Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Das filmische Rauschen digitaler Bilder

Bei allen dogmatischen Statements und Liebeserklärungen für Film als Medium oder Digital als Möglichkeit gibt es einige ganz praktische Fragen, die sich in diesem Jahrtausend für Filmschaffende auf der ganzen Welt stellen. Dabei geht es mit Sicherheit nicht nur um jene vieldiskutierte Frage, ob Digital oder Film, sondern auch wie man das Digitale so benutzen kann, dass man daraus eine eigene Ästhetik gewinnen kann. Nun ist der erste Impuls vieler Filmemacher und Grader, möglichst filmisch zu wirken, wenn sie mit digitalen Aufnahmegeräten gearbeitet haben. Der Grund dafür scheint neben einer Gewohnheit und ästhetischen Idealen relativ klar. Dem digitalen Bild fehlt Leben. Je klarer und höher die Auflösung desto weniger Leben und auch Vergänglichkeit liegt in den Bildern. Das Zufällige, das Materialistische, das Handwerkliche des filmischen Mediums wird zu einem ungreifbaren und auf eine tote Perfektion ausgerichteten Zahlenwirrwarr im Digitalen. Was das Leben in einem Bild ist, wurde von unterschiedlichen Theoretikern und Künstlern beschrieben. Besonders einleuchtend waren mir immer die Gedanken von Francis Bacon: I would like my pictures to look as if a human being had passed between them, like a snail, leaving a trail of the human presence and memory trace of past events, as the snail leaves its slime.

Trotzdem werden immer wieder digitale Bilder erzeugt, die zittern und ein Leben in sich tragen. Beispiele hierfür finden sich im Kino eines Albert Serra, einer Claire Denis, eines Steven Soderberghs oder eines Pedro Costas. Es gibt ganz unterschiedliche Herangehensweisen und die Lösung hängt immer auch an der gewählten Kamera und dem Umgang mit dieser Kamera, da in der Welt der Consumer-Geräte sich immer weiter entwickelnde, aber dennoch beschränkte Chips verschiedene Looks mehr oder weniger vorgeben. Nun gibt es in der Postproduktion viele Möglichkeiten sich dem filmischen oder besser pseudo-filmischen Look anzunähern. Add Grain ist hierfür eines der beliebtesten Stichwörter, aber auch das Betonen bestimmter Farben und das Einsetzen diverser Filter helfen schon extrem. Aber kann man das Digitale aus den Bildern entfernen? Wenn man sich Steven Soderberghs Che-Filme ansieht, dann glaubt man fast ja. Allerdings gab es hier einen Transfer des mit der Sony Red geschossenen Materials auf Film. Dabei stellt sich auch die Frage nach dem gewählten Verfahren und ob die Bilder anamorphotisch oder sphärisch gedreht worden sind. Den Unterschied kann man sich beispielsweise in den beiden Che-Filmen von Soderbergh sehr deutlich vor Augen führen, da hier mit derselben Kamera aber unterschiedlichen Objektiven gearbeitet wurde. Die Ergebnisse waren und sind beeindruckend in ihrer Unterschiedlichkeit.

Einige Firmen wie Neat Video haben es sich zur Aufgabe gemacht, dem Digitalen das digitale Rauschen zu rauben und für meinen Film Patrick ist tot (Von dessen Dreh ich berichtete) haben wir davon Gebrauch gemacht. Natürlich sind die Merkmale des Digitalen nicht alleine durch dieses künstliche Rauschen definiert, denn schließlich spielen Eigenschaften wie Dynamik, Kontrast und Farbe auch in unsere Wahrnehmung des Looks. Ein Grund für unsere nachträgliche Arbeit am digitalen Rauschen ist, dass wir auf einer Canon 5D gedreht haben, die mit ihrem weichen Vollformat-Chip eine Filmähnlichkeit erzeugt, die sich dann allerdings in ihrer Dynamik und auch im digitalen Rauschen verliert und zusammen mit der Weichheit des Chips diesen schrecklichen 5D-Look erzeugt, den man aus gefühlt tausenden Nachwuchsfilmen kennt. Dennoch haben wir uns bewusst für diese Kamera entschieden, da wir für unsere Art zu drehen eine möglichst kleine, einfache Kamera benötigten und zudem eine, an die wir zweimal rankommen konnten. Dennoch haben auch wir uns für Add Grain entschieden, um die Bilder nach der Rauschentfernung nicht zu clean wirken zu lassen.

