Ten thousand waves


Warum schauen wir uns Filme eigentlich immer gerade sitzend vor einer Leinwand oder einem Fernseher an? Warum? Wer hat das festgelegt?

Heute war ich im Brandhorst Museum in München und habe mir dort auf Empfehlung einer Freundin „Ten thousand waves“ von Issac Julien angesehen.

Dabei handelt es sich nicht um einen normalen, herkömmlichen Film, sondern eher eine Art Installation auf 9 Leinwänden.Eine sogenannte 9-Kanal-Videoinstallation. Schon beim Betreten des Museums hört man den immensen Sound mit dem das ganze verstärkt wird. Der Film läuft in einer Endlosschleife. Man steigt irgendwann ein und bleibt halt solange sitzen bis man merkt, dass man die Bilder schon gesehen hat. Oder bleibt einfach noch eine Runde sitzen.

Um es zu sagen: Man wird förmlich erschlagen im positiven Sinne. Man wird mitten hineingeworfen in die zum Teil schwer verständlichen und nur angedeuteten Geschichten, die sich alle auf asiatischen Boden abspielen. Überall passiert etwas. Soll man sich hinsetzen auf eine der Bänke oder soll man durch den Raum laufen? ich setze mich hin. Man hört und sieht. Alle Sinne sind gefordert, die Bilder sind wundervoll. Die traumhafte Maggie Cheung spielt eine der Hauptrollen. Die Gesetze der Montage werden ausgehebelt und gleichzeitig erklärt. Niemals habe ich die Stimmung einer Stadt so gut eingefangen gesehen wie auf 9 Leinwänden. Natürlich. Wenn man sich vorstellt mitten in einer Großstadt zu stehen, fühlt sich das ja auch eher so an wie 9 verschiedene Bilder gleichzeitig, als wie ein Bild.

Die Bilder sind perfekt. Die Stimmungen, die Lichtsetzung. Der Soundtrack drückt einen gegen die Wand, man atmet kaum. Und dennoch erwischt man sich dabei, wie man darüber nachdenkt auf welche Leinwand man schaut. Auf jeder läuft immer ein anderes Bild, machmal gar keines. Schuss, Gegenschuss, Point of View, Master, Halbnahe…alles gleichzeitig. Wir sehen das Bild eines Cutters vor seiner Arbeit. Und wir erkennen: In der Welt des Issac Julien ist nicht die Auswahl entscheidend, sondern unsere persönliche Wahrnehmung. Jeder wird jedesmal einen anderen Film sehen.Man könnte sich über die 3 Erzählstränge des Films unterhalten. Aber darum geht es dem Künstler meiner Ansicht nach nicht. Es geht ihm um die Macht des Bildes. Und die demonstriert er zweifelsohne. Bis zum Ende des Jahres läuft der Film im Museum. Sonntag kostet der Eintritt nur 1 Euro. Spendet ihn.

Und wer hat uns gesagt, wie man Filme machen muss?

http://en.wikipedia.org/wiki/Isaac_Julien  (Infos über den Regisseur)

Dreileben

Am Montag war in der ARD ein äußerst ambitioniertes und interessantes Projekt zu sehen. Drei der herausragenden Regisseure des Landes (Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler) taten sich zusammen, um drei Filme rund um einen fiktiven Kriminalfall im thüringischen Dreileben zu drehen. Diese wurden nacheinander in der ARD gezeigt.

Hochhäusler, Graf, Petzold (v.l.)

Die Filme teilten sich neben dem Schauplatz nur wenige Szenen und auch sonst muss man die einzelnen Filme wohl eher als eigenständige Werke betrachten, obwohl festzuhalten bleibt, dass sie auch davon leben, dass verschiedene Puzzleteile nur durch Nebenhandlungen in den jeweils anderen Filmen verstanden werden. Das ambitionierte an diesem Projekt ist sicherlich, dass das normale Abendprogramm in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sich entweder an altbewährten festhält (Tatort) oder an altbewährtem Schrott (Christine Neubaurer fährt nach Afrika-Filme). Von daher ein mutiger Schritt, gerade weil die drei genannten Regisseure nicht gerade für leicht zugängliche Stoffe und Erzählweisen gerühmt werden.

