Un suicide élégant est l’oeuvre d’art finale


Dieses Zitat des fiktiven Künstlers Tristan Rêveur aus dem Film „Stay“ von Marc Forster soll Gegenstand und Ausgangspunkt dieses Textes sein, für den ich noch viel zu jung bin und den ich nur aufgrund meiner Jugend verfassen kann. Der Selbstmord ist wie der Film. Ein filmischer Selbstmord, ein Selbstmord im Film, ein Film als Selbstmord. Jemand hat mir gesagt, dass ich mich nicht umbringen darf, weil ich sonst in die Hölle komme. Niemand hat mir gesagt, dass die Hölle schon hier ist.
  
Der Blick
Im Film wie beim Selbstmord ist der Blick entscheidend. Ein kurzer Augenblick, oft ein apathischer Blick ins Nichts. Das Nichts auf der anderen Seite der Leinwand. Meist ein Schuss, manchmal ein Sprung. Benicio del Toro ist irgendwo in „The Pledge“, wenn er mit der Waffe in seinen Rachen feuert, sein Blick geht direkt durch die Kamera hindurch. Genauso jener von William H. Macy in „Boogie Nights“ oder der von Yoo Ji-tae in „Oldboy“. Ein Blick, der schon nicht mehr da ist und für den Zuseher ein Blick auf eine entfernte Welt. Dieser Blick kann voller Angst sein oder auch ein Blick des Wahnsinns, Blicke die man auch im Kino wirft. Auch gibt es den Blick des Entdeckens. Die blutige Leiche im Bad, die sich die Adern aufgeschlitzt hat oder die baumelnde Füße im Dachboden. Wir sehen alles und nichts. Der letzte Blick ist ein Schock. Das kann zum Beispiel Charles in Robert Bressons „Le diable probablement“ nicht ertragen. Die Vorstellung, dass von einer Sekunde auf die andere nichts mehr sein wird. Deshalb braucht er Hilfe, um sich umzubringen. Suizid als Verweigerung. Der Blick stirbt ab. In „Two Drifters: Odete“ von  João Pedro Rodrigues geht der melodramatische Blick des Selbstmordanwärters nach oben. Der Tod scheint oben zu sein. Oder ist es die letzte Frage an eine mögliche göttliche Existenz? Was man sieht ist aber nur den Teufel, möglicherweise.  Ein weiterer Blick ist der pragmatische Blick. In „Der Geschmack der Kirsche“ von Abbas Kiarostami gibt es ihn. Eine Nicht-Regung und im Angesicht des Todes wird der Blick verweigert. Wie auch bei Bresson, der seinem Charles in den Rücken schießt. Manchmal demonstriert der letzte Blick auch allen Hass auf das Leben wie in Michael Hanekes „La pianiste“, ein abscheulicher Blick, der sich in einen grausamen Anblick verkehrt. In „La feu follett“ von Louis Malle hat Maurice Ronet diesen Blick den ganzen Film auf seinem Gesicht. Ein existenzieller Weltekel in einer von Verlust und Unwahrheiten geprägten Welt, der jedes Lachen wie eine schmerzvolle Anstrengung erscheinen lässt. Film ist wie Selbstmord eine Frage dieses Blicks, der über sich selbst hinausgeht, weil er eine Nähe zum Sterben hat. Der filmische Blick ist zum Sterben verdammt, weil er sich jeden Frame auflöst. Im Moment des Erscheinens wird er Sterben. Seine anstrengende Herstellung ist bereits sein Ende, es ist ein Festhalten an der Poesie des Gedanken, die mit einem einfachen Bild in ihrer ganzen Zeitlichkeit Stück für Stück vernichtet wird.