Hier mal unser Vorgang (in Adobe Premiere After Effects) beschrieben von unserem Cutter Joshua Burkert:

Short Neat Video post process description in Adobe After Effects:

1. DENOISE

Import footage to After Effects.
Original 8bit 5D mkII footage (200% zoom):

Neat Video Process 1

Change color depth to 16 bit:

Neat Video Process

Apply Neat Video Effects

Analyze Noise Profile:

Neat Video Process3

Auto profile noise, then activate very low frequency in advanced noise settings

denoised footage (200%):

Neat Video Process5

2. DITHER DENOISED FOOTAGE

By adding a minimal amount of noise (0,4) it will remove banding (blocky gradients) from images and make them smooth.

Effect -> Noise & Grain -> Noise

Neat Video Process6

3. ADD GRAIN

By adding small Grain to the denoised image, it reduces softness of the image.

Effect -> Noise & Grain -> Add Grain

Neat Video Patrick ist tot

with Grain (200%):

Neat Video Process8

4. RENDER TO A 10Bit CODEC

Export settings:

– Apple ProRes 422 (HQ)
– Trillions of Colors

Neat Video Patrick ist tot

Final graded image:

Patrick ist tot

Macht es aber Sinn, das Digitale aus dem Digitalen zu entfernen?

Fast mustergültig hat Albert Serra in seinem Locarno Gewinner Història de la meva mort das Digitale mit einem System aus Zufall und Zerstörung belebt. So ist eines seiner wie immer offen kommunizierten Geheimnisse der Transfer des ursprünglichen Materials auf 35 Millimeter. Aber auch sein wilder Umgang mit Format, Licht und nachträglichen Bearbeitungen lassen seine Bilder filmisch wirken. Überdies ist seine Wahl der digitalen Technologie dennoch essentiell für sein Schaffen, denn ein fester Bestandteil seiner Arbeit ist das Drehen von Massen an Material, die man sich auf Film schlicht nicht leisten könnte. Die Spontanität und Flexibilität, die auch schon das Kino der 1960er Jahre mit den kleineren 16mm-Kameras maßgeblich beeinflusste, wirkt sich demzufolge auch auf das zeitgenössische Filmschaffen aus. Die Zeit der Amateure hat damit nach 60 Jahren eine weitere Renaissance erlebt. Der Unterschied zwischen dem Amateur und dem Professionellen ist aber unter anderem der reflektierte Umgang mit der Technologie. Hier stoße ich in Gesprächen mit Kameramännern oder befreundeten Filmemachern oft an Grenzen, denn es gibt meist zwei dominante Faktoren:

