De Sica-Retro: Gesichter oder Geschichten

Nach der Sichtung und meinem Text zu Miracolo a Milano gab es bei uns in der Redaktion eine intensive Debatte, um die Frage nach den „echten Menschen“ bei De Sica. Es scheint als würden die humanistischen Geschichten und die dafür gefilmten Gesichter nicht unbedingt zueinander passen. Oder doch? Wählt De Sica Figuren aus, die individuell sind oder die einem bestimmten Klischee entsprechen? Im Folgenden möchte ich die an unserer Facebook-Pinnwand geführte Diskussion zwischen Andrey Arnold und mir unkommentiert und an unwichtigen Stellen etwas abgeschliffen abtippen und mit entsprechenden Bildern aus dem Film kombinieren. So kann für beide Meinungen nochmal eine neue Sicht auf das Thema gewonnen werden.

Andrey : Das mit den wahren Gesichtern ist auch so eine Sache: wenn De Sica einen alten, verhutzelten Mann castet, den man sofort als „alten, verhutzelten Mann“ erkennt, und diesen dann auch nichts anderes darstellen lässt als einen alten, verhutzelten Mann, dann weint man, wenn man weint, zwar mit allen alten, verhutzelten Männern dieser Welt, aber sicher nicht mehr mit DIESEM alten, verhutzelten Mann, den es eigentlich gar nicht gibt. Irgendwo steckt da die ganze Crux des Humanismus drin.

Das Wunder von Mailand

Patrick: Ich glaube, dass zum Thema alter Mann hier eine Unterscheidung getroffen werden muss. Ich finde, dass das was Andrey sagt, durchaus auf die Narration von Zavattini zutrifft, also jenes Nicht-Individuelle, das Metaphorische…aber die Gesichter für sich stehend sind individuell, sie erzählen Geschichten und sind nicht einfach nur Ideen, wie sonst so vieles in dem Film. Natürlich ist es schwer die Gesichter von ihren Geschichten zu trennen, aber wenn ich mich alleine auf das Casting beziehe, dann finde ich das durchaus bemerkenswert. Das sind (egal ob Schauspieler oder nicht) echte Menschen.

Das Wunder von Mailand

Andrey: Bemerkenswert (im Wortsinne) ist das Casting auf jeden Fall, aber ich muss dennoch ganz böse nachhaken: Was wären denn „falsche“ Menschen im Film?

Das Wunder von Mailand

Patrick: Das typische Schauspielgesicht für den alten Mann…Menschen, die mit gepflegten Gesichtern auf ungepflegt geschminkt werden, um so etwas wie Armut zu repräsentieren, Menschen, die zu genährt aussehen, Menschen, die irgendwelchen klassischen Schönheitsidealen entsprechen, Menschen, die nichts Markantes an sich haben, denen alles fehlt, an dem man sich stoßen kann, die rund und klar sind (wie der Film das ja oft ist)…ansonsten sind Gesichter zu wertvoll und zu sehr das Kino, um hier zu erklären, weshalb sie einem in der Wahrnehmung als wahr erscheinen.

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Andrey: Ich verstehe, aber das grausame Problem ist, dass jenes Gesicht, das „echt“ arm aussieht, dies eben auch nur tut, weil sich seine Züge mit denen eines medialisierten Idealbilds von Armut decken (wofür es natürlich nichts kann). Und die wirklich „wahren“ Gesichter des Kinos wären für mich jene, die weder in die eine noch in die andere Kategorie passen. Den alten, verhutzelten Mann unter Anführungszeichen sollte man indes besser zur Hauptfigur eines Films machen, oder von mir aus so inszenieren, wie es Albert Serra mit seinen Laien macht.

De Sica

Patrick: Aber Albert Serra nimmt ja nicht Personen, die das spielen, was sie sind (ist auch schwer bei den Heiligen 3 Königen, Casanova, Dracula und Don Quixote…)…stattdessen verweigert er einfach das Schauspiel mit interessanten Körpern und Gesichtern (eine grobe Vereinfachung) De Sica hat in seiner neorealistischen Phase oft Laien genommen aus dem jeweiligen Milieu…Ich gebe dir nicht recht, da ich glaube, dass De Sica insbesondere dadurch gewinnt, dass bei ihm bis in die kleinste Nebenrolle das Milieu stimmt, der Gestus, alles. Was daran falsch oder unwahr sein könnte, verstehe ich nicht. Nur weil die Darstellung einem Klischee entspricht, muss man sie nicht brechen…und ich glaube nicht mal, dass die Gesichter überhaupt einem Klischee entsprechen können…nur die Geschichten können es und sie sind ein Klischee, das 1951 sicher noch keines war. Die Inszenierung eines Gesichts scheint mir überdies etwas anderes zu sein als seine Auswahl.

De Sica Retrospektive

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Andrey: Bei Serra lobe ich genau das: Dass die Menschen nicht das spielen, was sie sind. Und was die Unwahrheit einer Milieuzeichnung angeht: In jedem Milieu finden sich allerlei verschiedene Gesichter, würde ich meinen, und wenn man da gezielt die „typischen“ – die Mehrheit – herausfiltert, um sein Porträt mit dem Klischee zur Deckung zu bringen, mag das gut gemeint sein im Sinne von Authentizität, und womöglich kann man sogar etwas darauf aufbauen, aber letztlich spielt man dabei immer dem Klischee in die Hände, man nobilitiert es sogar, indem man es im Namen eines rechtschaffenen Realismus zur Wahrheit erklärt. Es ist gerade die „Stimmigkeit“, die man anprangern kann. Aber vielleicht hast du recht, wenn du sagst, dass es am Ende nur um die Geschichten geht, in die die Gesichter eingebettet sind, vielleicht ist das der Knackpunkt.

Das Wunder von Mailand

 

Patrick: Aber so stimmig ist es ja nicht, wenn weniger Gedanken und mehr Realismus in die Auswahl eines Darstellers gehen? Ist es nicht etwas Wertvolles, wenn ein Filmemacher sich entscheidet die Realität, das Dokument, in seine Illusionen zu lassen? Und selbst wenn es das nicht ist, ist das dann etwas Falsches oder Uninteressantes? Serra ist ja kein Vergleich, weil der keinen zeitgenössischen, demokratischen Drang in seinen Film hat…dieses: Wir geben den „normalen“ Menschen eine Stimme im Kino, das hat doch etwas schönes…und Serra besetzt ja nach Aussehen, also doch nach genau denselben Prinzipien…ah, dieser Mann sieht aus wie Casanova, Peranson sieht aus wie Joseph usw. Dann bricht er sie in der Darstellung, er will das Andere, das Ungewöhnliche, das Unschuldige, das Unreflektierte, Unbemerkte…aber das hat nichts mehr mit seinem Casting zu tun. Ich glaube es ist eher dein zweites Problem, also jenes der Narration und das Absurde an unserer Diskussion ist dann, dass ich derselben Meinung bin und das hier und im Text so formuliert habe. Ich verstehe dieses „Typische“ anhand der Inszenierung und Narration, nicht aber anhand der Gesichter, denn ich wüsste nicht, was dort typisch ist oder war, ich weiß überhaupt gar nicht, was ein typischer Mensch ist. Ich kann nur in ein Gesicht sehen und diesem Gesicht glauben oder nicht. Mehr kann ich nicht. Im Fall von Miracolo a Milano glaube ich den Gesichtern mehr als ihren Geschichten, ich lese sie- wenn du magst- gegen den Strom. Ja, es gibt idealisierte Bilder, von den Medien vorgekaute, aber das kann ich einem Film nur schwer vorwerfen.

De Sica Miracolo

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Andrey: Aber wenn du nicht weißt, was ein „typischer“ Mensch ist, warum glaubst du dann einem Gesicht und einem anderen nicht? Woran erkennst du den Realismus? Das ist wie Stephen Colbert, wenn er ironisch behauptet: „I don’t see race. People tell me I’m white and I believe them.“ Es gibt doch immer soziale und politische Determinanten, die unsere Wahrnehmung mitbestimmen, und gerade wenn es um die Herstellung von Normalität geht, werden diese besonders wirksam. Wie sieht das Gesicht aus, dem du – ganz unabhängig von Geschichte, Inszenierung, Herrichtung – nicht glaubst? Ist es ein falsches Lächeln, was du meinst?