Das Sehen ohne zu Verstehen
Der Selbstmord führt das Kino in seine Naivität zurück, in seine Rebellion. Der filmische Selbstmörder hat eine andere, gesteigerte Wahrnehmung. In „A Single Man“ riecht Colin Firth lange an einem Hund, saugt das Leben und den Geruch förmlich aus dem Tier, immer wieder lässt Tom Ford die Farben aufblitzen. Es ist ein beständiger Kampf der Schönheit der Welt gegen das innere Grauen. Es sei denn das innere Grauen liegt in der äußeren Fassade, wie bei Agnès Varda in ihrem „Le bonheur“. Der naive Blick verschwimmt hier und man lässt sich täuschen bis einen Schönheit erdrückt. Man sieht und sieht und versteht nicht. Das Kino lebt im Selbstmord. Die Frage nach dem „Wie“ taucht auf und plötzlich wird jeder gefährliche Gegenstand zum potenziellen Selbstmörder. Messer, Pillen, Wasser, Feuer, hohe Häuser, Pistolen, Gleise. Die Figuren haben aufgehört zu verstehen und der Zuschauer gleich mit ihnen. Erstaunlich, dass man dennoch das Gefühl hat, dass der Blick des filmischen Selbstmörders ein klarer ist. Im Kino bringt man sich auch um. Man sieht und sieht und versteht nicht. Aber man glaubt verstehen zu können, weil der Blick so klar zu sein scheint. Im Moment des Verstehens ist das Kino aber gestorben und hat seine Kindlichkeit verloren; ein suizidales Treiben durch die fremden Welten vor meinen Augen. Kein Wunder, dass immer wieder der Verlust weiblicher Unschuld mit Selbstmord gleichgesetzt wird. Film ist wie ich mir die Hölle vorstellen würde, wenn ich ein Kind wäre. Die Rebellion der Selbstaufgabe, die Lust einfach alles auszulöschen. Der Gang ins Kino und der Freitod sind beides individuelle Antworten auf die Gesellschaft. Bewusst sage ich nicht, dass sie eine Flucht sind, sie sind eine Form des Umgangs mit der eigenen Hölle.
Die Erinnerung
Denn Film besteht aus einer verblassenden, sich immer wieder regenerierenden, aber dennoch final sterbenden Erinnerung. Film hält alles fest, das stimmt, aber Film ist an eine Zeit gebunden, die ich nicht festhalten kann. Ich kann stoppen und etwas immer und immer wieder betrachten, aber es wird mit mir sterben. Konsequenterweise hat Selbstmord im Film immer mit der Erinnerung an andere Menschen zu tun. Fotos spielen eine wichtige Rolle, sie werden nochmal gewürdigt, betrachtet, zerrissen, vergessen.  Diese Zeit wird verschärft und betont, aber sie wird ultimativ sterben. Deshalb wirken so viele Filme, die Selbstmord thematisieren auch wie ganzheitliche Flashbacks. Eine einzige Drifterbewegung durch die Erinnerung, durch das Leben. Die Figuren sind bereits Tod oder liegen im Sterben. Es gibt ein Ende für diesen Film, man weiß es, man spürt es intuitiv von „Stay“ (ich weiß, dass es dort strenggenommen etwas anders läuft) bis zu „La feu follett“.  In Lilja 4-ever“ von Lukas Moodysson ist man sich den ganzen Film bewusst, dass am Ende die absolute Verzweiflung stehen wird und in „The Virgin Suicides“ macht schon der Titel kein Geheimnis aus dem Verlauf. Die Gegenwart, also Freunde und Verwandte, die sich rührend um die potenziellen Selbstmörder kümmern, sind zum Scheitern verurteilt. Ich interessiere mich nicht für meinen Nachbarn im Kino., ich interessiere mich nicht mehr für mein Leben im Kino. Kino ist der Tod. Es löscht alles aus und verschleiert es in einem schwarzen Raum mit leuchtenden Träumen. Erst wenn ich das Kino verlasse, werde ich wieder ins Leben geworfen. Es ist eine Wiedergeburt. Und genau darum geht es. Kino ist ein spielerischer Selbstmord. Man bringt sich um, damit man neugeboren wird. Irgendwann werde ich aufgeben neu geboren zu werden. Erinnerung ist melodramatischer als das Leben, obwohl das Leben melodramatischer sein darf als das Kino. Es ist auch nicht die Leinwand, die melodramatisch zu mir spricht, sondern mein innerer Dialog mit ihr. Erinnerung ist immer einsam, so wie das Kino einsam ist, so wie der Selbstmörder einsam ist. Erinnerung, Kino, Selbstmord. Alle drei sind einsam und zugleich auch nicht. Die Erinnerung besteht meist aus vielen Personen. Man denkt aber über die Erinnerung als etwas Individuelles nach. Das Kino ist ein sozialer Ort, aber nur so lange bis der Film beginnt. Und auch der Selbstmörder im Film ist fast immer von Menschen umgeben und beginnt sie im Moment seines Entschlusses nicht mehr wahrzunehmen. Wie in „Der freie Wille“ oder „The Hours“ muss der Weg des Sterbenden zum Wasser führen. Dort wo die Erinnerung ihren Platz hat, in einem unendlichen Blick, der dem des Kinos entspricht. Er wird solange leben bis man nicht mehr schauen kann.
