Filmfest München 2019: La Gomera von Corneliu Porumboiu

Als ich Corneliu Porumboiu vor einigen Jahren in einem Interview zu seinem Când se lasã seara peste Bucuresti sau metabolism bezüglich seiner Arbeit mit dem Off-Screen befragte, sagte er mir, dass er fände, dass das Kino (im Gegensatz zu der visuellen Medienflut generell) die Möglichkeit hätte, Dinge nicht zu zeigen. Er empfände es als pornographisch eine Sexszene offen zu zeigen. Das wäre zu einfach, zu gewöhnlich. In seinem neuen Film La Gomera schwenkt die Kamera mehrfach bewusst ausgestellt über den nackten Körper der Femme fatale Gilda. Und auch sonst hat der Film auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam mit den Schubladen, in denen man das Neue Rumänische Kino so gerne steckt. La Gomera, benannt nach der kanarischen Insel und der dort praktizierten Pfeifensprache, ist eine Art Agententhrillerkomödie, ein hitchcockartiges Katz-und-Maus-Spiel mit den Erwartungen, in dem Raum und Zeit immer mehr aus den Fugen geraten. Musik zwischen Iggy Pop, Jeanne Balibar, Ute Lemper und hoher Opernkunst, Sonnenbrillengefühle und Meeresrauschen, sodass man sich wahlweise in einem französischen Thriller der 1960er Jahre oder einer Campari-Werbung wähnt.

Im Zentrum des Films steht die Figur Cristi (gespielt von einem äußerst blassen Vlad Ivanov). Involviert in illegale Machenschaften reist er auf La Gomera, um dort die Pfeifensprache zu lernen. Die tatsächlich existierende Sprache „El Silbo“ verknappt die spanische Sprache und wurde vor allem von Hirten praktiziert. Heute gibt es sie noch, aber sie ist sozusagen vom Aussterben bedroht. Dabei spielen alle Figuren mindestens ein doppeltes Spiel, mehr und mehr drückt sich die Fiktion über jeden Schnitt, jede neue Perspektive wird eine neue Realität. Cristi soll so etwas wie eine Fortführung der gleichnamigen Figur aus Porumboius Polițist, Adjectiv sein. Hierin liegt dann auch gleich der versteckte Sinn dieser abenteuerlichen Leichtigkeit und ein großes Problem.

Der Sinn hat damit zu tun, dass Porumboiu durchaus an den gleichen Themen arbeitet, die ihn seit Jahren beschäftigen. La Gomera ist gewissermaßen ein Film im Film, sämtliche Figuren verweisen auf etwas außerhalb der diegetischen Welt. Ein gutes Beispiel ist der opernbesessene Portier im Film. István Téglás spielt ihn und er war vor kurzem als Norman Bates in einer Bühnenadaption von Psycho in Bukarest zu sehen. Norman Bates als Hotelportier zu besetzen, ist kein Zufall. Genausowenig sind es die bereits genannten Sexszenen oder das Nicht-Spiel von Ivanov. Porumboiu hat eine Meta-Studie über das rumänische Kino und die Erwartungen, die daran gerichtet sind, gedreht. Dabei agiert er beinahe besessen mit konstruierten und verfälschten Realitäten und wie Kameras (Überwachungskameras, Handykameras, Filmkameras) eine Hauptrolle in diesem Spiel innehaben. Diese Themen tauchen seit seinem Durchbruch A fost sau n-a fost? in jedem seiner Filme auf. Auch eine Hauptfigur, die gegen alle absurden Widerstände, an ein großes, beinahe fiktional wirkendes Glück glaubt, ist nichts Neues für Porumboiu.

Aber selten hat sich das so sehr angefühlt wie ein einziger langer Insider-Gag, selten hat dieses Spiel mit der möglichen Metapher, die unter all den Verfolgungen und Gangstergebaren schlummert, so uninteressiert gewirkt. Vielleicht stecken im Film Ideen über Kommunikation und die rumänische Gesellschaft, aber letztlich spürt man nur, dass da ein Filmemacher großen Spaß hatte (oder sich einen Spaß machte), den man irgendwie nicht teilen kann. Dieses „irgendwie“ hängt daran, dass der Film einfach nicht gut genug als Thriller funktioniert, um wirklich zu überraschen. Die Wendungen sind zwar bewusst überkonstruiert, aber sie stellen eine Klugheit aus, die der Film nicht besitzt. Vor allem im internationalen Kino sind diese Balanceakte zwischen Wahrheit und Lüge, in denen letztlich alles zur Fiktion werden kann, keine wirklich frische Idee. Selbst wenn Porumboiu immer eine ambivalente und womöglich tiefergehende Hintertür offen lässt, müsste man die Oberfläche, die der Film dezidiert als Täuschung vor sich herträgt, weniger einfach durchschauen. So verhungert die Thrillerdynamik und man befasst sich beim Schauen nur noch mit Subplots. Und auch dort steht schon der Filmemacher, zwinkert einem zu und sagt: Ihr habt das verstanden, oder? Eine perfekte Frage für die cinephile Filmkritik, die sich dann mit Selbstverständlichkeit auf die Intelligenz des Filmemachers stürzen darf.

La Gomera ist als erste konsequente Ironisierung des Neuen Rumänischen Kino von Innen, ein typisches Produkt des zeitgenössischen Festivalkinos. Wenn man so will, eine mutigere, aber auch misslungenere Variante des Adhoc-Sentiments eines Hong Sang-soo, den Porumboiu immer wieder als Einfluss nennt. Man dreht und denkt schnell, man spielt auf einer bewusst beschränkten Klaviatur. Dabei lässt man ein paar Räume offen, man weiß wie es geht und alle können sich fragen, ob der Film nicht deutlich klüger ist als er es vorgibt. Dabei wird übersehen, dass jeder Film so klug ist wie diejenigen, die ihn sehen. Hier spielt es keine Rolle, ob man etwas zeigt oder nicht zeigt. Genau in dieser Willkür ist Porumboiu inzwischen angekommen und man muss ihm dafür Respekt entgegenbringen, denn es scheint ihm wirklich egal zu sein.