1. Der Stand der Technik
2. Das Budget

Erster Punkt bedeutet, dass es ein im industriellen Filmemachen benutztes System gibt, dass zu einem gewissen Zeitpunkt den Anforderungen an einen als gewöhnlich eingeschätzten Filmdreh gerecht wird. Das wären zum Beispiel solche Aspekte wie das derzeit sehr beliebte Drehen mit einer Arri Alexa für dunkle Szenen, ein bestimmtes dominantes Farbmodell, der Stand der Technik eben. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, solange es sich um einen Branchentalk handelt. (Menschen, die mit Champagner auf Messen stehen und sich erzählen bei welchen Werbedrehs sie was benutzt haben eben) Da aber häufig so Entscheidungen für Filme getroffen werden, muss man sich schon fragen, ob es im Film wirklich darum geht immer auf dem neuesten und besten Stand zu sein. Vor kurzem habe ich beispielsweise ein Konzert von Jack White besucht und seine ganze Band war mit eigentlich veralteten Instrumenten ausgerüstet. Dennoch handelt es sich dabei um einen zeitgenössischen, erfolgreichen Künstler. Und auch von Filmen hört man immer wieder ähnliches. Kameramänner, die sich für ältere Objektive entscheiden, die sich gewissen Methoden der Neuzeit entziehen. Es ist selbstverständlich, dass auch schon vor 60 Jahren Filme gemacht worden sind, die keinen Deut weniger avanciert sind technisch und die mindestens eine genauso große (im Durchschnitt sogar größere) Wirkung auf den Zuseher hatten sei es als Kunst oder Unterhaltung. Warum also dieses Rennen mit der Zeit? Warum lassen sich medienaffine Menschen so manipulieren von einem Markt, der letztlich nur verkaufen will und vielleicht noch viel entscheidender: Warum lassen sich unsere Augen von diesem Irrsinn täuschen? Ist es nur Gewöhnung, dass wir eine gewisse Auflösung, einen gewissen Look irgendwann als Standard wahrnehmen oder gibt es tatsächlich das Bedürfnis in uns mehr zu sehen? Und wann hört dieser Standard auf? Das ist es wohl, was man eine Übergangsphase nennt, denn jeder hat dazu eine Meinung, aber man hört sehr selten zweimal die gleiche Antwort. Claire Denis bietet eine sehr kluge Alternative, wenn sie sagt, dass man das Digitale so benutzen soll, dass es etwas Genuines hervorbringt. Eine digitale Ästhetik eben, Bilder, die man nur digital so machen kann und die mit dem Inhalt und der Form zusammenhängen. In ihrem Les salauds ist das durchaus gegeben und auch David Fincher setzt die Glattheit dieser Ästhetik wundervoll für seine Geschichten ein.

Bastards Claire Denis

Viel häufiger wird man jedoch gerade auf Studentenniveau die Kamera nehmen, die man eben haben kann. Im häufigsten Fall sind das die den Markt überflutenden Canon-Modelle. Nun hatten wir uns zum einen bewusst für die 5D entschieden und zum anderen ist das nun mal auch die Kamera, die wir uns leisten können und für die wir das nötige Know-How mitbringen. Wir haben versucht ihre Eigenschaften auf unsere Bedürfnisse anzugleichen beziehungsweise einen Film zu machen, den man so nur mit der 5D machen kann. Und da wir von Vergänglichkeit und vom Sterben erzählen, scheint uns ein zumindest nicht ganz cleaner, möglichst filmischer Look (immer im Respekt und in der Reflektion des Digitalen) durchaus berechtigt. Natürlich sieht das Ergebnis nicht aus wie Film (nicht mal im Ansatz), aber mit der Entfernung des digitalen Rauschens durch Neat Video, dem Add Grain und unserer Umarmung von Chaos und Zwischenmomenten und unserem Setting haben wir uns in unserem Rahmen darum bemüht, dass ein Leben in die Bilder kommt wie eine Schlange zwischen den Schnitten. Ein solcher Prozess zeigt zum einen wie weit man sich immer von den Idealen und Prinzipien seiner Vorbilder entfernt (und demnach auch wie weit ein theoretischer Ansatz und ein praktischer Ansatz auseinanderdriften können), aber gleichzeitig wie viel man von ihnen lernen kann, wie bedeutend die Frage nach dem Look in diesem Jahrtausend ist. Die Style over Content und Style is the Content Debatten kommen womöglich genau aus diesen technischen Revolutionen und so absurd es klingt, dass man ein Leben in die bereits gedrehten Bilder hauchen kann, so effektiv die Illusion und diese Illusion ist eine genuin Digitale.

Patrick ist tot – Trailer (2014) from Joshua Burkert on Vimeo.