Das Gefühl
Josh Brolin verteilt sein Gehirn in einem Sonnenschirm in „American Gangster“ von Ridley Scott. Oft ist Blut zu sehen, dass von Wänden kullert, wie die letzten Tränen der Toten über deren Wangen, ohne dass sie es bemerkten. Der Selbstmörder schwebt, er ist der verneinende Träumer. Das Kino träumt bekanntlich auch. Selbstmord spielt sich auf den Gesichtern ab. Ein menschliches Drama. In „Mar Adentro“ von Alejandro Aménabar wird das Plädoyer für Sterbehilfe in eine Analogie zum Fliegen gesetzt. Javier Bardem springt plötzlich aus dem Fenster und fliegt zum Meer. Ein Traum, der die Realität verlässt, eine ästhetische Explosion, die das Leben erhöht. So denkt auch oft der filmische Selbstmörder. Er positioniert sich, macht sauber, rasiert sich, zieht seinen schönsten Anzug an bevor er sein Leben vernichtet. Die Bilder sind fast immer von tieferer Schönheit. Als würden die Filme ihren Charakteren nochmal Schönheit zeigen wollen, als wollten sie deren Tod erhöhen. Aber das Leiden und die Schönheit geben einen romantischen Widerspruch. Eric Satie begleitet „La feu follett“ mit melancholisch, traurigen Tönen, selbst Bresson verwendet überraschend viel Musik in seine „Le diable probablement“, ganz zu schweigen von Tom Ford, der „A Single Man“ zu einer musikalischen Ode an die Emotionen des Lebens werden lässt. Selbstmord ist Musik. Er wird trotz aller Pragmatik, trotz aller erstarrten Lebenslust immer überrannt von den begleiteten Emotionen. Wer Film sieht und nichts fühlt, begeht keinen Selbstmord. Er begeht Mord. Nicht umsonst hängt die Waffe am eigenen Kopf immer wieder mit der verlorenen Liebe einer zweiten Person zusammen. Im Kino ist man immer auch diese zweite Person. Ein schuldiger Zuseher, der nicht mehr helfen kann, nichts mehr tun kann und sich deshalb in eine Identifikation wirft, um wenigstens noch am Gefühl teilzuhaben. Ich habe genau zwei Emotionen, nachdem ich einen Film über Selbstmord gesehen habe. Erstens will ich mich selbst umbringen und zweitens will ich mir liebe Personen anrufen, um zu verhindern, dass sie sich umbringen. Der filmische Selbstmörder ist sentimental. Oft ist er ein Gefühlsmensch und sein Schuss geht dementsprechend zum Herzen. Wie auch unlängst in „La Jalousie“ von Philippe Garrel.
Selbstmord ist Jetzt
Der Moment des Selbstmords ist ein einziger Moment. Ein Event. Er tritt ein und wird nie in größerer Gegenwärtigkeit sein und es wird nie größerer Gegenwärtigkeit geben. Wann eine Geburt wirklich eine Geburt ist, weiß ich nicht, aber der Tod ist pure Gegenwart. Damit gleicht er dem Kuss, der Penetration, dem Zusammenstoß oder eben dem Blick. Alles sind zutiefst filmische Momente. Zugegeben gibt es da keinen großen Unterschied zwischen Mord und Selbstmord, aber die Gegenwärtigkeit des Selbstmords findet gar in einer doppelten Ausprägung statt, da ihre der Vergangenheit nahestehende Aussichtslosigkeit mit der Gegenwärtigkeit des Moments und dem Nichts der Zukunft kollidiert. Ein Zusammenstoß und ein Mord in derselben Sekunde, der Moment, der alles beendet. Paradox daran erscheint, dass man als Zuschauer in diesem Moment nicht nur weiter atmet, sondern meist auch weiter sieht. Bresson wartet noch einige Sekunden bis er ausblendet, Kiarostami rettet sich auf eine Meta-Ebene, dagegen ist bei Louis Malle das Ende auch das Ende. Kurz vor jenem Ende beschreibt der Selbstmörder in „La feu follett“ auf einer Party, dass er seine Hände ausstreckt, aber nichts erfühlen kann, dass er Dinge nicht wirklich berühren kann. Ich sitze im Kino und stehe auf. Ich gehe zur Leinwand. Langsam, in schwarz-weißen Bildern, ich habe mich schön angezogen. Vor den flimmernden Bildern beginne ich meine Hand auszustrecken, ich sehe ein riesiges Gesicht vor mir. Ich will es berühren, aber dort ist nur die Leinwand. „Hör zu Kino. Du bist das Leben. Ich will dich berühren. Aber ich kann nicht. Es ist grauenhaft.“ Film und Selbstmord haben beide mit Begehren zu tun. Das wird mir jetzt klar. Ich sterbe und bleibe für immer. Alle anderen können weiterschauen.
