jungen sind nach Israel gezogen, um dort eine bessere Zukunft zu gestalten, eine Utopie, die heute bereits Geschichte geworden ist.

„Gibt es ein Ankommen, das nicht Ende heißt?“

Beckermanns Reise ist eine Reise ohne klares Ziel. Sie grast Czernowitz und die umliegenden Dörfer ab und kehrt dann wieder zurück. Sie überquert Grenzen, legt Distanzen zurück, die damals, als ein Eiserner Vorhang Europa durchteilte, unendlich größer waren, als heute. Die Reise ist das Ziel. Eine weitere Binsenweisheit, doch selten so treffend wie in Die papierene Brücke: die langen Fahrten mit dem Auto, die investigative Spurensuche, die Begegnungen mit den letzten Resten einer Vergangenheit, die prägend für Beckermanns Selbstverständnis, aber trotzdem nicht die eigene ist. Die Reise ist der Katalysator für die Reflektion, wo sie genau hingeht, und welche Etappen dabei absolviert werden ist dabei gar nicht so entscheidend.

Der Holocaust als einschneidendes Familienerlebnis, das von den Überlebenden und Nachkommen geteilt wird. Es lässt Beckermann nicht los. Sie fragt, weshalb so viele starben, und manche überlebten. Sie ist nicht die einzige die diese Frage stellt. Ihre Gesprächspartner, die sich zum Teil untereinander in Diskussionen verwickeln, scheitern ebenfalls an einer Erklärung. Ist es das, das oftmals proklamierte Nicht-Darstellbare am Holocaust? Die Frage nach dem Warum?

Jacques Rancière hat dazu geschrieben, dass das Problem der Darstellbarkeit der Katastrophe nicht, wie so gerne nach 1945 von Theoretikern, Intellektuellen und Philosophen verkündet, zur Ohnmacht führt, sondern dazu, dass neue Möglichkeiten der Formgebung entstehen. Rancière bezog sich dabei auf Claude Lanzmanns Shoah, doch Die papierene Brücke stützt sein Argument ebenfalls. Reportage, Essayfilm, Biographie, irgendwo zwischen journalistischem, politisch-motiviertem Willen zur Vermittlung und cinephil-geschultem Willen zur Kunst (in dieser Zeit war Chris Marker ihre wichtigste Referenz).

Die Stimme, ein Leben

Zurück zu dieser besonderen Sichtung mit ihren Tonproblemen. Beckermann besucht ein Filmset, wo österreichische Juden als Komparsen für eine US-Doku über ein Konzentrationslager eingesetzt werden. In den Drehpausen diskutieren sie energisch, werfen ihre jeweiligen Biographien und Familiengeschichten ins Gefecht. Alle sprechen deutsch, die Untertitel geben wieder, was nur schwer zu verstehen ist. Unter besseren Bedingungen würde man noch viel mehr hören, als Lebensgeschichten und Meinungen zu politischen und historischen Entwicklungen. Die Stimmen ergänzen das Gesagte. Da ist eine alte Frau, die mit einem starken englischen Akzent spricht. Sie diskutiert mit einer jüngeren Frau, die mit schwachem österreichischem Akzent spricht. An einem anderen Tisch streitet ein alter Wiener mit einem jüngeren Mann, der nur gebrochen Deutsch, mit jugoslawischem Akzent spricht. Was sie in den Gesprächen von sich preisgeben wird ergänzt durch den Klang ihrer Stimme.

Markante Sprachfärbungen spielen bei Beckermann immer wieder eine Rolle. Der Akzent des Vaters spielt im Film eine prominente Rolle, findet sich auch Adi Doft, dem letzten Tuchhändler der Marc-Aurel-Straße, in Homemad(e). Das Sprachpotpourri in Zorros Bar Mizwa muss hier ebenfalls Erwähnung finden: Sophie hat einen englischen Vater, Sharon georgische Eltern, Moishys Familie spricht mit der fast ausgestorbenen, typischen Sprachfärbung der Jüdischen Gemeinde von Wien – Beckermann hat diese Spielart des Wienerischen durch ihr langes Interview mit Franz West in Wien retour für die Nachwelt dokumentiert.

