Beim Vermessen muss es auch Verluste geben

Das Filmmaterial verglüht hier und dort, schwarze Laufschrammen durchziehen die Landschaft und ebenso die Leinwand. Furcht und Hass, die gibt es doch vor jeder Revolution. Wer hat diese Kamera getragen? Und wen hat diese Kamera getragen? Der Alkohol. Die Kamera. Die Musik ist nach einer Stunde auch nicht fern, während die Kellnerin einen misstrauischen Blick an den Bildrand wirft. „I simply want you to forgive me.“ Um Liebe ist es hier aber immer noch nicht gegangen. Dann werden die Gitarren auch schon ungeduldig beiseite gelegt.

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Das Fadenkreuz schließt unerbittlich aus. Die Möwe klingt fehl am Platz während der Landvermesser bei der Arbeit ist. Und die Schüsse peitschen das Gras. Dann endlich ein volles Bild, ein Flackern und Sonnendurchfluten. Der Reiter ist hinter ihnen her. Das Klavier tönt blechern, während die anderen sich noch absprechen und Staub aufwirbeln in und mit ihrem Verschwinden. „Where to go, Major?“ Beim Vermessen von Allem muss es auch Verluste geben. „I think they will hang somebody.“ But you are not a good business man if you are wasting so much rope for a hanging, are you?

Amerikai anzix / American Torso von Gábor Bódy zeigt uns das Schicksal einer Gruppe von im Exil lebenden ungarischen Revolutionären im Jahr 1848 und folgt ihnen in den amerikanischen Bürgerkrieg. Hauptfigur ist ein Landvermesser, ein Freiheitskämpfer, ein wahrer Kriegstechniker. Die Beobachtung der Landschaft verbindet sich hier mit der Beobachtung seitens der Filmkamera. Der Film sieht und registriert also den ablaufenden Krieg vom Standpunkt des Landvermessers. Wird der Standpunkt der Kamera zu dem des Publikums? Denn ein Publikum wird es auch in mehrfacher Ausgabe geben. Jenes im Hier und jetzt vor der Leinwand sitzend, und jenes während der Filmaufnahmen. Beide sind eine Ansicht des Technikers, methodisch und aus geringem Abstand aufgenommen. Das Material im Hier und Jetzt ist schon etwas lädiert, die einzelnen Frames gefrieren, zarte Risse bilden eingedrückte Rahmen, gestrichelt und nervös. So mutiert die noch fehlende Karte des Landvermessers zur zukünftigen Leinwand. Ein Kameraflusen hier oder ein einzelnes Haar dort wird sich da nicht vermeiden lassen. Und in unregelmäßigen Abständen bekommen wir also Überbelichtungen und wildes Flackern vorgestellt; ovale Masken mit weichen Kanten waren recht populär im 19. Jahrhundert und wurden ebenso begeistert in der Fotografie verwendet. Ist dies nun ein Historienfilm? Zu sehen gibt es hier nicht viel, denn wir sind eingesperrt und auch gefangen im Blick des Vermessers: Ein Blick auf das Schlachtfeld wandelt sich zu einer geduldigen Kamerafahrt über ein Lazarett. Und zu der großen Frage der Zeit, der Freundschaft und des Krieges.

„Wenn diese Vermittelung, die man wohl kaum im Ernst unternommen hat, fehlschlägt, dann werden die Schlachten zwischen napoleonischer Tyrannei und Habsburger Despotismus am Mincio, aber die Schlachten der Freiheit an der Oder und Weichsel geschlagen werden. Schon sind ungeheure Truppenmassen in Kalisch, zwei Meilen von der preußischen Grenze, konzentriert. Ein preußisches Armeekorps ist für den Durchmarsch zum Rhein in Hannover angekündigt, ein anderes bewegt sich nach Süden, und die Kommandeurs der verschiedenen Bundeskorps sind zu einer Militärkonferenz nach Berlin beschieden worden. Alle diese Maßregeln beziehen sich nur auf die Mobilisierung der Avantgarde. Die Armee, welche den Kampf gegen Frankreich und Russland ausfechten muß, existiert noch nicht und kann nur aus dem Volke rekrutiert werden, nicht aus dem Volke, das die teutschen Gedichte des teutschen Ludwig deklamiert, sondern aus dem Volke, das sich mit der ganzen, vernichtenden Energie revolutionärer Begeisterung erhebt. Gelingt es nicht, diese Begeisterung zu wecken, dann beruhen die hohenzollernsche Mobilisierung, bewaffnete Vermittelung, Kriegserklärung, Kriegsführung usw. auf der kindlichen Berechnung des Negers der Goldküste, der seinem Gegner einen tödlichen Schlag zu versetzen glaubt, wenn er dahin gelangt, sich selbst an den Torpfosten seines Feindes aufzuhängen.“ Karl Marx in „Das Volk“ Nr. 8 vom 25. Juni 1859 / Spree und Mincio

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Bis wann trage ich Schmerz in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen Tag um Tag? Bis wann erhebt sich mein Feind über mich? Davidpsalme, Psalm 13, „Klagelieder eines Einzelnen“

Des nachts quaken ein paar Frösche und die Grillen scheinen für diese Landschaft zu laut. Und der Verwundete schaut in den Nachthimmel während er den Mond betrachtet und die Verletzlichkeit anderer Menschen beschreibt. Auf den Mond zu deuten, nein, das wagt er hier nicht. Die Vergewaltigung der Frau kurz davor erscheint beiläufig,doch der Mond ist dann immer noch da. Und der Spaziergang durch den Wald wird nichts erläutern oder auch nur ansatzweise erklären. So ist das nun mal, im Krieg und während des Vermessens. Wir machen uns auf den Weg in neues Land. Gut, dass jemand die Kamera dabei hatte. Eine überdimensionierte Schaukel, montiert im Wald. Harper und Kowalski haben sie dort montiert, das Publikum ist erfreut am Hin und Her. Der Himmel schwankt, und die Erde schrammt an ihm vorbei, an seinen Stiefeln. Das Gebrüll der Pferde durchdringt seine Ohren. Ein Auf und Ab. Das schwere Holz unter seinen Füssen, übel kann einem da werden. Die berückende Geschwindigkeit kann einen auch umbringen. Verrät denn diese Schaukel, wer du bist? Im Krieg? Das Filmmaterial ist hier für kurze Zeit zerfressen. Doch der Weg wurde noch nicht beendet.