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De Sica

Patrick: Ich kann eine typische Darstellung erkennen, nicht aber das typische Gesicht. Ich kann filmische Methoden zur Herstellung von Realismus erkennen, nicht aber die Realität. Ich kann erkennen, wenn jemand Bruchstellen in seiner Fiktion zulässt, um die Realität hereinzulassen ohne, dass ich mich anmaßen würde zu wissen, was die Realität ist. Ich behaupte, dass De Sica für diesen Film Darsteller gefunden hat, die in ihren Körpern/Gesichtern von individuellen Geschichten erzählen, die vom Film so nicht benutzt werden, die aber durch das Casting schon in den Film Einlass gefunden haben und die ich dadurch wahrnehmen kann. Ich nehme Gesichter oft stärker wahr, als Geschichten im Kino, daher ist mir dieser Punkt wichtig. Zu den falschen Gesichtern habe ich schon einiges gesagt weiter oben. Bresson hat dazu mehr und besseres gesagt, Serra auch. Ich gebe dir aber insofern Recht, dass bei De Sica manche Nebenrolle etwas zu forciert gecastet wurde. Trotzdem ist ein solches Casting in einem Märchen interessant.

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De Sica-Retro: Wunder

Vittorio De Sica stellt ans Ende seiner Filme gerne ein Wunder. Damit löst er nicht immer im Sinn eines Deus Ex Machina alle Konflikte, aber er bringt Elemente in den Film, die von Werten jenseits dieser Konflikte handeln. Unabhängig davon, ob man diesen religiösen Tendenzen seines Oeuvres folgen mag, wirken diese Wunder niemals aufgesetzt, da die Filme durchgehend von der Hoffnung auf diese Wunder ausgehen. Sie äußern sich manchmal in kleinen Gesten, oft in großen Inszenierungen und werden vor allem von den Augenblicken nach dem eigentlichen Geschehen interessant. Zudem hängt auch der Zweifel am Wunder mit in den Bildern.

La porta del cielo

Das Tor zum Himmel De Sica

Im Nebel ausdrucksloser Mienen geschieht ein Wunder, das man Glauben kann oder dessen Inszenierung man durschauen kann. Es passiert nicht direkt im Herz der Protagonisten, aber so, dass sie es sehen können, dass man weiter glauben kann oder weiter zweifeln kann. In einer katholischen funkelnden Symmetrie wird das Wunder so ans Ende von La porta del cielo gesetzt, dass wir all das Leid vergessen könnten. Oh ja, dieses Wunder, dieses Wunder. In La porta del cielo folgt De Sica einem Zug zum Wunder, einer organisierten Pilgerfahrt von Kranken und Armen nach Loreto. Verschiedene Teilnehmer dieser Reise werden genauer vorgestellt und mit Flashbacks erfahren wir von ihren Geschichten. Besonders bemerkenswert dabei ist, dass zwei der Rückblenden sich mit offensichtlich nicht besonders gläubigen Männern beschäftigen. Einer von ihnen ist ein Pianist, dessen Hand den Dienst verweigert, ein anderer ist ein Arbeiter, der sich in Liebeleien mit einer jungen Frau verstrickt, bevor er diese zusammen mit der ganzen Belegschaft in einem Aufzug mit seinem Freund erwischt. Daraufhin verbrennt er sich die Augen im Hitzedunst und erblindet. Bislang habe ich keinen besseren Film von De Sica gesehen. Er berührt seine Leidenden hier mit gefühlvoll überlegten Bildern und einem ruhigen Verständnis für den Mythos und die Notwendigkeit des Glaubens für seine Figuren. Licht und Schatten erzeugen kantige Gesichter, die nach einer Heilung lechzen, aber wissen, dass sie diese nicht verlangen können. In einer wiederkehrenden Einstellung verbindet ein Schienenarbeiter zwei Wagons. Er steht dabei auf den Gleisen und wird zwischen den beiden Wägen eingezwängt, man glaubt immer, dass er gleich erdrückt wird, aber die Wägen docken so aneinander, dass er genau zwischen ihnen genug Platz vorfindet. Dies ist keine metaphorische sondern eine dokumentarische Szene, aber sie gibt wunderbar das Gefühl des Gefangenseins und der Verbindung wieder, die im Film eine dominante Rolle spielt. Es ist ein bitterer Film, am Ende des Krieges mythenumrankt gedreht. Angeblich verhinderte der Film den Abtransport vieler Filmschaffender in das neue faschistische Filmzentrum Italiens in Venedig. Das Wunder am Ende besticht durch seinen schieren Bliss, seine Länge und dadurch, dass es eben keinem der vorgestellten Protagonisten widerfährt. In Totalen von der singend marschierenden Gemeinde evoziert De Sica jenen Rausch der Gemeinsamkeit, der auch einen seiner anderen christlichen Wunderfilme Miracolo a Milano befeuchtet. Jedoch schneidet De Sica oft genug und zeigt das Geschehen aus unterschiedlichsten Perspektiven, sodass sich in Verbindung mit den nicht befreiten sondern nach wie vor fügsamen Gesichtern, ein Zweifel zwischen den Zeilen offenbart, der unser Augenmerk mehr auf die katholische Inszenierung legt, als das Wunder selbst. Vielleicht ist dies aber auch nur ein moderner, kirchenkritischer Blick auf die Bilder von meiner Seite. Die Konflikte im Film sind jene des Glaubens und auch die Inszenierung haucht Größenwahn und Bescheidenheit aus den Prinzipien der Religion. (Wie tot ist der spirituelle Filmemacher? )

Un garibaldino al convento

Un garibaldino al convento

Auch am Ende von Un garibaldino al convento steht ein Wunder. Allerdings ist dies ein völlig anderer Film. Eingebettet in eine Rahmenhandlung erzählt De Sica hier im beschwipst-schelmischen Ton vom Aufwachsen junger Damen und Rebellinnen in einem Kloster-Internat. Die Geschichte ist gegen den Hintergrund des Risorgimento gesetzt und eines Nachts rettet sich ein schwerverletzter, für Garibaldi kämpfender Soldat ins Kloster. Unsere zwei Hauptfiguren kennen ihn bereits, denn eine hat ein Auge auf ihn geworfen und eine andere ist bereits mit ihm verlobt. Zunächst verbleibt der Ton jener einer lieblichen Komödie, dann aber wechselt De Sica das Fach und hetzt mit (zugegeben aufgelockerten) Parallelmontagen in einen Kriegsfilm, indem Menschen erschossen werden. Am Ende verteidigen sich drei Eingesperrte in einer Hütte auf dem Kloster gegen die angreifenden Beamten, die mit Gewalt versuchen in die Hütte einzudringen. In einer bemerkenswerten Einstellung wechselt De Sica die Perspektive und wir folgen dem Gewehr eines Soldaten aus der ersten Person. Wir schießen auf die Protagonisten, die sich hinter einem aufgestellten Tisch verstecken. Als alle Hoffnung verloren scheint, kommt eine Statue der heiligen Jungfrau Maria ins Bild. Sie wird aus einer extremen Untersicht gefilmt während im Hintergrund die letzten Verzweiflungsschüsse in die Freiheit abgefeuert werden. Doch wie wir aufgrund der Parallelmontage bereits ahnen, kommt Rettung. Nino Bixio, italienischer Freiheitskämpfer verkörpert von einem betont lässigen, zwiebelschneidenden Vittorio De Sica eilt mit seiner Truppe vorbei und befreit die Eingeschlossenen. Die Vögel piepsen die italienische Nationalhymne, aber die Liebe wird für immer getrennt. Sie schreien: „Bis bald!“, aber werden sich nie wieder sehen. Es ist ein wilder Film, der mehrmals auf absurde Weise fast lächerlich wirkt, um im nächsten Moment auf noch absurdere Weise wieder zu funktionieren. Gerettet wird das Unterfangen wohl vom Geschick De Sicas in der Herstellung eines leichten Tons, der das Menschliche umarmt. Das ist per se kein Qualitätsmerkmal, aber in Verbindung mit den ernsten politischen und melodramatischen Untertönen durchaus interessant.

Umberto D.