Die Papierene Brücke von Ruth Beckermann

Immer wieder drehen sich Beckermanns Filme um Menschen, die ein ganz besonderes Verhältnis zu ihrer (Mutter-) Sprache haben. Die Auswanderer, die die deutsche Sprache vergessen wollen, um ihre bittere Vergangenheit zu vergessen. Neuankömmlinge in einem fremden Land (Sehnsuchtsland: Israel), wo das Gebrochene (Englisch, Deutsch, Russisch, Hebräisch) Landessprache ist. Diese Filme finden auch in den Nuancen dieser Sprachunterschiede statt, und wenn man das nicht hört, hat man den Film nur halb gesehen.

Zum Abschluss ein Satz in markant osteuropäisch-jiddisch gefärbten Deutsch: „Was soll ich in Israel machen?“ Salo Beckermann sagt diesen Satz gegen Ende des Films im Gespräch über seine Entscheidung nach dem Krieg in Wien zu bleiben. Aus dieser gewichtigen Entscheidung und der damit verknüpften Frage entsteht Beckermanns nächster Film Nach Jerusalem, wo sie dieses „Land der einzigen Möglichkeit“ filmisch vermisst und die Frage für sich beantworten möchte. Das größte Vermächtnis der Eltern, soviel wird klar, ist die Entscheidung für Wien. Wien ist Referenz-, Dreh- und Angelpunkt des (filmischen) Lebens von Ruth Beckermann. Jede Reise, die sie von dort wegführt – und das ist vielleicht entscheidender als Reiseziele, die es in ihren Filmen kaum gibt – ist letztlich rückgebunden an diesen Ort, von dem sie aufgebrochen ist, und den sie dadurch besser versteht, dass sie ihn für einige Zeit verlässt.

Rear Projections: Secret défense von Jacques Rivette

Keine Szene in Jacques Rivettes fabelhaften Secret défense existiert für die folgende oder ein größeres Konstrukt, sondern sämtliche Szenen sind in sich selbst ein ganzer Film, eine Sensation. Statt der relativen Existenz von Bildern, die nur atmen, damit eine Plotidee Luft bekommt, inszeniert Rivette für den Augenblick. Das wiederholte Aus- und Anziehen einer Jacke, eine unbewegliche Geste, ein Bild an der Wand, eine Spiegelung in einem Zugfenster am Bahnhof, all das ist Zeugnis der Dokumentation, die sich in der hochfiktionalen Welt von Rivette abspielt. Das Unbeschreibliche daran ist, dass er trotzdem in jeder Sekunde die Frage provoziert: Was kommt als nächstes? Diese Ansammlung an Momenten bedeutet und bedeutet nicht. Nichts liegt hier Ideen zu Grunde, alles folgt einer Logik der Bewegung. Die Bilder fragen danach gedeutet zu werden, aber geben neue Rätsel auf. Unter den Thrillern, die Rivette drehte, ist Secret défense mit Sicherheit der vollendetste. Die Geheimnisse und in sich selbst verschachtelten Schachteln, in denen diese bewahrt werden, sind hier virtuos ineinander gefügt.

