Die 13 Momente des Kinojahres 2013


Wie jedes Jahr möchte ich auch 2013 zum Ende des Jahres meine persönlichen Momente und Einrücke des Kinojahres zusammenfassen. Dabei geht es nicht um die Auflistung irgendwelcher „Besten Filme“, die dann in einigen Monaten sowieso wieder hinfällig werden würde, sondern um Bilder und Töne, die seit ich sie wahrgenommen habe nicht mehr aus meinem Kopf verschwinden. Ich lege dabei weder Wert auf hierarchische Reihenfolgen noch auf das Datum des internationalen oder deutschen Kinostarts. Es geht lediglich darum, dass ich diesen Film 2013 im Kino gesehen habe. Allerdings sind alle ausgewählten Momente aus Filmen, die für mich zu den Höhepunkten des Jahres gehören.
Norte, the End of History von Lav Diaz-Hunde, Morgenlicht
In einer langsamen, seitlichen Fahrt in der Morgendämmerung offenbart sich die Farbe im Kino von Lav Diaz am eindrücklichsten. Bis in die tiefsten Tiefen des Bildes erstreckt sich ein purpurner Morgen mit Vögeln und Hunden von unglaublicher Schönheit. Ein Fenster öffnet sich, heraus sieht die Frau, die vom Leben gestraft wurde. Ihr Mann ist ungerechterweise im Gefängnis, sie muss sich einem Leben ohne Hoffnung stellen. Ein Motorrad kommt ins Bild gefahren, die Hunde schauen nebenbei. Hier trifft sich die Essenz dieses Films, eine Mischung aus Banalität, Schönheit, Epik und Sehnsucht. Die Kamera ist mitten im Geschehen und doch schwebt sie darüber hinweg.
Poziția Copilului von Călin Peter Netzer-Mutter, Gesicht
Der Moment in Netzers Berlinale-Gewinner spielt sich im Gesicht der Mutter ab. Der Film stellt auch die Frage wie lange man Härte betrachten muss, damit sie weich wird.  Luminița Gheorghiu legt als Cornelia eine solche rationale Präsenz in die ersten Minuten als sie erfährt, dass ihr Sohn einen Unfall verursacht hat, dass man ihre Blicke und Gesten und Worte nie wieder los wird. Dieser Moment streckt sich eigentlich über den ganzen Film, aber besonders wenn sie das Theater verlässt und die Kamera sie begleitet, greift sie über den Realismus des Films hinaus, scheint sich im Kreis durch das Kino zu bewegen. Verzweiflung hat selten so mächtig und einschüchternd gewirkt.
La Vie d’Adèle : Chapitres 1 et 2 von Abdellatif Kechiche-Mund, Körper
Wir bleiben bei einem Gesicht, genauer bei einem Mund. Der geöffnete Mund von Adèle Echarchopoulos in fast jeder Nahaufnahme. Sinnlichkeit und Körperlichkeit werden in ihrem charakteristischen Mund eingefangen. Beim Essen, beim Küssen, beim Atmen. Alles geschieht über ihren Mund, der die Verbindung zur Welt ist und gleichzeitig tief in sie hinein führt. In ihrem Selbstfindungstrip ist sie von Anfang an ein Magnet für die Kamera, alles versucht sie zu umschlingen, alles folgt ihr, während sie sich noch gar nicht gefunden hat.
The Loneliest Planet von Julia Loktev-Sekunden, Fehler
In einem Film, der sich darauf fokussiert, wie sich in einem kurzen Moment sehr vieles verändern kann, ist es nicht schwer, jenen Moment zu finden. Als Nica und Alex in der georgischen Wildnis plötzlich von einem Mann mit einer Waffe bedroht werden, reagiert Alex mit einem Reflex, der sein komplettes weiteres und vorheriges Verhalten in Frage stellt. Gefühle, die sich aus Sekunden füllen und die Frage nach den wackeligen Stelzen auf denen die Liebe geht. Der Film füllt die Momente, in denen man nicht hinsieht.
La Jungla Interior von Juan Barrero-Busch, Sperma
Eine Befruchtung mit einem lebendem Busch oder Baum zu zeigen, in dessen Moos eine weiße Flüssigkeit gerieben wird, ist einer der Kunstgriffe des Jahres. Es ist der einzige Moment von Abstraktion in einem ansonsten völlig privaten Stück Kino. Dennoch gehen die Bilder fließend ineinander über, weil der intime Blick der Kamera voller Poesie ist und die Metaphorik der Szene sich mit der Offenlegung persönlicher Erlebnisse verbindet. Der menschliche Körper und seine Fruchtbarkeit, seine Anziehung und Abstoßung, seine Natur. 