Umberto D. De SicaAuch Umberto D. endet mit einem Wunder. Es geht vom kleinen Hund aus, der Umberto das Leben rettet als dieser sich vor einen Zug schmeißen will. (Immer wieder ist es der Zug, der das Leben der Figuren bei De Sica beenden oder neu-beginnen soll) Doch hier erarbeitet De Sica die volle Ambivalenz des Wunders, die in allen anderen Filmen nur eine Frage der Interpretation sein mag. Denn das Wunder führt wohin? Das Leben von Umberto hat und wird sich nicht verändern, er flaniert einsam mit seinem Hund davon. Er wird weder in den Himmel aufgenommen, noch darf er auf eine Befreiung Italiens hoffen, noch wird er von seinen Leiden befreit. Hier liegt das Wunder im Leben selbst und darin mag man keinen wirklichen Trost finden. Mit Umberto D. lassen sich auch die unbeeindruckten Gesichter in La porta del cielo oder der schmerzvolle Blick auf die Kette des verstorbenen Verlobten am Ende von Un garibaldino al convento verstehen. In gewisser Weise ist Umberto D. damit das Gegenstück zu Miracolo a Milano, denn in Letzterem ist kein Platz mehr auf der Erde und deshalb fliegen die Benachteiligten ins Himmelreich während der Benachteiligte in Umberto D. dazu verdammt ist, auf der Erde zu bleiben. Dennoch wird dieses Verbleiben auch wie ein Wunder, eine Rettung inszeniert. Damit ist Umberto D. wohl der katholischste Wunderfilm von De Sica. Er handelt von Genügsamkeit und von einer Liebe des Lebens. Aber – und das ist entscheidend – darin liegt keine Hoffnung sondern nur Existenz. Ein Wunder bei De Sica erzählt also immer mehr von Werten, die über das eigentliche Leben der Figuren hinausreichen. Es sind Wunder, die den emotionalen und existentiellen Sorgen der Figuren nicht wirklich helfen. Sie bleiben unglücklich verliebt oder im Rollstuhl, aber sie haben etwas verstanden, was größer und wichtiger scheint. Damit ist De Sica zur gleichen Zeit ein Idealist als auch völlig aus der Mode gekommen. Wertevermittlung, moralische und politische Botschaften in einer derartigen Direktheit ins Herz seiner Filme zu stellen, ist aus heutiger Sicht kaum mehr nachvollziehbar. Jedoch lohnt sich ein zweiter Blick, denn die Tatsache, dass De Sica diese Werte in Form von Wundern inszeniert, mag auch als gesellschaftskritische Verbitterung verstanden werden. Denn wenn wir die Wunder als solche entlarven, dann mögen wir auch verstehen, dass die Realität anders ist.

De Sica-Retro: I Bambini Ci Guardano

Das große Problem in Vittorio De Sicas I Bambini Ci Guardano ist jenes der Erzählperspektive. Und dieses Problem ist ein Doppeltes. Ganz oberflächlich betrachtet gliedert sich der Film in jene Geschichten ein, die ein Problem der Erwachsenenwelt aus Sicht von Kindern schildern. Dabei gibt es ganz grob zwei dominante Erzählmodelle in der Filmgeschichte. Der eine Strang ist jener, dem François Truffaut in seinem Les 400 Coups folgt und den man mit einem Coming-of-Age-Charakterporträt des Kindes vor dem Unverständnis einer Erwachsenenwelt beschreiben könnte. Der andere ist jener, der aus Sicht eines Kindes die Welt der Erwachsenen schildert wie etwa im Frühwerk von Hou Hsiao-Hsien oder in zahlreichen Disney- und Steven-Spielberg-Produktionen. Es gibt also die Möglichkeit auf das Kind in der Erwachsenwelt zu blicken oder auf die Erwachsenenwelt mit den Augen eines Kindes. In I Bambini Ci Guardano macht De Sica gewissermaßen beides und nichts davon. Der Film handelt von Pricò, einem kleinen Jungen, der erleben muss, wie seine Mutter ihn und seinen Vater verlässt und wie sein Vater ihn daraufhin in ein Internat schickt, um sich umzubringen. In emotionalen und melodramatischen Wachrüttlern wird der kleine Junge dabei mehrmals von seiner Mutter alleine gelassen, um dieser am Ende in einem dieser abgründigen neorealistischen Schlussbilder die kalte Schulter zu zeigen.

De Sica The Children are watching us

Nun wird der Junge bei De Sica, wie auch seine Quasi-Verwandten in Ladri di biciclette und Sciuscià nicht wirklich als eine individuelle Person gezeigt im Film. Vielmehr steht das runde, makellose Gesicht für das Klischee eines Kindes, für eine normierte Vorstellung aller Reaktionen, Blicke und Emotionen eines Jungen im Angesicht seiner zerbrechenden Familie. Natürlich kann es auf dieser Erde nicht mehrere Jungdarsteller mit dem Namen Jean-Pierre Léaud geben, aber aus den Kindern bei De Sica lässt sich nur schwer etwas anderes als eine intellektuelle Idee filtern. Bei De Sica ist das Kind ein Heiliger. Das wäre an sich kein Problem, wenn der Film dann konsequent die Perspektive dieses Kindes einnehmen würde. Aber auch damit geht De Sica äußerst locker um und so gibt es zum einen mehrere Szenen, in denen die Erwachsenen ohne den Jungen zu sehen sind und zum anderen hat man nie das Gefühl einer Unverständlichkeit oder einer verzerrten Wahrnehmung wie dies beispielsweise in Hous A Summer at Grandpa’s oder gar Spielbergs Empire of the Sun geschieht. Die Folge dieser fehlenden Konsequenz ist Belanglosigkeit. Denn so erzählt sich eine Geschichte, deren Moralkeule und melodramatische Intentionen man in jeder Sekunde spürt. Das ist insbesondere deshalb schade, da der Ehekonflikt durchaus einige schockierende und tiefgehende Augenblicke bereithält. Sowohl die Mutter als auch der Vater sind äußerst komplexe Figuren, deren Motivationen zwischen Leidenschaft und Trott durchaus bemerkenswert sind und nicht so viel mit der faschistischen Sentimentalität zu tun haben wie behauptet wird.

I Bambini Ci Guardano stellt in vielerlei Hinsicht auch den Beginn der großen Kollaboration von Cesare Zavattini und Vittorio de Sica dar. Viele der Themen, die beide in ihrem gemeinsamen Schaffen angehen sollten, sind hier schon da: Die Machtlosigkeit eines Weglaufens, die Opfer von Ungerechtigkeiten am Rand der Geschichte und das überspitzte Porträtieren einer gehobenen Klasse, das sich vor allem in einigen herausragenden Szenen am Badestrand zeigt. Musikalisch begleitet wird der Film wie oft bei de Sica von einem kaum auszuhaltenden melodramatischen Gedudel, das auch einen der stärksten Momente des Films entkräftet. Als Pricò aus dem gemeinsamen Urlaub mit seiner Mutter davonläuft, nachdem er diese mit ihrem Liebhaber am Strand erwischt hat, sitzt er seinem Vater gegenüber. Der Vater möchte die Wahrheit erfahren, aber Pricò kann seine Mutter nicht verraten. In einer gewaltvollen Schuss-Gegenschuss Montage landet de Sica schließlich in zwei extremen Nahaufnahmen der Augen der Darsteller und in diesem Bild findet sich eine Wahrheit, die niemand aussprechen muss. Es ist ein Erkennen zwischen Vater und Sohn. Es braucht keine Worte mehr, und De Sica macht diesen Augenblick zu einem filmischen Spektakel. Solche Momente gibt es immer wieder im Film und vor allem die kleinen Details am Rand der Geschichte verraten eine kritische Haltung gegenüber dem zeitgenössischen Italien, die zu einem festen Bestandteil jener als Neorealismus in die Geschichte eingegangen Bewegung wurde.

Top Girl von Tatjana Turanskyj

Top Girl von Tatjana Turanskyj

Berlin, Januar 1919. In den Straßen wüten Aufstände. Seit Ende des Großen Kriegs durch den Waffenstillstand von Compiègne am 11. November kämpfen kommunistische Organisationen um die Etablierung einer Räterepublik. Was Anfang Januar mit Arbeiterstreiks begonnen hat, entwickelt sich zu einem bewaffneten Konflikt, der Aufstand der Arbeiter wird von KPD und Spartakusbund unterstützt. Karl Liebknecht hat sich für diese militante Vorgehensweise entschieden – Rosa Luxemburg setzte sich für eine gewaltfreie Lösung ein. Gegen 12. Januar marschieren regierungstreue Truppen in Berlin ein und schlagen den Aufstand brutal nieder. Der Aufenthaltsort von Liebknecht und Luxemburg wird ausgeforscht, die beiden werden festgenommen und erschossen. Genau 96 Jahre nach der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, am 15. Januar 2015 feiert Tatjana Turanskyjs neuer Film Top Girl in der Volksbühne Berlin Kinopremiere. Die Berliner Volksbühne steht am Rosa-Luxemburg-Platz schräg vis-à-vis vom Karl-Liebknecht-Haus, dem Parteisitz der Parlamentspartei Die Linke. Am Nordwestrand des Platzes steht seit 2010 das L40, ein markanter schwarzer Klotz, ein Musterstück moderner Städtearchitektur, mit eindrucksvollem Blick auf die imposante Fassade der Volksbühne. In diesem Wohn- und Bürogebäude ist die Escort-Agentur untergebracht, der Helena, die Protagonistin von Top Girl, angehört. Ein Zufall? Wohl kaum, denn Top Girl versucht nicht bloß die Geschichte einer Endzwanzigerin zu erzählen, sondern auch ein Statement zur Lage der Nation abzugeben – das gelingt mäßig.