Je me tue parce que vous ne m’avez pas aimé, parce que je ne vous ai pas aimés. Je me tue parce que nos rapport furent lâches, pour resserrer nos rapports. Je laisserai sur vous une tache indélébile.

Das amerikanische Monster: Gone with the Wind



Es gibt Filme über die kann man eigentlich nicht schreiben, weil man sich ganz sicher sein kann, dass schon fast alles darüber gesagt wurde, und weil diese Filme wie Felsen in der Reflexionslandschaft stehen und sich nicht bewegen lassen. „Gone with the Wind“, der 1939 von David O. Selznick produziert und in großen Teilen von Victor Fleming realisiert wurde, ist ein solches Stück Filmgeschichte, tatsächlich eingeschriebene Filmgeschichte. Und Filmgeschichte rühmt sich zwar der eigenen und ständigen Neuerfindung, dem ständigen Hinterfragen und der völligen Freiheit von jeglichem Dogmatismus, aber so ganz umschreiben lässt sich die Betrachtung eines Films dann doch nicht. Aus diesem Grund stehe ich übrigens auch Top10-Listen öffentlicher Magazine, wie sie gerade zum Jahresende wieder in Scharen auftauchen, mehr als nur kritisch gegenüber. Wenn man privat solche Listen anfertigt, finde ich das in Ordnung, man hat die Möglichkeit in einigen Monaten Änderungen vorzunehmen und die Liste immer wieder zu hinterfragen. Aber Zeitschriften setzen diese Liste wie Stempel auf ihre Ausgaben, ja auf ihre Politik. Das ganze Jahr verweigern sie zum Teil eine Bewertung (was ich sehr gut finde), um dem Leser dann doch eine möglichst einfache Wertung, sogar noch im Vergleich und unter Denunzierung der ausgeschlossenen Filme zu geben. Natürlich nicht ohne, dass Kritiker selbstherrliche Kommentare unter die Listen setzen und ihre Wahl begründen. In einigen Jahren erst würde ich gerne hören, wie sie ihre Wahl rechtfertigen. Der wahre Hintergrund könnte aber die sogenannte Interaktion mit den Lesern sein, die dann in zahlreichen Kommentaren ihre Wut oder Übereinstimmung laut kundtun können, ohne dass ihnen jemand sagt wie uninteressant das für irgendwen außer ihnen selbst ist. Der einzige positive Faktor scheint mir, dass verschiedene Filme eine gerechtfertigte Aufmerksamkeit dadurch gewinnen. 

