Hou Hsiao-Hsien Retro: The Boys from Fengkuei

In “The Boys from Fengkuei” widmet sich Hou Hsiao-Hsien jenen Coming of Age Momentaufnahmen, die sein Schaffen in den 1980ern maßgeblich prägten. Vier Jugendliche leben in einem Fischerdorf im Westen Taiwans (Fengkuei) zwischen Scooter, Pool und Schlägereien. Der Protagonist Ah-Ching ist dabei ein unbeschriebenes Blatt, nicht wirklich charakterisiert, sondern als leeres Objekt in den Film geworfen mit einem Vater, der ein „Loch“ im Gesicht hat vom Baseballspielen. Ah-Ching muss seinen Vater füttern, er will nicht. Das ländliche Familienleben, die Verpflichtungen, die Monotonie; all das gibt Hou Hsiao-Hsien den Rahmen für eine ziemlich allgemein gehaltende und doch persönliche Geschichte. Überraschend harte Gewalt schlägt in der Ziellosigkeit des Anfangs durch die Bilder, die sonst eigentlich eher wirken wie aus einer frühen Chaplin Komödie (wobei es auch dort Gewalt gibt), mit Gestalten, die sich verfolgen und von links nach rechts durchs Bild laufen. Die Charakterisierungen/das Gefühl beginnen dann, wenn Frauen ins Spiel kommen.

The Boys from Fengkuei

Einmal am Meer, als die vier Jungs sich in einer denkwürdigen Einstellung vor einer Frau zum Affen machen während im Hintergrund Wellen gegen das künstlicher Ufer brechen und zu riesigen Fontänen aufsteigen. Das andere Mal dann als Zentrum der traurigen Liebesgeschichte des Films: Die Jungs zieht es nach Kaohsiung, in die Stadt. Sie wagen den Schritt als Trio, denn einer ihrer Freunde wird vom Militär eingezogen. Verabschiedung, Neuanfang, die Jugend wird hier schon als ein Verlust gezeigt, die Lebensgeschichten bei Hou Hsiao-Hsien sind wie zum Beispiel auch in „A Time to Live and a Time to Die“ oder „The Puppetmaster“ Geschichten des Verlassens und Sterbens. In seinen frühen Filmen trifft ein romantisierter Alltag auf einen nüchternen Schmerz. Die Jungs um Ah-Ching suchen Arbeit in Kaohsiung, versuchen ihr Leben zu beginnen. Gegenüber ihrer Wohnung lebt Hsiao-hsing, eine junge Frau, die in einer unglücklichen Beziehung mit ihrem arbeitenden Freund lebt. Sie wird eine Freundin für Ah-Ching und mehr noch eine Begierde, eine Faszination. Einmal ist im Film eine Szene aus „Rocco e i suoi fratelli“ von Luchino Visconti zu sehen. Dort wird auch die Faszination einer Frau in die enge Welt von armen Männern in einer neuen Stadt geworfen, dort kommt es auch zu Schlägereien und Versöhnungen. Aber bei Visconti sind die Welt und die Charaktere gleichberechtigt, die Wüste der Stadt ist die Wüste in den individuellen Charakteren, wogegen bei „The Boys from Fengkuei“ die Betonung auf der Wüste liegt, die von weniger charakterisierten Subjekten bevölkert wird.

The Boys from Fengkuei

Dabei filmt der Regisseur die verlorenen Bewegungen innerhalb der überfordernden Stadt aus einer Art distanzierten Sicht von Ah-Ching. Als würde dieser selbst von seiner Vergangenheit erzählen, die er nur noch als dritte Person wahrnehmen darf. Zwar erscheint die Welt oft aus der Sicht des jungen Mannes, jedoch immer wieder aus totalen Einstellungen, die den Ort, das Meer, ja die Erinnerungen größer und wichtiger erscheinen lassen als den Plot. Fast verschluckt wird die Narration hierbei von der Welt. Der Point-of-View de Regisseurs ist hierbei entscheidend. Was hat es mit dieser Erinnerungsposition im Kino von Hou Hsiao-Hsien auf sich? „The Puppetmaster“, „A Time to Live and a Time to Die“, „Dust in the Wind“ oder „A Summer at Grandpa’s“ scheinen nur eine reinere Version, der immer gleichen Momentaufnahmen aus der Vergangenheit zu sein, die sich durch das komplette Werk des Regisseurs ziehen. Dabei wirken seine manchmal zu schönen Bilder wie aus einer anderen Zeit. Auf allem Leiden, aller Gewalt liegt immer der Filter einer Nachbetrachtung, Nostalgie, Melancholie. Die Brüche werden daher kaum als solche wahrgenommen, weil aus einer rückblickenden sinnstiftenden Betrachtung erscheinen. Wenn jemand stirbt, dann hat man das schon kommen sehen (selbst wenn es nie angedeutet wird), man ist nicht in der Lage des unmittelbaren Schocks, man erlebt nicht die Direktheit, mit der die Figuren von den Schicksalsschlägen getroffen werden, sondern in einer fast parabelhaften, tröstenden Façon. Es ist kein Wunder, dass ausgerechnet Olivier Assayas so großen Gefallen an Hou Hsiao-Hsien findet, ist in seinem Werk die Erinnerung, das eigene Nacherleben der Erinnerung doch von ganz ähnlichen Fragen beseelt. In Filmen wie „The Boys from Fengkuei“ steht die Erinnerung nicht als Emotion oder Plotinformation im Zentrum, sondern schlicht als Identifikation. Man identifiziert sich mit den Situationen, den Momenten, kleinen Bildern. In seinen schwächlichen Momenten ist sich Hou Hsiao-Hsien dieser Tatsache zu bewusst und untermalt plötzliche Zeitlupensequenzen mit den Vier Jahreszeiten von Vivaldi; das kann schon alleine deshalb nicht funktionieren, weil er kein wirkliches Gespür für das Laufen der Zeit entwickelt, sondern nur für ihre bereits vergangene Dauer. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Tsai Ming-liang ist er vor allem in seinen frühen Filmen, nicht in der Lage die Zeit zu filmen, er beklagt lediglich ihren Verlust. „Flowers of Shanghai“ wäre ein Beispiel dafür wie Hou Hsiao-Hsien einen anderen Umgang mit Zeit etabliert.

Was also bleibt sind Momente, kleine elliptische Eindrücke mit denen man verbinden kann oder nicht. Hou Hsiao-Hsien hilft manchmal mit zu sentimentalen Regungen nach, Regungen die schön erscheinen lassen, was eigentlich nur sein sollte, aber insgesamt lässt er die Welt als solche bestehen. Auf diese Art wird seine Kinosprache ein Ausdruck, seine Welten zur kinematographischen Realität. Er verkauft seine Erinnerung nicht mit seinen Filmen, er bewahrt sie. Und am Ende steht dann wieder ein Verlust, ein sentimentaler Verlust. Das Problem der Sentimentalität ist hier nicht ihr Effekt, sondern schlicht, dass sie die Erinnerung selbst verstellt, verzehrt und damit am Ende doch verkauft und unwahr erscheinen lässt.

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