Is Steve McQueen the devil?


“The worst is McQueen: he is the devil, an absolute devil, because he is making people believe he is making artistic films, and it’s bullshit.” Diese Worte hatte der letztjährige Locarno Gewinner Albert Serra in einem äußerst provokativen Interview mit dem BFI nach einer Frage zum britischen Kino für seinen Regiekollegen übrig. So willkürlich und unhaltbar die Aussage von Serra auf den ersten Blick scheint, habe ich mich dennoch immer gefragt, ob nicht das entscheidende Fünkchen Wahrheit mitschwingt. Steve McQueen war schon nach seinen beiden ersten Filmen „Hunger“ und „Shame“ ein gefeierter Regisseur in Filmkreisen. Mit „12 Years a Slave“ tritt er nun ins völlige Rampenlicht und gilt als heißer Favorit bei den Academy-Awards. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen hat sein neuer Film einen weitaus zugänglicheren, emotional nachvollziehbareren Protagonisten als seine beiden Vorgänger (das macht ihn im Endeffekt deutlich uninteressanter, aber er soll wohl vor allem als Exempel fungieren) und zum anderen hat der britische Regisseur einen Themenfilm gemacht, der auf einer wahren Geschichte basiert. Das ist wunderbar, da kann man immer so schön Betroffenheit heucheln als Zuseher. Nun ist es so, dass McQueen dafür bekannt ist Bilder von unheimlicher Intensität zu schaffen, die körperlich und transzendental zugleich sind. Er zersetzt die Körper seiner Schauspieler, geht damit bis an die Grenzen und gleichzeitig malt er in ihre Augen so etwas wie eine tiefbrennende Sehnsucht. Eine weitere große Stärke von ihm ist, dass er Schauspieler dazu bringt innerhalb einer Nahaufnahme ein Abfallen von Emotionen oder einen Wechsel zu spielen. So verkehrt sich die Lust von Fassbender in „Shame“ in Schmerz und Einsamkeit und so verkehren sich auch die Wut und der Hass von Fassbender in „12 Years a Slave“ in Angst und Leere. Ebendies gilt auch für den Protagonisten Solomon Northup, der von Chiwetel Ejiofor gespielt wird. 

McQueen erzählt die Geschichte eines Mannes, der unrechtlich vom freien Mann zum Sklaven wird und nach und nach seine Identität nicht nur vor der Welt, sondern auch-und das ist das entscheidende-vor sich selbst verliert. Furchtlos scheint McQueen seine politische Brisanz in beide Hände zu nehmen und wie eine Walze durch seinen eigenen Film zu fahren. Dabei fällt allerdings auf, dass er mindestens genauso sorgfältig wie sein Protagonist an seinen Holzblöcken sägt, um ja nichts über den Rand stehen zu lassen. Jede Szene für sich ist ein großes Theaterstück der Brutalitäten. Emotionen, Schicksal, Gewalt, Geschichte werden einem geradezu ins Gesicht gerieben. Hier bin ich, Steve McQueen, ich mache einen großen Film über ein wichtiges Thema. Ihr könnt mich nicht kritisieren, weil jede Szene hundertfünfzig Prozent gibt und das Thema sowieso nicht zu kritisieren ist…Schon in „Hunger“ und „Shame“ stand in jeder Einstellung viel auf dem Spiel, das gehört zum Kinoglauben von McQueen. Was er allerdings mit „12 Years a Slave“ völlig verloren hat, ist jegliches Empfinden für Rhythmus und Ausgewogenheit. Nach einer wilden und bizarren Exposition wirft er große Szene an große Szene und klebt sie irgendwie zusammen. Man wird erstickt im Leiden und kann nicht mehr fühlen, obwohl McQueen mit allen Mitteln versucht, dass man fühlt. Diese großen Szenen werden auch mit merkwürdig künstlichem Dialog geführt. Dieser, so kann man lesen, kommt aus der Buchvorlage selbst, welche wohl inspiriert von Herman Melville gewesen wäre. Und genau in dieser Sprache und in den zahlreichen Terence Malick Kopien, die McQueen von seiner Musik bis zu seinen Naturbilden so strapaziert, liegt der Hund oder sagen wir der Teufel begraben.
 
Denn McQueen-und das könnte Serra gemeint haben-verkauft sich und seinen Film als etwas, dass er nicht sein kann: Als ein großes Kunstwerk. „12 Years a Slave“ ist ein handwerklich perfekt gemachter Themenfilm. Hier ist ein Regisseur, der eine Art politischen Vortrag hält, der eine große Bedeutung für die amerikanische Geschichte hat. Es ist ihm ein großes Bedürfnis darüber zu sprechen und er wagt einen schonungslosen und aufrichtigen Versuch. Dabei hat er fast etwas zu viel Wut in sich, trägt zu viel in jede Szene und scheint sogar zu viel beweisen zu müssen, aber er tut es trotzdem und er findet dabei wundervolle und klare Momente, die sich zwar im größeren Zusammenhang des Films manchmal merkwürdig beißen (Ausgewogenheit), aber als einzelne Szenen einen präzisen Eindruck der historischen Verhältnisse geben. Aber McQueen mischt das mit fast elegischen künstlerischen Naturaufnahmen, mit einer Schönheit und mit einer Künstlichkeit, die seinem eigenen Unterfangen im Weg stehen. Er baut Tableaus auf und arbeitet mit einer berauschenden Soundkulisse (auch hier hat er Malick exakt studiert). Ich verurteile keineswegs die Schönheit im Verhältnis zum Thema. Das ist Schwachsinn. Ich verurteile nur die völlig unpassende Künstlichkeit und Kunsthaftigkeit inmitten eines derart straighten Themenfilms. McQueen versucht seinen Film als etwas anders zu verkaufen als er ist. 
Und viele folgen ihm auf diesen Pfad. Jonathan Romney (ein großartiger Kritiker) betont wiederholt in der Januarausgabe der Sight&Sound, dass es sich hier um einen „Artist“ handelt. Überall ist zu lesen, dass der Künstler McQueen dieses mache und der Künstler McQueen jenes mache. Doch genauso vorsichtig wie bei Menschen, die von sich aus sagen, dass sie Künstler sind, sollte man sich auch den Werken eines Mannes nähern, der Kunst mit großen Buchstaben auf seine Filme schreibt und einen industriellen Historienfilm mit der klassischen Messagebezogenheit des Blockbusterkinos verbindet, der einen ständig dazu zwingen will zu fühlen, der zwar gut darin ist etwas zu filmen, aber nicht gut darin sich zu überlegen, was er nicht filmt und der fast erschreckend exemplarische Themenszenen in seine Abarbeitung eines Themas wirft. Das Abarbeiten eines Themas ist sicherlich ein nobles Unterfangen in diesem Fall, aber es bleibt eine sehr vorgefertigte Schablone, der McQueen folgt. Und ein Film, der sich selbst immer wieder als Kunst definiert, müsste mehr Anspruch an sich selbst haben als Film, nicht nur als Thema.

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