Wenn man den Sight&Sound Poll aus dem Jahr 2012 für die besten Filme aller Zeiten hernimmt, dann befindet sich „Gone with the Wind“ dort auf einem respektablen 235.Rang. Berühmt ist der Film aber eher für seine Berühmtheit. Ein Publikusmdarling, ein großer Familienfilm, der selbst heute noch das melodramatische Herz des geneigten Fernsehzuschauers höherschlagen lässt. Man kann sich mancher Sache auch schwer entziehen, sei es die opulente Bilderflut, die sich nicht aus Szenen, sondern aus Kompositionen zusammensetzt, die harte Konsequenz, die der Film mit einigen sehr überraschenden Ausflüchten aus dem Hollywood-System an den Tag legt oder die Wärme, die hier mit scheinbarer Ehrlichkeit versprüht wird. Dagegen stehen natürlich lächerliche Szenen, ein unter heutigen Voraussetzungen kaum ertragbares Spiel, ein unter heutigen Voraussetzungen schwer zu ignorierender Rassismus und eine literarische Grundanordnung, die den orangen Farben des Himmels, den Augen von Vivien Leigh oder der Musik von Max Steiner nur so viel Luft gibt, dass sie nicht völlig absterben; ein Film des Systems, ein Produkt eines Produzenten. Aber es ist eine Perfektion in dieser Art Film herzustellen, die man nicht leugnen darf. Der Einfluss auf das heutige Kino scheint enorm. Der Film exemplifiziert das Spielberg-Face Jahrzehnte bevor der es angeblich erfand, er zeigt eine Inszenierung der Hauptperson als schwieriges Opfer, wie sie heute in Superheldenfilmen üblich ist und er hat die selbe Ironie zum eigenen Drama, wie man sie in einem postmodernen Blockbusterkino erwarten würde. Der Film schützt sich beständig vor Angriffen auf eine zu große Sentimentalität, indem er eine Figur in sein Zentrum stellt, die kaum fühlt und wenn sie fühlt, ist man nicht mehr sicher, ob sie es tut und außerdem wäre es dann auch zu spät. Natürlich verspricht der Film einen Hoffnungsschimmer, aber der wiegt sich überraschend leicht gegenüber dem erlittenen Verlust. Die klare moralische Botschaft wurde auch-wie heute so typisch im Blockbusterkino-verschleiert, aber doch deutlich genug verkauft, sodass sich alle erfreuen können. 
  

Im März 1973 beschäftige sich Arthur Schlesinger Jr. mit „Gone with the Wind“. Sein Ansatz war festzuhalten wie schlecht der Klassiker altern würde. Er sieht im Film eben doch eine Seifenoper. Seinen eigenen, sehr gut gewählten Worten zur Folge: „It aspires to opera and achieves soap opera.“ Er kritisiert, dass im zweiten Teil des Films statt der Rekonstruktion private Dramen beleuchtet werden. Und dann wird er polemisch: “And how badly written it is! There is hardly a sharp or even a credible line. It is picture-postcard writing, as it is picture-postcard photography (and, for that matter, picture-postcard music).” Am Ende seiner zu kurzen und damit auch nicht wirklich überzeugenden Betrachtung legt er nahe, dass womöglich in 30 Jahren eine neue Betrachtung des Films möglich sei. Jetzt sind wir 40 Jahre später. Ich bin weit davon entfernt ein Experte im klassischen Hollywood zu sein oder für irgendeine der beteiligten Filmschaffenden oder gar nur für den Film selbst. Mein Nachteil gereicht aber insofern zum Vorteil, weil ich den Film tatsächlich auch erst im Jahr 2013 zum ersten Mal gesehen habe. 74 Jahre nach seiner Uraufführung. Film tötet die Zeit und alleine dafür muss man Film lieben. Aber das spielt hier kaum eine Rolle. Den Seifenopereffekt, den Schlesinger bemerkte kann man natürlich genauso wenig umgehen, wie die Postkarten-Polemik. Er hat in vielerlei Hinsicht Recht, aber was heute wohl passiert ist mit dem Film, ist dass man ihn nicht mehr so ernst nimmt. Man betrachtet ihn eher als Zeitgeschichte, als historisches Dokument und wird dann überrascht, dass dort Gefühle schlummern. Nähert man sich dem Film mit ernstem Blick an, wird man enttäuscht, nähert man sich mit belächelnder Haltung, wird man überrascht. Ich dachte, dass der Film eine Seifenoper sein will, aber er war verdammt nahe an einer Oper. Der Vorwurf, dass statt der Rekonstruktion mehr private Konflikte im Zentrum des zweiten Teils stehen, ist genauso von Sentimentalitäten geprägt wie weite Teile des Films angeblich von ihnen durchzogen sind. Zunächst einmal sei gesagt, dass das private Schicksal von Scarlett O’Hara trotz all seiner Künstlichkeit durchaus als exemplarisch für die Zeit angesehen werden könnte. Aber selbst wenn dies nicht so ist, muss man doch sagen, dass die Bilder eine Treue zur Zeit beinhalten und der Ton des Films durchzogen ist von einem hoffnungslosen, aber beständigen Ankämpfen gegen das eigene Schicksal. Nachdem im ersten Teil tatsächlich historische Momente eingefangen werden, muss man eigentlich fast froh sein, dass dies im zweiten Teil eher auf private Ebene verlagert wird, denn in den historischen Bildern von Leichenfeldern und Kriegen offenbart sich die ganze Monstrosität der amerikanischen Hollywood-Maschine. 