Secret défense von Jacques Rivette

Sylvie, gespielt von einer Sandrine Bonnaire am Rande der Ingrid Bergman ist Rivettes Versuchsobjekt. Sie arbeitet in einer gleichermaßen an Vertigo und der Orestie angelegten Handlung als Wissenschaftlerin, es geht um Genforschung, sie füllt blaue Flüssigkeiten in Glasbehälter, sie füllt rote Flüssigkeiten in Glasbehälter. In ihr arbeitet eine Spannung zwischen aktiver Protagonisten, die Steine ins Rollen bringt und passiver Mitfahrerin, die eigentlich immerzu nichts dafür kann. In dieser Art mischt Rivette zwei Tendenzen des Genres zu einer faszinierenden und irritierenden Figur. Eines Tages taucht ihr Bruder auf, Grégoire Colin in unbeweglichem Trotz. Er habe herausgefunden, dass der Tod ihres Vaters kein Unfall war, sondern Mord. Zusammen würde das mit einem gewissen Walser (Jerzy Radziwilowicz) hängen, Sie will zunächst nichts davon hören, dann wird sie neugierig und rutscht schließlich immer tiefer hinein. Es beginnt etwas, das man eigentlich gerne mit Floskeln wie „Katz-und-Maus-Spiel“ umschreiben würde. Allerdings spielt die fließend perfektionierte Kamera von William Lubtchansky und die in sich greifenden und aneinander vorbei gleitenden Bewegungen nicht mit bei diesem Spiel. Vielmehr zeigt Rivette auch die Wege, die zwischen Katz und Maus liegen. Wie Cristi Puius Aurora oder Michelangelo Antonionis Professione: reporter entgleitet die Narration immer wieder in ihre Umstände. Wie Puiu einmal zur überdurchschnittlichen Länge von Aurora sagte: „Es ist halt nicht so einfach, jemanden umzubringen.“

Eine unvergessliche Fahrt mit der Metro begleitet Sandrine Bonnaire in einem Findungsprozess und auf einer Reise. Sie steigt ein, fährt, steigt aus, geht durch den Bahnhof, wartet wieder, steigt wieder ein und fährt. Sie wird immerzu konfrontiert, muss verarbeiten, handelt, verarbeitet, verliert sich in der Fiktion, die sich nicht von einem Überbau ernährt, sondern von einem Mosaik, das sich beständig entzieht. Rivette fährt zielsicher auf sämtliche Auflösungen zu, um sie dann nochmal hinauszuzögern. Als würde man durch Schatten wandern, in Erwartung eines Lichts, um dann in einem anderen Schatten zu landen. Jede Offenbarung trägt ein neues Geheimnis in sich oder wird gar zum Geheimnis in der Person, der es offenbart wurde. Irgendwann wird das Versteck bei Rivette immer interessanter, als das was versteckt wird. Man denke an das Spinnennetz in seinem Le Pont du Nord, die Pillen in Céline et Julie vont en bateau oder jedes nächste Bild in Duelle. So wird Secret défense beinahe zum Meta-Thriller. Nur vergisst man, dass es überhaupt ein Thriller ist.

Secret défense von Jacques Rivette

Die Bilder sind so aufgeladen mit Präsenz, dass sich die vergehende Zeit in Räumlichkeit verwandelt. Und der Raum wird zur moralischen und ästhetischen Frage. Existiert er etwa nur als Kulisse, als Stimmungsbild oder wie erklären sich die als Statisten getarnten Phantome, die in und aus den Bildern rücken wie Erinnerungen? Woher kommen die merkwürdigen Töne im Film? Wieso sind so viele Glasscheiben mit Kratzern versehen? Was ist es, dass uns weiter suchen lässt im Bild? Immer wieder kadriert Lubtchansky die Figuren hinter Glas, etwas ist unberührbar, festgefahren. Als wäre die Welt eine Rückprojektion. Alles erzählt von der Unvermeidlichkeit einer Reise, was dadurch verstärkt wird, dass die Wahrheiten des Films sich aus der Vergangenheit entfalten. Rivette sucht häufig Silhouetten und schattenhafte Figuren, die sich vor Fenster stellen. Dabei verändert er Positionen oft nur minimal und erzählt durch einen Schnitt die ganze Verunsicherung einer Figur, erzeugt Desorientierung und diese unheimlichen Drang jede kleine Präsenz im Film als eine Notwendigkeit wahrzunehmen.

