Filmfest Hamburg: Hermosa juventud von Jaime Rosales

In gewisser Weise fühle ich mich verpflichtet über den Film Hermosa juventud von Jaime Rosales zu schreiben, da er auch Jugend ohne Film heißen könnte. Darin entwickelt Rosales anhand neorealistischer Tendenzen eine politisch aufgeladene Ausweglosigkeit von Twenty-somethings in Madrid. Gleichzeitig macht er sich Gedanken über die Veränderungen einer medialen Welt bezüglich der Bilder des Kinos selbst.

Es geht um Natalia und Carlos, ein hoffnungsvolles und zugleich hoffnungsloses Paar, das in einer erstaunlichen Gewöhnlichkeit dargestellt wird. Dieser Alltag ist deshalb so außergewöhnlich, weil er sich zum einen in ein nicht immer glaubwürdiges Extrem verändern wird und zum anderen, weil Rosales das Leben dieser Figuren fast als Spielfläche des Gewöhnlichen verwendet. Damit soll gesagt werden, dass die Dinge im Film einfach passieren und nicht wirklich aufgebaut werden. Das Leben ist etwas anderes als die Figuren. Eine Nähe zu Roberto Rosselinis sozialrealistischen Angriffen auf die Bequemlichkeit des Alltags durch das Zeigen der Ungerechtigkeit jenes Alltags kann dabei kaum übersehen werden, denn Rosales markiert mit Hermosa juventud einen politischen Verzweiflungsschrei, der sich nicht nur gegen die aktuelle Finanzkrise in Spanien wendet sondern aus ihrem Inneren entsteht.

Oft zeigt er seine Figuren im 16mm Rauschen vor weißen Wänden, die grau wirken. Da ist nichts. Karge Wüstenlandschaften von verdreckten Wohnvierteln, immer wieder sehen wir Türen im Anschnitt, bewegungslose Mütter, die sich dem Schicksal ihrer Kinder anpassen, die nicht mehr helfen können so wie der Vater, der kein Geld mehr hat und seiner Tochter verspricht ihr immer zu helfen. Und mitten in dieser Ausweglosigkeit, die von einer Schwangerschaft und ausglühenden Liebe von Natalia verschlimmert wird, existiert eine mediale Welt. Diese integriert Rosales völlig skrupellos in seine filmischen Bilder. So entwickelt sich vor unseren Augen plötzlich ein pixeliger Internetchat, eine Fotoschau, ein Bildermeer, das sich in einer Geschwindigkeit vor uns abspielt als wäre es eine projizierte Filmrolle. Nur, dass wir die digitalen Bilder dann nicht mehr erkennen können, nur einen Rausch, zu schnell, zu unecht. Es gibt ein Skypetelefonat in Leinwandgröße und auch im Dialog werden diese Welten von japanischen Werbeclips bis zum ewigen Messi Vs Ronaldo Gipfel thematisiert (die Antwort ist Ronaldo). Eigentlich sollte das auch völlig normal sein, denn wenn jemand mit einem Naturalismusanspruch an junge Protagonisten herangeht, die in der Wirklichkeit leben und in dieser leben müssen, dann muss er diese Welten auch mitverarbeiten. Manchem mag da die nostalgische Kinnlade entsagen, aber Film kann nach wie vor die Realität abbilden und das ist die eigentliche Nostalgie.

Beautiful Youth Jaime Rosales

Das ist eine große Aufgabe für Film. Denn schließlich ist diese Onlinewelt auch gleichzeitig der Feind, der Konkurrent, der Freund, die Werbemaschine, der Auswerter, der Verbreiter. Nun ist Film eine Kunst und wird nicht einfach wie das Fernsehen versuchen, das Internet mit in seine Strukturen zu integrieren und über Dinge berichten, die im Internet auftauchen, um eine Art Oberherrschaft zu bewahren. Nein, Film muss sich nicht an diese Regeln halten. Auch aus diesem Grund habe ich mich auch schon mehrfach gegen die große Freude gestellt, die scheinbar davon ausgeht, wenn beliebte TV-Serien im Kino gezeigt werden oder/und wie es hier beim Filmfest Hamburg der Fall ist in Festivals integriert werden. Das ist ein industrieller Hilfeschrei, der weder etwas mit dem Kinoerlebnis noch mit dem TV-Erlebnis noch mit dem Interneterlebnis zu tun hat. Aber Film kann für sich eigene Schlüsse aus dieser Veränderung ziehen und damit spielen. Rosales wagt ein solches Spiel, dass ihm manchmal äußerst gut gelingt und manchmal gar nicht.

Da ist zum einen der Pornokniff. Ähnlich wie in Zack and Miri Make a Porno von Kevin Smith gehen Natalia und Carlos in eine Internet-Pornosendung, um ein wenig Geld zu verdienen und auch, weil es eine sexuelle Fantasie von Carlos ist. Das Bild verändert sich. Statt eines Filmbildes sehen wir nun das digitale Video eines Pornos. Die beiden Laiendarsteller werden auf dem Sofa befragt und schlafen im Anschluss miteinander. Dabei bedient Rosales inhaltliche Klischees, um sie in seiner Form zu brechen. Das Problem stellt sich erst ein als er am Ende endgültig in der digitalen Welt verschwindet und Natalia, die inzwischen in Hamburg arbeitet aus finanziellen Notständen erneut in einem Porno landet. Es scheint mir doch etwas an den Haaren herbeigezogen, dass sie bei aller Ausweglosigkeit ausgerechnet in einen Porno läuft. Formell dagegen funktioniert der Kniff äußerst gut, denn schließlich existiert am Ende kein Film mehr sondern nur die Pixel zwischen Spanien und Deutschland, das Stocken der platten Bilder, der Voyeurismus. Ähnlich gelungen ist ein schockierender Moment früher im Film als Carlos kurz nach dem Bekanntwerden der Schwangerschaft von Natalia am Bahnhof von einem Unbekannten angegriffen wird. Plötzlich steht das Bild schief. Es hat sich um 90 Grad gedreht und schwenkt im Kreis. Ist das eine Überwachungskamera? Was passiert da? Hermosa juventud ist auch ein Film über die menschliche Unsicherheit in einer digitalen Welt. Einmal fragt Carlos Natalia während eines Skypetelefonats, ob hinter ihr gleich ihr geheimer Freund auftauchen wird. Der Streit, der die Beziehung entzweit passiert fast ausschließlich über SMS und Chat. Damit ist er für uns nicht wirklich greifbar und genau das ist interessant.

Hermosa juventud zeigt, dass die Grenzen für Film nicht unbedingt Filme eingrenzen. Sie können sie gar bereichern. Auch wenn das ein schmaler Grat ist.

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