Julia Hummer in Top Girl

Julia Hummer ist Helena, in Teenagerjahren als Schauspielerin halbwegs erfolgreich, mittlerweile nur mehr gelegentlich bei Castings zu finden. Ihre Brötchen verdient die Alleinerzieherin als Escort-Dame. Das erlaubt Turanskyj einen Blick auf die Sexarbeit-Branche, und wie man es aus Filmen dieser Art kennt, darf auch hier die Montagesequenz der seltsamen Gestalten mit noch seltsameren sexuellen Vorlieben nicht fehlen – ein Schaulaufen der Freaks, die sich bei Fräulein Helena ihre perversen Wünsche erfüllen lassen. Das klingt rassig und sexy, ist es aber nicht. Selten hat man in einem Film über Sexarbeit so wenig Sex zu sehen bekommen, und tatsächlich gehören die Szenen, wo am meisten Haut zu sehen ist Helenas Mutter Lotte, die in einem total irrelevanten Subplot eine Affäre mit einem jüngeren Gesangsschüler beginnt. Lotte soll uns wohl etwas über die Rolle der Frau sagen, und dass es auch voll okay ist, wenn sich ältere Frauen jüngere Liebhaber nehmen und ihre Sexualität ausleben. Zur Sicherheit schiebt Turanskyj noch eine Szene ein, in der Mutter und Tochter einen Workshop zu genau diesem Thema besuchen – doppelt hält besser, Subtilität wird ohnehin überbewertet. Deshalb reicht es auch nicht, dass der Herr Gesangsschüler leicht zerrauft von Helena und ihrer Tochter in der Wohnung der Mutter vorgefunden wird, in einer voyeuristischen Einstellung durch einen Türspalt wird der „geheime“ Abschiedskuss gezeigt – doppelt hält besser.

Top Girl von Tatjana Turanskyj

Stichwort voyeuristisch: Mit der Vermeidung von expliziten Sexszenen umgeht der Film immerhin eine Art von Blickinszenierung, die die feministische Filmkritik gern „male gaze“ nennt. Dieser männliche Blick hat in einem Film, der so entschieden für die Ideale der feministischen Theorie eintritt (und auch das wiederum wenig subtil, durch seltsam eingeschobene Rezitationspartien à la Straub-Huillet) natürlich nichts verloren, womöglich fehlte aber schlicht die Befähigung eine Sexszene zu drehen, die ohne Pornokonventionen auskommt. Ein Blick auf die Arbeiten von Turanskyjs Kollegen und Kolleginnen der boomenden Feminist-Porn-Schiene hätte nicht geschadet. So wirkt das Ganze einfach zahnlos, ein weiterer Fall von „ich will, aber ich kann nicht“, wie man ihn in der deutschsprachigen Filmlandschaft nur zu oft findet. Eine Feminismus-Lehrstunde am Fallbeispiel der Helena, in der so offensichtlich keiner der Charaktere mit seiner Sexualität umgehen kann, dass es am Ende gar nicht mehr irritiert, wenn der Film so aufhört, wie er beginnt – mit nackten Frauen im Wald. Von  dieser exotisch-erotischen Rahmung darf man sich aber nicht täuschen lassen, denn so sehr der Film auch versucht eine Variation des Jeanne-Dielman-Effekts zu erzeugen, so wenig können diese entfremdet-distanzierten Gestalten und die platte, aufgesetzte Inszenierung irgendeine Art von emotionaler Reaktion hervorrufen.

De Sica-Retro: Miracolo a Milano

Die Vittorio De Sica-Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum ist bereits im vollen Gange und wir werden bei Jugend ohne Film wieder ein genaueres Auge darauf werfen. Es wird nicht nur eine Auswahl der Regiearbeiten des italienischen Filmemachers, sondern auch viele seiner Schauspielauftritte gezeigt. Denn in erster Linie war De Sica ein Schauspieler, eine Kultfigur, der als oberflächlich charmanter, augenzwinkernder Taugenichts die Herzen der Frauen eroberte. Miracolo a Milano ist jedoch einer seiner großen, wenn auch (wie vieles von De Sica) etwas vergessenen Filme. Ein Film, der ziemlich deutlich zeigt, dass man De Sica mit dem einfachen Label des Neorealismus nicht besonders nahekommen wird. Denn der Film ist ein katholisches Fantasymärchen, eine humanistisch-linke Metapher für einen Klassenkampf, ein Experiment bezüglich der Ästhetisierung von Armut, ein Unterhaltungsfilm und ein sozialrealistisches Drama.

Miracolo in Milano De Sica

Der Film basiert auf Totò il Buono, einem Roman des langjährigen Kollaborateurs von De Sica, Cesare Zavattini, der selbstverständlich auch das Drehbuch schrieb. Im Kern schlägt derart heftig der Humanismus, dass man ihn manchmal mit einer verklärten Puderzuckerhaltung verwechseln könnte. Es geht um Totò, der als kleiner Junge in einem Salatfeld gefunden wird und nach dem Tod seiner Ziehmutter in ein Waisenhaus gebracht wird. Als er dieses verlässt, besteht für ihn das ganze Leben aus Fröhlichkeit. Wie ein unter Drogen stehender Engel läuft er durch die verdreckte Wohnungsknappheit seines Landes. Trotz des betont metaphorisch, lockeren Tons erinnert hier noch vieles an den Neorealismus seines Ladri di biciclette oder Sciuscià. Es sind Schwenks und Parallelfahrten durch die Armut hindurch. Das Casting ist außerordentlich, denn all diese Gesichter sind wahre Gesichter, sie erzählen zwischen all der Lockerheit von existenziellen Dramen. Ihr Lächeln weint, ihre Körper schreien und ihre Augen beten. Mit Totalen fängt De Sica immer wieder den Menschen vor seinem sozialen Hintergrund ein. Doch schon bald setzen immer mehr Fantasyelemente in die Handlung ein. Totò landet mit all seinem Optimismus in einer Barackensiedlung vor Mailand. Er freundet sich mit all den Vergessenen und Verlorenen an und strukturiert das Leben dort, sodass die Heimat der Armut sich in ein rauschendes Fest des Glücks verwandelt. Zunächst sind die Fantasyelemente subtil, ein magischer Realismus, der sich in kurzen Augenblicken offenbart. Er findet sich in Sonnenstrahlen, die nur an bestimmten Stellen Wärme spenden, an einem zu dünnen Mann, der von Luftballons weggetragen wird und immer wieder auch in der Haltung von Totò selbst, der mehr ein biblischer Heiliger ist als eine realistische Figur. Dann wird auch noch Öl unter der Erde gefunden.

Dieses Öl sprießt wie Fontänen des fließenden Glücks in den Rausch der Bewohner der Vorstadt. Doch ein gieriger Politiker stellt sich in den Weg der Bewohner, die immer wieder betonen, dass sie eigentlich nur einen Ort zum Wohnen brauchen. Denken sie überhaupt an das Geld und die Bedeutung des Öls? Er kommt mit einem großen Aufgebot und profitiert auch von einem Verräter in den Reihen der Barackensiedlung. Es beginnt ein absurder Krieg, der an die Asterix-Comics erinnert, denn in Form einer magischen Taube, die Totò von seiner Großmutter aus dem Himmel bekommt, verfügen die Armen über ihren ganz eigenen Zaubertrank, der es dem Staat lange Zeit unmöglich macht, in die Siedlung einzudringen. Der Film geht sehr weit in seiner Metaphorik, die De Sica kaum versteckt. Ganz im Gegenteil, er kann seine Botschaften gar nicht deutlich genug loswerden. Er selbst hat geäußert, dass der Film für ihn ein bloßes humanistisches Märchen gewesen sei, ohne jegliche politische Haltung oder Botschaft. Das mag man ihm sogar glauben, aber so sehr er sich bemühen würde, auch er könnte keinen nicht-politischen Film drehen. Zudem gibt es auch humanistische Botschaften, die man subtiler und filmischer erzählen kann als dadurch, dass die Hauptfigur die Schwächen der Kranken oder Kleinen imitiert, um ihnen zu sagen, dass sie alle gleich sind. Der Kollektivgedanke, der vom Film nur an zwei Stellen durchbrochen wird, wirkt zudem aus heutiger Sicht überholt. Einzig in einem weinenden Polizisten und dem einen und wie so oft bei De Sica exemplarischen Verräter finden sich gegen den Strom schwimmende Geister, die es dort viel häufiger geben müsste, um etwas vom Leben zu erzählen. Nun wollte De Sica nicht unbedingt einen realistischen Film machen, aber er hat den Realismus nicht genug aus seiner Sentimentalität entfernt, um Miracolo a Milano als reine Fantasie zu sehen.