Rot und Blau tauchen immer wieder im Film auf. Sie spielen ein eigenes Spiel. Sei es in den obligatorischen Handschuhen einer verdächtigen Frau, in knalligen Tönen an Wänden oder als anderweitige auffällige Kostümelemente. Eigentlich spielt jedes Objekt ein eigenes Spiel. Einmal verharrt Bonnaire auf einem Gemälde, die Kamera schwenkt darüber, im Ton sind Geräusche zu hören, die nicht in die Welt des Films zu gehören scheinen. Sie tragen einen hinfort, bringen einen zum Blicken, Lauschen, die Wahrnehmung wird geschärft. Nach Filmen von Rivette geht man oft mit anderen Augen durch Städte. Man nimmt sie als Labyrinth war, man vermutet hinter jedem Objekt ein Geheimnis und Löcher in Wänden existieren nur, um durch sie hindurch zu verschwinden. Neben Städten und entlegenen Orten sind es auch Häuser, die Rivette wie kaum ein Zweiter in ihrer Architektur verdeutlicht und gleichzeitig zu einem kaum zu durchdringenden Mysterium werden lässt. Man denkt dabei immer an seinen Céline et Julie vont en bateau, weil die Häuser zwischen ihrer realen Existenz und Kulissenhaftigkeit oszillieren. Eigentlich wird dort Theater gespielt wie in L’amour par terre. Aber die Kulisse des Theaters ist real. Genau in diesem Verhältnis findet sich Rivette. Die Location für das Haus von Walser habe er wegen der Treppe dort ausgesucht, sagt der Hitchcock-Fan Rivette. Eine Treppe, die schließlich das große Drama am Ende des Films begleiten wird. Dennoch filmt er die Treppe nicht so wie Hitchcock. Sie ist kein Zeichen für irgendwas, kein Indikator, sondern sie ist eine Treppe.

Secret défense von Jacques Rivette
So oder so merkt man immerzu, dass irgendetwas nicht stimmt im Film, etwas ist nicht ganz dort, wo es sein sollte. Das gilt räumlich und zeitlich. Figuren werden meist in amerikanischen oder halbnahen Einstellungen leicht untersichtig kadriert, immer in Bewegung, die von der Kamera in beschwingten Fahrten oft im Halb- oder Gegenlicht eingefangen wird. Es entsteht eine enorme Verdichtung, die gegen und doch mit der Zeit arbeiten, die zwischen Katz und Maus vergeht. Vor allem die langsamen Zufahrten erzeugen eine immense Spannung, die nur aus Bewegung besteht. Lubtchansky zeigt uns auch wieder, was Schwarz ist. In dieser Hinsicht kann man ihn ruhig als Gustave Courbet des Kinos ansehen. Im Schwarz seiner Bilder lauert ein Unbehagen, das nur aus der Dunkelheit besteht. Auch die Montage von Nicole Lubtchansky arbeitet hin auf diese Präsenz des Kinematographen, die weiß, dass ein Schnitt das Auge mehr verunsichern kann, als ein Plotpoint. Dass alles geschieht aber nie so, dass es auf sich selbst aufmerksam macht. Es ordnet sich weder einer Handlung unter noch sich selbst, sondern existiert schlicht und unendlich als Kino. So wie der Übergang zwischen Tag und Nacht nicht einfach nur Wachsein und Schlafen bedeuten kann.

