Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Diagonale 2014: Innovatives Kino


Text: Rainer Kienböck 
Bilder: diagonale.at
Die Diagonale benennt ihre Experimentalkurzfilmprogramme „Innovatives Kino“. Diese Bezeichnung kann man mögen oder ablehnen. Fakt ist, ich habe mir alle vier Programme angesehen und lasse nun Revue passieren, welche der Filme dieses Label meiner Meinung nach verdient haben und dabei viel lieber Fragen stellen als Antworten geben:
(die Filme sind in der Reihenfolge geordnet in der ich sie gesehen habe, das ist keine Rangliste)
„STILL DISSOLUTION“ (Siegfried A. Fruhauf)
Analoge Urlaubsfotos werden mittels Bunsenbrenner langsam verformt und zerstört (?). Dieser Film ist so vielschichtig, es lohnt sich intensiv darüber nachzudenken. Will Fruhauf das Verblassen der Erinnerung thematisieren, den Tod des Analogen? Will er durch die Deformierung des Bildes neue Bilder schaffen – Vandalismus als Kunstschaffen, Kunstschaffen als Vandalismus (wie in „Minimal Vandalism“ später). Eine Wiedergeburt des Analogen im digitalen Tod. Einer meiner Festival-Favoriten.
„Creme 21“ (Eve Heller)
Eve Heller brachte einen der imposantesten Filme mit auf die Diagonale. Einen Found-Footage Opus aus frenetischen Filmschnipseln – analog gearbeitet versteht sich, und dabei immer die richtige Tonspur zum richtigen Bild. Was bleibt sind nicht Einzelbilder (daran kann ich mich gar nicht mehr so genau erinnern), sondern ein stimmiger Gesamteindruck eines, teils futuristischen, teils kritischen, teils politischen Films.
„Picture Perfect Pyramid“ (Johann Lurf)
Auch ich habe Gefallen gefunden an Johann Lurfs konzeptueller Pyramidenstudie. Die Pyramide, der Schnee und der Rhythmus der präzisen, statischen Einstellungen, die immer Sinn ergeben, umso mehr man darüber erfährt.
„sexy“ (Kurdwin Ayub)
Kannst du nicht tanzen, dann winde dich auf deinem Bett und nenne es Kunst! Eine reflexive Neuinterpretation des Formats „Fan-Homagevideo“ – totally out of place aber genau richtig. Die Künstlerin im Publikumsgespräch danach war einer meiner persönlichen Höhepunkte des Festivals– mit Chuzpe und aufgesetzter Teilnahmslosigkeit spricht sie den Produktionsprozess an: „Wir haben 30 Minuten gefilmt, 30 Minuten geschnitten und dann der Diagonale geschickt.“
„Ma peau précieuse“ (Friedl vom Gröller)
Friedl vom Gröller (auch bekannt als Friedl Kubelka) hat augenscheinlich Angst vor dem Tod. Deshalb hat sie 2013 einen Beinahe-Zyklus aus Arbeiten gemacht, die alle irgendwie mit dem Thema zu tun haben (die Diagonale zeigte fünf davon). Als repräsentatives Beispiel habe ich „Ma peau précieuse“ gewählt, der am Beispiel einer Frau und ihrer Beautyprodukte den Anti-Aging-Wahnsinn durchleuchtet. Vielleicht kein so großes und konzeptuelles Werk wie andere in dieser Liste hier, aber ehrlich, authentisch und unterhaltsam.
„Goodbye“ (Karin Fisslthaler)
Karin Fisslthalers Musikvideos gehören mit zum spannendsten was die österreichische Experimentalfilmszene zu bieten hat. In „Goodbye“ widmet sie sich der Geste im Hollywoodfilm. Sie ist dem Wandel von Abschieds- und Begrüßungsgesten im Laufe der Zeit auf der Spur und durch stetes vor- und zurücklaufen der Bilder deckt sie Bedrohliches und Komisches in den Gesten auf.
„Wotruba“ (Thomas Draschan)
Auf den ersten Anhieb konnte mich dieser Film nicht vollends überzeugen. Dann betrat Kubelka-Schüler Draschan die Bühne und legte los wie ein Duracell-Hase: Er habe jetzt eine Zeit lang nur Found-Footage Filme gemacht, weil ihm die Entwicklung des Digitalen nicht zusagte. „Wotruba“ entstand nun aber auf eine Weise die nur digital möglich ist – mit einer billigen Digitalkamera aus tausenden Einzelbildern und viel Körperlichkeit in den Bildern. Dahinter steht auch eine tiefe Verehrung für Wotruba. Es ist eine liebkosende Erforschung eines Raums, der Wotrubakirche.