De Sica Miracle

Zu den besonderen Momenten im Film gehören neben der äußerst präzisen und manchmal extravaganten Inszenierung jene kleinen Beobachtungen am Rand, wie ein älterer Mann, der sich nicht eingestehen kann, dass er in der Lotterie gewonnen hat oder ein kleines Kind, das an einem Seil befestigt, als Türglocke herhalten muss. Die Lebendigkeit und die Aufbruchsstimmung, die De Sica durch seinen Wechsel aus schnellen Fahrten und Bewegung im Bild herstellt, sind beeindruckend. Dabei bleibt die Kamera immer ganz nah an den Bewegungen der Figuren. Sie bewegt sich nie von sich aus und dadurch entsteht ein Gefühl, das uns in das Geschehen mitnimmt statt darauf zu blicken, Dadurch fehlt natürlich auch eine Distanz, die uns diesen illusionierenden Blick als solchen offenbart. Stattdessen geht es um das reine Spektakel, das sich zwischen der Realität und der Fantasie bewegt. Neben Jean Vigo, René Clair, Jia Zhang-ke und Charlie Chaplin gibt es wenige Regisseure, die sich derart mutig in diese Ästhetik einer Dazwischenheit gewagt haben. Allerdings fehlt De Sica zu den genannten Vorbildern Bescheidenheit. Bei ihm entstehen die Fantasie und der Humanismus nicht aus der filmischen Realität. Vielmehr drückt er ihn auf und durch jede Szene hindurch, damit jeder versteht, was er da macht. So vermag Miracolo a Milano uns kaum zu berühren. De Sica bewegt sich hier in einer abstrakten Welt, die viele mit der Realität verwechseln und in einer realen Welt, die völlig abstrakt scheint.

Die Bedeutung des Verzichts im Film

Ich glaube, dass die Radikalität eines Verzichts in der filmischen Sprache heute von einer noch zu benennenden Relevanz ist, die zu keiner Zeit als bloßer Formwille oder als Prinzipiendenken abgetan werden sollte. Die Frage, ob ein Film nun etwas sagen und kommunizieren soll, oder ob er eher beobachten soll und somit ein womöglich ethisch haltbareres Verhältnis zur Realität aufbaut, ist inzwischen zu einer Frage zwischen Kommerz und Festival, zwischen Klassik und Moderne im Film geworden. Daran geknüpft findet sich die Frage, ob Film überhaupt eine Aufgabe hat. Es ist klar, dass Filmemacher wie Bruno Dumont (ein expressionistischer Minimalismus), Carlos Reygadas (ein impressionistischer Minimalismus, in dieser Hinsicht ein Bruder von Claire Denis), Nuri Bilge Ceylan (ein Minimalismus der Literatur oder zuvor einer der schweigenden Gesichter), Cristi Puiu (ein realistischer Minimalismus), Jia Zhang-ke (ein elliptischer Minimalismus), Apichatpong Weerasethakul (ein spiritueller Minimalismus) oder Pedro Costa (ein abstrakter Minimalismus) Filme machen, in denen wir nicht alles sehen und hören, was unser Kopf zur Herstellung eines in sich schlüssigen, klassischen Narrativs benötigen würde. Wir sind zurück auf uns selbst geworfen oder aber die Filme geben eine Wahrnehmung der Welt wieder, die sich nicht in eine Nachvollziehbarkeit, sondern eher in Gefühle, Fragmente, Figuren und die Realität dreht.

Still Life Jia Zhang-ke

Still Life von Jia Zhang-ke

Erstaunlich daran ist, dass diese Filmemacher häufig von einem politischen Standpunkt aus betrachtet werden, obwohl oder gerade weil sie sich um eine klare Aussage und Haltung herum winden. Im Verzicht liegt bekanntermaßen bereits ein politisches Moment. Dieses hat sich lediglich auf die Form verlegt (und wird im Inhalt gespiegelt). Das Musterbeispiel bleibt Pedro Costa, der seine Filme als demokratisches Unterfangen etabliert und im Verzicht eine Betrachtung von Menschlichkeit entwickelt. In diesem Sinn wird auch Sharunas Bartas interpretiert. Es heißt, dass durch das Schweigen von allen den Schweigenden eine Stimme gegeben wird. Im Aussparen macht man auf etwas aufmerksam, man betont gewissermaßen, dass etwas fehlt und das ist politisch. Aber ganz so einfach ist das nicht. Oft betrachten die Filmemacher des Verzichts eben auch politische Themen wie Jia Zhang-ke oder Claire Denis. Sie betrachten diese aber anhand des Banalen oder Außergewöhnlichen, auf keinen Fall mit der Idee selbst oder in Form eines Statements. An dieser Stelle sei bemerkt, dass Wang Bing in seinem Le fossé durchaus gezeigt hat, dass Minimalismus auch politisch lauter und deutlicher formuliert sein kann. Das wirkt dann aber aufgesetzt.

Japón von Carlos Reygadas

Japón von Carlos Reygadas

Ihre Wahrnehmung scheint in den meisten Fällen politischer als ihr Inhalt. Es wird erst in der Annäherung an den Inhalt klar, dass es sich dabei um etwas Politisches handeln könnte. Im Verzicht liegt auch ein Respekt vor der Komplexität politischer Vorgänge. Nicht die politische Haltung und Meinung der Filmemacher ist von Interesse, sondern die Realität. Eine objektive Realität ist natürlich nicht herstellbar mit einer subjektiven Sprache, aber das Aufmachen von Lücken und Fragen ist ein ehrlicherer Ansatz, als das forcierte Vertreten einer Position. Das Schwimmende und Unklare, das spätestens seit Michelangelo Antonioni eine gewisse Kontur im Kunstkino bekommen hat, ist ein politisches Statement. Aber es ist viel mehr, denn im Verzicht liegt auch die größtmögliche Hinwendung zur Konstruktion und Illusion von Raum und Zeit im filmischen Bild. Wenn bei Puiu verschiedene Dinge nicht geäußert werden oder wir bei Ceylans Filmen vor Winter Sleep enigmatische Gesichter betrachten, die ihre Emotionen hinter einem Berg aus Reflektion und Persönlichkeit verstecken, wenn sich Räume bei Jia Zhang-ke durch konstruktive Montagen und vor allem den Einsatz von Tiefenschärfe deutlich mehr als seine dieser Umwelt ausgesetzten Figuren erschließen oder Bruno Dumont beziehungsweise Claire Denis an entscheidenden narrativen Stellen eine Ellipse aufmachen, dann wird klar, dass sich die Filmemacher der Verpflichtung einer Fiktion bewusst sind. Sie wissen, dass Film in vieler Hinsicht seine Spannung aus dem „Wann und Was zeige Ich NICHT“ gewinnt. Der filmische Raum wird mir dann bewusst, wenn es ein Off-Screen gibt oder ein Bewusstsein der Richtungen der Realität, in der sich die Kamera befunden hat. Außerdem wird die Illusion derart als solche angezeigt und wir beginnen ihrer Konstruktion zu glauben. Hier beginnt für mich ein filmischer Realismus, in dem Augenblick, in dem ich ein offenes Verhältnis von der Kamera zur Realität wahrnehme und diese Offenheit kann nur durch Verzicht entstehen.

Twentynine Palms Bruno Dumont

Twentynine Palms von Bruno Dumont

Dieser Verzicht kann auch geringer und weniger radikal sein wie zum Beispiel die Rahmungen eines John Fords oder die RKO-Filme von Jacques Tourneur zeigen, denn dort wird nicht ein Gefühl von Verzicht etabliert, sondern lediglich auf das verzichtet, was unnötig erscheint. In dem Moment spricht man dann von einem Handwerk und von einer Notwendigkeit. Dieser Notwendigkeit unterliegt aber ein Verzicht auf das Ausschmückende, das Bombastische, das Prinzipienhafte. Plötzlich wird Film zu dem, was wir nicht sehen. Eine erhöhte Konzentration, ja ein Wiedererlernen des vergessenen Sehens ist nur in diesen Filmen möglich. Natürlich kann man auch in klassischeren Filmen genauer hinsehen, man kann mehr sehen, man kann sie auseinandernehmen. Die Intelligenz dieser Betrachtung geht dann aber zumeist vom Zuseher aus und nicht vom Film selbst. Zugespitzt könnte man formulieren, dass uns Filme wie jene von Claire Denis erst ermöglichen, in Filmen von David Fincher etwas anderes zu sehen als Plot.