Spricht man heute von ideologischen Problemen wird häufig auf den Rassismus verwiesen. Wirklich problematisch scheint mir aber, und da hat sich seit  „Gone with the Wind“ wenig verändert, die Würde des Grauens, die Schönheit des Brutalen, die in Hollywood aus Elend ein Drama macht. Kranfahrten, die einem das Ausmaß von Kriegen demonstrieren, langsame Schwenks über tausende tote Körper und eben die Privatisierung des Grauens, das sich sofort an die Nahaufnahme eines weinenden Gesichtes klammern muss, wie es auch in „Dances with Wolves“ von Kevin Costner oder „Cold Mountain“ von Anthony Minghella zum Standardrepertoire gehört. All diese Stilmittel betrügen die angeblich saubere Moral des klassischen Hollywoods und auch des modernen Hollywoods in der billigsten Weise. In der Sprache der großen Bilder wären eigentlich nur die Banalität und der Pragmatismus angebracht, um Grauen zu zeigen. Ich muss mich deutlicher machen: Die Schönheit des Grauens gehört für mich zu einer der wichtigsten und aufregendsten Elemente in Filmen. Sie ist Resultat einer künstlerischen Betrachtung der Welt, einer bestimmten Weltsicht. Hollywood vertritt diese Weltsicht aber nicht. Insbesondere im klassischen Studiosystem (auch wenn „Gone with the Wind“ von Selznick und damit nicht absolut im Studiosystem entstand, ist er das Produkt dieses Systems) ist das Grauen das Grauen und ist Schönheit Schönheit, Gut ist Gut und Böse ist Böse. Grauzeichnen funktioniert erschreckenderweise bis heute in einer Art, die ständig selbst darauf aufmerksam macht, dass man NICHT schwarz und weiße Charaktere gezeichnet hat. Doch fast in jedem historischen Film gibt es diese Ausreißer. Immer dann, wenn es um Krieg, um Gewalt geht, schaffen es die Filme nicht ihre opulente, schwelgerische Linie zu verlassen und widersprechen dann ihrer eigenen Ideologie. Wenn die Tiere in „Dances with Wolves“ erschossen werden, geschieht dies in unfassbarer Schönheit. Dasselbe gilt für das Ende von „Cold Mountain“ und eben auch für die Leichenfelder in „Gone with the Wind“. Spannende Freiräume tun sich da auf.

Die Lust am Sehen wird wieder befriedigt und die eigene Moral wird ganz unbemerkt umschifft. Wenn eine große Produktion Patriotismus hinterfragt und ein negatives Bild der eigenen Welt zeichnet, wie das beispielsweise auch in den Batman-Filmen von Christopher Nolan geschieht, dann muss anscheinend umso mehr darauf hingewiesen werden, dass sich diese amerikanische Qualität jetzt auf die Kunst des Filmemachens verlegt hat. Technische Brillanz wird geschätzt und geliebt. Sie ist der Patriotismus, ja der Faschismus der Filmwelt. Eine Ideologie, die nur von der Zeit selbst zum Platzen gebracht wird, aber nur weil sie sich selbst überholt. Etwas, das besonders gut aussieht und spektakulär ist, manchmal auch innovativ, das muss gut sein. Wie in einem Automagazin werden da Filme geschaut. Besonders aufregende Kamerafahrten, ein unfassbarer Effekt, ein Schockerlebnis. Das ist nicht unbedingt schlecht, weil es das Sehen auch wieder auf eine naive, fast kindliche Ebene herabsetzt, aber es ist im Kontext einer Relevanzdiskussion rund um Filme eigentlich obsolet. Damit wären wir wieder bei den Top10-Listen und ihrer beständigen Würdigung von Alfonso Cuaróns „Gravity“. In diesem Zusammenhang darf man sich dann auch fragen, was naives Sehen eigentlich bedeutet. Ich habe diverse Interviews mit Filmemachern und Technikern gelesen und bin mir über die unfassbare und wichtige Arbeit