La Zerda et les chants de l’oubli von Assia Djebar

La Zerda et les chants de l'oubli von Assia Djebar

Die Schriftstellerin und Regisseurin Assia Djebar und ihr Co-Autor Malek Alloula verbrachten ein halbes Jahr in den Archiven von Pathé und Gaumont, sichteten dokumentarisches Filmmaterial und Fotografien zur französischen Kolonialisierung, auf der ewig scheinenden Suche nach dem Widerstand, nach der Wahrheit und vor allem nach all dem, was derlei dokumentarisches Material nicht aufzeigt und im Verborgenen hält. Die sprachliche Ausdruckskraft der algerischen Autorin und Filmemacherin kommt auch in der Vertonung in all ihrer filmischen Arbeiten zum Ausdruck. In La Zerda et les chants de l’oubli, einer Produktion für den algerischen Fernsehsender RTA aus dem Jahr 1979 mit der Musik von Ahmed Yessad, sehen wir „gefundenes“ Bildmaterial, ein kolonialisiertes Algerien der 1930er und 1940er zeigend, im Dialog mit jenem Algerien der Erzählstimme. Gefundene Erinnerung. Djebar fordert nicht weniger ein, als eine weibliche Geschichtsschreibung innerhalb einer kolonialen Überwachung und innerhalb einer patriarchalen Unterdrückung.

ASSIA DJEBA

Der Einsatz von Schwarz und Weiß, der nüchterne Diskurs des Off-Kommentars und der Zwischentitel, Orte und Daten zeigend: dies evoziert die Ästhetik von Les statues meurent aussi von Marker, Resnais, Cloquet, erzählt der Soundtrack wie ein blasses aber sichtbares Wasserzeichen eine andere Geschichte. Ein kontrapunktischer Gesang, manchmal in der Nähe eines Rufens und geschickt gemischt zwischen Arabisch und Französisch, fast ohne Pausen abzuwarten, oder vielmehr, einzubauen. Gar passend für jene Ambivalenz der wohl gegenseitigen Faszination, der Ängste und auch der Wut und des Hasses. Am Ende werden die Worte fehlen und die Kamera verweilt auf einem stillen Bild, diskret und fast schon makellos. Wie bei Khatibi sind es die Männer des Südufers …

Die Erinnerung und Körper der Frauen
Verschleiert
Verschleiert
Verschleiert
In einem völlig unterwürfigen Maghreb zum Schweigen gebracht, Fotografen und Filmemacher strömten herbei um uns zu fotografieren …
Der morbide Wüstenfuchs ist ganz in ihrem Sinne, ein Anspruch, den sie geltend machen und ergreifen.
Trotz ihrer Bilder doch ausserhalb ihres Blicks, versuchten wir, andere Bilder zu machen, Fragmente einer täglichen Verachtung …
Vor allem hinter dem Schleier dieser Realität ausgesetzt, wurde eine anonyme Stimme geweckt, gesammelt oder neu erfunden, die Seele eines Maghreb und unsere Vergangenheit.

Ihr auf derartige Diskrepanz Bezug nehmender Kurzgeschichtenband Femmes d’Alger dans leur appartement, eine Textsammlung, welche auf die damaligen, nach der Entkolonialisierung von Algerien vorherrschenden Unterschiede anhand der Behandlung von Männern und Frauen aufmerksam macht, wurde zwei Jahre zuvor publiziert. Selbst Djebars Dilemma, der für sie in Frage kommenden, für sie alles greifbar machenden und zu nutzenden Sprache, macht sie in ihren Filmen, Bildern, Tönen und Rhythmen, sichtbar. Musik und Lyrik, orale Sprache, Töne, Pausen, Bewegung und Gefühlsausdruck. Geboren in der Hafenstadt Cherchell im Westen Algiers, gaben das Wasser und der Wind noch einige strenge Takte hinzu. Aber am wichtigsten: die Stille. So behielt Djebar es sich bei, das einzig Möglichscheinende, das Französische als eine offizielle Sprache im internationalen Umgang mit der sie umgebenden, auch beruflichen, akademischen und sicherscheinenden Welt, das Arabische für ihr Heimkehren und Erinnern, das nicht enden wollende Aufzeigen. Die Angst und die Unterdrückung, die Wehrlosigkeit und den Schmerz: „Nous les ventres affamés, les pieds nus…“ – aber auch für die zärtlichste Stille.