Like Someone in Love von Abbas Kiarostami-Glas, Schwarz
Die Ruhe des Films ist trügerisch. Man weiß, dass Abbas Kiarostami in seinen letzten Bildern gerne völlig neue Richtungen einschlägt, aber hier ist es eher die brennende Ruhe, die einen in einen Zustand der Erwartung versetzt. Man weiß nur nicht, was man erwartet bis man es sieht. Und wenn man es gesehen hat, dann hört der Film auf. Der Moment in diesem Film ist daher das Schwarzwerden des Bildes, nachdem ein Gegenstand durch die Fensterscheibe geflogen kommt und der sympathische alte Herr zu Boden geht. Wie ein brutales Aufwachen aus einem mulmigen Traum.
Història de la Meva Mort von Albert Serra-Glas, Lachen
Wenn Casanova mit einer Frau schläft, dann lacht er. In einem wunderschönen Bild fängt Serra diesen Moment. Einem Gemälde gleich hinter einem Fenster schleicht sich eine gemütliche und doch bedrohliche Schönheit durch den Kinosaal. Am linken Rand eine weitere Frau. Fast ein Stillleben. Das angestrengt stöhnende Lachen von Casanova ist zu hören. Die Natur ist zu hören. Es ist ruhig und gleichmäßig. Und plötzlich springt das Fenster und zerklirrt in tausend Scherben. Ein ohrenbetäubender Schock als Orgasmus, als Schmerz, als Weckruf.
Prisoners von Denis Villeneuve-Schlangen, Loki
Es gibt Thriller, bei denen vergisst man recht schnell, dass sie Thriller sind. So ist das auch bei Denis Villeneuve und seinen vor Spannung geladenen Suchspielen, Dramen und Charakterstudien. Detektive Loki ist dabei gleichzeitig gar nicht aus der Ruhe zu bringen und in ständiger Unruhe. Man verliert sich in den Charakteren und umso plötzlicher, ja gewaltvoller erscheint es dann, wenn aus dem Nichts Schlangen in dieser kalten nordamerikanischen Atmosphäre auftauchen. Ein Schock für Loki und den Zuseher, der sich in Sekunden in bloße Lust am Sehen verwandelt.
La Grande Bellezza von Paolo Sorrentino-Party, Zeitlupe
Berauschender kann man kaum in eine Welt geworfen werden wie in den ersten Bildern des Lebens von Jep. Dröhnende Beats und eine alles umschlingende Schönheit mit virtuosen und völlig losgelösten Kamerafahrten und kurzen Eindrücken völlig ausgelaugter Gesichter legen die gesamte Faszination und Müdigkeit der eigenen Dekadenz in nur wenigen Bildern nahe. Am Ende zeigt er sich selbst und die Bilder verlangsamen sich. Aber nur kurz.Dann schwebt Sorrentinos Blick wieder durch Rom.
Stray Dogs von Tsai Ming-liang-Zwei, Tränen
In einem Schuss, der aus slow cinema ganz schnell still cinema macht, stehen ein Mann und eine Frau nebeneinander. Sie berühren sich nicht. Sie betrachten ein Bild Off-Screen. Es gibt Tränen, es gibt die Zeit, es gibt zwei Gesichter und den Raum zwischen ihnen, der sich verkleinern wird. Das Unsichtbare zeigt sich nach und nach in dieser Einstellung, es brennt sich durch das Bild, um zu einem wahren Gefühl zu stoßen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Trauer, Liebe, Anziehung, Abstoßung, alles trifft sich in diesem Moment der Stille.
L’inconnu du Lac von Alain Guiraudie  -Wasser, Mord
Aus dem Wald beobachtet Franck eine schreckliche Tat. Er ist weit weg, aber er kann alles sehen. Das Wasser bleibt völlig ruhig, es ist fast friedlich. Nichts wird schneller oder langsamer, es ist einfach nur ein voyeuristischer Moment, der Gewalt und Faszination, Gefahr und Leidenschaft auf einmal denkt und damit vieles, was im weiteren Verlauf passieren wird schon trifft. Die räumliche Konstruktion des Sehens und Gesehen-Werdens könnte präziser und effektiver nicht sein.
Pine Ridge-Schießen, Hendrix
Viele Bilder aus dem Indianerreservat gehen einem nicht aus dem Kopf. Die scheinbar sinnlose Freude des Schießens auf Gegenstände, die Geräusche der Waffen, die freudigen Gesichter der Jugendlichen verlieren sich allerdings für einen Moment, indem Jimi Hendrix beginnt zu singen „There must be some kind of way out of here“ . Und es wird einem bewusst, welches Gefängnis man gerade betrachtet.
Medeas von Andrea Pallaoro-Hund, Staub
Eine Staubwolke bleibt zurück und in ihr verschwindet, der in die Wüste ausgesetzte Hund. Ein Moment irrationaler Brutalität, ein Moment von Einsamkeit. Nachdem der Hund seinen Sohn gebissen hatte, packt der Vater ihn und setzt ihn in der Wüste aus. Wer seiner Familie etwas Böses tut, wird bestraft. Der eigentliche Moment ist die Rückkehr des Hundes, als alles zu spät ist. Er rettet sich wild hechelnd ins Haus und fällt zu Boden. Er ist voller Würde.

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