Camera Lucida: La Frontière de l’aube von Philippe Garrel

Eine Figur in einen Kader stellen. In einen Kader, in dem nichts stabil ist. In diesem Spannungsfeld zwischen dem freien, suchenden Blick und seiner Stabilisierung arbeitet Philippe Garrels La Frontière de l’aube, einer der herausragenden Filme Garrels jüngeren Werks. Der junge Fotograf François (Louis Garrel) will die berühmte Schauspielerin Carole (Laura Smet) fotografieren, er will ein Bild von ihr, er will sie halten. Die Ankunft in des Fotografen an ihrer Wohnung wird von der Kamera von William Lubtchansky leicht zittrig empfangen. Das, was interessiert, ist nicht im Kader. Straßenpfosten stehen im Weg, sie versperren den Blick, es gibt einen Schwenk, so richtig lässt sich kein Bild finden, dabei ist dieses Bild doch so entscheidend für das Kino und die traurige Liebe bei Philippe Garrel, der aus der Zeit gefallen etwas in uns trifft, dessen Existenz wir gerne leugnen: Das Gefühl und die Notwendigkeit von vergänglichen Bildern, die wir machen, um in anderen, eine Zukunft zu sehen.

La Frontière de l’aube
Im Treppenhaus verharrt der Blick kurz auf dem Schatten des Fotografen an der weißen Wand. Bereits gestorben, seiner Fleischlichkeit entzogen bevor er wieder ins Bild rückt, als wäre der Kader seine Rettung und sein Ende. Immer wieder im Film wartet die Kamera auf ihn, der Kader existiert, aber wird er ihn finden, nur durchkreuzen oder wird er ihn selbst gestalten? Als François im Schwarz des Flurs verschwindet, erahnt man bereits, dass er sich dem Kader selbst dann entziehen wird, wenn er in ihm steht. Nein, was dieser Mann sucht, ist nicht ein Im-Bild-Sein, sondern ein Bild, in dem er sein kann. Frei nach Leonhard Cohen: Er kann nicht in einem Haus leben, in dem sein eigener Geist, den Kader heimsucht.

Denn das ist der Kader bei Garrel: Ein Heim. Folgerichtig sehen wir zum ersten Mal da Gesicht des jungen Mannes, als er durch die Rahmung einer Tür die Frau erkennt, die ihm dieses Heim in einer Kadrierung verspricht. Es ist der Moment des Verliebens, der nicht geschieht, der nie passiert, der da ist, weil er erblickt wird. Nichts am Gesicht von Louis Garrel verrät uns, dass er sich verliebt, aber die Tatsache, dass sein Gesicht zum Bild wird, lässt uns spüren, dass sich etwas verändert hat/verändern könnte. Es ist nicht unbedingt die Arbeitsweise der Nahaufnahme, die Garrel zu dieser motiviert. Es ist ihre Positionierung im Geschehen und ihre Verweigerung. Geduldig erwartet er den Moment, in dem sich darin etwas zeigen könnte. Die erste Nahaufnahme von Carole dagegen kippt, sie hält nicht, etwas stört die perfekte Ruhe des ersten Moments. Sie sagt dem perfekten Bild: Es gibt dich nicht. Sie windet sich mit einer Neigung, die Kamera verfolgt sie, verliert sie kurz. Etwas ist instabil, es ist nicht leicht, eine Figur in den Kader zu stellen. Die Instabilität der Figur verunmöglicht die Illusion einer Ewigkeit. Erst wenn sie ins Bild kommen würde, wäre sie wirklich verletzbar und sich ihrer Flüchtigkeit bewusst.

Aber wenn sie nie wirklich dort ist? Dann, so zumindest in La Frontière de l’aube, beginnt ihr nie gemachtes Bild sich zu verformen und jagt die vergängliche Liebe in einen Horror des nie gemachten Bildes. Denn der junge Fotograf bekommt das Bild dieser Frau nie und bemerkt erst ihre Bereitschaft für dieses Bild, als er bereits nach einem anderen gesucht hat. Als er sich Carole entzieht, nachdem er und sie von ihrem Ehemann überrascht werden, fällt sie in eine heftige Depression. Sie bringt sich um und voller Pillen sagt sie zu sich, dass sie ihn noch einmal sehen wolle. Sie will zu ihm und in seinen Armen zu einem Bild der Vergänglichkeit werden. Ein Bild, das sie nicht mehr erreichen kann genauso wenig wie Lubchtansky das Bild ihres Todes zeigen könnte. Denn ohne Kader ist sie nicht wirklich gestorben für die Kamera.