Courtisane 1: Figures of Dissent – Figures of Lament

Dear Stoffel Debuysere,

we haven’t met in person except anonymously after you found a restaurant for our small group of people in Ghent. However, after reading your book „Figures of Dissent“ and being at Courtisane Festival, I have to address you in a rather personal way. Mainly because your Figures of Dissent are born out of Figures of Lament. Lament which I heavily feel inside myself. Let’s call it an impotence of cinema and being with cinema. I can sense your struggle to create dissent out of lament. It is in your words and in your programs. It is something we all seem to be in desperate need of: Your idea is to go beyond the discourse of mourning the loss of cinema. The sheer depth of the book and the emotional core that lies underneath makes it one of the most exigent pieces of searching for something in cinema I have read. Sometimes, you find real dissent as an author, while at other times dissent is just a perfect word for something that should be there. Yet, in your work as a programmer, there is more dissent in the potential of your presentations than in the reality of how they are carried out. At least that is what I found to be the case at this year’s Courtisane.

To Be Here von Ute Aurand

To Be Here von Ute Aurand

Please forgive me for writing this letter in a rather spontaneous fashion and not at all in the manner of precise research and collective combination of theories and thoughts on certain topics I am going to address. I am neither a scientist nor am I a journalist. Consider me an observer in a modest echo chamber. I am also aware that your book is about your Figures-of-Dissent-Screenings, not about Courtisane. Nevertheless, I see all those movements of dissent as part of the same approach.

Let me try to be more precise: While reading your book, I talked to some of my friends and found that there was an immediate common ground concerning questions of impotence and a suppressed euphoria in the struggle against what cinema and politics are today. Everyone seems to talk about change; nobody really does anything. Every lit flame is persecuted by fears. My question is: If you want to survive with cinema, how can you be Straub? How can you be a collective, how can you be Godard without being called Godard, how can you make Killer of Sheep? How can those examples not be exceptions or a narrated history as it happens from time to time in your book? You write that something must be done even if we don’t know what it is.

Go blind again!

What bothered me while reading your letters written to friends/comrades was the absence of replies. Did your friends remain silent or are their answers held back for another book? Are your letters really letters? Why did you choose that form? Asking myself how you could leave out possible answers while being concerned with giving voice to people, having polyphonic approaches to what we conceive as reality or cinema, I was a bit irritated until I discovered that your five letters contain these voices. Firstly, because you find the dissent in combinations of thoughts of other thinkers. Even more so due to those letters being five fingers of the same hand, each speaking to a different chamber where there will be different echoes. The ideas pertaining to curating as an act of caring you bring to the light in your letter to Barry Esson are inscribed in your own way of working. Thus I feel that this is the first dissent I can take from your writing: Caring.

Die Donau rauf von Peter Nestler

Die Donau rauf von Peter Nestler

The thoughts of caring are strongly connected with those of a collective experience of cinema in your writing. In addition, it seems to me that you write a sort of manifesto for your own work as a curator, observer, writer, cinema person. You write without the grand gestures and aggressive provocations one normally gets in politically motivated thinking in cinema. Nevertheless, to take something out of your first letter to Evan Calder Williams: you are present, it is your fire one can read in the book. This fire that I was clearly able to read in your texts did not exist in your presence at the festival. It was there with other speakers introducing the screenings, but not with you. You write about a return of politics in cinema, you almost evoke it. You write that such an endeavour is also a question of personal experience and worldview, one that tries to build bridges between cinema and society. You state that your screenings want to be a catalyst for public exchange and dialogue.

