FILMKRITIK LESEN

Zunächst sehen sie einen in all ihrer bescheidenen Schlichtheit an wie Versprechen aus einer anderen Zeit. Beinahe schon kultverdächtige Nostalgieobjekte: der beständige, große, im Schriftbild didaktisch anmutende Schriftzug: FILMKRITIK. Ein Versprechen ist das, eine Drohung, ein Prinzip und ein Programm. Alles bereits im Titel, der möglichst simpel und angreifbar zugleich daherkommt. Filmkritik ist das. Das ist Filmkritik. Darunter die jeweilige Nummer und diese Bilder, die schon so viel zu verstehen geben und so sehr danach verlangen eine Eintrittskarte zu sein. Ins Kino, aber auch in das davon inspirierte und darauf gerichtete Denken und Schreiben.

Der von 1957-1984 erschienenen Zeitschrift Filmkritik eilt der Ruf nach, die einzig ernstzunehmende deutschsprachige Filmzeitschrift gewesen zu sein. Jeder Jahrgang eine unsagbare Quelle alten neuen Kino-Wissens. Egal ob sich in einer Ausgabe ganzheitlich dem letzten Straub-Huillet‘ Film oder dem Kino vor 1910 gewidmet wurde, bestachen die Texte der journalistischen Praxis zum Trotz durch Selbstreflexivität und filmhistorische Substanz. Die Filmkritik ist nicht nur Artefakt der bundesrepublikanischen Geschichte, sondern auch ihrer filmtheoretischen Genese. Sie ist logische Fortsetzung des deutschsprachigen Kinodenkens in frühen Theorien wie auch dessen praktische Umsetzung. Die Zeitschrift war vorakademisch und gleichzeitig der wissenschaftlichen Lehre in ihrer Auseinandersetzung mit dem Kino weit voraus.

Doch warum sich über 30 Jahre nach dem Ende der Filmkritik mit dieser beschäftigen? Von den Texten der Filmkritik geht ein utopischer Glaube an das Kino und das Medium Film aus, der einer ganz anderen Medienrealität entspricht, als jener in der wir uns heute bewegen. Trotz verschiedener Phasen und Ausrichtungen der Zeitschrift, zwischen Filmkritik als Ideologiekritik oder strukturalistischen Lesarten französischer Provenienz, schaffte es die Zeitschrift immer den Film als einen über die Grenzen des Mediums zu untersuchenden Fall ernst zu nehmen. Die zeitgenössische Filmkritik hingegen erscheint zwischen feuilletonistischem Bedienen und endloser Blog- und Filmessay-Supercut-Kritik in einer Beliebigkeit des „anything-goes“ erstarrt. Nicht alles daran ist schlecht, aber Reibungspunkte und klar definierte Position verschwimmen und verstummen in einem Allerlei. Auch weil das Kino gesellschaftlich enorm an Relevanz verloren hat. Dennoch finden sich immer wieder Parallelen zum kontinuierlichen Dialog innerhalb der Filmkritik in bestimmten Schreibmodi online oder in Magazinen. Es scheint problematisch ein filmtheoretisches Denken von solcher Tiefe, Streitbarkeit und einem derartigem Umfang als Ausnahme zur Regel zu sehen.

Hier soll es jedoch nicht um eine Kritik an den Zuständen des gegenwärtigen Schreibens über Film gehen. Wir wollen auch nicht der naiven Vorstellung erliegen, durch eine Rückkehr in eine „authentische“ Periode der Filmkritik neue Möglichkeitsräume der Textproduktion zu entdecken. Vielmehr bedeutet hier Entdecken zwangsweise ein Wiederentdecken, dass immer auch von unserem zeitlichen Abstand als Leser der x-ten Generation spricht. Wir reihen uns in die Jahrgänge vorheriger begeisterter Leser ein. Nur in der Gegenwärtigkeit des Films während seiner Aufführung liegt auch die Gegenwärtigkeit der Auseinandersetzung mit dem Film. Sieht man einen Film aus den 1970er Jahren und findet einen Text dazu in der Filmkritik, dann ist dieser Text im Jetzt geschrieben. Das liegt auch an der Form der Auseinandersetzung innerhalb der Zeitschrift. Sie eröffnet auch ganz bewusst die Frage: Was führt uns eigentlich zurück zu einem Text? Es kann eben auch ganz dezidiert nicht nur um einen zeithistorischen Diskurs gehen, denn die in der Filmkritik angelegten Auseinandersetzungen mit der Form und Arbeitsweise des Kinos kennen kein Ablaufdatum. In ihr ist ein intellektueller Kinoglaube angelegt, vielleicht einer der letzten Regungen desselben.

Erliegen wir vielleicht auch zum Teil unserer generationsbedingten Nostalgie – so steckt in dieser Auseinandersetzung zunächst ein Impuls des Bewahrens, das konsequent mit einem Veröffentlichen, Reproduzieren und Weitergeben zusammenhängt. Als Wegbereiter eines anderen Schreibens über Film im deutschsprachigen Raum soll die Zeitschrift uns als Ausgangspunkt für eigene Texte zum Kino, historischen Recherchen, Reproduktionen und Interviews über und zur Filmkritik dienen. Von den schlichten dünnen Heftchen und ihren passioniert-eindringlichen Texten geht das Versprechen aus, eine besondere Art des Denkens über das Kino zu entfalten und fortzuführen. Wir wollen uns keine strengen Vorgaben machen, um uns mit den Texten und Gedanken von Autoren wie Frieda Grafe, Harun Farocki, Helmut Färber, Ulrich Gregor oder Enno Patalas zu befassen. Stattdessen geht es uns um eine Parallelführung von Lesen und Schreiben, man könnte auch sagen Bezug und Emanzipation, Film und Kritik.

(Jan-Hendrik Müller & Patrick Holzapfel)

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