Bonbons, Caramels, Esquimaux, Chocolats: Happy End von Peter Tscherkassky

Die Idee für diesen Text entstand erstmals, als ich Peter Tscherkasskys Happy End auf docalliance (wieder) sah und neben dem beschwingten und lustigen Treiben im Film einen melancholischen, nostalgischen Unterton bemerkte. Dieser Unterton löste eine so starke Reaktion in mir aus, dass ich den Film in kürzester Zeit mehrere Male ansah und auch das grandiose Lied von Annie Cordy, das Tscherkassky zur musikalischen Untermalung des Films ausgewählt hatte, lief danach auf Dauerschleife. Ich wollte etwas über diesen Film schreiben und das Mysterium dieses mysteriösen Untertons erklären. Kurz darauf verabschiedete sich die Festplatte meines Laptops ins IT-Nirvana und ich hatte auf einmal furchtbar viel Zeit zu lesen statt Filme zu schauen. Nachdem ich mich also damit abgefunden hatte, das ich für einige Zeit von der virtuellen Welt abgeschottet sein würde, las ich also nach längerer Zeit wieder einen Roman. Aus dem Lesen wurde ein Verschlingen und dennoch blieb die Zeit, dass sich in meinem Kopf einige Gedanken formierten, die ich zunächst gar nicht mit Happy End oder Tscherkassky in Verbindung brachte. Ich stellte fest, dass Literatur und insbesonders Romane oft mit Endgültigkeit spielen. „Sie wusste nicht, dass sie sich nie mehr wiedersehen würden“, ist leicht dahingeschrieben. Ein Satz wie jeder andere, sollte man meinen. Ein Satz, der mich, der ich mit dem Absoluten nicht umzugehen weiß, zu ergreifen vermag, solange nur die emotionale Bindung zu den betroffenen Charakteren zuvor gut etabliert worden war. Diese Endgültigkeit, das Absolute ist literarisch vergleichsweise leicht auszudrücken, doch wie lässt sich dieses Motiv auf die Leinwand zaubern? Mittels Texttafeln oder eines Voice-overs würde man sich bloß literarischer Mittel bedienen. Anders Tscherkassky, der genau dieses Gefühl mit filmischen Mitteln in Happy End evoziert.

Happy End von Peter Tscherkassky

Er montiert alte 8mm-Filme, die ein anonymes Ehepaar fortgeschrittenen Alters, bei unterschiedlichen Feierlichkeiten zeigt. Die zwei trinken, essen Kuchen, tanzen und Tscherkassky unterstützt die feierliche Stimmung mit dem bereits oben erwähnten französischen Lied. All das hat auf den ersten Blick weder mit Endgültigkeit noch mit Nostalgie zu tun. Die beiden winken in die Kamera, prosten dem unbekannten Adressaten des Films zu und währenddessen vergehen Jahre, Feier folgt auf Feier und nichts und niemand scheint diese Zweisamkeit zu stören. Aber ist diese Zweisamkeit nicht Einsamkeit? An wen sind diese Filme und Grüße gerichtet? Sind es Verwandte, Freunde oder Kinder in weit entfernten Ländern, oder sind es bloß auf Zelluloid gebannte Erinnerungen für das Ehepaar selbst? Happy End ist die Verdichtung von mehreren Jahren Partystimmung auf knapp zehn Minuten, eine Zeit- und Raumkapsel in den Anschein erweckt, dass außerhalb dieser leeren Feierrituale nichts und niemand zu sein scheint. Verborgen unter dieser Fröhlichkeit, den heiteren Tönen und den Likörflaschen steckt Einsamkeit – sei es die Einsamkeit der Protagonisten oder die Einsamkeit des bearbeitenden Künstlers. Einsamkeit und eine Vergangenheit, die nicht die unsrige ist, eine Vergangenheit, die anderen gehört, die vermutlich schon lange verstorben sind. Eine falsche Nostalgie, die uns zu Überlegungen über unsere eigene Vergänglichkeit treibt. Trugbilder, die eine Endgültigkeit evozieren, wie jener literarische Modellsatz, den ich oben anführe. Eine Konfrontation mit Endgültigkeit, Nichtigkeit und Machtlosigkeit, die mir unangenehm ist. Dieses Material tritt in Konflikt mit meiner Feigheit und bringt mich dazu mich dem Absoluten zu stellen. Daran wachse ich, auf so eine Konfrontation hoffe ich jedes mal, wenn ich mich der Kunst aussetze.

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