Aurora von Cristi Puiu

Aurora von Cristi Puiu

Der zweite Verzicht liegt wie bereits formuliert in der Zeit. Zunächst handelt es sich um einen Verzicht der narrativen Manipulation von Zeit, also ein Spürbarmachen der Zeit. Andy Warhol hat dieses Spiel wohl am weitesten getrieben. Cristi Puiu hat in seinen Filmen einen perfekten Ansatz gefunden, um die manchmal absurden Bewegungen von Figuren in der Zeit zu seinem eigentlichen Inhalt zu machen. Das zeigt auch, dass es im Verzicht nicht um das gehen kann, was passiert, sondern darum, wie es passiert. Und es gibt deutlich spannendere Möglichkeiten etwas über das Wie zu erzählen als über das Was. Der zweite zeitliche Verzicht liegt in der Ellipse, dem Auslassen. Nun erscheint das Fragmentieren zunächst als besonders konstruiert und realitätsfern. Das hängt allerdings damit zusammen, ob man die Realität als subjektive Wahrnehmung oder als objektive Größe versteht. Ohne mich in einen zu philosophischen Diskurs zu stürzen, möchte ich doch behaupten, dass die filmische Sprache einzig zu einer Wahrnehmung der Realität, einer kinematographischen Realität befähigt ist. Einzig im Verzicht ermöglicht sie uns diese Wahrnehmung anzuzeigen und somit deutlich näher an eine Objektivität, nennen wir es im Sinn von Godard Wahrheit heranzukommen. Daran hängt natürlich auch das impressionistische Prinzip der Erinnerung, der Inspiration, der Flüchtigkeit. Das Kino wird davon angetrieben und generiert es im Zuseher. Carlos Reygadas stürzt sich in vielen seiner Filme in solche inneren Bewegungen. Das Erstaunliche bei ihm und bei vielen anderen Minimalisten wie beispielsweise auch Semih Kaplanoğlu oder Sergei Loznitsa ist, dass die Subjektivität in der Betrachtung der Realität entsteht und nicht wie bei fantastischen Filmemachern oder Kommerzmenschen in der Herstellung einer Welt. Nein, Reygadas filmt einfach seine Tochter und drückt damit etwas über sich selbst aus, was uns angeht, weil es eben ein Verhältnis zur Realität hat. Das Ehrliche, Subjektive entsteht bei ihm durch seine Form, also auch durch seinen Verzicht.

Ne change rien

Ne change rien von Pedro Costa

Je radikaler dieser Verzicht, desto mehr macht er auf einen Missstand aufmerksam. Dieser Missstand liegt in der Pornographie der subjektiven Erinnerungen, den Bilderfluten, denen wir uns heute ausgesetzt sehen, den Filmen, Clips und Profilen, die uns alles zeigen, der Tatsache, dass fast jeder Mensch heute seine eigene, geschlossene und schöne Geschichte in Bildern erzählt. Darin gehen Erinnerungen und Wahrheiten verloren. Die Frage heute ist: Töte ich meine Erinnerung oder rette ich sie, wenn ich ein Bild mache? Da das Bild schon lange Zeit die Realität überholt hat, sehen wir oft die gespeicherte Wahrnehmung der Realität vor der eigentlichen Realität. Nun zeigt ein Filmemacher, der sich dieser Flut widersetzt und etwas nicht zeigt, etwas spürbar macht (Tsai Ming-liang wäre hier ein besonders rebellisches Beispiel) und auf etwas verzichtet, dass es sich durchaus noch lohnt hinzusehen. In diesem Hinsehen, dieser erhöhten Bedeutung des Blicks werden dann nicht nur Zeiten und Räume wahrnehmbar sondern auch Gefühle. Dabei sind nicht die theatralen Gefühle eines gelungenen Plottwists gemeint, sondern Gefühle, die in unserer Relation zu den Bildern entstehen. Dies ist gerade in der heutigen Zeit eine große Kunst, da wir natürlich leichter und schneller Gefühle empfinden, wenn wir Bilder sehen, auf denen wir selbst oder Freunde zu sehen sind. Aber die filmischen Bilder des Verzichts lehren uns, dass auch die Bilder selbst Gefühle haben. Wenn ein Film etwas nicht zeigt, dann liegt das auch daran, dass es ihm vielleicht unangenehm war, dass er sich etwas scheut. Die geschlossenen Türen von Pedro Costa, die Unschärfen bei Jia Zhang-ke oder das Nicht-Zeigen bei Claire Denis sprechen alle von einer Zärtlichkeit des emotionalen Einflusses. Wenn Denis den Autounfall in Les salauds nicht zeigt, aber das völlig zerstörte Auto, dann ist das ein Bild, das uns sofort trifft. Es ist ein Bild, das wir kennen, das die Gewalt spürbar macht statt sie einfach zu zeigen und es zwingt uns zum Hinsehen. In diesem Hinsehen verbinden sich dann Imagination, Realität und Erinnerung zu einem Gefühl, das durch Framing, Ton- und Musikgestaltung usw. eine subjektive Wahrnehmung widergibt. So betrachten wir ein Bild, statt es nur mehr zu machen und zu teilen. Es bleibt also keine Überraschung, dass diese modernen Filmemacher sich mit Erinnerungen auseinandersetzen und diese spürbar machen. Warum sollte dies nicht eine der wichtigsten Möglichkeiten von Film im 21. Jahrhundert sein?

Les salauds von Claire Denis

Les salauds von Claire Denis

Kritiker und viele Zuschauer bemängeln, dass sich diese Filme mit Absicht einem Verständnis entziehen. Diese Behauptung kann ihren Grund aus meiner Sicht nur in zwei Dingen haben. Zum einen ist es schlicht die Faulheit einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Filmen, die bei den Kritikern aufgrund einer alltäglichen visuellen Reizüberflutung zu Stande kommt und bei den Zusehern an einer fehlgeleiteten Wahrnehmung sogenannter Aufgaben von Kunst sowie schlichtem Desinteresse, Ignoranz und Zeitproblemen festzumachen ist. Zum anderen haben sie wohl tatsächlich verlernt hinzusehen, denn in allen genannten Beispielen wird mehr erzählt, mehr gesagt und mehr gefühlt als in jedem Unterhaltungsfilm. Dies ist keine Verneinung von Narration, da alle Filme narrativ sind. Es geht einzig darum, dass unsere bequemlichen Erwartungen an Narration durchkreuzt werden müssen, damit wir einen neuen Raum und eine neue Zeit für etwas Politisches, etwas Persönliches und etwas Filmisches bekommen. Wenn es so etwas wie eine filmische Wahrnehmung gibt, dann muss diese auch nach eigenen Mustern funktionieren, sie muss poetisch sein und notwendig, sie muss verzichten und fließen, sie hat das Bild, den Ton, die Montage, die Erzählung, das Schauspiel und die Kombination all der Dinge, die in all das einfließen. Sie tut gut daran, sich dieser Mittel bewusst zu sein, denn wenn sie nicht verzichtet oder einen ihrer Aspekte ignoriert, wird sie untergehen zwischen all den oberflächlichen Bildern dieser Welt. Denn wo ist sonst der Unterschied?

2014: Ein Bildgedicht

P'tit Quinquin von Bruno Dumont

2014 ist….

…Erwachsenwerden.

Boyhood von Richard Linklater

Boyhood von Richard Linklater

…Licht, Schatten und Ventura.

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa

…Eintauchen in unendliche Kinowelten.

Guardians of the Galaxy von James Gunn

Guardians of the Galaxy von James Gunn

…philippinischer Dschungel.

Mula sa kung ano ang noon von Lav Diaz

Mula sa kung ano ang noon von Lav Diaz

…Awesome!

The Lego Movie von Phil Lord/Chris Miller

The Lego Movie von Phil Lord/Chris Miller

…Erinnerung an einen guten Freund.

Life Itself von Steve James

Life Itself von Steve James

…ein Land der Wunder.

Le Meraviglie von Alice Rohrwacher

Le Meraviglie von Alice Rohrwacher

…All that Jazz!

Whiplash von Damien Chazelle

Whiplash von Damien Chazelle

…stumme Gewalt.

Plemya von Myroslav Slaboshpytskiy

Plemya von Myroslav Slaboshpytskiy

…ein Puzzle.

Gone Girl von David Fincher

Gone Girl von David Fincher

…Kappadokische Kammerspiele.

Kış Uykusu von Nuri Bilge Ceylan

Kış Uykusu von Nuri Bilge Ceylan

…endloser Konflikt.

Das erste Meer von Clara Trischler

Das erste Meer von Clara Trischler

…Fußballspielen im Schnee.

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

…die Bestie Mensch.

The Salt of the Earth von Wim Wenders und Julian Ribeiro Salgado

The Salt of the Earth von Wim Wenders und Julian Ribeiro Salgado

…ein Doppelgänger.

Enemy von Denis Villeneuve

Enemy von Denis Villeneuve

…Entschleunigung.