bewusst, die dort geleistet wurde. Aber Filme sind doch keine Autos. Technik scheint mir das einzige zu sein, was wirklich altert im Film. Die Wichtigkeit (wenn es sowas wirklich gibt) eines Filmes misst sich sicherlich an unterschiedlichen Faktoren, aber doch auf keinen Fall an der Technik. Wird dann in 30 Jahren jemand schreiben, dass der Film außer seiner Technik kaum etwas bietet, um nicht zu sagen, dass er nichts bietet? Schlesinger Jr. Stellt plötzlich fest, dass „Gone with the Wind“ schlecht geschrieben wurde. Wurde diese Feststellung 1939, ob der Technik vernebelt oder ist es etwas-der Mann betont ja, dass er „Gone with the Wind“ schon damals nicht besonders gut fand-dass er einfach loswerden wollte. Er mag Recht haben mit dieser Feststellung, aber 40 Jahre später spielt sie kaum mehr eine Rolle, weil der Film sie nicht mehr spielt. Man schaut sich die Geschichte von Scarlett O’Hara nicht mehr naiv an, das ist vorbei.

2013, im Zeitalter des materiellen Todes von Film, bekommt Technik eine neue Bedeutung. Filme spielen mit den Möglichkeiten, werfen einen Blick auf nostalgische Zwischenformen wie Video und die Lager zwischen digitalen Verfechtern und analogen Starrköpfen spalten sich unendlich auf. Auf einer anderen Ebene wird in Hollywood ein 3D-Kampf geführt, eine ständige Weiterentwicklung der Technik, die an den Kalten Krieg erinnert. „Gravity“ ist in diesem Sinn sicherlich ein zeitgemäßer Film, aber sich dem Film mit fehlender Reflektion zu nähern, um zu argumentieren, dass es solche Filme auch geben muss und dass es doch schön sei, sich mal wieder richtig im Kino zu verlieren, ist sowohl für den Film selbst als auch für die Filmkritik kein Gewinn. Man muss Narration nicht neu erfinden, man muss auch nicht mit jedem Film tiefe Themen aufgreifen, aber selten in diesem Jahr habe ich einen Film gesehen, der so offensichtlich auf seine Geschichte pfeift. Das Drehbuch funktioniert nach dem Motto: Hauptsache es passiert was und wir finden Möglichkeiten für die Kamera.  1939 war vielleicht ein ganz ähnliches Jahr in der Filmindustrie. Da ging es nicht um 3D und Analog VS Digital, sondern um Farbe. Also was machen wir? Wir haben möglichst viele Kostüme, damit wir Farben zeigen können, wir machen Farbe, Farbe, Farbe und die Geschichte dahinter muss sich den Farben angleichen. Eigentlich ein romantischer Gedanke, wenn er nicht so verklärt wäre. Denn genau hier liegt ja das Problem. Die Schönheit der Farbe bringt den Film in jene kritisierten Gebiete der Sentimentalitäten, die er durch seine Charaktere und seine Geschichte eigentlich kaum betreten würde. Naives Sehen heißt dann, dass man das genießt. Und das amerikanische Monster zielt genau auf diesen Effekt. Philosophische Gedanken gehen dann in die Besprechungen von „Gravity“ ein, obwohl sie schlicht und ergreifend nicht vorhanden sind im Film. Weder gewinnt Cuarón der Lost in Space Thematik irgendwas Neues ab, noch erzählt er etwas über Menschlichkeit, noch über technologische Entwicklung. Es ist eine veraltete Geschichte einer Frau, die um ihr Leben kämpft. Mit manchen pseudo-symbolischen Einstellungen impliziert der verzweifelte Regisseur, dass es um mehr gehen könnte, findet aber nicht die Kamerapositionen, um das zu erzählen. Wunderbar, wie sich hunderte sonst völlig reflektierte Kritiker davon täuschen lassen. „Gravity“ ist ein Film aus dem Jahr 1939. Oder ist „Gone with the Wind“ ein Film aus dem Jahr 2013? Ich mochte ihn 74 Jahre später, aber ich bin naiv.