Um 20:15Uhr ging es los mit Petzolds „Etwas besseres als den Tod“. Der Film war in gewisser Weise ein klassischer Petzold mit einer unheimlichen Präzision in den Bildern, kaum ergründbaren, aber sehr interessanten Charakteren, mit einer Prise Surrealismus und einem fast schwebenden Zustand, in den man versetzt wurde. Die Story tangierte den Kriminalfall in Dreileben nur selten, im Endeffekt war es eine gewöhnliche Dreiecksgeschichte. Bei Petzold ist es auch nicht der Inhalt, sondern die Art wie er einem erzählt wird. Bedeutungsschwere durch visuelles Erzählen und einfache Konstellationen, die durch ambivalente Charakterzeichnung an Klasse gewinnt. Jacob Matschenz passt perfekt in diese Welt, weil man in ihm zu viele Geschichten lesen kann, als das man sich auf eine Interpretation einlassen könnte. Allerdings schafft der Film nicht, was die letzten Kinofilme von Petzold erreichen konnten. „Jerichow“ oder „Yella“ haben deutlich mehr Tiefe schaffen können, in „Etwas besseres als den Tod“ dudelt eine grausame Fernsehmusik im Hintergrund und man hat das Gefühl, dass Petzold während er den Film gedreht hatte, sich gerne wieder komplett aus Dreileben verabschiedet hätte. Dennoch bleiben Momente haften und man wird sicherlich mehr als nur oberflächlich angesprochen.

Im zweiten Film „Komm mir nicht nach“ von Dominik Graf steht wieder eine Dreiecksgeschichte im Zentrum. Allerdings ungleich komplizierter und vielschichtiger, als bei Petzold. Graf bemüht sich deutlich mehr den Raum mitzuerzählen. Er charakterisiert die Einwohner von Dreileben und Umgebung als sehr eigen, aufmerksam, zuweilen als verstörend freundlich und schafft es eine klassische Kriminalfilm im Dorf-Atmosphäre aufzubauen. Auch er berührt die eigentliche Geschichte kaum, stellt eine Psychologin und ihre ganz private Vergangenheitsbewältigung ins Zentrum. Dem Film wohnt ein Hauch von München bei, man hat das Gefühl, dass die Charaktere nicht unbedingt in ihre Umgebung passen. Graf zeigt, dass er der heimischte der drei Regisseure im Fernsehformat ist. Seine Inszenierung ist gewohnt geheimnisvoll und in den Bildern liegt noch eine tiefere Wahrheit, als in den zahlreichen, intelektuell geführten Dialogen zu erahnen ist. Man erwartet immer etas mehr, als man dann letzlich bekommt. Definitiv ist der zweite Film der Trilogie der routinierteste, was aber gleichzeitig bedeutet, dass er die wenigsten Kanten hat, an denen man sich stoßen könnte und daher auch am meisten für das klassische Fernsehen geeignet ist.

Christoph Hochhäusler beendete mit „Eine Minute dunkel“ nach Mitternacht den Fernsehabend. Er fokussiert sich auf den gesuchten Verbrecher Molesch und seine Flucht, sein Überleben in der Natur. Auch er schreckt nicht vor klasssichen Krimimotiven zurück, ist aber wohl dennoch der experimentierfreudigste Film an diesem Abend. Dabei fällt auf, dass Hochhäsuler scheinbar am ehesten hinter dem Projekt als solchem her war. Bei ihm wirken die Überlappungen mit den anderen Geschichten deutlich präziser platziert und bei ihm wird der Ort samt Touristen im Thüringer Wald, den Ermittlungen eines Besessenen und der Natur am ausgegorensten erzählt. Stefan Kurt gibt Molesch fast schon unheimlich gut. Ein murmelnder Mann, der durch den Wald stolpert wie man bei Gus van Sants „Last Days“ beobachten konnte. Ein Geisteskranker, ein Kind…nicht zu erschließen. So wie vieles bei Hochhäusler. Die Bilder sind erschreckend gut. Sie knüpfen an das schwebende von Petzold genauso an, wie an die versteckte Emotionalität eines Grafs. Der Film ist am schwierigsten zu verstehen, dennoch füllt er die verbleibenden Lücken so, dass die komplette Geschichte rekonstruierbar ist. Hochhäsuler ist im Moment einer der aufregendsten Regisseure im internationalen Festivalzirkus, auch wenn bei ihm-ähnlich wie bei Petzold- ein Qualitätsverlust im Vergleich zu seiner letzten Kinoarbeit (Unter dir die Stadt) zu bemerken ist.