What is a dialogue? Where does it happen? Such a question seems to be typical of what you describe as a culture of skepticism. So here I am, writing to you publicly. Certainly this is a form of dialogue and your work is a catalyst for it. Yet, I am not sure if there is more dialogue in this than there was in my reading your book at my little table in silence. Am I more active now? Or am I more active because I was allowed to be “passive”? The same has always been true for cinema in my case. I often feel how it takes away the power of films, those that thwart representations, those that keep a distance, those that don’t, as soon as words about it are spoken too soon after a screening, as soon as cinema is understood as a space where the dialogue between screen and audience has to be extended. As I now was a guest at your care taking at Courtisane, I must tell you that I didn’t discover your writing in your way of showing films. Where is the space for dialogue at a festival where you have to run from one screening to the next? Where is the possibility of going blind again at a festival if many inspired and passionate cinephiles cannot help but fall asleep at Peter Nestler’s films because they started the day with Ogawa and had no chance for a meal in-between? Moreover, I was disappointed by the inability of the festival to project film in a proper way. What is the point in having such a beautiful selection of films as in the program consisting of Nestler’s Am Siel, Die Donau rauf and Straub,Huillet’s Itinéraire de Jean Bricard when it is projected and cared about in such a manner? Please don’t misunderstand me, I understand that there might be problems with projections, it is part of the pleasure and the medium but a projectionist running into the room, asking the audience “What is the problem?”, not knowing what the problem is when a copy is running muted, staff running through the cinema, no real excuse and all that in front of the filmmaker present is far away from any idea of caring. I wonder why you don’t get rid of half of your screenings and get some people who are able to project instead. I am pretty sure I leave out some economical realities here, such as the time you have for preparation and so on, but I decided to take your writing as a standard. In my opinion, the space and time you create for cinema needs more concentration. What my friends and I discovered was a festival with a great program talking about utopias, struggles and a different kind of cinema that worked like any other festival in the way of showing this program.

Ödenwaldstetten von Peter Nestler

Ödenwaldstetten von Peter Nestler

When you speak about displacement in cinema in your letter to Sarah Vanhee, about the dream to make art active, I feel inspired and doubtful at the same time. Yes, I want to scream out, I want to fight, I want to show films, I need to discuss, write, make films. However, I also want to keep it a secret, keep it pure (in your letter to Mohanad Yaqubi you write that there is no pure image; you are probably right. Is there an illusion of a pure image?), silent, innocent and embrace what you call via Barthes the bliss of discretion. I wonder which of those two tendencies is more naive? When Rainer Werner Fassbinder said that he wanted to build a house with his films, was it to close or to open the doors of the house? In my opinion it is also curious that the path to disillusion Serge Daney wanted us to leave always comes when the lights in the cinema are turned on after a screening, when there are no secrets and the work of cinema is talked about instead of manifested on the screen. It is this community of translators I have problems with. Yet, I enjoy them immensely and I think that translators in whatever form they appear are more and more important for cinema as a culture. Mr. Rancière’s thoughts on the emancipation of the spectator and your reflections on them seem very true to me. We are all translators to a certain degree. What I am looking for may be a translator in silence. Somebody who lights in darkness and speaks in silence. So you see, my lament is a bit schizophrenic. On the one hand, I ask for more space for dialogue while on the other hand I don’t want to have any dialogue at all. Maybe I should replace “dialogue” with “breathing”. It is in the breathing between films I discover them and their modes of visibility. It is when I am not looking, talking or listening that cinema comes closer. For me, a festival like Courtisane should have the courage to remain silent and to burst out in flames of anger and love.

Of course, when thinking about caring and politics it is rather obvious which tendency one should follow. I am not talking about discourse, but I am attempting to talk about experience. Perhaps experience and discourse should be more connected. You rightly state in almost all of your letters that a direct translation from watching into action is impossible. For me, the same is true for everything that happens around the act of seeing. Let’s call it discourse. Marguerite Duras wrote that for her it is not possible to activate or teach anyone. The only possibility appears if the reader or audience member discovers things by himself or he/she is in love. Love could convince, activate, agitate, change. This idea of loving brings me back to your thoughts on caring. With Friedrich Schiller you claim: “The solitude of art bears within the promise of a new art of living.” With Rancière, you make it clear that art is not able to change the world. Instead, it offers new modes of visibility and affectivity. Isn’t it a paradox that they say love makes you blind? In a strange dream, I wished for cinema to make us blind. In the concepts of political cinema you describe visibility is king. Things are either revealed, highlighted or shown. I am not certain whether cinema is an art of light or of shadows. In my view, it was always very strong, especially in political terms, when it complicated perceptions instead of clarifying them; an art of the night, not of the day, or even more so: something in between.

