Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Die Frau und die Kamera

Wo ist dieser Traum von einem Film? An einem Morgen erwacht eine junge Frau wie eine Kamera. Sie hat vergebende Augen wie das Licht. Wir sind noch unsicher, ob wir sie betrachten dürfen, wir blinzeln verlegen, erhaschen Blicke. Sie ist in weiße Tücher gewickelt und streckt ihre weichen Arme in den Himmel. Die Kamera schwenkt mit ihrem Blick, mit ihren Armen zur Decke. Oben befindet sich eine andere Zeit. Wir legen uns zu ihr, wir spüren eine Wärme, die Wärme einer vergangenen Nacht. Sie wird sich einen Kaffee machen mit ihrer Kamera, mit ihren Augen, um zu erwachen, die Blende öffnet sich, vor ihrem Fenster beginnt der Lärm.

Wer sagt ihr, wann sie sich bewegen muss? Jemand wirft eine Nebelmaschine an. Der Duft eines Traumes dringt durch die Rohre ins Zimmer. Die Frau, ihren Kopf im Nacken, zieht sich aus. Wer zahlt das? Man hört die Dusche, aber schwenkt durch das Zimmer, ein trauriges Zimmer, mit dem Verwesungsgeruch alter Plakate, zerrissener Hüllen jener anderen Zeit, die wie Schreie von der Decke tropft. Die Kamera bewegt sich als das kalte Wasser über den Monitor rinnt. Jemand weint, weil er etwas Schönes sieht. Jemand sieht einen Spiegel. Die Frau zerstört ihn und muss mit ihren blutigen Fingern lachen. Wer zahlt das?

Diese Frau, die wir betrachten, hört Musik. Sie tanzt und es blinkt. Unsere Beine wippen hinter den Melodien und Jalousien, sie sperrt den Tag aus, es bleibt eine Nacht. Ein weiterer Kuss, die Kamera wird ganz rot, sie schwärmt und beginnt zu schweben. Wir kommen der Haut näher und sehen Perlen auf ihr, wir können durch diese Perlen hindurch etwas sehen, aber was ist es? Sie schminkt sich mit blauen Lichtern, jemand legt eine grüne Folie auf ihre Augen, die Kamera dreht sich. Es ist ein kleiner Morgen und jemand muss den Traum unterdrücken.

O sangue
O Sangue von Pedro Costa
Boy meets Girl Carax
Boy meets Girl von Leos Carax

Wir blicken wieder aus der Ferne, sehen aber immer noch ihre Wimpern zucken. Jetzt verrät sie die Haltung ihres Körpers. Wo will sie hin, wo geht sie hin? Sie blendet in ein Bild der Sonne, die Sonne kommt aus ihr. Wir sehen es mit einem offenen Mund. Der Speichel vibriert in den Öfen der Kamera, alleine und schlagend wie ein Puls, sie sieht das Atmen der Kamera, aber kann uns nicht hören. Sie zieht sich an, ihr grauer Mantel, darunter nichts, wir haben es gesehen. Ein leichtes Lächeln, sie tänzelt um unser Gesicht. Sie kann die Tür nicht schließen, also folgen wir ihr.

Ein schmaler Gang, sie wohnt bei Nummer 13. Die Kamera fängt das Feuer ihrer Schritte, kleine Flammen erhellen den Raum bei jedem Schritt. Sie nimmt den Aufzug, eine Spiegelung in der Tür. Pass auf, sie darf uns nicht sehen, sie darf sich nicht sehen, niemand darf sehen. Sie dreht sich um sich selbst, die Kamera lauert, ein schreiender Leopard in einem Käfig aus Holz, sie treiben über einen Fluss und schreien nach dem nächsten Schnitt. Kannst du nicht fühlen, wann du schneiden musst? Wir halten uns zurück, um etwas zu fühlen.

Sie verweigert den Blick, ihre Farben weichen Tränen, ihre Tränen sind grau wie Asche. Es riecht nach Kohle auf meiner Linse, jemand muss sie reinigen, mit ihren weißen Tüchern. Jemand trinkt Milch auf der Straße, ein Alligator kriecht unter dem Stativ, der Kameramann (ein Zirkusclown) springt nervös um das Tier herum. Es ist eine andere Zeit jetzt. Ihr Mantel weht über ihrer Haut, Straßenbahnen erzählen ihr die Geschichte des Morgens. Es gibt zwei Sonnen, die Kamera schwenkt und sieht nur Licht zwischen den Sonnen, zwischen ihren Lippen sehen wir das Meer.

O Sangue Costa
O Sangue von Pedro Costa
Boy meets Girl9
Boy meets Girl von Leos Carax

Wellen brechen gegen die glitschigen Gleise. Wohin geht sie? Wir drohen die Balance zu verlieren, die Kamera zittert, hat sie uns angesehen? Die Alligatoren fahren mit der Straßenbahn. Wer zahlt das? Wenn eine Kamera atmet, dann weil man atmen muss, wenn man diese Dinge sieht. Überall sind Spiegel auf der letzten Straße, sie folgt ihr, wir folgen ihr, wir folgen uns zu ihr, wir erwischen uns nicht mehr, welche Zeit könnte es sein?

Sie läuft auf ein Haus zu, der Himmel wird rot. Der Puls unserer Blicke kann fühlen, man kann ihn fühlen, wenn man die Flammen berührt. Sie geht durch den Nebel einer Tür. Für einen Frame sehen wir nichts, sie wird unscharf, wir sehen ihren Umriss, sie zündet sich eine Zigarette an. Zu spät, es ist zu spät, die Vorstellung hat bereits begonnen. Jemand trinkt das Kino aus einem Becher. Wer zahlt das? Jetzt trifft mich ihr Blick, sie sieht durch die Kamera in den ganzen Raum, sie friert, obwohl sie warm scheint, sie zerfließt in mir, weil sie in der Kamera war. Ihre Augen sind wie ein Meer. Es piepst wie wild. Der Akku ist leer, der Tag beginnt.