Journey to the West von Tsai Ming-liang

Journey to the West von Tsai Ming-liang

…schräge Vögel.

Birdman von Alejandro González Iñárritu

Birdman von Alejandro González Iñárritu

…ein Unterschlupf in einer kalten Winternacht.

L'Abri von Fernand Melgar

L’Abri von Fernand Melgar

…lebendige Kunst, lebendige Geschichte.

National Gallery von Frederick Wiseman

National Gallery von Frederick Wiseman

…Christbäume und Einsamkeit.

Christmas Again von Charles Poekel

Christmas Again von Charles Poekel

…nicht in Worte zu fassen.

P'tit Quinquin von Bruno Dumont

P’tit Quinquin von Bruno Dumont

…im Kinosaal erblinden.

Adieu au Langage von Jean-Luc Godard

Adieu au Langage von Jean-Luc Godard

…ein Besuch bei einer Erinnerung.

Gyeongju von Zhang Lu

Gyeongju von Zhang Lu

…Liebe und Unschuld.

Still the Water von Naomi Kawase

Still the Water von Naomi Kawase

 

 

 

Interview: Something from the Heart: Mélanie de Groot van Embden about Urban Escape

Wenn man einen Film von Freunden oder Bekannten sieht, dann ist man meist voreingenommen. Man ist entweder besonders kritisch, weil man das Werk nicht ernst nimmt und schon gar nicht losgelöst von der jeweiligen Person betrachten kann, weil sich Neid in einem entwickelt, oder man eine Person einfach nicht in einer bestimmten Rolle anerkennen will, oder man ist besonders gutmütig, lässt sich leicht überraschen und nimmt Dinge stärker oder intensiver wahr, die eigentlich gar nicht da sind. Im Fall von Urban Escape von David de Rueda und Mélanie de Groot van Embden konnte ich mich davon relativ gut lösen. Ich kenne Mélanie nicht besonders gut, wir haben uns bei einem Workshop in Cannes 2013 kennengelernt und seitdem hatten wir nur spärlich über Social Media Kanäle Kontakt. Dennoch vermochte ich das, was ich von ihr in Erinnerung hatte, sofort im Film zu erkennen: Eine Umarmung des Lebens und ein Streben nach Freiheit in Verbindung mit einer Neugier für die Welt.

Der Film, den sie zusammen mit dem Begründer von urbex.fr, David de Rueda als einen Roadtrip in die Freiheit organisierte, taucht in die Welt der Urban Exploration in den Vereinigten Staaten ein. Der Film begleitet Größen der Szene in leer stehende Gebäude, auf illegalen Trips immer mit dem Blick über die Schulter, zwischen der Schönheit einer Einsamkeit und dem Adrenalindruck einer Verfolgungsjagd. Es ist ein Stück Direct Cinema mit zeitgenössischem Anstrich und trotz einiger Schwächen, hat mich das Gefühl des Films in einer Art gepackt, die nichts mit meiner Bekanntschaft mit der Filmemacherin zu tun hat. Es gibt etwas in Urban Escape, das von einem Ort kommt, den jeder Filmemacher irgendwie sucht: Es ist eine Neugier für etwas Zeitgenössisches, das nicht unbedingt aus den reflektierten Filmemachern selbst kommt, sondern aus ihren Augen auf die Welt. Es geht um Jugend, Abenteuer und das Leben. Der Film liebt diese Dinge, ohne sie zu rechtfertigen.

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Durchgehend treffen Abstraktion und Spontanität aufeinander. Vor allem die spontanen Elemente sind äußerst gelungen. Dort finden sich poetische, spannende und humorvolle Augenblicke in einer sehr unbekannten, aber inspirierenden Welt, dem hippen Underground unserer Zeit. Die Kamera schafft es, die verlassene Schönheit und die Gefahr solcher Erkundungen einzufangen. Vor allem eine Szene an einem nie in Betrieb genommenen Kühlturm ist atemberaubend. Die verschiedenen Figuren von der Ost- bis zur Westküste der USA erzählen sich ganz ohne unnötige Expositionen und Erklärungen, indem der Film sie schlicht bei der Ausübung ihrer Leidenschaft begleitet und reden lässt. Nicht ganz so gelungen ist der abstrakte Teil des Films. In Übergängen wird eine Figur (Shindra) eingeführt, die in schön montierten Elektro-Sequenzen und begleitet von einer männlichen Voice-Over Stimme in kleinen poetischen Regungen vom Amerikanischen Traum, der Freiheit und der Einsamkeit erzählt. Die Schönheit der Landschaft wird hierbei jedoch von einer zu forcierten Montage entkräftet. Auch der romantische Vergleich urbaner Exploration mit einer Bonnie & Clyde artigen Bankräuber-Episode erschien mir nicht gerechtfertigt, da die Romantik nicht in einer Gewalt oder in einem Leben am Rand liegt, sondern in einer Einsamkeit des Lebens in der Mitte von uns, einem Eskapismus, für den man nicht flieht, sondern ins Herz wandert, selbst wenn dieses Herz vergessen ist. Metaphorik ist eigentlich völlig fehl am Platz hier, weil das Gefühl einer Freiheit sich ganz allein in der Direktheit und dem Rausch des Erlebens vermittelt. Urban Escape porträtiert eine Lebensweise und macht einen selbst zum Teil von dieser.

Es war mir eine große Freude, mich mit Mélanie über ihren Film zu unterhalten. Wir haben über Exploration, unabhängiges Filmemachen, die USA und die Stärken und Schwächen ihres Filmdebüts gesprochen.

Patrick: I want to start this by asking you a simple question with a maybe not so simple answer. Why did you choose the USA as a topic for your film?

Mélanie: There are many different explanations. But it was the idea of my co-director David at first. It is a road trip movie and we were fascinated by that country. And in terms of exploration it gives you all you can possibly ask for. All this different kinds of buildings and landscapes…in terms of imagery you have the desert, you have big cities, old cinemas, theaters, hospitals. We wouldn’t have had all that elsewhere. And we were attracted by the Dream, you know, the American Dream. Our destination was never discussed actually. It was always pretty obvious to shoot in the USA.

Patrick: When I was watching your film I had two feelings beating in my heart concerning your approach to America. There was this feeling of freedom but there was also this destruction, maybe this is the wrong term, well, there were so many lost things, and there was something violent about it. How did you feel about your approach?

Mélanie: Of course, there are many paradoxes concerning the USA. It is also a question of mentality. You have everywhere those “No Trespassing” signs, everything is private property but on the other hand it is a state of freedom. And people are attracted by that. When you travel there, you can easily understand how the thought of freedom is anchored in their personality, in their minds and even their religion. But on the other hand nothing is really allowed, you are followed by cops everywhere. Those lost and demolished buildings are a perfect reflection of our society during the last 50 years. It is not only in the USA.

Patrick: You mentioned the cops and your film seems to be a little bit about paranoia. There is always the uncertainty of being followed, somebody shouts: The cops are here! But in the end the cops often do not show up. I just remember this one scene at the prison where there is an actual confrontation with a police officer. As I want to know something about your attitude towards your filmmaking, I want to ask you: Was being caught in the act by a cop something you would have wished for? There were always those cuts to police cars in the street after it almost happened but it never really happened.

Mélanie: That is a very good observation and you are the first one who made it. It really was a whish we’ve had. We wanted a cop scene in the movie. We really wanted it. In the beginning our idea of the film was more about the cat & mouse game between explorers and cops. But it all came out differently. Well, we had been arrested by police but we never had the chance to film it. We even had a GoPro camera in our car so that we would have been able to film our arrest, but in reality it all went too fast. I even had a remote control for the camera, but when we were arrested, we had to move out of the car immediately, we were not allowed to move whatsoever. So I couldn’t even grab the remote control. Once I tried and the cop yelled at me: Don’t move! And he almost pointed his gun at me. But we were so desperate having such a scene. And we do have some but they are not very interesting. So we gave up on that. Just recently, I watched another documentary with a wonderful sheriff scene. And I was lucky because the director was there to talk about his film. I naturally asked him about the sheriff scene. And he told me that they met a sheriff and restaged the scene for the film. Otherwise it is just too unexpected to shoot. This is why we included the scene in the prison. But it is not essential.

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Patrick: Is it very important to you to only have in your film what happens or happened in reality or would you stage anything for your next documentary?

Mélanie: I think it is important to find the right balance between construction and spontaneity. Most important to me is obviously the spontaneity of things. This is also why we never discussed previously what we were going to shoot. We just started following those guys and when something important happened I would ask David: Did you have it or didn’t you? And only then we would redo it. But all of it is just life, you know. No scene that ended up in the movie was shot twice. But those 52 minutes are only 20% of what we did. And I like the spontaneous aspects about it.