La Frontière de l’aube
François’ neue Beziehung zu Ève (Clémentine Poidatz) und deren Schwangerschaft macht ihn selbst zu einem Bild, ein Bild, das er von sich selbst nicht sehen wollte. Es ist ein wenig so, als würde er gerne ein Geist bleiben, ein durch die Räume wandelnder Schatten, der auf der Suche nach einem Bild bleibt, dass er selbst machen will. Darin kann man eine Flucht vor Verantwortung sehen oder aber vor dem Leben selbst. Garrels Film zittert hier entlang einer Flucht. Oft liest man über Garrel, dass es in seinen Filmen immer um Selbstmord geht. Das mag stimmen, aber der Selbstmord ist nur Ausdruck einer ungreifbaren Verzweiflung, einer Unüberwindbarkeit und der fehlenden Bilder. In La Frontière de l’aube wird der Selbstmord zu einer letzten Hoffnung auf ein Bild. Das Bild der sterbenden Liebenden, vereint und getrennt zugleich.

Was es braucht für einen Kader:

a: Einen Rahmen: Bei Garrel sind das Türen, Fenster, Gitter und ein heimgesuchter Spiegel. Das erste Bild, dass François und Carole in einem Kader fasst, blickt durch die geöffneten Jalousien des Balkons. Sie verweilt dort kaum, alles ist immer zu von einer Unruhe beseelt, die der gesuchten Harmonie entgegentritt. Als wollte man atmen, aber spüre seine Luft nicht mehr.

b: Die Zweisamkeit und Isolation derjenigen Person, die den Kader baut und derjenigen, die darin zum Bild werden soll. So wirft Carole ihre Gäste und Freunde aus der Wohnung, um das Foto, machen zu können. Es gibt keinen wirklichen Grund für dieses Bild, außer dass es den Beginn einer möglichen Zukunft markiert und deren Scheitern. Später als François und Carole auf dem Balkon stehen und versuchen ein Bild zu kreieren, erinnert wiederum die Kadrierung von Lubtchanskys Kamera an L’amour fou von Jacques Rivette, ein Film den Williams Ehefrau Nicole Lubtchansky geschnitten hatte (so viel zum Thema der Wiederkehr im Film). In L’amour fou geht es unter anderem um die ideale Welt einer Zweisamkeit und die drohende, aktive Zerstörung dieser. Der Kader braucht die Isolation. Flucht aus der Welt, mit ihr verbunden über einen winzigen Balkon, auf dem man sich noch immer verstecken kann vom Bild, um Liebe zu machen: Man wird zum Bild des Versteckens und der Einsamkeit.

La Frontière de l’aube
c: Die Zeit, die es braucht bis man in einem Kader steht. Sie hat zu tun mit einem Vertrauen zwischen Kamera und Figur, zwischen den Figuren und dem Einklang und der Harmonie, mit der diese einen Schritt machen hinein in die eigene Vergänglichkeit. Die Manifestation einer in Blitzen belichteten Flüchtigkeit, kaum da, aber nur dann sichtbar. Später im Film verharren die Liebenden und die kranke Carole in diesen Bildern, die sie zusammen nicht machen konnten. Selbst als die Frau in einer psychiatrischen Heilanstalt gefesselt wird, vermag sie nicht zum Bild zu werden. Ihr Antrieb ist immerzu die Flucht, sie dreht sich wie ein zerbrechlicher Wind in und aus den möglichen Bildern, nach denen sie sich sehnt.

d: Eine Trennung, die sich zwischen Betrachter und Bild offenbart, zwischen dem Moment des Bildes und dem Augenblick seiner Betrachtung, zwischen der Kamera und der Figur. Als Carole auf einer Party mit einem anderen Mann intensiv spricht, wird François so kadriert, dass ein Stück Wand zwischen ihn und seine Lebensgefährtin ragt. Später erscheint sie unscharf im Bildhintergrund. Das mag wie eine recht gewöhnliche Art der Inszenierung anmuten, aber Garell zeigt hier auch eine Trennung, die selbst zu ihrem eigenen Bild wird statt ein Bild zu provozieren. Zumindest nicht vor dem Tod.

e: Geister, die im Rahmen eine Illusion werden, die Illusion ihrer Ewigkeit, in der sie sich der Welt für die Sekunde einer Möglichkeit zuwenden: Verliebt, verängstigt, zufällig, präsent.

La Frontière de l’aube
An einer entscheidenden Stelle des Films greift der liegende François mit der Hand nach oben in die Kamera. Er greift nach dem Bild, das er nicht haben kann. Die nächste Einstellung zeigt ihm auf dem Friedhof. Keine Mumien, nur versteckte Verwesung unter der Erde.

Die Liebenden bei Garrel finden diese notwendigen Bilder einer möglichen Zukunft oft nicht oder verzögert. Der Kader wackelt und zittert, weil eines der genannten Elemente oder alle zusammen nur ein Kartenhaus ergeben. In La Frontière de l’aube erscheint Carole François im Spiegel. Sein Spiegelbild wird zu ihrem Bild. Der Kader, in dem er sich selbst erblicken könnte, trägt ihre Konturen. Hier wird der Kader bei Garrel nicht nur zu einem Heim, sondern einer Heimsuchung. Sie bittet ihn zu kommen. In den Kader, in das Bild. Ein Happy-End.

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