Ingsesamt ist Dreileben sicherlich keine Offenbarung. Wer nichts mit der Berliner Schule und ihren langen Einstellungen, ihren literarischen und filmgeschichtlichen Querverweisen und ihren ungewöhnlichen Geschichten anfangen kann, der wird von Dreileben sicherlich nicht bekehrt werden. Aber es ist ein Projekt, das zeigt, dass in Deutschland unheimlich viel Potenzial für Niveau im Fernsehen ist. In der Machart, dem Spiel und der Erzählweise bzw. dem Verweigern der Klarheit,spielt der Film liegen über 95 Prozent des sonstigen Abendprogramms und ich wünschte die ARD würde zumindest einmal im Vierteljahr einen Abend für derartige Projekte freilassen.

Dennoch finden viele das grausam langweilig:   

Reaktionen aus dem Spiegel-Forum von immediator:


„Wer das ganze Elend der deutschen Filmproduktion in nuce sehen wollte, hatte dazu heute Abend die Gelegenheit: Filmemacher, die das Ausfüllen von Formularen so perfekt beherrschen wie die Pflege von Beziehungen zu öffentlich-rechtlichen Kulturverwesern durften zeigen, wie Konflikte durch Scheinkonflikte, Menschen durch konstruierte Pappkameraden, Welt durch bemühte,sterbenslangweilige, bestenfalls routinerte Kulisse ersetzt wurde.
Nach den vier Stunden von 20:15 bis 20:45 hatte ich schon aufgegeben, weil 1:1-Naturalismus-Versuche in Abwesenheit jeglichen filmischen und schauspielmethodischen Grundwissens zu nichts als tödlicher Langeweile führen (wir reden jetzt gar nicht davon, dass sich ein Autor bzw. Regisseur in irgend einer Form um seine Figuren, Schauspieler, Zuschauer bemühen sollte, weil davon schlechterdings nichts erkennbar war).
Dominik Graf darf sich rühmen, seine Kriminalfilmroutine locker ohne den mindesten Bezug zu den Besonderheiten der Region abgefeiert zu haben. Der letzte Beitrag dieser abendfüllenden Absage an filmische Intelligenz, Humor, Stil, Schauspielerführung hat mich – na klar: vollkommen subjektiv und durch keine Expertise deutscher Feuilletons untermauert 😀 – darin bestärkt, die Glotze einfach nicht mehr einzuschalten. Leider muss ich trotzdem weiterhin Gebühren zahlen und der Entstehung derart bemühter Schrottproduktionen Vorschub leisten.“

Diese Reaktion trifft man oft an, wenn man über das Fernsehereignis liest. Dieselben Leute, die Abend für Abend vor der Glotze sitzen und sich über das immer gleiche Programm aufregen oder gar nicht mehr in der Lage sind sich emotional auf Bilder einzulassen, beweisen dass nicht das Fernsehen tot ist, sondern das Fernsehen seine Zuseher getötet hat.  

Die Masse ist weit weg davon, Filme als Werke von Autoren zu akzeptieren. Wenn es die Aufgabe des Fernsehen und des Kinos ist zu unterhalten, dann haben sie völlig recht, dann ist der Autor völlig egal. Wenn man jedoch ein bisschen Kunstanspruch hat, muss man einsehen, dass man nicht alles verstehen kann, dass es Dinge gibt an denen man sich reibt, dass man in seinen Erwartungen getäuscht wird. Aber nur so, kann eine Auseinandersetzung auf einem höherem emotionalen und intellektuellen Niveau stattfinden. Das hat Dreileben mal wieder deutlich gezeigt.