„Reign of Silence“ und „High Tide“ (Lukas Marxt)
„High Tide“ gewann den Jurypreis in der Kategorie „Innovativer Film“. Es handelt sich hierbei um eine Erforschung eines Fjords im norwegischen Eiland Spitzbergen. Lichtverhältnisse und Landschaft geben der Szenerie ein unwirkliches Aussehen. Der Film wirkt wie ein hyperreales Gemälde. Besser noch fand ich jedoch die zweite Arbeit von Marxt, die auf der Diagonale gezeigt wurde. Für „Reign of Silence“ kletterte er auf einen Kran, der vormals zu einem Bergwerk gehörte. Von dort eröffnet sich ein (Kamera-) Blick auf eine Bucht in der ein Schlauchboot seine wortwörtlichen Kreise zieht. Der caméra-stylo wird zum Schlauchboot-stylo, das Ergebnis ist ein genuin filmisches.
„O.T.“ (Markus Scherer)
Ein schneebedeckter Berghang. Warten. Warten. Warten. Ein einzelner Skifahrer fährt eine schnurgerade Spur hinab. Warten.
Ich habe auf eine Lawine gehofft und wurde durch diese Spur enttäuscht, geschockt, beeindruckt. Mit Präzision und Kalkül kreierte Scherer hier einen Freeridefilm im weitesten Sinne, der mit allen Konventionen dieses Formats bricht. Was bleibt, ist die Spur im Schnee und die Frage ob das jetzt Kunst oder Ignoranz ist.
„Minimal Vandalism“ (Kay Walkowiak)
Noch ein Film in der Grauzone von Sport und Kunst. Ein Skateboardfilm könnte man vermuten. Aber auch hier ist alles anders als es zunächst scheint – zuerst die Location – das Generali Kunstforum. Dann die allmähliche Abkehr vom Festhalten der (eindrucksvollen) Tricks durch die Kamera hin zu Studien der Beschädigungen die das Board an den Wänden, Böden und Rampen hinterlässt. Ich randaliere hier! Ich bin Künstler ich darf das!
„darkroom“ (Billy Roisz)

Roisz‘ verstörend brillanter stroboskopartiger Einblick in die heiligen Hallen des Österreichischen Filmmuseums. Kino – Epilepsie – Albtraum und noch viel mehr. Ein Raum bespielt von Licht und Musik. Audiovisuelle Ekstase aber niemand der sie auslebt – zugleich klinisch und schmutzig. Ein zutiefst intuitiv wirkender Film hinter dem allerdings enorm viel Planung steckt – wie so oft in der Kunst.
„der springende punkt.“ (Thomas Brandstätter)
An der Grenze von Animation und Experimentalfilm operiert Thomas Brandstätter mit seinem Film. Eine Mischung aus Stop-Motion, Collage, Live-Action und allen möglichen anderen Techniken, die ich vielleicht übersehen habe oder an die ich mich nicht mehr erinnern kann machen den „punkt“ zu einem Augenschmaus für Animationsliebhaber (wie mich). Einer der unterhaltsamsten Filme in den Avantgardefilme-Programmen der Diagonale – ein Film von gondry-esquen Qualitäten.
„IT’S A DANCE“ (Viktoria Schmid)
Letzten Winter habe ich einen Film von Bill Morrison gesehen. Der Amerikaner ist bekannt für seine Filme aus bereits stark zersetzten Archivmaterialien. So betont Morrison die Materialität des Films. Viktoria Schmids Film könnte man als digitalen Counterpart dazu bezeichnen. Sie nahm sich einer beschädigten Videodatei einer 90er Jahre Teenieserie an und ästhetisierte die Bildfehler zu einem imposanten Musikvideo, dass uns mehr über das neue, digitale Paradigma erahnen lässt, als uns zuvor klar war.
„MeTube: August sings Carmen ‚Habanera‘“ (Daniel Moshel)
Ein Film, der eigentlich zu lustig ist für ein ernstes Kunstfilmprogramm. Ein aberwitziges und furchtbar aufwändiges Musikvideo im Stile eines Fancovers. Die Teestunde bei Oma wandelt sich zu einem S&M-Fest sondergleichen – Electrobeats unterbrechen die Arie. Danach ist man für sein Leben gezeichnet oder hält sich den Bauch vor Lachen – mehr Möglichkeiten gibt es da nicht.
„The Construction of ANSTALT 3000“ (Helmut Munz)
David OReilly! Machen wir keinem etwas vor – „ANSTALT” ist ein OReilly-Klon – und das ist gut so. Wer Freude an der Arbeit des jungen Iren hat, wird auch Gefallen am Film von Helmut Munz finden. Er ist obszön, hat den distinkten Look eines eher sorglos gearbeiteten Videospiels und ist doch recht flashig, wenngleich nicht unbedingt farbenfroh. Ein großer Abschluss für eine Reihe großer Experimentalfilme.