Patrick: How many cameras did you use and what kind of cameras?

Mélanie: We had two Nikon D800, one Nikon D600, we were shooting with both…and we had a very bad sound equipment. You noticed that. The sound editing is not very good. We just had one wireless Sennheiser microphone and when there were several protagonists in the frame we had to attach it to the most talkative person and tell them not to move too far away. David comes from photography, so naturally he is not very experienced with sound and he did not always wear his headphones, well, we didn’t pay too much attention. If we were redoing it we would think about a better solution for sound. But with exploration you cannot have any heavy instruments with you, you have to be flexible. It is difficult.

Patrick: How were the collaborative aspects for you? You have been two directors of this film. Were there any problems?

Mélanie: That was one of the first questions our producers asked us. Are you ready to work with each other? And we said: Yeah, sure. In the end it has been much more complicated than I have thought because we are very different from each other. But at the same time we worked very close and organic, because we have exactly the same perception of beauty. And we both have different skills. My part was more concerned with narration and interviews, the journalistic part, actually. I thought about how to talk about exploration, how to make those people comfortable and how to put all those little stories and sequences together. David was more concerned with the actual filming and the infiltration and scouting of the places. We were never fighting about what we should do or shouldn’t do. But my advice for people that want to co-direct would be to put everything on paper beforehand…make contracts and deals. At the moment we are preparing a second movie together and we put everything down. We have a script, a precise idea of what we’re gonna shoot. We won’t go randomly to the USA again in order to shoot whatever we may find. It has been very chaotic but in the end we were very fascinated and intrigued during the shooting and it was done in a very serious fashion. After all it could have been a Holiday movie. (laughs)

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Patrick: How did you find those guys who go to these places?

Mélanie: It has been pretty easy because those guys are fairly popular in the scene. They are very present online, they have their own websites, they have flickr accounts and instagram pages. So we would contact the ones we liked, where we liked the pictures and so on. Most of the time they were willing to speak to us. They liked David’s work. David created urbex.fr, he has many followers…and we were just two, which helped because they were very shy. Most of them were very surprised when we showed them the final film. They were really impressed. They just saw two young filmmakers, and even French one doing a piece.

Patrick: And you also worked on a BLOG were you wrote about your experiences while shooting, right?

Mélanie: Yes, I was writing a text every five days during our trip. Those texts were associated to selected pictures taken by David. And it was lots of fun doing this and it helped a lot. It was like a common theme. We got feedback, we created our world there. All the people following us… it was a huge support. Many people were really disappointed when they saw the final film, because the missed so many things, that were on the blog but didn’t make it into the movie. Especially the amusement park…people were very disappointed that it wasn’t in the movie…but it will be on DVD.

Patrick: In the director’s blog version…

Mélanie: Yeah.

Mélanie und David

Patrick: But I still didn’t get how it worked…you went there, you met those guys,..but when or how did you decide, for example, that it is time to go to the next city…where there any limits, any time tables, something like that?

Mélanie: We had three months. And in these three months we had over 100 places to visit. So we had our road map and day by day we would figure out what was worth seeing and what wasn’t worth seeing. Sometimes we would explore four buildings on one day and sometimes we would just ride in our car. Some things we couldn’t manage. But you know, three months is a very long time. So we weren’t really rushed. So, if we wanted to wait for the full moon to visit a building, we just waited. So we were really free thanks to this generous time management. Of course, we were also depending on the timetables of our protagonists.

Patrick: Was there any funding?

Mélanie: Yeah. We had everything paid for by our internet campaign. We had 10000 Euros and two funds from the region and subsidies from Nikon. And our production company paid for the remaining equipment. We didn’t spend too much many. All in all it cost approximately 20000 Euros. We could pay the cutter, we could pay the composer and we did not have to pay ourselves. So it was a cheap movie and we were very economical.

Patrick: One can see you exploring and climbing together with your protagonists in the film. Was there a sense of danger for you? I ask because most of the time you do a film you are kind of outside of it, it is more like a reflection of something you may or may have not lived. But in your case there is a very direct approach. Or to ask you in a more usual way: Were there moments in which you have been afraid?

Mélanie: I just realized it when I flew back to France. I arrived at the airport and suddenly I felt relieved. I realized that there was this weight on my heart all the time, almost like cramps. I was a bit worried that something might happen to us. You never know if you will get caught, or might have troubles. But while we were shooting, I was really enjoying myself. I was ready to do almost anything. I was very conscious that this was a once-in-lifetime experience and it was really amazing. And I still remember this time when we were so free…it was just living an adventure that no one else has done…and when you’re aware of it, you feel great. Your body and spirit are there at the same time and you film. I was doing what I want to do with my life. But on the other hand there was this danger, this physical danger sometimes. David had to push me sometimes when I didn’t want to climb stairs or something like that. He would always say: Of course, you can…he would grab me or help me. And we had lots of techniques to do this climbing work.

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Patrick: One could sense that…especially the scene at the atomic plant, the cooling tower. The way it was filmed with this extreme angles it really looked dangerous, I don’t know.

Mélanie: This one was really dangerous and I didn’t do it. I started climbing and I thought I might get a panic attack if I go any further. But David did it.

Patrick: There is this shot in which you have a view inside the cooling tower from above. That’s amazing.

Mélanie: Yeah, David did it. We don’t show it in the movie but the explorer who went there with us, he didn’t make it to the top, only David did.

Patrick: Yeah, I sensed that the guy was a little bit worried there.

Mélanie: He wasn’t feeling really good in the end. (laughs) But it is completely nuts to do that. There are not many movies about exploration. It is a way of living. For me it is very romantic, it has to do with freedom and independence. For some explorers it is more about being tough or being better than everybody else, it is about completion. I didn’t want to stress the latter. It is only a little bit in the end with the guy from San Francisco. I wanted to give viewers an idea of how to consider your environment in a different way. It is not just about walking the streets and not going into forbidden areas. No, it is about being clever in your daily life, it is about reconsidering and questioning everything that is taken for granted in society. It can be political, it can be about the environment. In all the interviews I have given so far, I admitted, that I didn’t have any political considerations doing the film. It is something from the heart.

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Patrick: One question related to abstraction…those bridges to name it in musical terminology, I am talking about those scenes in which we see you with red hair, if I am not mistaken, and there is this voice-over narration. How do these scenes fit in for you and what did you try to achieve with them? Or was this something which developed during the shooting?

Mélanie: It’s a character called Shinda we invented for the photos in the beginning and during the trip we would have ideas…we would see a light that was very beautiful and we wanted to try something. And we really liked those scenes we did with the smoke and with the light, so we wanted to include them in the movie but we didn’t really know how. But we didn’t have any transitions between the cities. So we just used those scenes. There is really no consideration behind it. We tried to take this character to explain the story about exploration. It was written after we came back. It was very difficult. I rewrote it about 15 times. I tried to explore this Shinda character but it was never really sincere, it was too made-up. So we decided to keep things very lightly, doing a little bit of poetry without any significant role in the movie. It’s more of a breath.

Patrick: Last question: What happens with the film? Will you still have any screenings, any festivals, what is your plan?

Melanie: We have a plan for TV distribution, it will screen 2015 several times on the same channel in France. Our producers are also working on the distribution for other channels. It is very difficult because it hasn’t been sold before the shooting. Probably we will screen at further festivals, will organize more screenings in France and abroad. But I’m the only one who takes care about this right now, so it’s difficult. I am organizing a screening in Brussels at the end of the month and also in Paris. But when it’s your own movie it is very hard to take care about these things. I would feel much more comfortable with promotion if I did it for another film. But this way I cannot stay back enough to know what is good or not good for the movie. I don’t know what you can hope for an independent movie in 2015. You have to be very creative today, inventive, knock at every door. It is the same with funding. When I go to film festivals and see how many documentaries are still coming out every year, I see that it is still very much alive. But unfortunately many people have to produce their films themselves. And as soon as there is money for a film it is shit. It will be too worked over, not personal enough.

Cinema-Poetry: Three Kings/Suffering Donkeys

Searching for a little something on the pleasure of religion in film. About why Jesus died on the same day as cinema. And how we went there with presents to honor his death. Just because death sells. In cinema as well as in life. But it is only in cinema that death happens to be born within our gaze.

Robert Bresson-Notes on Cinematography
Robert Bresson-Au Hasard Balthazar-1966
Albert Serra- El cant dels ocells-2008

“The ejaculatory force of the eye.”

Zum Beispiel Balthasar Bresson Birdsong Serra
“Retouching the real with the real.”

El cant dels ocells Serra Zum Beispiel Balthasar
“One forgets too easily the difference between a man and his image and that there is none between the sound of his voice on the screen and in real life.”

Zum Beispiel Balthasar El cant dels ocells