Four Diamonds von Ute Aurand

Four Diamonds von Ute Aurand

This is also the case with all the discussions and dialogues following the screenings and in the way you conducted them, sometimes much too hastily, at this year’s Courtisane. There is a next screening but we talk with the filmmaker because, because, because. Did any of the discussions inside the cinemas go beyond questions about facts and the production of the films? I am not saying that the production is not very important and/or very political. It is maybe the most political. Yet, I miss the talk that goes beyond cinema/which follows where cinema is leading us. Discussions about caring and fighting, being angry and beautiful, discussions that don’t take things for granted too easily. I could sense a bit of that in the Q&As with Ute Aurand but never in the ones with Peter Nestler. It is a problem of the so-called cinephile that he/she loves to declare instead of listening. Being a cinephile seems to me like being part of an elite club and sometimes Courtisane felt like that, too. For example, showing the problems of farmers in Japan to a chosen few is a feeling I don’t like to have. This has very little to do with the way you curate but more with cinema itself. It is like an alcove pretending to be a balcony. I was expecting Courtisane to be built more like a balcony asking questions and looking at the world surrounding it instead of celebrating itself. In one of your letters, you propose the idea of two tendencies in cinema: that of cinema as an impression of the world outside, and that of cinema as a demonstration of the world enclosed in itself. For me, despite all its potential, the cinema of Courtisane remained too enclosed in itself.

There were also things I liked concerning your guests. For example, I found it to be very nice that the Q&As didn’t take place at the center or in front of the screen but almost hidden in a corner of the screening room. It is also very rare and beautiful that you could approach filmmakers like Ute Aurand very easily because they were also just part of the audience. Peter Nestler joining the Ogawa screenings and asking questions afterwards was another good example of this. Friends told me of having the feeling of a community, the feeling that there is a dialogue. Maybe I was just at the wrong places sometimes. Still, I have to tell you my concerns. This doesn’t happen due to discontent or anger but out of respect. There are amazing things at Courtisane and I find it to be one of the most important festivals in Europe. The possibility to see those films in combination, to see those films, to have contemporary cinema and “older” films in a dialogue and to feel a truly remarkable sense of curatorship in what you do, is simply outstanding. For example, the screening of Right On! by Herbert Danska together with Cilaos by Camilo Restrepo was amazing and many questions about framing and music in revolutionary cinema were asked and possible paths opened. Cinema was a place of difference, of equality and thus of dissent. You could answer me and my critique by saying that what I search for is in the films, not in the way they are discussed, not discussed or presented. I would agree with you until the point where the way of presentation hurts the films.

My favourite letter in your book is the one you wrote to Ricardo Matos Cabo. In the text, you talk about the question of mistakes and innocence. Your writing always concerns the loss of innocence. In it, there is the idea of a world which has disappeared behind its images, a world we all know. It is the world of too many images and no images at all. You write: “But perhaps the associations and dissociations, additions and subtractions that are at work in cinema might allow for a displacement of the familiar framework that defines the way in which the world is visible and intelligible for us, and which possibilities and capacities it permits.” You ask for a cinema that is able to talk with our relation to the world. How to face such a thought without lament?

Well, up to now I always thought about dissent when I thought about the title of your book and screening series. Maybe I should think more about the figures. The figures on screen, the missing people, those we need to perceive. Those I could see at Courtisane. Not inside or outside of the cinema, but on the screen.

In hesitant admiration and hope of understanding,
Patrick