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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Hou Hsiao-Hsien Retro: HHH von Olivier Assayas

Im Rahmen der Retrospektive zu Hou Hsiao-Hsien im Österreichischen Filmmuseum werden nicht nur jene Filme gezeigt, die der taiwanesische Regisseur selbst gedreht hat, sondern auch ein Film, indem er die Hauptrolle gespielt hat und am Drehbuch geschrieben hat, („Taipei Story“ von Edward Yang) und ein Film der seine Person zum Gegenstand hat: Das in der Reihe Cinéma (bzw. Cinéastes), de notre temps entstandene Portrait „HHH-Un portrait de Hou Hsiao-Hsien“ von Oliver Assayas. Diese Reihe gehört zu den größten Fundgruben, die es für Kinointeressierte gibt. 1964 wurde das Projekt von André S. Labarthe und Janine Bazin (der Frau von André Bazin) ins Leben gerufen. Die Idee dahinter war eine Art filmische Variante der Künstlerinterviews in der Cahiers du Cinéma, die jungen Filmemachern die Möglichkeit geben sollte, Filme über Legenden der Filmkunst zu drehen. So drehte beispielsweise Jacques Rivette einen Film über Jean Renoir, Alexandre Astruc einen Film über Friedrich Wilhelm Murnau oder Éric Rohmer über Carl Theodor Dreyer. In ihren besten Teilen atmet die Serie einen Geist, den man mit kritischer Inspiration umschreiben könnte. Ein gutes Beispiel dafür war der Besuch von Labarthe in den Vereinigten Staaten bei John Cassavetes. Der Drang zu lernen und zu betrachten, im Betrachten zu lernen; eine stete Neugier als künstlerisches Unterfangen, immer zugleich eine filmkritische Huldigung wie ein Versuch zu verstehen, am Ende ist das immer auch ein kleiner Moment des Lebens…der Ansatz der deutschen Zeitschrift Revolver erinnert insbesondere in frühen Ausgaben mit seinen Interviews an dieses System. Nach 8 Jahren wurde die Serie dann eingestellt und erst 1989 wieder aufgenommen. Man startete mit David Lynch und spannende Werke entstanden, etwa „Chantal Akerman“ von Chantal Akerman, „Une journée d’Andreï Arsenevitch“ von Chris Marker oder „Où gît votre sourire enfoui ?“ von Pedro Costa über Danièle Huillet und Jean-Marie Straub.

HHH

Die Beschäftigung mit dem Machen, der Herstellung der Kunst, den Ideen dahinter und den dazugehörigen Anekdoten ist von enormer Wichtigkeit. Es ist ein sehr großer Unterschied, ob ein großer Filmemacher wie Assayas sich einem anderen Filmemacher nähert, oder ob ein weniger definierter Filmemacher sich einem großen Künstler widmet. Man kann dies wunderbar bei „Fragments of Kubelka“ von Martina Kudlácek beobachten. In ihrem Film gibt es eine Persönlichkeit, ein dominierendes Gefühl im Bild und das ist Peter Kubelka. Wenn Assayas nun auf Hou Hsiao-Hsien trifft, dann gibt es sofort zwei Sentiments: Die Weltsicht des französischen Filmemachers und jene des taiwanesischen Regisseurs. Daraus können mal mehr und mal weniger spannendere Konstellationen entstehen, aber prinzipiell kann man festhalten, dass je stärker die Vision des drehenden Filmemachers ist, desto gerechter, ja moralischer wird sein Bild der Person, denn wenn es der portraitierte Filmemacher ist, der die Fäden in der Hand hält, dann wird das Dokument zur Darstellung und-wie im Fall von „Fragments of Kubelka in sehr unterhaltsamer Weise-zu einem Propaganda-Video des eigenen Denkens. Assayas, der nicht der erste war, aber sich sehr früh in seiner Tätigkeit als Autor für die Cahiers du Cinéma mit Hou Hsiao-Hsien und mit dem taiwanesischen New Wave Cinema der 1980er Jahre auseinandersetzte, widersetzt sich einer solchen Dominanz von Hou Hsiao-Hsien. Dies gelingt ihm vor allem deshalb, weil er seinen Blick immer als den neugierigen Blick des Kritikers auslegt, der zum Teil von Eindrücken überfordert am Rand des Bildes auf einem Kern herum kaut oder schlicht in die Situationen hineingeworfen wird, die nicht aus den Erzählungen von Hou Hsiao-Hsien entstehen, sondern den Orten seiner Filme. So vermag er sich auch, von seinem Objekt zu lösen. Konzeptuell bewegt sich Assayas, der diesen Film 1997 mit Éric Gautier als Kameramann (man merkt es leider kaum) realisierte durch die Orte und Momente des Filmschaffens von Hou Hsiao-Hsien und findet mit dem Filmemacher die autobiografischen Bezüge, die das Schaffen des Regisseurs so sehr prägen.

Cineastes de notre temps

Assayas spielt auf der einen Seite den Filmkritiker, der Interviews mit Beteiligten führt. Auf der anderen Seite ist er ein driftender Weltenbummler, ein Dokumentarist des Moments, der es in diesem Film versteht seine Liebe zu einem Künstler auszudrücken ohne diesen zu glorifizieren. Gemeinsam mit Assayas lernt man einen pragmatischen Filmemacher kennen, der eine herzenswarme Rauheit ausstrahlt. Er spricht über sein System die Ereignisse aus der Distanz zu filmen und bewegt sich damit nahe an Pasolinis Ideen zur filmischen Sprache; man sieht ihn alte Freunde treffen, in einer Karaoke-Bar singen und durch seine Welten laufen. Er nimmt sich nicht zu ernst und interessiert sich fast immer mehr für seinen Gesprächspartner als für sich selbst. Immer wieder spielt Assayas Clips der Filme ein, immer wieder zeigt er ähnliche Einstellung wie aus den Filmen von Hou Hsiao-Hsien (etwa die Zugfahrt aus „Dust in the Wind“). Allerdings gelingt es ihm kaum die kleinen, einfachen Momente in „HHH“ zu finden, die er so sehr bei Hou Hsiao-Hsien bewundert. Der Film verkommt stellenweise zu einem Sonntagnachmittagsausflug an schöne Orte, ein Trudeln, ganz nett, mehr nicht.

Hier werden weder Prozesse des Filmemachers angezeigt, noch sein Handwerk, noch seine Gefühle. Lediglich versteht es Assayas, so etwas wie Wärme und Unschuld in das Portrait zu pusten. Am Ende erscheint Hou Hsiao-Hsien wie eine fiktionale Figur, von dessen Filmkunst man eher weniger als mehr gespürt hat. Es bleibt zu betonen, wie wichtig die filmische Auseinandersetzung mit Film, seiner Herstellung, seiner Inspiration, seinen Künstlern für die Filmwelt ist. Kämpfende, in der Öffentlichkeit kämpfende, diskutierende, enthusiastische, schreibende, erzählende Regisseure gibt es zu wenig. Meist besteht lediglich ein Interesse über die eigene Arbeit zu reden, wenn man gefragt wird, sagt man etwas zu anderen Filmen. Assayas ist ein Filmemacher, der von sich aus die Schritte wagt, der ein reflexiv-kritisches Potenzial in seine Auseinandersetzung mit Film als einen Gleichschritt von Nachdenken und Tun, Kritisieren und Huldigen legt. Er ist jemand, der ein Cinéma, de notre temps am Leben erhält.

HHH